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de» Antrag», sondern den ganzen Antrag, der außer für die Kosten der Unterhaltung auch für die Kosten der ge wöhnlichen Herstellung der Fahrbarkeit Deckung durch Ab gaben forderte. Ganz ist demselben Sinne erblickte die Kommission de- Reichstag» bei der Beratung de» Gesetze» vom 5. April 1886, worin Bremen zur Erhebung von SchisfahrtSabgaben auf der durch eine umfassende Stromkorrektion verbesserten Unterweser ermächtigt wurde, in diesem Gesetze eine Ab weichung von den Bestimmungen de- Artikels b4 Abs. 4 der Reichsverfassung und erachtete die hieraus sich er gebenden Bedenken nur dadurch für erledigt, daß nach einer Erklärung de- Staatssekretärs von Bötticher bei der Ab stimmung im Bundesrate nicht die erforderliche Anzahl von Stimmen dagegen war, um eine Verfassungsänderung zu hindern (Kommissionsbericht vom 18. März 1886). Auch späterhin hat die Reichsverwaltung an dieser Auffassung festgehalten. Als im Jahre 1903 die BesorgniS der Zuführung von Schiffahrtsabgaben — und zwar wieder im Sinne der jetzigen Vorlage — im Reichstag Ausdruck fand, erklärte der Reichskanzler Fürst Bülow in der Sitzung vom 10. Dezember 1903, „daß durch Artikel 54 der Reichsverfaffung das Recht der einzelnen Staaten beseitigt werden sollte, auf deutschen Strömen lediglich für die Befahrung derfelben irgend welche Abgaben zu er heben. Jede Ausnahme von diesem reichsrechtlichen Grund satz würde hiernach eines besonderen Reichsgesetzes be dürfen, und zwar, wie bei den Verhandlungen über das Gesetz betreffend die Erhebung einer Schiffahrtsabgabe auf der Unterwefer vom 5. April 1886 ausdrücklich hervor gehoben worden sei, eines Reichsgesetzes, welches im Bundesrat unter Wahrung der Vorschriften des Artikels 78 der Reichsverfaffung zu beschließen sei". Die Weserschiff fahrtsabgaben find aber lediglich zur Kostendeckung be stimmte Abgaben, wie die jetzt beabsichtigten, und die Be zugnahme des Reichskanzlers auf fie schließt jeden Zweifel darüber aus, daß er mit seiner Erklärung nicht nur die fis kalischen Wafserzölle, sondern gerade auch die zur Deckung der Flußbaukosten bestimmten Befahrungsabgaben als un zulässig hat bezeichnen wollen. Auch Graf von Posadowsky stand in seiner Erklärung im Reichstage am 12. April 1904 noch auf dem Standpunkte, daß die Erhebung von Abgaben für eine Flußregulierung, wie bei der Unterweser, eine Änderung der Reichsverfassung voraussetze. Nach alledem enthält die in Artikel I der Vorlage be antragte neue Fassung des Artikels 54 Abs. 4 der Reichs verfassung nicht nur der Form, sondern auch der Sache nach eine Verfassungsänderung und bedarf somit zu ihrer Annahme im Bundesrate der in Artikel 78 der Reichsver fassung vorgesehenen Mehrheit. Die Bestimmungen des Artikels II der Vorlage glaubt die Begründung als „gewöhnliches Reichsrecht" bezeichnen zu können. Sie bezieht sich hierfür bei der allgemeinen Kennzeichnung des mit ihnen verfolgten Zweckes auf Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung (S. 7 unten). Weiter soll, wie die Begründung S. 17 zu § 9 des Artikels II bemerkt, „die Zuständigkeit des Reichs zur Anordnung von Maßregeln, welche geeignet und dazu bestimmt sind, den Bau von Schiffahrtswegen aus den Mitteln der Inter essenten zu fördern und die solchen Bauten entgegen stehenden Hindernisse zu beseitigen, um so weniger zu be zweifeln fein, als nach Artikel 4 Nr. 8 der Verfassung so gar die Herstellung von Wasserstraßen im Interesse des allgemeinen Verkehrs aus den Mitteln der Gesamtheit in die Zuständigkeit des Reichs falle". Es wird also davon ausgegangen, daß die Bestimmungen des Artikels II der Vorlage, insbesondere auch diejenigen über die Zweck verbände, keine