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2. Beilage zu Nr. 254 des Freitag, 30. Oktober 1908. Reine Herzen. Roman von -äte LubowSki. lS (Fortsetzung zu Nr. 251.) 15. Kapitel. Mühsam krochen die Räder des Doktorwagens durch den Sand des Landweges, der nach Alt-Buckow führte. Die Sonne entzündete hinter den Fenstern der nahe beieinander wohnenden Kolonisten rote Flammen. Sie schlugen in blitzender Lohe heraus, warfen ihren Schein auf Hilde Bornstedts junges Gesicht und liefen neben den Gleisen in matten rosigen Streifen einher. Als der Weg zu der Höhe stieg, auf welcher sie Gotthilf an den Sonntagnachmittagen zu erwarten pflegten, sprang der verklärende Scheiß empor und legte sich auf Hildes Hände. Der kleine Doktor lächelte, als er das sah und dachte: „Es ist, als ob das Licht sie segnet." Sie aber deutete es anders. „Sehen Sie nur", meinte sie nachdenklich, „die Lonne guckt auf meine Hände, als wollte sie sagen, damit willst du Kranke gesund pflegen? Weißt du nicht, daß die ganz sanft behandelt werden müssen? Wie sind deine Finger aber braun und rissig. Wenn du dir nur nicht zu viel übernommen hast." Er be schwichtigte ihr Bedenken mit gütiger Freundlichkeit, wie sie das ständige Verweilen an Krankenbetten lehrt, und stellte im Geheimen Vergleiche zwischen ihr und den beiden Schwestern an. Wie verschieden sie sind, dachte er. Marte ist selbstsicher und verschlossen, trägt ihr Leid allein und gönnt der scheuen Hoffnung wenig Raum in ihrem Leben. Maria fühlt wohl am tiefsten. Sie steht in beständiger Hilfsbereitschaft am Wege ihrer Tage und erkennt den eigenen Wert nicht. Hilde ist die Glücklichste. Sie freut sich der Sonne und sieht sich den Schatten an, als etwas, das aus dem Licht geboren wird. Tritt auch jetzt mit klaren Augen in das kalte, vornehme Haus, weil sie fühlt, „es ist doch genug Wärme in mir, wenn ich euch auch davon beschere". Herr von Brenkendorf kam ihnen entgegen und sagte Hilde ein paar Worte des Tankes, daß sie ge kommen war. Danach führte sie ein alter Diener i» ein großes Zimmer mit vielen Spiegeln. Sie legte ihr schlichtes Jäckchen ab, strich die Haare zurück und dachte sinnend: Wie gut und fehlerlos müssen diese Menschen sein, wenn sie es wagen können, sich mit so viel Spiegeln zu umgeben. Der Diener stand indessen mit gesenkten Armen an der Tür und wartete, ohne eine Miene zu verziehen, bis er sie zu Frau von Brenken- dorf geleiten konnte. Sie aber hatte durch Gotthilf so manches Liebe und Gute über den Greis gehört, daß sie nicht stumm hinter ihm herschreiten mochte. „Wie geht es dem Kleinen?" fragte sie leise, „haben Sie ihn heute schon gesehen?" „Nein," sagte der Alte mit steinernem Gesicht und hob den Blick nicht von den weichen Teppichen. Sie schüttelte verwundert den Kopf. „Gotthilf hat mir so oft erzählt, wie lieb Sie Fritzchen hätten, lieber wie —" Erschrocken verstummte sie. Er antwortete nicht darauf, sondern tat weiter fremd und unpersönlich, als berührte ihn die Frage nicht. Sie war so empört über seine scheinbare Teil- nahmlosigkeit, daß sie beschloß, ihn zu kränken. „Aber Sie machen sich wohl nichts aus ihm? Sie stehen so stumm und gefühllos da, als wäre es Ihnen gleichgültig, was der Doktor in diesem Augenblick sagt." Da kam Leben in seine steife Gestalt. Er sah sie mit traurigen Augen an, so daß sie sich schämte. „Ich war schon bei Herrn von Brenkendorfs Pater", murmelte er — „habe meinen jetzigen Herrn auf den Armen getragen und den kleinen Fritz noch viel mehr — habe nicht Weib noch Kind — nur ihn." In seine Stimme kam ein rauher, zerbrochener Mang. „Er ist — ebenso — einsam und verlassen, wie ich." Er hatte plötzlich ein hilfloses, faltiges Greisengesicht, dessen Lippen zitterten, ohne daß er es wissen mochte. Das aufrechte Stehen gelang ihm nicht mehr. Zu sammengesunken und