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Beilage zu Nr. 47 des DreAdNtk JSMMlK Freitag, 26. Februar 1909. Kunst und Wissenschaft. - In Wien besteht eine Schwestern Fröhlich- Stiftung zur Unterstützung bedürftiger und hervor- ragender schaffender Talente auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft. Aus dieser Stiftung können Stipendien an Künstler oder Gelehrte zur Vollendung ihrer Ausbildung oder zur Ausführung eines bestimmten Werkes oder zur Veröffentlichung eines solchen oder auch sonst im Falle plötzlich eintretender Arbeitsunfähigkeit, sowie Pensionen an Künstler oder Gelehrte, die durch Älter, Krankheit oder Unglücks falle in Mittellosigkeit ge raten sind, verliehen werden. Gesuche sind unter Bei fügung der erforderlichen Unterlagen bis 31. März 1909 beim Präsidialbureau des Wiener Gemeinderats I, Lichten- selsgasse 2, I. Stock, einzureichen; von dort können auch die Stiftungsstatuten bezogen werden. Königl. Schauspielhaus. (Shakespeares „Hamlet" in neuer Einstudierung und Aus stattung.) Eduard Devrient hat einmal gesagt: „Shake speares deutsche Bühnengestalt ist noch immer ein zerflatterndes Phänomen". Mancher nur halb gelungene Persuch, die unter so wesentlich anderen szenischen Vor aussetzungen geschaffenen Dramen des großen Briten mit unseren neuzeitlichen Bühnenmitteln darzustellen, scheint dieses Wort selbst in unseren Tagen zu bestätigen. Sollen wir verzichten auf alle Ergebnisse einer weit ausgebildeten Illusionstechnik, oder sollen wir uns bemühen, diese Technik so zu vervollkommnen, daß sie den ungeheuren Anforderungen genügen kann, die Shakespeares Genius dem Regisseur abverlangt? Das Problem wird sich kaum lösen lassen, ohne daß ein Mittelweg gefunden wird. Wir können von dem Zuschauer nicht mehr die naive Phantasiekraft erwarten, wie sie den Kindern des elisa bethanischen Zeitalters eigen war, und wir dürfen dem Bühnenleiter nicht zumuten, daß er seine Arbeit an die Unmöglichkeit setze, uns den Schein der Wirklichkeit vor zutäuschen, den eine naturalistische Bühnenkunst uns gibt. Die König!. Generaldirektion will einen solchen Mittelweg gehen, wie sie den Lesern unseres Blattes am Mittwoch, den 17. Februar, dargelegt hat, und sie strebt nach einer stilisierenden Bühnengestaltung, die dem Dichter wie dem Publikum gerecht wird. Gestern abend wurde das eigenartige Unternehmen zum erstenmal er- probt. Der Anteil der kunstliebenden Bewohnerschaft Dresdens begleitete die Aufführung, das Haus hatte sich fast bis zum letzten Platze gefüllt und zollte an allen Aktschlüssen lebhaften Beifall, der sich, als die Vor stellung kurz vor 'tzH Uhr endete, gewaltig steigerte. Hr. Wiecke wurde vielemal herausgerufen, und mit ihm erschien, stürmisch begrüßt, Hr. Prof. Fritz Schu- macher, dessen szenische Bilder die schönste Verbindung von theoretischem Erwägen und künstlerischer Schöpfer kraft darstellen. Hier soll nur der erste Eindruck wiedergegeben werden. Denn eine gewaltige Summe Kunstverstand offenbart sich in dieser Hamletdarbietung. Das Un gewohnte der Erscheinung fordert eine andere Art der Berichterstattung, als sie am Morgen nach einem Theater abend möglich ist. Es gilt, die künstlerischen Absichten bis ins einzelne zu ergründen, und auch da, wo die Kritik nicht ohne weiteres zuzustimmen vermag, muß sie sich vor leichtsinnigem Aburteilen hüten. Denn als ein großes Beispiel, das gewiß Nacheiferung weckt, wird der Dresdner „Hamlet" in der Bühnengeschichte dastehen. Nur über einen Punkt bin ich mir völlig klar ge worden. Man betrachtet die Ehrfurcht vor dem Dichter- werke als selbstverständlich und