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2. Beilage zu Nr. 267 des DlkAdNtk IMMülA Dienstag, 16. November 1S0d. Lie HayxauA ««d ihr MLVche«. » tztoman von Joachim v. Dürow. 15 (Fortsetzung zu Nr. 26ö) Mitten in den Tee und die Unterhaltung hinein klopfte eS, und zu Irenens größter Überraschung er schien Axel. „Wie wird das?" dachte Irene, innerlich beunruhigt. Aber es war wie in gewohntem Gleis. Der sonst so steife Mann schien sogar leicht geölte Er reichte Lisette die Hand, sagte: „Wir sind uns an dem, Sarge meiner Tante Haynau begegnet", und hatte damit die Vergangenheit abgetan. Die beiden waren bald mitten drin in ihren Reisen. Lisette kannte alles in und um Kairo, Theben, Nilfahrt. Irene fand es ganz behaglich, still dazusitzen und zuzuhören, unter Deckung einer Vase mit Blumen. Die Blumenvase aber störte Axel, ja sie quälte ihn geradezu. Beinahe hätte er den Ziegenbock herbeigewünscht. Er mußte Irenens Antlitz sehen mit allem, was es widerspiegelte; mit dem Schatten, der rasch wie Bogelflug darüber I hinhuschte, dem Spiel um die schwellenden Lippen — mal froh, mal leicht wehmütig. Rasch gab er der Vase einen Ruck, und erst, als die Bahn für seine Augen frei war, konnte er sich ungehindert in die Oase Biskra vertiefen. Dort hatte er vor einigen Jahren etliche Wochen mit einem kranken Kameraden verlebt: „Eine ungewöhnliche Erinnerung knüpfte sich an den Aufent halt", erzählte er mit einem Ausdruck lächelnden Be hagens, „ein paar Araber rüsteten ihr Kamel für den Ritt. Das sonst fromme Tier zeigte sich aber ungewöhn lich widerspenstig, daß die Kerle mit Schimpfen, Schreien und Schlagen kein Ende fanden. Ich machte die Araber auf den Grund aufmerksam: Das arme Vieh hatte volle Euter und die Milch machte ihm große Be-j schwcrden. Keiner der Leute aber reagierte daraus; das Schreien, Schimpfen und Schlagen nahm seinen Fortgang. Ich schickte die Kerle fort, beruhigte das Tier mit Streicheln — setzte mich schließlich nieder und — melkte das Kamel." „Tu, Axel, du melktest das Kamel?!" rief Irene, indem sie die Blumenvase rasch weiter fortschob. Ein Licht spielte über das ernste Gesicht hin: „Ja, und ich muß sogar meine Sache gut gemacht haben. Sobald ich nämlich in den nächsten Tagen dem Kamel begegnete, kam es auf mich zu, stellte sich vor mich hin und wollte abermals gemolken sein." Lisette sah nach der Uhr. Irene und ihr Vetter ge leiteten sie nach dem Flur. Gegenüber dem Kleider riegel, an dem ihr Jackett hing, war die zu dem Schlaf zimmer der Gräfin Versen führende Tür. Diese hatte eine obere Glasscheibe. Wenn man von innen hindurch^- fehen wollte, mußte man auf einen Stuhl steigen. Zufällig schaute Irene hin und — wurde rot bis in die Stirn. Sie hatte ein Augenpaar erblickt und eine fchwarze Haube — Tante Marie war wieder einmal! recht klein. Sie bekam auch ihre Strafe. Die Gräfin Versen erfaßte gerade den Augenblick, in dem „mein Sohn Axel" dem ehemaligen Dienstmädchen ihrer Schwester in das Jackett half. „Du bist heute sehr scharmant gewesen, Vetter", sagte Irene, während sie das Teezeug forträumte; und darauf er ohne jede Veranlassung nach ihrer Hand greifend: „Ach, Irene!" In seiner Stimme lag ein Beben. Der Eintritt der Gräfin Versen unterbrach weiteres; er ließ die Hand fallen und fuchte sein Zimmer auf, wie in einer Flucht vor sich selbst. Schon seit er sie gesehen in dem Kinderkleidchen, war es durch seine Seele gegangen: Um dieses Ge- schöpfchens halber lohnte sich das Leben. Der Gedanke wurde zum Zukunftstraum, aber nicht ohne daß die Zweifel ihren Niederschlag dazwischen geworfen. Die Jahre, die er ihr vorausgelebt, peinigten ihn. Ein junges Geschöpf, ihrer Art nach in erster Reihe darauf angelegt, nur der Schmuck des Hauses zu sein, war seiner ganzen Lebensführung durchaus entgegen. Wußte er denn überhaupt, ob sie