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2. Beilage zu Nr. 266 des Reine Herzen. Roman von Küte Lubowski. LS (Fortsetzung zu Nr. L63.) „Heute wagen selbst die mutigsten Nixen das Unter tauchen nicht," scherzte Gerstmann. „Im vorigen Jahre hatten wir freilich eine Polin hier, die sich durch kein Wetter von ihren Reinigungsgelüsten zurückschrecken ließ. Als sie schied, soll ihr der Wirt des Strandschlosses ein kostbares Geschenk überreicht haben, denn die Gäste waren auch im tollsten Sturm nicht ausgeblieben und hatten willig die hohen Preise für seine Erfrischungen bezahlt, nur um das weibliche Wunder an Kühnheit und Kraft aus dem Bade heimwärts eilen zu sehen." „Es muß auch schön sein, so kämpfen und obsiegen zu können", meinte Marte träumerisch und reckte ihre jungen, starken Arme. „Aber wenn man nun nicht obsiegt, mein Kind?" „Dann hat man wenigstens die Genugtuung, am Unüberwindlichen zugrunde gegangen zu sein." Der alte Gerstmann verfärbte sich ein wenig. Da hatte er's. Das schlichte Pastorenkind war auf dem besten Wege, eine Philosophin zu werden und sich vielleicht an den Erzeugnissen ihrer Nachdenklichkeit gründlich das Herz zu erkälten. Das durfte er nicht ruhig ge schehen lassen. Er mußte Sorge tragen, daß ihr die Jugend nicht entglitt. „Wie wür's, Marte, wenn wir beide ein wenig aus uns herausgingen? Ich bringe Sie öfter zu einer alten, lieben Bekannten, die führt Sie dann Ihren Altersgenossen zu. Für mich ist das nichts mehr. Ich genieße nur insoweit mit, als ich mir von Ihnen erzählen lasse. Verspüren Sie Lust dazu?" „Nein", sagte sie mit so viel ehrlicher Angst, daß er nichts weiter hinzufügte. „Ich möchte immer nur mit Ihnen zusammen sein. Das macht so stiN und wunschlos." Er betrachtete sie aufmerksam und freute sich im geheimen, weil sie sich ihm ein wenig erschlossen hatte. „Einer ihrer Wünsche hat es also nötig, stumm zu werden", dachte er. „Welcher aber? Nun, das werden wir schon heraus bekommen. Vielleicht kann er aber leb.n bleiben." Und er r?dcte hastig von etwas anderem, als hätte er gar nicht bemerkt, daß ihr Leid einen Augenblick un- v.rbüllt vor ihm gelegen hatte. „Sehen Sie, stehen dort am Damenbad nicht eine Menge Leute zusammen?" Sie blickte angestrengt hinüber. Der matt gewordene Reiter lief aber so nahe am Strand entlang und tat noch einmal so ungestüm, daß ihre sonst so scharfen Augen nichts deutliches er spähen konnten. „Es scheint fast so", meinte sie endlich. „Es können aber auch ebensogut die unruhigen Schatten der losen Treppe sein, die sie aufgerichtct haben, damit sie der Sturm nicht forttreiben kann. Was sollte die Neu gierigen auch wohl fesseln?" „Vielleicht ist ein großer Fisch angeschwommen oder die Flut hat ein paar Segelfetzen von einem ge strandeten Schifflein herangctragen. Da, jetzt erkenne ich deulich die Umrisse von ein paar Köpfen." „Ja, Sie haben wirklich recht. Vielleicht ist ein Unglück geschehen." , „Nicht immer so pessimistisch, Kindchen." ' Sie kämpften sich mutig vorwärts und sahen bald deutlich, wie die Menschen vor ihnen die Hände hoben und weiße Gesichter hatten, auf denen ein Grauen stand. Es galt nur noch festzustellen, woher dieses gekommen war. Sie standen bald so nahe, daß sie den Arm einer Frau antippen konnten. Trotzdem erfuhren sie vor läufig noch nichts Gewisses. Auf Gerstmanns Frage, „was hier geschehen sei", antwortete mindestens ein Dutzend erregter Stimmen. Er wandte sich ratlos an seine Begleiterin: „Haben Sie etwas verstanden, Marte?" Sie schüt telte den Kopf. „Kein Wort. Aber es scheint doch ein Unglück passiert zu sein, Herr Superintendent." Da trat ein ärmlicher, krüppelhafter Mann zu ihnen heran, der eine Zeitlang in der Gerstmannschen Küche gut und billig gegessen hatte. Der erzählte es ihnen ausführlich: „Eine Dame ist