Änderungen der Reichsverfassung in sich schlössen, sondern in Artikel 4 Nr. 8 und 9 der Reichs verfassung ihre Stütze fänden. Dem kann nicht beigetreten werden. Es darf vorausgeschickt werden, daß die Begründung des Entwurfs mit sich felbst nicht im Einklänge steht, wenn fie sich für die Bestimmungen des Artikels II auf Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung beruft, während sie anderseits ausschlaggebendes Gewicht auf den Nachweis legt, daß die einzuführenden Befahrungsabgaben die Eigenschaft von Gebühren hätten. Denn Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfaffung räumt, foweit er von Abgaben handelt, dem Reiche die Zu ständigkeit zur Aufsicht und Gesetzgebung nur über die Fluß- und sonstigen Wasserzölle ein, überläßt sonach die Zuständigkeit zur gesetzlichen Regelung des Gebühren wesens auf den Wasserstraßen im Rahmen des Artikels 54 den Einzelstaaten. Vom Standpunkte der Begründung aus bewegen sich demnach die Bestimmungen des Artikels II nicht innerhalb der Grenzen der dem Reiche nach Artikel 4 Nr. 9 überwiesenen Zuständigkeit. Aber auch von dem entgegengesetzten Standpunkte aus, wonach die Befahrungsabgaben des Entwurf- als Wafserzölle zu betrachten sind, ist der Inhalt de- Artikels II durch Artikel 4 Rr. 9 der Reichsverfassung nicht gedeckt. Die ZZ 2 bi- 9 gehen über die Beaufsichtigung und gesetz liche Regelung der Wasserzölle, wie sie nach Artikel 4 Rr. 9 dem Reiche zusteht, weit hinaus. War sie bezwecken, ist in Wahrheit die Bildung von ZwangSverbänden zu um fassenden Stromkorrektionen und Flußregulierungen. Die Erhebung von SchisfahrtSabgaben, die der Artikel I der Vorlage ermöglichen soll, steht dabei erst in zweiter Linie, insofern die Abgaben als Mittel zur Ausführung jener Strombauten dienen sollen. Im besonderen läßt sich für die dem BundeSrate in 8 9 beigelegte Zwang-gewalt, die den Bestimmungen über die Zweckverbände erst ihre eigentliche Bedeutung und Trag weite verlecht, auch Artikel 4 Nr. 8 der Reich-Verfassung nicht anziehen. Mit Unrecht wird in der Begründung an genommen, daß das Reich nach dieser Bestimmung der Reichsverfassung sogar das Recht habe, in den Bundes staaten Wasserstraßen herzustellen. Der Artikel 4 der Reichs verfassung beschränkt die Zuständigkeit des Reichs in den dort bezeichneten Angelegenheiten auf die Beaufsichtigung und Gesetzgebung, während der Vollzug und die Verwaltung den Bundesstaaten verbleiben. So wenig die Reichsver waltung aus Artikel 4 Nr. 8 da- Recht ableiten kann, Äsen- bahnen zu bauen, so wenig ist sie nach dieser Vorschrift be rechtigt, Wasserstraßen herzustellen. Will das Reich in diesen Angelegenheiten die Verwaltung für sich in Anspruch nehmen, so muß ihm die Berechtigung dazu durch eine besondere Vorschrift der Verfassung beigelegt sein, wie dies in den Abschnitten VII bis XIII der Reichsverfassung mehrfach, insbesondere in Artikel 41 Abs. 1 unter gewissen Voraussetzungen für die Anlegung von Eisenbahnen ge schehen ist. Auch für die Herstellung von Wafferstraßen kann ein solches Recht in Betracht kommen, wenn die von Reichs wegen herzustellende Wasserstraße gemäß Artikel 4 Nr. 8 wesentlich dem Interesse der Landesverteidigung dient und sich zugleich als eine mit der Kriegsmarine un mittelbar zusammenhängende Anstalt im Sinne von Artikel 53 Abs. 3 darstellt. In allen anderen Fällen bleibt dagegen für die kraft Reichsgesetzes herzusteüende Wasser straße die Vollziehung, d. h. die Ausführung und Unter haltung, den Einzelstaaten Vorbehalten. Diese Ansicht wird auch von der staatsrechtlichen Literatur ganz über wiegend geteilt. Es ist daher unzutreffend, wenn die Be gründung mittels eines Schlusses a majoro »6 minus aus Artikel 4 Nr. 8 der Reichsverfassung folgern zu können meint, daß das Reich berechtigt sei, einen Bundesstaat zu zwingen, daß er einem Zweckverbande zur Erhebung von Befahrungs abgaben beitrete und Stromverbesferungen dulde oder nach feiner Wahl vornehme. