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weglichen, virtuosen Musizierstil dem schöpfe rischen Experiment (auch im Bereiche elektro nischer Musik) sehr zugetan war. Die von ihm entwickelte Kompositionsmethode mit „variablen Metren" ist typisch für seine auf mathematische Klarheit bedachte Haltung und hat verschiedentlich Weiterbildung (so durch seinen Freund Rudolf Wagner-Regeny) erfah ren. 1966 lieferte er wie Paul Dessau, Karl Amadeus Hartmann, Hans Werner Henze und Rudolf Wagner-Regeny einen Beitrag zu der Gemeinschaftskomposition „Jüdische Chronik". Der eigene Reiz, der von der Musik seines 1952 entstandenen und von Gerty Herzog mit teen Berliner Philharmonikern unter Hans Ros- Baud uraufgeführten Klavierkonzertes Nr. 2 o p. 4 2 ausgeht, beruht auf Blachers neuartigem Kompositionsprinzip der „variablen Metren". Darüber äußerte der Komponist an läßlich des ersten Werkes, das er in diesem Stile schrieb („Ornamente für Klavier", 1950) u. a. folgendes: „Ausgehend von der Erkennt nis, daß der Taktwechsel den Formverlauf oft intensiviert, ist die Idee entstanden, den metri schen Prozeß derart zu gestalten, daß jedem Takte eine andere metrische Struktur zu unter liegen hat. Baut man nun metrische Verhält nisse nach mathematischen Gesichtspunkten auf — und zwar ausgehend von den Reihen oder der Kombinatorik —, so ist der metrische Verlauf kein Produkt der Willkür oder des Zu falls mehr. Es ergeben sich neue, auf höherer Ebene stehende Symmetrien, interessante Überschneidungen von metrischer Serie mit musikalischer Phrase, Variante Reprisen u. a. m." In Blachers 2. Klavierkonzert haben einander folgende Takte, von wenigen Ausnahmen ab gesehen, niemals das gleiche Maß. Im Allegro des letzten Satzes z. B. ist dieer Wechsel des Taktumfanges schematisch genau geregelt, feer metrische Grundwert ist das Achtel. Nun ercheinen immer wieder Taktgruppen, deren Glieder vier, drei, vier und fünf Achtel haben. Das ist eine einfache Serie. Im ersten Satz ist die Folge komplizierter. Hier beginnt der Al- legro-Hauptteil mit einer metrischen Keimzelle, die aus zwei Takten mit zwei und drei Achteln besteht. Ihr schließen sich — unter stetem Rück griff auf die genannte Zelle — Takte an, die vier, fünf — bis acht Achtel haben. Wieder anders ist das metrische Gesetz, das den Auf bau des zweiten Satzes bestimmt. Es dürfte verständlich sein, daß diese variable, dabei streng geregelte Metrik auch für die Konstruk tion größerer Formzusammenhänge zu nutzen ist. Im ersten Allegro z. B. erleben wir ein all mähliches Wachstum der Periode bis zu Serien von beträchtlichem Umfang, ein Wachstum, dem dann wieder eine rückläufige Einengung entspricht. Der Gewinn, den Blacher aus solcher Schreib weise zog, ist ein „Schwebe-Charakter" der Musik, eine Befreiung von rhythmischen Schwereakzenten, und auf diesen Gewinn kam es dem Komponisten recht eigentlich an. Denn der Hörer lasse sich gesagt sein, daß es selbstverständlich Musik — und vielleicht gar nicht einmal schwer verständliche Musik — ist, was ihm hier entgegentritt, nicht aber eine tönende Mathematik. Anton in Dvoraks 9. und letzte Sinfonie e-Moll op. 95 entstand 1893 in New York während des Amerikaaufenthaltes des tschechischen Meisters. Er war 1892 in die „Neue Welt" gekommen, um drei Jahre lang als Direktor des Konservatoriums in New York tätig zu sein. Die Rationalität und Betriebsam keit des amerikanischen Lebens, die neuen Maschinen, Wolkenkratzer usw. machten gro ßen Eindruck auf Dvorak, der sich gewiß gera de auf die Gestaltung des ersten und letzten Satzes der 9. Sinfonie, seines ersten „ameri kanischen" Werkes, ausgewirkt hat. Besonders wichtig jedoch waren die menschlichen Begeg nungen für Dvorak, seine Berührung mit den schlichten Liedern der Ureinwohner Amerikas, der Indianer, und mit den Gesängen der Ne ger. Ein Widerhall dieser amerikanischen Volksmusik ist in der Partitur der Sinfonie „Aus der Neuen Welt" unmittelbar festzustellen, ohne daß der tschechische Meister irgendwel che fremden Melodien verwendet hätte; „Ich habe von keiner dieser Melodien Gebrauch ge macht. Ich