verunglückt. Sic hat schon alle Tage bei dem schrecklichen Sturm gebadet. Zuerst weigerte sich die Frau, ihr den Schlüssel zur Kabine zu geben. Aber sie erzählte vorher, daß sie cs bei dem Direktor durchgesetzt habe. Sie schwamm weit hinaus, an stillen Tagen wohl eine Stunde lang. Bei dem Sturm soll sie aber bis heute ganz verständig gewesen sein. Darum und weil sie eine sichere Schwimmerin war, hat sich keine der Frauen mehr um sie gekümmert. Wenn die Fischer jetzt nicht die Flundern und das andere Kleinzeug gesammelt hätten, würden sie ihre Leiche wohl nicht geborgen haben. Es hat ihnen Spaß ge macht, daß ein Frauenzimmer so mutig sein konnte. Sie sind ihr mit den Augen gefolgt und haben sogar einen Doppelschnaps gewettet, daß sie es bis zu dem Pfahl brächte. Wie sie nicht mehr zu sehen war, sind sie gleich nachgerudert. Fleschens Karl hat sie gegriffen. Herr Superintendent kennen ihn ja. Er geht immer mit dem Bernstein und den Muscheln am Strande herum." Marte zitterte. So nahe war ihr der Tod noch nie mals gewesen. „Wer mag es wohl sein?" fragte sie bebend, ganz erfüllt von dem Geheimnisvollen und Unerforschten. Da schob sich der dichte Haufe ein wenig auseinander. Ein zusammengesunkener, alter Mann wankte durch die Mitte. Es war so stumm, daß man das erregte Atmen des einzelnen hören konnte. „Es ist ihr Vater, glaube ich", wisperte der red selige Alte. Marte schrie auf und krampfte sich an Gerstmann fest. Sie hatte in ihm den früheren Pastor Nettwig erkannt, der vor seinem toten Kinde flüchtete. Un willkürlich traten sie in die Lücke ein und suchten Valerie Nettwigs Leiche. Sie lag auf den Teerjacken der Fischer und hielt die Lippen geöffnet, als wenn sie heraus schreien wollte, was sie gelitten hatte, ehe cs so weit mit ihr kam. Die nassen Kleider schmiegten sich fest um ihren Körper. Sie enthüllten unbarmherzig das Geheimnis, um dessentwillen sie hier so stumm und bleich lag. Aber es war keine unter all den einfachen neu gierigen Frauen, die ein leichtes Wort darüber gewagt hätte. Eine weinte leise vor sich hin. Sie dachte an ihr einziges Kind, das um derselben Ursache willen nicht mehr leben konnte. Die hatte das gleiche flammende Haar gehabt wie diese Tote. Nun meinte die traurige Mutter, das rote, aufreizende Haar trüge Schuld. Als Gerstmann Martes Hand faßte, um mit ihr heim zugehen, kam Nettwig zurück. Er trug ein paar Decken auf dem Arm, vielleicht wollte er sein unglückliches Kind mit ihnen verhüllen. Die Augen der beiden Männer trafen sich eine Sekunde lang. Sie erkannten einander wieder. Ein grausiges Gespenst sprang aus den Blicken des verwirrten Mannes. > Der alte Gerstmann erschien sich viel zu gering und klein, um nach dem Wort des ewige« Richters «och ei« anderes zu sprechen. Er wandte den Kopf zur Seite und sagte für sich: „Es ist wohl ein hartes Zeichen, aber Gott weiß, warum es sein mußte." Und ging heim und schloß sich für den Rest des Tages i« sein Zimmer ein, ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Das Meer aber wusch die Stelle, an der die Tote gelegen, bis zur Nacht tausendmal ab, so daß die Ein drücke des schweren Körpers nicht mehr zu sehen waren, als die Sonne wiederum aufging und neue Tage uud Ereignisse verhieß. 18. Kapitel. Seitdem hatten sich alle Jahreszeiten bis auf deu Frühling zweimal wiederholt. Der wollte jetzt gerade seinen Einzug halten. Große, sichtbare Ereignisse hatte es auf dem Markt des Lebens nicht gegeben. Tie kleinen, stillen aber, die in den Gärten der Menschenseele blühten, kamen nicht an die Öffentlichkeit. Valerie Nettwigs jähes Ende brachte die letzte Sensation. Jetzt sprachen nur noch die Alten, die das Licht der Mittagssonne nicht mehr zur Arbeit brauchten, davon, wenn sie einander in den städtischen Anlagen begegneten. Auch Hans Schönings Name wurde