bringt es fast ungekürzt zur Darstellung. Diese Grundanschauung halte ich für verfehlt. Es heißt vom Zuschauer Unmögliches begehren, wenn man seine unverminderte Aufmerksamkeit nahezu 4'i Stunde in Anspruch nehmen möchte. Tenn die Schwierigkeiten des häufigen Szenenwechsels kosten auch in Schumachers Bühnengestaltung lange Zeit. Wer zählt die Minuten, während deren wir erwartend vor dem schwarzen Vorhang saßen und ängstlich bemüht waren, die Gedanken auf das Spiel hin- und von der Umwelt abzulenken! Die Möglichkeit einer schnellen Verwandlung ist bei aller verhältnismäßig großen Ein- sachheit der Bühnenbilder leider noch immer ziemlich gering. Einer vollständigen Aufführung des „Hamlet" kann ich unter diesen Umständen nicht das Wort reden. Streichungen werden unbedingt notwendig, ja selbst wegen der künstlerischen Wirkung sind sie angebracht. Tas Werk darf nicht „jenen unerträglichen Belastungsproben für die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer verfallen, wie sie heute Mode geworden", äußert sich Alexander v. Weilen in feiner wertvollen, unerschöpflich reichen Monographie über .Hamlet" auf der deutschen Bühne (Berlin 1908). Er hält immerhin eine im wesentlichen genaue Wiedergabe inner- halb des Zeitraums von vier Stunden für nicht aus geschlossen, und auf einige der von ihm in seinem Schluß- lapitel vorgeschlagenen Kürzungen soll hier nachdrücklich hingewiesen werden. Ohne jeden Nachteil darf mancher Zug von der Fortinbrashandlung wegfallen. Wer sich erinnert, wie unsere größten Dichter fremde Werke be- arbeitet haben, wird dem Beurteiler keinen Vorwurf daraus machen können, wenn er zwar das Gefüge des „Hamlet" nicht zerstört zu sehen wünscht, aber gern minderwichtige Szenen missen möchte. Bühnendrama und Lesedrama brauchen nicht identisch zu sein. Was die szenische Darstellung dem Dichtwerke etwa nehmen muß, ersetzt sie reichlich durch das plastische Herausarbeiten der Hauptmomente. Daß einige wundervolle Bühnenbilder sich dem Auge des Beschauers darbieten, daß der Stimmungsgehalt der Tragödie wesentlich vertieft erscheint, daß eine weise Regie Figuren und Hintergrund in schönsten Einklang zu bringen sucht und daß einzelne Rollen hervorragend be- setzt sind, sei schon heute erwähnt. Vor allem aber möge festgestellt sein, daß ein Gesamtkunstwerk von seltener Vollendung geschaffen worden ist. . K. R. Konzert. (Liederabend von Maria Freund.) Der gestrige Liederabend im Palmengarten vermittelte die Bekanntschaft mit einer interessanten Künstlerin. Maria Freund ist eine Persönlichkeit voll Rasse und Tempere- ment, deren Eigenart romanisches Empfinden wesens- verwandt scheint, und der daher die Wiedergabe fran zösischer Gesänge, hie den Schluß der Vortragserdnung bildeten — unter diesen zweier Kompositionen Reynaldo Hahns, des derzeitigen eleganten, aber wenig tiefen Mode- kompositeurs von Paris —, in hervorragendem Maße ge langen. Auch das als Zugabe gesungene Lied der Carmen war eine Meisterleistung. Die vorzügliche Beherrschung des sranzösifchen Vortragsstils lassen auf längere Studien an der Seine schließen. Nicht durchweg auf gleicher Höhe standen die Leistungen der Künstlerin in Liedern von Schumann und Brahms, bei denen sie nicht immer in alle Tiefen drang. Auch machte sich bei ihnen ab und zu eine etwas flache Tongebung in der Mittellage bemerk bar. Überhaupt war es seltsam, wie der warm und edel klingende dunkle Mezzosopran der Sängerin in den deutschen Texten weniger Ton ausgab als in den fran zösischen. Rühmend hervorzuheben sind das weiche, runde Piano und eine klare Textbehandlung. Noch sei erwähnt, daß