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2. Beilage zu Nr. 33 des Dresdner Journals Mittwoch, 10. Februar 1909. Beifall. Line Künstlernovelle von F. A. Geißler. L (Fortsetzung zu Nr. 30.) Die große Gesellschaft ist die Hyäne des Ruhmes- Sie stürzt sich mit blinder Gier auf jeden, der die öffentliche Aufmerksamkeit durch sein Talent erregt hat, und sucht ihn als willkommene Beute zu ge winnen. Ja, sie zerreißt ihn nach Art eines Raub tiers, indem sie ihn mit Einladungen überschüttet und ihm grausam die Verpflichtung auferlegt, überall zu sein. Wehe dem, der solchem Zwange keinen ernsten Widerstand entgegenzusetzen vermag, ja wohl gar in dem Ansturm der Gesellschaft eine Auszeichnung er blickt und sich in seinem Ehrgeiz durch ihn geschmeichelt fühlt. All seine Sammlung, Ruhe und Schaffens kraft verfällt bald genug dieser Gesellschaft, die ihn rücksichtslos beiseite schiebt, sobald sie ihn seines Aller- b.sten beraubt hat! Auch Hugo Haffner hatte sich gegen solchen An sturm der beutegierigen Außenwelt zu wehren Seit dem der Empfang durch den Großherzog bekannt ge worden war, galt er als der „kommende Mann" des Hofthea1ers, als der Künstler, der berufen zu sein schien, künftig eine führende Stellung einzunehmen. Und da viele Leute ein ganz besonderes Vergnügen an „kommenden Männern" baden, so war Hugo, zu mal da er außer Kunst und Zukunft noch seine ganze junge und frische Persönlichkeit einzusetzen hatte, während der Hochsaison ein sehr begehrtes Schmuck stück für allerlei Veranstaltungen der Welt, in der man die Langeweile für die größte Sünde hält. Es regnete für ihn förmlich Einladungen. Und weil ihm alles so neu war, weil er sich daran freute, überall schmerzlich erwartet und freudig begrüßt, von den Damen angeschwärmt und von den Männern geschätzt oder gar beneidet zu werden, so stürzte er sich kopfüber in den wildesten Strudel. Wenn er abends dienstfrei war, nahm er den Fünfuhrtee bei einer Baronin oder Kommerzienrätin, ging zum Diner in ein zweites Haus und womöglich spät abends noch in eine Herren gesellschaft. An jedem Tage hatte er die Möglich keit, mit Wagen oder Automobil Ausflüge zu unter nehmen, seine Bilder fanden reißenden Absatz, auf der Straße, in der elektrischen Bahn, im Restaurant zog er bei seinem Erscheinen aller Augen auf sich; Backfische fanden ihn „einfach süß", und.Gymnasiasten sandten ihm ihre Dramen ein — mit einem Wort, er war so volkstümlich in Kronburg, daß selbst Herr Kammersänger Wildung ihn zu fürchten begann. Ta Hugo streng darauf hielt, an den Tagen sich nicht zu zerstreuen, an denen er auftreten mußte, aber dann nach der Vorstellung von den neuen Be kannten meist gleich am Bühnenausgang erwartet wurde, so trat unmerklich eine Pause in seinem Ver kehr bei Wartner und dessen Gattin ein. Frau Gerda verriet mit keiner Silbe, wie sehr sie unter der plötz lichen Vernachlässigung durch Hugo litt, aber Wartner las den Schmerz in ihren Augen. Und weil er ihn verstand, so umgab er sie mit um so treuerer Sorge und Liebe, glaubte er doch, daß ihre Schwärmerei für den jungen Kunstgenossen nichts mehr sei als eben eine Schwärmerei. So verging die Spielzeit. Der Sommer stand bevor und mit ihm die lange Ferienzeit, die Hugo bei den Seinigen verleben wollte, zum erstenmal wieder seit jenen stürmischen Tagen, in denen der strenge Vater dem aus dem Kontor Davongelaufenen das Haus verboten hatte. Während des kurzen Ab schiedsbesuchs bei Wartner - war Fraul Gerda nicht sichtbar, sie ließ sich mit einem Unwohlsein ent schuldigen, und Hugo fühlte dies als eine kleine Strafe dafür, daß er in den letzten Monaten so selten gekommen war. Er war ehrlich genug, es offen ein zugestehen. „Ihre Gattin ist mir bös, Wartner, ich merk's schon. Und sie hat ein Recht dazu, denn nach all dem Lieben und Guten, das ich in Ihren: Hause ge nossen habe, hätte ich mich öfter einstellen müssen — aber Sie wissen ja, wie's geht, wenn man sich in den Strom stürzt. Da hat man