dabei zuweilen ge nannt. Aber dieser wie jenes nur noch ganz flüchtig und eilig, wie man an Tote denkt, die längst zu Erde geworden sind. Die überlebenden standen im Vorder grund ihres Interesses. Der alte Schöning, den sie allzeit um seiner großen Arbeitskraft willen bewundert hatten, am meisten. Der andere im Schloß hatte ihnen zu viel Wirres und Unklares. Sie mochten sich den lichten Feierabend nicht mehr verdunkeln lassen. Sie schüttelten nur den Kopf über ihn, weil sie durch die Briefträger hörten, daß er seit langen Monaten nicht mehr das Zimmer verlassen habe und meinten, die Frühlingsluft täte an allem Abgestorbenen und Kranken Wunder. — So die Alten. Den Jungen war es damals, als Valerie Nettwigs Leiche nach Rettenberg gebracht wurde, wie ein kalter Schlag in das Herz gefahren. Auch die, welche von inneren Zeichen nichts gemerkt hatten, erbebten von der Gewalt dieses äußeren uud kehrten um, soferu sie noch am Anfang ihres Irrweges standen. So ward es vielen zum Segen! Darunter auch eiuer, auf die wohl niemand in der Stadt gekommen wäre: Maria Bornstedt. Die Todesari der Nettwigschen Tochter war in aller Munde gewesen. Die Vermutung über die Ursache lief eilig daneben und schuf mit unendlicher Phantasie Grausiges an Unreinheit und Übertreibung. Da hatte es der Pastor Bornstedt mit seiner Frau ausgemacht, daß sie es den Mädchen enthüllen möchte, wie es in Wirklichkeit so weit mit ihr gekommen sein mochte. Doktor Bebenrot hatte ihnen mancherlei von dem er zählt, was er vor Jahren in den Fichten mit eigenen Augen gesehen hatte. Gotthilf erweiterte es durch Wiedergabe der kleinen Berliner Erlebnisse und be sonders jenes großen, das ihn vor Hans Günter auf der Hut sein ließ. Der Tag, an dem Valerie Nettwig neben Hans Günter in der Droschke wartete, hatte es geschaffen. Schließlich erzählte Fritz Schöning in einer stillen Stunde, in der er mit dem Pastor über die Möglichkeit und Unmöglichkeit redete, den verlorenen Bruder wiederzufinden, auch von ihrem ersten und letzten Besuch bei seiner toten Mutter. Dies alles ergab, zusammengefaßt mit den Erzählungen der Glaub würdigen, klar die ganze traurige Geschichte. Mochten sie diese nun allein mit reinen Augen herunterlesen. An der Hand der Mutter verlor sie das geheimnisvoll Aufreizende vollständig und wurde zu dem ticfergrei- fendcn Schicksal einer armen Gefallenen, die ihren Hei land nicht gekannt hatte. Aus Maria machte sie eine völlig andere. Die aufreibenden Vorwürfe verstummten. Sie wurde inne, daß Hans Günter nicht erst verloren gegangen war, nachdem sie ihn von sich gestoßen hatte. Das gab ihr tiefe Ruhe und Sicherheit. Was sie zuvor als Waffe gegen sich erhoben hatte: „Es mußte so kommen, weil ich nur aus Mitleid in ihm lebte" ge reichte ihr jetzt zum Trost und zur inneren Erhebung. (Fortfetzung folgt.) Mannigfaltiges. Dresden, 14. November. * Zur Errichtung eines National-Bismarckdenk« mals hat sich in Berlin ein Ausschuß gebildet, dessen Präsident Reichskanzler Fürst v. Bülow ist und dessen Stellvertreter im Präsidium die Herre« Reichstags abgeordneten E. Bassermann-Mannheim, vr. v. Heyde brand u. d. Lasa-Tschunkawe, I. Kaempf-Berlin, Vize präsident des Reichstags und Frhr. v. Schorlemer-Lieser- Coblenz, Oberpräfident der Rheiuprovinz, sind. Der Ausschuß hat folgenden Aufruf erlassen: Immer näher rückt der Tag, an dem vor 100 Jahren Bismarck ge boren wurde, des deutschen Volkes getreuer Ekkart. Ter 1. April 1915 wird Deutschlands Söhne versammeln zur gemeinsamen .Jahrhundertfeier, überall in deutschen Landen erhebe« sich schon Denkmäler und ragende Feuer säulen für den gewaltigen Schmied der deutschen Einheit. Und doch werden sich alle einen in dem Wunsche, ein Denkmal zu schaffen, zu dem jeder Deutsche beitragen kann, wo er auch auf der weiten Erde wohnen