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zu gleich, wie sich die Ansicht der Begründung des Entwurfs ebensowenig durch Berufung darauf rechtfertigen laffen würde, daß dem Reiche nach Artikel 4 Nr. 9 der Reichs verfassung die Gesetzgebung und Aufsicht über den „Zustand" der mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen zusteht. Auch aus dieser Vorschrift läßt sich die Zuständigkeit des Reichs zum Erlasse von Bestimmungen über die Bildung von Zwangsverbänden der in Artikel II § 9 des Entwurfs vorgesehenen Art nicht herleiten. Denn in bezug auf den „Zustand" der gemeinsamen Wasserstraßen hat das Reich gleichfalls nur das Recht der Gesetzgebung und Beauf sichtigung, wogegen der Vollzug und die Verwaltung Sache der Bundesstaaten sind. Die Vorschriften über die Bildung der Zweckverbände und namentlich der sie krönende § 9 enthalten daher fehr bedeutungsvolle Eingriffe in die durch die Reichsverfassung den Bundesstaaten grundsätz lich vorbehaltene selbständige Verwaltung dieser Angelegen heit und stellen damit Verfassungsänderungen dar. Die Reche der verfassungsrechtlichen Bedenken ist damit bei weitem noch nicht erschöpft. Die dem Bundesrate in § 1 Abs. 2 des Artikels II beigelegte Befugnis soll nach S. 14 der Begründung aus der Stellung des Bundesrats als oberste Verwaltungs stelle in Reichsangelegenheiten und als Austrägalinstanz für die Beziehungen der Bundesstaaten untereinander folgen. Als oberstes Organ der Reichsverwaltung beschließt der Bundesrat nach Artikel 7 Nr. 2 und 3 der Reichsver fassung über die zur Ausführung der Reichsgesetze erfor derlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Ein richtungen, fowie über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze oder der bezeichneten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten. Die Beschlußfaffung darüber, welcher Tarif in Ermangelung einer gütlichen Einigung zwischen den beteiligten Bundesstaaten als gemeinsamer Tarif anzuwenden fei, hat aber keine allgemeine Berwal- tungsvorfchrift oder Einrichtung, noch die Beseitigung von Mängeln bei der Ausführung der reichsrechtlichen Vor schriften zM Gegenstände, sondern schafft materielles ein-elstaatliche- Finanzrecht; fie läßt sich folglich in keiner Weise au- der Eigenschaft de- Bunde-rat- al- oberster Verwaltungsstelle in Reichsangelegenheiten herleiten. AlS AuSträgalinstanz tritt der BundeSrat nach Artikel 76 Abs. 1 der Reichsverfassung nur dann in Wirksamkeit, wenn bei einer nichtprivatrechtlichen Streitigkeit zwischen mehreren Bundesstaaten seine Entscheidung von einem Teile an gerufen wird. Um eine Streitigkeit handelt e- sich im Falle des Artikels II Z 1 Abs. 2 des Entwurfs überhaupt nicht. Dazu wäre erforderlich, daß ein Bundesstaat Rechte in Anspruch nähme, die ihm ein anderer Bundesstaat bestritte. Da eS an dieser Voraussetzung fehlt, fo ist die Beschluß fassung des Bundesrats gemäß § 1 Abs. 2 keine Entscheidung über eine Streitigkeit, sondern ein Machtspruch, der eine freie Vereinbarung, einen Staatsvertrag zwischen mehreren Bundesstaaten zu ersetzen bestimmt ist. Hieraus folgt zugleich, daß sich auch die dem Bundes rate durch § 3 Abf. 2, 8 8 Abf. 2 und 89 des Artikels II beigelegten Befugnisse nicht aus Artikel 7 Nr. 2 oder Artikel 76 Abf. 1 der Reichsverfassung begründen lassen. Denn in diesen Fällen stehen ebensowenig Verwaltungs- Vorschriften oder Einrichtungen zur Ausführung der Reichs gesetze in Frage, noch handelt es sich um Mängel bei der Ausführung reichsrechtlicher