fassungslos wartete er, ein Mensch, dem die glatte Maske entglitt. Hilde war so erschüttert darüber, daß sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Sie ging auf ihn zu und legte ihre Hand um die seine. „Gnädiges Fräulein," stammelte er fassungslos. Da hob sie auch die andere und strich sanft und herzlich über seine nassen Augen hin. „Sie müssen beten, Alterchen, dann wird alles wieder gut." Er vergaß einen Augenblick, was er seiner Stellung schuldig war. Vielleicht das erstemal. Und nahm ihre Hände und hielt sie in den seinen und weinte. Ein letzter Sonnenstrahl erhellte das Zimmer. Er fuhr an ihren Köpfen vorüber, in die Spiegel hinein. Unwillkürlich wandte der Greis den Blick und schickte ihn in das Glas. Da erst kam ihm zum Bewußtsein, wie sehr er sich vergessen hatte. Er wurde rot und zitterte. Als er sie bei seiner Herrin meldete, war er wieder der gutgeschulte, verschlossene Bediente, dessen Hauptaufgabe es sein muß, bei stetem Vorhandensein so zu tun, als ob er nicht da wäre. Frau von Brenkendorf war eine hohe, vornehme Erscheinung und hätte wohl einen Anspruch auf große Schönheit machen können, wenn — sie gewacht hätte. Hilde meinte wenigstens, bei sich, daß sie schliefe, wie die stolze, ägyptische Königstochter aus Marmor, die ihr Vater von einem Freunde aus Mailand erhalten hatte. Deren Augen waren auch so leer, deren Mund so stumm und stolz. Stundenlang hatte sie als Kind vor diesem Kunstwerk stehen können. Wenn die andern nicht mehr spielen mochten und ihre Bücher hervor suchten, der Junge seinen „Robinson", die Mädchen ihren „Grimm", dann schlich sie sich in die Stube, deren Möbel ständig bedeckt blieben, und hockte vor ihrer Königstochter und malte sich aus, wie es sein würde, wenn sie endlich Leben erhielt und Worte fand. ,zDu— ich will dir aus meinem Leben erzählen. Höre fein zu!" Aber der Kindertraum blieb unerfüllt. Sie war bis heute noch nicht erwacht. Vielleicht würde sie hier nicht vergeblich warten. Hatte der Alte nicht schon einen kurzen Augenblick seine Seele gezeigt? Warum sollte die stolze, kühle Frau nicht auch der Gnade dieser Erleichterung zuteil werden? Frau von Brenkendorf musterte Hilde scharf und gewann dabei die Überzeugung, daß etwas sehr Lieb liches und Unschuldiges zu ihr gekommen sei. „Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie unsere Bitte erfüllt haben", sagte sie dann. „Fritz ist ein so schwieriges Kind, schließt sich selten an und ist durch Fieber und Schmerzen noch empfindlicher geworden, wie schon zuvor." Hildes Gedanken hatten sich immer noch nicht von der schlafenden Marmorstatue gelöst. Sie dämpfte ihre Stimme, als fürchte sie zu stören: „Darf ich jetzt zu ihm, gnädige Frau?" „Noch nicht. T oktor Bebenrot wird Cie bitten, so bald die neue Untersuchung zu Ende ist, Fräulein Bornstedt." „Ich heiße Hilde. Das andere ist mir so neu'und ungewohnt— so kalt." Frau von Brenkendorfs Gesicht wurde etwas lebendiger. Es war ihr stets interessant, neue Menschen zu ergründen, besonders Frauen. Sach gemäß und unbestechlich ging sie dabei zu Werke: Zog aus jeder die Eigenart heraus, um festzustellen, wieviel dann noch übrig blieb, wog das, was ihr neu und fesselnd erschien und schützte danach den Charakter ein. Nicht immer richtig. Sie suchte ihrem Leben einen Inhalt zu geben, indem sie alles am Weibe, was her vortrat und abstach, pflegte und behütete. Sollte es sich lohnen, daraufhin auch dies Kind zu prüfen? Sie tat ein paar Kreuz- und Querfragen, um sich zu über zeugen, wie weit Hildes Gesichtskreis ginge, stellte es aber bald wieder ein, weil sie dachte, daß deren Ge danken bereits im Krankenzimmer weilten. Sie waren aber zurzeit bei Gotthilf. Mit ängstlicher Sehnsucht „warum ist er noch nicht dagewesen" — mit banger Frage „wann wird er kommen", und endlich mit lauschendem