Maria Freund mit Glucks Alcestenarie den an künst lerischem Erfolge reichen Abend großzügig begann; möchte ihr bei einer Wiederkehr ein vollerer Saal lohnen. Hr. Max Auerbach ließ es in den Begleitungen vor allem der Schumannschen Lieder nicht selten an rhythmischer Klar heit fehlen. Wpt. Gcsangskonzert. Unter dem musikalischen Geleite des Organisten Clemens Braun, der übrigens im Lause des Abends vor die wenig dankbare Aufgabe ge stellt war, ein bekanntes Opernbruchstück auf dem Klavier wiederzugeben, ließ sich gestern im Saale des Neustädter Kasinos Frau Elsa Möller-Krigar, eine frühere Schülerin des Kgl. Konservatoriums, als Gesangskünstlerin hören. Zwei Seelen sind es, die den Vorträgen der Konzertgeberin inuewohnen: sie führte sich gleichzeitig als gewandte Koloratur- und als geschmackvoll empfindende Liedersängerin ein. In der Vertuschen Traviata-Opern- szene, deren volle Wirkung durchaus auf den Bühnen apparat angewiesen ist, gelangen die aufsteigenden Läufe und Figuren bei geschickter, vorsichtiger Anwendung der Kopfstimme intonationssichcrer als die absteigenden Skalen und Sprünge. In Alabieffs „Nachtigall", dem bekannten Paradestück berühmter Koloratur Primadonnen, überraschte die kleine, aber angenehme Stimme durch zierliche Flötentöne in höchster Lage und durch graziöse, zuweilen allerdings mit dem unteren Nebenton gebildete Triller und Trillerketten. Unter den Schumannschen Ge sängen lag der Sängerin am besten das „Röselein" mit seinen Echowirkungen. Die Gesänge von Brahms, Strauß und Wolf zeigten bei vielfacher Anwendung eines angenehm wirkenden merr» voce doch gelegentlich sprödere Tonklänge in der tieferen Lage („Feinsliebchen"). Übrigens gehörten mehrere Gesänge („Mach' auf, mein Kind") zu den Kompositionen, deren öffentlicher Vortrag aus naheliegenden Gründen den männlichen Sängern überlassen bleiben sollte. Zu dem Gesangsabend hatte sich ein zahlreicher Bekanntenkreis der Künstlerin ein gesunden. Wissenschaft. Auf der diesjährigen Chemnitzer Konferenz von Geistlichen und Laien evangelisch lutherischen Bekenntnisses erwiderte Schulrat Bang- Dippoldiswalde auf die Äußerung des Direktors Arnold- Chemnitz, des bekannten Verfechters der sogenannten „Zwickauer Thesen", ihm sei es unbegreiflich, wie man eine Brücke von dem ethisch - menschlichen Jesus zu dem dogmatisch-religiösen Christus schlagen könne, folgendes: „Wer das Leben Jesu unbefangen betrachtet, der bekommt den Eindruck: Du hast hier einen ganzen Menschen. Dieser Eindruck gestaltet sich bald da hin: Ja, du hast hier einen ganzen Menschen, und doch ist er noch etwas anderes. Genau so ist's den Jüngern gegangen. Schauten sie ihm in die Augen, so sahen sie manches. Er erschien ihnen unverwundet rein, ohne jeden Makel, über Menschenmaß hinauswachsend, so daß Petrus Matth. 16 auf die Frage: Wer sagt denn ihr, daß des Menschen Sohn sei? die Antwort gab: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Die Erkenntnis der Jünger ist auch weiterhin gewachsen: sie war noch nicht voll vor dem Kreuze, noch nicht voll vor dem Grabe und der Auferstehung. Als sie aber den Auserstandenen geschaut und seinen Geist empfangen hatten, da war er ihnen der „wahrhaftige Gott". So nannten sie ihn nicht, um ein Prädikat für ihn zu finden, sondern um zu zeigen, als was sie ihn erkannt hatten. Tie Erfahrungstatsache hat sie auf die Knie gezwungen." Literatur. Wie aus Breslau berichtet wird, er zielte im dortigen Stadttheater „Ein Nomankapitel" von Rudolf Oesterreicher einen durchschlagenden Heiterkeitserfolg. In diesem gelungenen dramatischen Scherz sitzt ein Romanschriftsteller und