geneigt sein würde, die Hand, die er ihr entgegenstreckte, zu erfassen. Jedes Zusammensein mit Irene aber hatte das Zwingende in seiner Seele vertieft. Das Hoffen und der kecke Wagemut waren über ihn gekommen in der be- , rauschenden Pariser Frühlingsluft. Wenn das Thermo meter seines Lebens künftig auch einmal auf Sturm stehen würde, der Sturm brauste aus, aber das Licht ver blieb. Ter Zauber ihres Seins brachte die ganze etwas altmodische Pedanterie in ihm zum Wanken. Der Schmuck seines Lebens sollte sie sein, sein Fürstenlind! Und Irene? Hatte sie denn nichts gespürt von dem, was in ihm vorging? Es hatte eine Zeit gegeben, in .der sie sich gewundert hatte, daß es so viel Fragen an das Leben gab. Jetzt war im großen ganzen wenig Frag würdiges. Allmählich hatte sich Ring an Ring zur Kette gefügt. Zuerst hatte der Gedanke an Axel sie beschäftigt, ungefähr wie man sich mit einem älteren Onkel befaßt. Dann hatte sie cs in einer plötzlichen Ein gebung herankommen sehen wie eine drohende Woge. Die Angst vor der Woge aber war ein wenig verflogen; man duckt sich und läßt die Wasser über sich dahingehen. Wenn sie es nicht täte, das mit dem über sie hingehenden Wasser, würden etliche Leute ihr g.rollen — Axel selbst, Tante Marie, Henrike und schließlich Bruno auch. Was hatte sie denn vom Leben noch Köstliches zu erwarten? Das, was einem das Blut ins Wallen bringen konnte und da- Herz zum unmotiviert raschen Schlagen, das war ja vorüber. Vielleicht kam es mit Axel auch! gar nicht dazu; möglicherweise bildete sie sich das alles nur ein. 31. Kapitel. Nein, fürs erste kam es nicht dazu. Gräfin Versen, der Major und Irene waren von einem Bormittags gange mit schwer ermüdendem Sehen heimgekehrt. Alle drei hatten den dringenden Wunsch, sich vor dem Früh stück in ihrem Zimmer geistig und körperlich ein wenig zu räkeln^ Die pstit« bonns, Irenens Zimmermädchen, klopfte und stand mit etwas runden Augen da: „II z? a uns ckams gui ckösirv parier ä älacksmoisells." Ehe es zu weiterem kam, fühlte sich die pstits bonns aber etwas unsanft fortgeschoben: In der Tür stand Lisette, blaß, fassungslos, total auseinander: „Sie ist tot — sie ist tot!" „Um Gottes willen — wer denn?" „Die Gräfin Patuscheck — Herzschlag — Achott!" Und ohne die Aufforderung abzuwarten, sank Lisette auf den ersten Stuhl. Neben diesem Stuhl stand ein kleiner Tisch; auf den Tisch warfen sich die Arme, und auf die Arme sank das Haupt: „Tot — tot ganz allein gestorben — kein Mensch bei ihr — und die Augen offen —." Irene goß ihr ein Glas Wafser ein, wartete, bis der erste Sturm ausgelobt hatte, und wollte dann näheres hören. Es bedurfte keiner weiteren Ermutigung; in Lisettens Bericht überstürzte ein Wort das andere: „Also heute srüh, als ich frage, wie Frau Gräfin geschlafen haben, wird sie schon 'n bißchen böse, weil sie doch immer meint, daß sie überhaupt nie schliefe. Also ich rufe Jeanne, die Kammerjungser, die ihr wie immer beim Anziehen Hilst. Auf einmal, noch ehe Frau Gräfin gefrühstückt hat, kommt diese in meine Stube, zieht die Tür hinter sich zu und sieht ganz fahl aus. „Lisette", sagt sie und ringt nach Lust, „ich höre es an dem Knarren, diese Jeanne trägt meine Schuhe." Nun, getraut habe ich ja dem Mädchen nie recht, aber immerhin meine ich, daß ein Irren ja doch möglich sei. „Irren?" rust die Gräsin so ganz in ihrer Art, „ich irre mich nie"! Nun wird Jeanne herbeigeholt, muß ohne weitere Einleitung den Fuß auf den Stuhl setzen — ich sehe, Frau Gräfin fühlt — von irgendeinem Zweifel keine Rede mehr; sie hat die Schuhe an. Und nun weiter: Sie muß fort — fort auf der Stelle. Ta aber wird Jeanne grob, so daß auch mir ganz bange wurde. Es gibt eine furchtbare Szene wegen Lohn und Kost geld. Schließlich wurde ihr alles gezahlt, was sie for- fderte, wenn sie nur in einer halben Stunde aus dem