Hoffnungs gefühl „still, still, ist das nicht fein Schritt?" Es war aber nur das Huschen eines dienstbaren Geistes, der leise auf den Spitzen ging, während Gotthilf kraftvoll mit dem ganzen Fuß auftrat. Ihre Sinne waren draußen. Ihre Ungeduld wuchs. Tic zierliche Uhr auf dem Sims des Kamins meldete matt die achte Stunde. Ihr wurde heiß und eng. Sie dachte, daß es das Ungewohnte der neuen Umgebung machte. Es war aber die Sehnsucht. Als diese wuchs und ihr Helles Auge dunkel färbte, wurde sie stumm und traurig. Sie verstand ja nicht die Kunst der feinen Lebens helden, die am heitersten erscheinen, wenn ihr Herz am schwersten ist. Da mochte es Frau von Brenkendorf wohl einfallen, daß Hilde den mit ihr zusammen Aus gewachsenen erwartete, denn sie sagte unvermittelt: „Herr Harnstein beaufsichtigt noch die Arbeitsstunde unseres Ältesten. Ich erlaube es nicht gern, daß er an das Krankenbett geht, obwohl der Doktor meint, daß nach der Impfung die Gefahr der Ansteckung kaum besteht. Gedulden Sie sich nur noch ein kurzes Weilchen. Er lvird nachher kommen und Sie begrüßen." Hilde war zusammengefahren. Sie starrte die Sprecherin verständnislos an. „Herr Harnstein, wer ist das?" wollte sie sagen, „was will er von mir, ich kenne ihn ja gar nicht." Sie hatte noch niemals gehört, daß Gotthilf mit dem Namen seines wirklichen Paters genannt wurde. Sie wußte freilich, daß er nicht ihr leiblicher Bruder war, aber gedacht hatte sie bis heute noch niemals daran. Er war immer neben ihr gewesen. Was sie den Eltern an kindlichem Gram und mädchenhaften Fragen verschwieg, ihm hatte sie es enthüllt. Er war ihr der Nächste und Liebste auf der ganzen Welt. Und nun rüttelte sie eine Hand unsanft aus dem Traum ihrer Kindheit auf. „Ein fremder Mann, der einen anderen Namen trägt wie du." Es war eine heiße Angst in ihr. Ein qualvolles Erröten, daß sie sich ihm so frei in ihrem Denken und Fühlen gezeigt hatte von jeher. Aber schwerer und niederdrückender war noch die Frage, die sie sich allein beantworten mußte. „Darfst du das nun nicht weiter tun, oder mußt du ihm nun fremder wie bisher begegnen?" „Das — ist doch mein Bruder", sagte sie jetzt scheu und ratlos. „Gotthilf, den andern Namen hatte ich ganz vergessen." Und als sie noch in ihrer Bangigkeit stand und nicht aus noch ein wußte, ging die Tür auf. Sie sah das steinerne Gesicht des Alten und ein wenig später Toktor Bebenrot und Gotthilf. Der kleine Doktor hatte ernste Augen und war nicht halb so sanft und freundlich mit der stolzen Frau, wie mit dem elendesten seiner Kranken. Er sagte auch frei heraus, daß man der nächsten Zukunft viel Pertrauen schenken müsse, um nicht alle Hoffnung zu verlieren. Hilde stand neben Gotthilf und suchte nach Worten. Sie wußte nicht, was sie zu ihm sprechen konnte. Sie dachte nur: „Es ist das erstemal, daß wir uns beim Wiedersehen nicht geküßt haben." Er war voller Sorge um seinen scheuen Liebling und merkte ihr Zittern nicht. „Es ist gut, daß du da bist, kleine Hilde", flüsterte er ihr zu. Sie aber dachte: „Es ist nur um das Kind, daß er das sagt", — und wandte sich mit fragendem Blick zu dem Doktor. „Ja — Sie dürfen zu ihm", antwortete der. „Fritz chen hat schon große Sehnsucht nach Ihnen. Ich weihe Sie im Krankenzimmer in Ihre Pflichten ein." Ta ging sie gehorsam mit. (Fortsetzung folgt.) Mannigfaltiges. Dresden, 30. Oktober. * Gestern vormittag elf Uhr wurden im hiesigen Kriminalgerichtsgebäude am Münchner Platze in öffentlicher Sitzung durch Hrn. Landgerichtspräsidenten vr. Müller folgende Herren als Hauptgeschworene für die ain 19. November beginnende sechste diesjährige Sitzungs periode des hiesigen Königl. Schwurgerichts ausgelost: Kaufmann Paul Oskar Hermann Scholich in Loschwitz, Hofopernsänger a. D. Ludwig Schrausf in Dresden, Kunst- und Handelsgärtner Karl Artur Gliemer in