schreibt ein Roman kapitel, bei dessen Vorlesung alle Gestalten lebendig und die verschiedenen Stilblüten in geradezu verblüffender Weise pantomimisch dargestellt werden. — Aus Paris wird gemeldet: Das „DbäLtro du Orunck vuixnol", in dem die grausigsten Schauerkomödien gegeben werden, hat jetzt einen sehr großen Erfolg mit einem überaus geschmacklosen Stück „vn vouoort ober les koux". (Man sieht, daß nicht einmal die Tragik des größten Unglücks spekulativen Direktionen und dem ver rohten Publikum heilig ist. D. Schriftl.) — Der Gesamtvorstand der Deutschen Dichter- Gedächtnis-Stiftung hielt am Sonntag, 21. Februar, seine ordentliche Jahressitzung in Berlin ab. Der vom engeren Vorstand vorgelegte ausführliche Jahres- bericht über 1908 wurde genehmigt, ebenso die von dem Kassenwart, Hrn. Rechtsanwalt .vr. Wilhelm Bitter, Hamburg, vorgelegte Kassenabrechnung, für die Entlastung erteilt wurde. Der ausführliche Jahresbericht wird in Kürze erscheinen und allen Mitgliedern und Freunden der Stiftung zugehen. In der Sitzung wurde ferner eine Anzahl von Satzungsänderungen beraten, endlich vom engeren Vorstand eine Reihe von Mitteilungen gemacht. Besonderen Tank erntete die Nachricht, daß der in Auflösung begriffene „Verein zur Massenverbreitung guter Volksliteratur" beschlossen hat, einen Teil seines Kassenbestands der Deutschen Dichter- Gedächtnisfliftung zuzuwenden. Die vorgcnommenen Wahlen ergaben die einstimmige Wiederwahl von Dl Ernst Schultze zum ersten Vorsitzenden und der Herren Rechtsanwalt vr. Wilhelm Bitter Hamburg, Stadt bibliothekar vr. Gottlieb Fritz-Charlottenburg und vr. Richard Huldschiner-Hamburg als engerer Vorstand. Zum zweiten Vorsitzenden wurde Hr. Victor Blüthgen-Berlin gewählt, der dem Gesamtvorstand der Stiftung schon seit ihrer Gründung angehört. In den Gesamtvorstand wurde zugewählt Hr. Gustav Mendelssohn-Bartholdy, Sennfeld in Baden. f Aus Cannes meldet man: Isabella Kaiser, die bekannte zweisprachige Dichterin und Schriftstellerin, ist hier, wo sie sich einer Blinddarmoperation unterziehen mußte, gestorben. Sie wurde in Beckenried am Vier waldstättersee 1866 geboren (wo sie auch wohnte) und ist Verfasserin der Gedichtsammlungen „Des -ilss!" und „Mein Herz", der Romane „Lvreisro", „Xotr« per«, gni stes »ux eivux" (auch deutsch), „Hero", „Wenn die Sonne untergeht", „Vivs la roik", „Die Friedensucherin" (worin viel Selbstbiographisches steht) und einer Anzahl Novellen. Vilvenve Kunst. Musterentwürfe für die hei mische Bauweise auf dem Lande im Herzogtum Braunschweig werden vom Landesverein für Heimat schuß daselbst zum Gegenstand eines Wettbewerbs unter allen im Deutschen Reiche ansässigen Architekten gemacht. Zu den Preisrichtern gehören Prof. Bohnsack- Braunschweig, Maler Hans am Ende-Worpswede, Prof. W. Kreis, Direktor der Bauakademie zu Düsseldorf u. a. Es sind drei Preise von 750, 600 und 450 M. ausgesetzt worden. Musik. Aus Stuttgart berichtet man: Aus Anlaß des Geburtstags des Königs wurde dem Klaviervirtuosen Prof. Max Pauer und dem Maler Pro,. Friedrich Keller das Ehrenkreuz des Kronenordens mit dem persönlichen Adel verliehen. Ter Maler Cissarz er hielt den Professortitel. Theater. Wie aus Wien berichtet wird, erregt in dortigen Theaterkreisen der bevorstehende Direktions- Wechsel an der Wiener Volksoper berechtigtes Auf sehen. Direktor Rainer Simons, der vor sechs Jahren das damalige Kaiser-Jubiläums-Stadttheater von Direktor Müller-Guttenbrunn übernahm, das damalige Schauspiel haus langsam zum Operntheater gestaltete und es als solches auf eine hohe Stufe führte, tritt, wie mit Be stimmtheit erz hlt