Hause war. Ich half ihr beim Packen und beförderte sie in den Fiaker. Als ich wieder nach oben komme, liegt die Gräfin auf der Chaiselongue, das Gesicht ganz verändert. „Lisette", sagt sie, „ich muß den Doktor haben — und zwar auf der Stelle." Ich hin zum Portier, aber da ist keine Seele zum Schicken vorhanden, das Hotel besetzt bis unters Dach. Ich stürze ans Telephon; der erste Doktor nicht zu haben. Endlich erfasse ich einen, der zufällig ins Hotel kommt, und mit dem betrete ich das Zimmer. Ach, gnä' Fräu lein, da liegt sie! Der Kiefer herabgesunken — die großen gebrochenen Augen, die das Licht nie geschaut, starren direkt hinein in die flutende Sonne. Der Doktor hat den Totenschein ausgestellt — ich aber, ich habe die Tür verschlossen und bin hergestürzt. Ich allein mit der Toten in der großen sremden Stadt!" Irene hatte ihren Entschluß gefaßt. Sie warf die Matinee ab und schlüpfte in eine Blufe: „Seien Sie ruhig, ich hole meinen Vetter." „Ach, wird fich der Herr Graf um fo ein armes Mädel bekümmern?" Und darauf Irene, ihr sachte die Hand auf die Schulter legend: „Glauben Sie mir, auf den kann man bauen." Sie hatte ausgesprochen, was sich ihr, ohne daß sie sich dessen recht bewußt war, in die Seele gesenkt hatte: Auf-den kann man bauen. Die Männer, die ihr auf ihrdn Reisen bis jetzt begegnet waren — wie war es mit denen? O, da war manch einer, den ihr Reiz beschäftigt hatte. Ein paar ältere Herren, die die Tarnte absolut zu berücksichtigen fand, und die die Nichte einfach mit dem Wort: „Nicht zu überwinden!" abtat. Jüngere auch. Die Jugend ist aber heutzutage vor sichtig: Feuriges Ausflammen und dann ein allmäh liches Verglühen. „Sie hat ja nichts!" Oft hatte ein Zug von Bitterkeit ihr die Lippen geschürzt. Eine Treppe höher lag das Zimmer des Grafen Versen. Irene ging die Korridortüren entlang, bis sie vor der Nummer, die sie als die seine kannte, zögernd Halt machte. Es war niemand von den Bediensteten da, der sie hätte anmelden können, und leise klopfte sie an. Ein nicht gerade erfreutes: „Entrez" klang aus dem Innern. „Ich bin's, Irene, verzeih, aber möchtest du nicht einen Augenblick herunterkommen?" Ein rasches Aufspringen drinnen, ein Ausfahren aus einem Röckchen, ein Einfahren in einen Rock. Axel stand auf dem Korridor vor ihr; sie sah blaß und verschüchtert aus. „Was gibt es, Kind?" Noch nie hatte er sie ,,Kind" genannt; cs war das gewisse Hilfsbedürftige itr ihren Augen. „In meinem Zimmer sitzt Lisette, sie ist einfach auseinander. Infolge einer Aufregung mit ihrer Jung ¬ fer ist die Gräsin Patuscheck ganz plötzlich am Herzschlag bestorben und Lisette ist mit der Toten ganz allein. Wir werden uns doch ihrer annehmen, Axel, was so viel heißt, als du wirst dich doch ihrer annehmen — oder wirst du nicht? Ach Axel — verzeih — aber ich habe ihr ja schon gesagt, daß sie auf dich zu rechnen hätte — es kam ganz impulsiv — ich war so fest davon über- zeugt!" „Warst du das?" Er sah so strenge aus, er sah immer strenge aus, wenn er etwas niederzwang. Hier war es die Freude, daß sie dastand, daß ihr erster Ge danke gewesen war: „Hin zu ihm!" Aber er war nicht der Mann fürs Posaunen, wenn ihn etwas freute: „Selbstredend stehe ich zur Verfügung — schon um deinetwillen." Und darauf Irene: „Wundere dich nicht, aber Tante Marie hat doch gewissermaßen recht — der rotkarierte Bettbezug kam zutage in der Erregung." Axel folgte. Irene die Treppe hinunter. Auf dem Absatz blieb sie einen Augenblick stehen und sah nach ihm hin; es war etwas Ruhegebendes, wenn er da war. Lisette fanden fie bereits wieder gefaßt und ein wenig verlegen. Sie hatte das Gefühl, daß sic fich habr „gehen lassen". „Beunruhigen Sie sich um nichts", sagte A»l. „Wir fahren zusammen nach dem Hotel, und ich bitte Sie, dann mir das Weitere zu überlassen. Das Sterben in einem Hotel