Niedersedlitz, Fabrikdirektor Robert Vorländer in Radebeul, Dampf ziegeleibesitzer Paul Lohnitz in Großluga bei Pirna, Holz- Händler August Otto Richter in Schandau, Fabrikbesitzer Ernst Otto Böttger in Loschwitz, Oberst z. T. Ludwig Alexander Westmann in Dresden, Kaufmann Karl Otto Möbius in Radebeul, Rittergutsbesitzer Reinhold Markus in Nossendorf bei Pirna, Kaufmann und Königl. Hof lieferant Paul Theodor Ehrig in Dresden, Kaufmann Traugott Wilhelm Max Mahnert in Pirna, Oberstleutnant z. D. Kuno Zimmermann in Dresden, Hoftischler und Holzbildhauer Gustav Udlust in Dresden, Fabrikdirektor Karl Ferdinand Schreiber in Strehla, Gemeinde vorstand und Standesbeamter Franz Ludwig Dietzold in Leubnitz - Neuostra, Kaufmann und Fabrikbesitzer Friedrich August Thoenes in Radebeul, Oberst leutnant z. T. Theodor Heddenhausen in Dresden, Prof. vr. jur. und pbil. Eduard Heinrich Richard Wuttke in Blasewitz, Regierungsbaumeisler und Steinbruchs- besitzer Alfred Roscher in Dresden, Generalmajor a. D. Frhr. Georg v. Ende in Kleinzschachwitz, Kaufmann Ernst Philipp Nicolaus Ferdinand Sieverts in Dresden, Ge- meindevoritand Hermann Müllerin Klotzsche, Hospianosorte- fabrikant Paul Werner in Radebeul, Rentier Richard Rudolf Tiestelhorst in Geising, Oberst a. D. Christian Theodor Paul Keller in Copitz, Kaufmann Friedrich Richard Hanisch in Pirna, Kaufmann Wilhelm Petzold in Dresden, Torpedo- Oberstabsingenieur a. D. A. Bernhard Voigt in Rade beul und Generalleutnant z. D. Exzellenz Frhr. Max Schüler v. Senden in Radebeul. * Ter Jünglingsverein der Annen gemeinde feierte vorgestern abend in dem bis aus den letzten Platz gefüllten großen Saale des „Keglerheims" sein 22. Stiftungsfest in der Form eines Familienabends. Das Fest wurde mit einem schwungvollen Prolog ein geleitet, der von dem Ehrenmitglied des Vereins Hrn. Bernhardt selbst versaßt und gesprochen wurde. Im Mittelpunkt des Abends stand eine markige zu Herzen gehende Festansprache des Vorsitzenden, Hrn. Pastor lüo. Dl. Warmuth, der die jungen Leute zur Erweisung der besonders die Jugend zierenden Tugenden Wahrheits liebe, Pünktlichkeit, Tienstfertigkeit, Bescheidenheit und Dankbarkeit aufrief. Seine Rede klang aus in die Worte: Groß ist die Gottlosigkeit gerade unter der Jungmänner welt unserer Tage, groß ihre Feindschaft gegen Gottes Wort, ihre Pietätlosigkeit, und ihr Hang zur Sinnenlust in allerlei Form. Den Kampf gegen diese Mächte der Finsternis führen die Evangelischen Jünglingsvereine seit Jahren. Als 1834 Pastor Or. Mallet den ersten Jünglings verein Deutschlands in Bremen gründete, nannte er ihn Zufluchtsstätte für junge Männer. Eine solche Zufluchts stätte für die Jünglinge der Annengemeinde will auch unser Verein sein, wo sie Geist und Gemüt bilden, ihren Körper durch Turnen stärken und es inne werden sollen, daß auch in den Wirren der Gegenwart Gott der Herr unsere Zuflucht ist. Aus dem Jahresberichte, den der Vorstand, Hr. Kaufmann Hartwig, erstattete, ging her vor, daß sich der Verein auch im letzten Jahre kräftig entwickelt hat; er zählt jetzt 126 Mitglieder. Ter Annen kirchenchor, unter der Leitung des Hrn. Kantor Grützner, trug mit gutem Gelingen einige Gesänge vor, und die Jünglinge führten zwei wohlgelungene dramatische Szenen auf. Ter junge Dresdner Rezitator Hr. Paul Willi er freute durch die geistvolle Rezitation geschmackvoll ge wählter Dichtungen. Das Schlußwort sprach Hr. Pfarrer Heise. Der Verein kann jedenfalls mit Genugtuung auf sein wohlgelungenes Stiftungsfest zurückblicken. * Der Jnnungsausschuß hielt die vierte ordent liche Versammlung ab. Ter Vorsitzende Hr. Buchbinder- meister Stadtverordneter Unrasch streifte die Tätigkeit des Vorstands im letzten Vierteljahre. Ten Obermeistern Stadtv. Müller und Neuschild wurden die Urkunden ihrer I-m-ütiü! DU- DLL Iidnt tmi,