Vorfchriften oder um die Ent scheidung von Streitigkeiten zwischen den Bundesstaaten, sondern die Beschlüsse des Bundesrats stellen sich wiederum als Machtsprüche dar, die an Stelle von Staatsverträgen oder Reichsgesetzen für die beteiligten Bundesstaaten materielles Recht schaffen. Endlich darf vom verfassungsrechtlichen Standpunkte aus folgendes nicht übergangen werden. Wird ein Staat gemäß § 9 vom Bundesrate genötigt, einem Zweckverbande beizutreten, so ist es eine notwendige Folge des erzwungenen Beitritts, daß die Schisfahrt auf feiner Stromstrecke ab gabenpflichtig wird. Er muß daher geschehen lassen, daß auf Rechnung des Verbandes auch für feine Stromstrecke Abgaben erhoben werden» und er ist verpflichtet, an der Abgabenerhebung für den Verband selbst mitzuwirken. Run sind aber sowohl die Wasserzölle, wie die Kanal-, Schleusen-, Hafengelder oder gleichartige Erhebungen nach Artikel 10 Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Zollvereinigungsvertrags vom 1. Juli 1867 „von der Gemeinschaft ausgeschlossen, und bleiben, sofern nicht Separatverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein anderes bestimmen, dem privativen Ge nüsse der betreffenden Staatsregierungen Vorbehalten". Diese Bestimmung hat nach Artikel 40 der Reichsverfassung den Charakter als Verfassungsrecht. Aus ihr folgt, daß auch die Schiffahrtsabgaben des Entwurfs, möge man sie als Wasserzölle oder als Gebühren ansehen, privative Abgaben sind, über die nur die Einzelstaaten verfügen dürfen. Die in Frage kommende Bestimmung steht somit zwar der frei willigen Bildung gemeinsamer Stromkassen seitens der abgabeberechtigten Staaten nicht entgegen, wohl aber einer reichsgesetzlichen Bestimmung, durch die einzelne Staaten gezwungen werden sollen, Abgaben dieser Art für eine ihnen und anderen Staaten gemeinschaftliche Stromkasse zu er heben. Mithin verstößt 8 9 gegen Artikel 40 der Reichs verfassung und stellt sich auch unter diesem Gesichtspunkte als Verfassungsänderung dar. Zugleich aber setzt sich 8 9 in Widerspruch mit den Landesverfassungen, die alle darin übereinstimmen, daß es zur Auferlegung neuer Steuern der Zustimmung der Volksvertretung bedarf. Denn in ihrer Eigenschaft als Wafserzölle sind die Befahrungs abgaben, zu deren Erhebung die einzelnen Bundesstaaten durch ihren erzwungenen Beitritt zu den Zweckverbänden vom Bundesrate genötigt werden sollen, als Steuern im Sinne der Landesverfassungen anzusehen. Wie wenig auch sonst die Vorlage auf das bestehende Landesrecht Rücksicht zu nehmen gewillt ist, ergibt sich aus Artikel V des Entwurfs, der landesrechtliche Vorschriften einschließlich der zwischen Bundesstaaten bestehenden Bertragsrechte, welche der Er hebung von SchisfahrtSabgaben entgegenstehen, fchlechthin außer Kraft setzt. Die Regierungen Sachsens und Badens glauben hier mit dargetan zu haben, mit wie überaus weittragenden, grundsätzlich bedenklichen Folgen wirtschaftlicher, poli tischer und verfafsungsrechtlicher Art die von der Königlich Preußischen Regierung erstrebte Zulassung von Schiff fahrtsabgaben auf den regulierten Strömen verbunden fein würde. Sie können sich der ernsten Sorge nicht er wehren, daß die Bestimmungen der Vorlage weite Kreise Deutschlands wirtschaftlich schädigen, den föderativen Cha rakter des Reichs antasten, die Eintracht unter den deutschen Bundesstaaten stören und das Bettrauen in die Unverbrüch lichkeit der Verfassung erschüttern würden. Sie geben sich der Hoffnung hin, daß es gelingen möge, die Abgabefreiheit der deutschen Ströme, dieses Wahrzeichen der deutschen Einheit, diese- Bollwerk des guten Gnvernehmens zwischen den deutschen Bundesstaaten, zu schirmen und zu erhalten. Druck von B G, Teubner t« Dresden.