hat immer seine Schwierigkeiten im Gefolge." Er ging, sich von seiner Mutter zu verabschieden, und reichte Irene die Hand. „Wo wirst du nun früh stücken?" fragte sie in leicht besorgtem Tone, „ich glaube, du bist sehr hungrig!" Ja, sehr hungrig war er, und — sehr glücklich. (Fortsetzung folgt.) Mannigfaltiges. Dresden, 16. November. - Bon Sr. Majestät dem Könige ist der Fran Pfarrer Marie Richling in Oberoderwitz, jetzt in Kötzschenbroda wohnhaft, die Carola-Medaille in Silber verliehen worden. »Ihre Königl. Hoheiten der Kronprinz und die Prinzen Friedrich Christian und Ernst Heinrich besuchten gestern nachmittag in Begleitung des Militär- pouverneurs Major Baron O'Byrn die Papier- uns Schreibwarenhandlung von Johann Frey, Georgplatz. * Man bittet uns um Aufnahme folgender Zeilen: Bei dem Empfange, den Se. Exzellenz der Hr. Staats- Minister vr. Beck, Ehrenvorsitzender des Fürsorge- Vereins für Taubstumme im Königreich Sachsen dem Bereinsvorstand gewählte, wobei dieser bat, den Dank an Se. Majestät den König für die Übernahme des Allerhöchsten Protektorats zu über mitteln, konnte der Vorstand berichten, daß die Anteil- nähme für diesen segensreichen Verein im ganzen Lande dauernd im Wachsen ist. Immer mehr Gemeinden unterstützen ihn durch einen festen Jahresbeitrag, in An- erkennung dessen, daß ja gerade der Verein durch Arbeiteversorgung und durch Unterstützung in den Er- werbsverhältnissen den Gemeinden eine Armenlast so lange wie möglich ersparen will. Weit über 160 größere und kleinere Gemeinden sind in diesem Jahre mehr dem Verein beigetreten. Aber auch die noch im Anfang stehende einmalige Landessammlung hat infolge der Übernahme des Protektorats durch Se.Majeslät den König, Allerhöchstwelcher hierdurch Sein lebhaftes Interesse unv Seine gnädige Mithilfe dem Verein bei der Fürsorge an diesen Seinen Landeskindern erwiesen bat, erfreuliche Fortschritte gemacht. Wenn selbstverständlich auch die Sammelboten bei der Menge der Hilfe erbittenden Vereine oft vergebens anklopfen, so finden sie doch auch wiederum dankbar anzuerkennendes Verständnis für die unverschuldete Not der alten, erwerbsunsähigen Taub- stummen und Taubblinden. Wer sich vergegenwärtigt, wie diese vom Schicksal hintangesetzten Menschen doppelt schwer durchs Leben kommen, wird ihnen durch eine einmalige Gabe seine Teilnahme nicht versagen. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit, in der die Herzen der Menschen sich dem Weh und Leid anderer Menschen williger er schließen, hofft der Verein, offenen Händen zu begegnen. Dank der Unterstützung des Hohen Konsistoriums, das die Superintendenturen und durch diese die Psarrämter auf die vor sich gehende Landessammlung aufmerksam gemacht hat, erweisen gegebenenfalls die Herren Pfarrer unseren Sammelboten meist wertvolle Dienste. So möge das Liebe-werk, das bestimmt ist, unverschuldete Not zu lindern, guten Fortgang finden Direkte Gaben nimmt der Vorstand des Vereins, Dresden-A. 1, Chemnitzer Straße 2, gern entgegen. * Zu der gestern beendeten Wahlsähigkeits- - Prüfung am Königl. Lehrerseminar zu Dresden- Friedrichstadt hatten sich 32 Hilfslehrer eingestellt. Es erhielten in den Sitten 31 die I, 1 die III, in den Wissenschaften 3 Id, 7 II», 11 N, 8 Ilb. 3 III». 17 Examinanden erwarben sich einen höheren Zensurgrad, 3 einen niedrigeren, als der war, mit dem sie die Kandi datenprüfung bestanden hatten. * Man schreibt uns: An der Spitze der sächsischen Alkoholgegnerbewegung stehen der Internationale Guttemplerorden und da» Blaue Kren;. Während letztere» vorwiegend durch religiöse Beeinflussung wirkt und sich fast ganz auf die Trinkerrettung beschränkt, bedient sich der Guttemplerorden in seinen Schriften, Vorträgen »c. in ausgedehntem Maße der wissenschaftlichen Tatsachen, die gegen den Alkoholgenuß sprechen, und rückt auch die