habe nur eigene Themen geschrie ben, denen ich die Besonderheiten der India nermusik verlieh. Indem ich diese Themen zum Vorwurf nahm, habe ich sie mit allen Errun genschaften der modernen Rhythmik, Harmo nik und Kontrapunktik sowie des Orchesterko lorits zur Entwicklung gebracht." Die Uraufführung der Sinfonie erfolgte am 16. Dezember 1893 in der New Yorker Carnegie Hall unter der Leitung von Anton Seidl, einem Freunde Richard Wagners. Als Dvorak von den amerikanischen Kritikern als „Erfinderderame rikanischen Musik" gepriesen wurde, entgeg nete er mit dem ihm eigenen Humor: „Es scheint, ich habe ihnen den Verstand verdreht! Bei uns zu Hause wird man begreifen, was ich meinte!" In der Tat: Dvorak ließ mit der Sin fonie „Aus der Neuen Welt" eines seiner be sten und zugleich typisch tschechischen Werke in die Welt hinausgehen, das seitdem zu den volkstümlichsten, beliebtesten Schöpfungen des internationalen sinfonischen Repertoires ge hört. Eine schwermütige, langsame Einleitung ist dem ersten Satz vorangestellt, aus der sich zunächst zaghaft, dann immer bestimmter der Hauptsatz (Allegro molto) mit seinem zweitei ligen markanten Hauptthema, eine plastische Dreiklangs-Melodie entwickelt. Freudig bewegt ist das zweite Thema, vom ersten abgeleitet. Dieses Material bildet die Grundlage des ein fach, übersichtlich und vor allem mitreißend gestalteten Satzes. Einen der schönsten langsamen Sätze der sin fonischen Weltliteratur stellt das anschließende Largo dar, das durch die Szene eines Indianer begräbnisses aus Longfellows Epos „Hiawa- tha" angeregt wurde. Das Englischhorn stimmt die ergreifende, melancholische Trauermelodie an, die Klage über den Tod von Hiawathas treuer Gefährtin Minnehah. Das Largo ist dreiteilig angelegt. Der Mittelteil weist eine gleichsam indianische Intonation auf, ist erreg ter in seiner Haltung und führt zu einem fei erlichen Gesang der Holzbläser. In großer Stei gerung erklingen schließlich die Hauptthemen des ersten Satzes, bis dann wieder die erha bene Klage des Anfangs einsetzt. Nach dem gedankenreichen Largo führt uns das Scherzo (Molto vivace) in eine gänzlich andere Welt. Wieder liegt ein Bild aus Long fellows Dichtung zugrunde: der Festtanz der Indianer zur Hochzeit Hiawathas. Ein rhyth misch akzentuiertes, harmonisch geführtes Thema charakterisiert den Indianertanz. Ein an mutiger, lyrischer Mittelteil mit walzerartigem Rhythmus löst die lebhafte wirbelnde Bewe gung ab. In der Überleitung zum Trio erscheint unvermutet das Hauptthema des ersten Sat zes. Nun erklingt eine echte tschechische Tanz melodie mit lustigen Sprüngen und zarten Trillern der Holzbläser — Ausdruck sehnsuchts voller Erinnerungen des Komponisten an seine Heimat. Eine strahlende Coda krönt die Wie derholung des Scherzo-Hauptteiles, in der das, Hauptthma des ersten Satzes von den HcM nern kraftvoll vorgetragen wird. Zart klingt s™ dann der Hochzeitstanz aus. Einen freudig erregten, ungestümen, aber auch erhabenen Charakter hat das Finale (Allegro con fuoco). Marschhaft, energisch ertönt zu gleich das Hauptthema, das im weiteren Satz verlauf mit den Hauptthemen aus den voran gegangenen Sätzen verbunden wird. Nicht nur Empfindungen über die „Neue Welt", sondern auch Gedanken an die ferne, geliebte Hei mat sind in diesem schwungvollen, mitreißen den Satz dem Komponisten aus der Feder geflossen, der gerade mit besonders starkem Heimweh über der Arbeit am Schlußsatz saß. Immerhin erwartete er zu jener Zeit die An kunft seiner Kinder in Amerika, die er ein gan zes Jahr nicht gesehen hatte. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 19. April 1980, 20.00 Uhr (Anrecht B) Sonntag, den 20. April 1980. 20.00 Uhr (Anrecht C 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Die™ Härtwig 8. ZYKLUS-KO NZERT KONTRASTE Dirigent: Zdenek Kosler, CSSR Solist: Miklos Szenthelyi, Ungarische VR, Violine Werke von Mysliveck, Vivaldi, Bartök und Strauss Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Spielzeit 1979/80 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna lil-25-12 ItG 009-21-80 EVP 0,25 M 7. ZYKLUS-KONZERT