mag. So haben sich denn Männer aller Stände, Berufsarten, religiösen und politischen Bekenntnisse zusammengefunden, um diesen Gedanken zur Verwirklichung zu bringen. Nach eingehenden Beratungen haben sie beschlossen, das Denkmal am Rhein zu errichten. Auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück, hinübergrüßcnd zur Germania auf dem Niederwald, soll sich ein Denkmal erheben, würdig des großen deutschen Mannes, der so wunderbar die Kräfte seines Volkes gesammelt und zum höchsten nationalen Ziele geführt hat. Tort, wo im rebengesegneten Rhein gau des Stromes Wasser sich sammeln und brausend die Felsen dulchbrechen, ein Bild der unwiderstehlichen Kraft deutscher Einheit, wo von den Ufern blühende Städte, von den Bergen Kapellen und Burgen grüßen, an dem Ehrentor deutschen Heldentums, durch das unseres Volkes Söhne auszogen zu schwerem Kampfe, durch das sie wiederkehrten mit dem Lorbeer des Siegers: Tort soll des großen Kanzlers Gedächtnis dem deutschen Volke in Stein und Erz erhalten bleiben. An die Deutschen des In- und Auslands, an jung und alt, ergeht darum der Ruf, nach Kräften mitzuwirken an diesem vaterländische« Werke. — Tie Geschäftsstelle des Ausschusses befindet sich in Cöln, Königsplatz 17. In Dresden sind Sammel- stellen bei der Dresdner Bank, der Filiale der Deutschen Bank und der Sächsischen Bank errichtet worden. * Die versuchsweise Einführung eines erweiterten Nachtverkehrs mittels elektrischer Straßenbahn durch den Plauenschen Grund steht demnächst bevor. Die Anregung hierzu geht von der Ortsgruppe Plauen- scher Grund des Verbands Sächsischer Industrieller aus, die sich in einer Eingabe an das Städtische Straßen- bahnamt zu Dresden gewendet hat. Die genannte Ver einigung hat geltend gemacht, daß in der Zeit von 12 Uhr 35 Min. nachts bis 4 Uhr 10 Min. früh der Vorortszugverkehr durch den Plauenschen Grund aufgehört hat. Ebenso fährt die letzte elektrische Straßenbahn vom Postplatz nach Hainsberg bereits nachts 12 Uhr ab. Die Direktion der städtischen Straßenbahn hat auf das Gesuch geantwortet, daß sie nicht abgeneigt sein würde, einen Versuch mit einem erweiterten Straßenbahnverkehr während der Nachtzeit durch den Plauenschen Grund zu machen, jedoch unter der Bedingung, daß sie berechtigt ist, die Fahrpreise zu erhöhen, und zwar soll in der Zeit von 12 bis 1 Uhr die doppelte Taxe und in der Zeit von 1 bis 2 Uhr die dreifache Taxe verlangt werden. Die Straßenbahndirektion würde dann einen weiteren Wagen vom Postplatz nachts um 1 Uhr nach Hainsberg ablassen, der dann wiederum nach dem Postplatze zurück kehrt und eine zweite Fahrt durch den Plauenschen Grund nachts gegen 2 Uhr aussührt. Der Bezirks ausschuß der Königl. Amtshauptmannfchast Dresden Alt stadt beschäftigte sich in seiner gestrigen Sitzung mit dieser Angelegenheit und sprach sich ebenfalls befür wortend für diesen Versuch aus, der selbstverständlich bei lohnendem Betriebe zu einer dauernden Einrichtung ge macht werden soll. * Die Straßen der Stadt Dresden werden dem nächst auch während der Nachtstunden in elektrischer Beleuchtung erstrahlen. Gegenwärtig brennen die Bogenlampen in den Hauptstraßen der inneren Stadt nur bis 11 Uhr abends, worauf sie dann erlösche« und das altbewährte Gasglühlicht in seine Rechte tritt. Ter Rat hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, die elektri schen Bogenlampen auch während der weiteren Nacht stunden brennen zu lassen, wodurch Dresden jedenfalls auch zur Nachtzeit großstädtischeres Ansehen erhält, als bisher. * Der Nationalliberale Deutsche Reichsverein hält am Dienstag, den 24. November abends 'ir9 Uhr im „Künstlerhause" (Grunaer Straße), Albr.'chtstraße 6 eine Mitgliederversammlung ab. Hr. Rechtsanwalt vr. Max Richter I spricht über das Thema: „Nützt uns die Prozeßreform?" LZ IM«,