wird, zurück, um die Direktion an Hrn. Raoul Mader zu überlassen. Immerhin würde eine neue Ara unter Mader nicht ohne Sympathie zu begrüßen sein, so sehr man den Abgang Rainer Simons' bedauert. Hr. Raoul Mader, der auch als Ballett komponist sehr bekannt geworden ist, war als langjähriger Leiter der Budapester Komischen Oper — ein Posten, von dem er vor einiger Zeit zurücktrat — einer der tüchtigsten Theatermänner der ungarischen Hauptstadt und kam auch bei Mahlers Rücktritt für die Direktion der Wiener Hofoper sehr ernsthaft in Betracht. Vortragsabend. Harry Walden, das jetzige Mit- glied des Berliner Deutschen Theaters, hat sich einen Namen gemacht einmal dadurch, daß er der Schauspieler war, der die Rolle des Karl-Heinz in Meyer-Försters „Alt-Heidelberg" „kreierte" und zum anderen durch manchen extravaganten Zug in seiner Lebensführung. Diese beiden Umstände mögen es gewesen sein, die' dem Künstler gestern abend ein fast volles Haus für seine Vorlesung von ernsten und heiteren Dichtungen brachten. Es ist, das lehrte die Spannung, mit der man das Er scheinen des Künstlers auf dein Podium erwartete, für alle Fälle gut, wenn jemandem, der sich künstlerisch eine Position erwerben will, irgendein die Aufmerksamkeit des p. t. Publikums erregendes Ereignis aus seinem Leben die Wege ebnen Hilst. Aber der Kunstrichter fühlt etwas wie Schmerz, wenn er ein wirkliches Talent so völlig als ein Objekt der Neugier angestaunt sieht wie Harry Walden. Dieser.Künstler hatte weder nötig, der erste „Karl-Heinz" zu sein, noch braucht er von Zeit zu Zeit als Mensch die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um sich — mindestens als Vorleser — durch zusehen. Er ist mit Gaben des Vortrags so reich be dacht, daß er Interesse für sich und sein künstlerisches Wirken ohne weiteres beanspruchen darf und auch überall dort finden wird, wo man der Kunst freundlich gesinnt ist. Zeugte schon das Programm seines gestrigen hiesigen Vortragsabends von gutem Geschmack, so fesselte noch mehr die feinfühlige Art, in der er las. Das war weit mehr als der Turchschnitts- künstler zu geben hat: zu einem Organ, das voller reichster Modulation ist, gesellte sich ein Vortrag von überraschend tiefer Beseelung in den Dichtungen ernsten Charakters, die der Künstler vortrug, von zartestem Reiz und quellender Frische in den Liebes- und Scherzliedern, die Walden las. Das Programm des Künstlers umfaßte Dichtungen von Herder, Goethe, Schiller, Lessing, Heine, Nietzsche, Fritz Reinhardt, Max Geißler, Fontane, Peter Nansen, Wilhelm Brandes, A. V. Rydberg, Rudolf Presber, Guilhermino Augusto, Rudolf Herzog, Leon Leipziger, Gustav Falke, Otto Ernst, Alexander Moszkowski und Kory Towska. Aus den Bestaunern des Berliner Schau spielers wurden im Lause des Abends aufrichtige Be wunderer des reichen rhetorischen Talents Harry Waldens; und das mit Recht, denn er bereitete seinen Zuhörern als Interpret des dichterischen Wortes zwei Stunden köstlichen Genüsse-. Vortragsabend. Die Naturwissenschaftliche Gesellschaft „Isis" beging bestern abend in der Aula der Technischen Hochschule im Kreise ihrer Mitglieder und geladenen Gäste die Feier der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Charles Darwin. Nach den Begrüßungsworten von Hrn. Geh. Hofrat Prof. vr. Fritz Förster sprach Hr. Geh. Hofrat Prof. vr. Kalkowsky über die „Geologischen Grundlagen der Entwickelungslehre" und führte ungefähr folgendes aus: In der Welt ist alles Bewegung. Lebewesen erwachen und vergehen, und schwer ist die Vorstellung bereits von der Größe der verflossenen Jahre. Viele Millionen Jahre sind vorbei,