bald so viele Be kannte, daß man Gefahr läuft, seine Freunde darüber zu vernachlässigen. Ich glaube fast, daß ich's wirklich ein wenig toll getrieben habe." Wartner lächelte. „Ich will mir kein Urteil er lauben, doch gestehe ich, daß ich erstaunt war zu sehen, wie rasch Sie sich in die Rolle des Löwen der Gesellschaft gefunden haben." Hugo errötete. „Lassen Sie mich ganz offen sein, lieber Kollege. Seit jenem Tage, an dem der Groß herzog so huldvoll mit mir sprach, hab' ich im stillen gehofft, daß den Worten Taten folgen würden. Ge wartet hab' ich, sehnsüchtig gewartet auf den Befehl, der mich zur Mitwirkung in den Sondervorstellungen vor unserem Fürsten berufen sollte. Den Schritt des Theaterdieners habe ich schon draußen auf der Treppe gehört, so hab' ich ihn jeden Tag erwartet, er mußte ja doch einmal die Botschaft bringen, nach der ich lechzte Aber er brachte immer nur Rollen und gleich gültige Mitteilungen. Man brauchte mich nicht für jene Abende, da der Großherzog von seinen Schau spielern das Höchste forderte. O, jene Abendel Sie waren schwer für mich, sehr schwer. Und Ihnen könnt' ich doch nicht Nagen, was mich bewegte. Da hab' ich mich den Menschen in die Arme geworfen, die mich umschmeichelten und vergessen ließen, daß mir in Kronburg das Höchste versagt blieb. Ich hab' mich nicht beim Intendanten beschwert, hab' keiner Menschen seele mich offenbart, denn ich bin zu stolz dazu. Lieber sollten mich die Leute, selbst Sie eingeschlossen, für leichtsinnig und komödiantenhaft eitel halten. Aber heute, eh' wir voneinander scheiden, mußt' ich mir Luft machen. Wer weiß, ob ich nach Kronburg zurück komme, denn ich will versuchen, meinen Vertrag zu lösen. Was soll ich noch zwei Jahre hier? Den „Stern" spielen kann ich auch anderwärts. Und für Wichtigeres bin ich offenbar nicht gut genug." Er hatte die letzten Sätze gesprochen, indem er aufgeregt mit großen Schritten das Zimmer durch maß. Wariner faßte ihn sanft bei der Schulter und ergriff seine Hand mit festem Druck. „Dacht ich's doch, daß die Sache so liegt, Sie lieber Brausekopf! Es ist ihm nicht schnell genug gegangen, und nun will er uns davonlaufen. Nein, mein Junge, das gibt's nicht. Gut Ding will Weile haben. Und in diesem Falle erst recht. Vielleicht müßt ich davon schweigen, aber ich will die Verantwortung über nehmen, Ihnen zu sagen, daß der Großherzog oft von Ihnen gesprochen und Ihre Tätigkeit genau verfolgt hat. Sie haben doch die schönsten Nollen spielen dürfen, mit denen man hier junge Mitglieder sonst nicht zu füttern pflegt. Sie wurden beliebt, Sie zogen das Publikum an — war der Gedanke da nicht berechtigt, Sie vorerst einmal dem geehrten Publikum nicht zu entziehen und Ihnen für die Zukunft das Weitere aufzusparen. Und am Ende haben Sie gar gedacht, daß ich Ihnen den Weg zu den Separatvorstellungen versperrt hätte? Aber nein, das ist nicht möglich, da kennen Sie mich doch zu gut. Also Ruhe und Geduld, lieber Hugo. Ich dächte, Sie könnten mit dem Ergebnis Ihres ersten Kronburger Jahres zufrieden sein, überlassen Sie dem Fürsten, der Sie sehr hochschätzt, vertrauensvoll das Weitere. Wollen Sie?" Hugo war beschämt. „Gern, gern; ich hoffe, Sie haben mich nicht mißverstanden. Meine Beweggründe " „ sind rein und aller Achtung wert. Verlassen Sie sich darauf, man wird sie zu würdigen wissen. Und darum heute kein Abschiedswort, son dern nur ein fröhliches „Auf Wiedersehn!" Sie schüttelten einander die Hände. Als Hugo durch den Vorgarten schritt, folgten ihn: Gerdas Augen aus einen: Fenster des Oberstocks. Er spürte ihren Blick inr Nacken und wandte sich um. Ta sah er sie am Fenster, winkte ihr zu und rief: „Auf Wiedersehn!" Am nächsten Morgen reiste er froh nach seiner Heimat.' vm. Nur wer als Schauspieler jahrelang nach der anstrengenden Arbeit eines Winters gezwungen ge wesen ist, während der Sommermonate bei geringer Gage und oft unwürdigen örtlichen Verhältnissen an einem Sommertheatcr sein hartes Brot zu verdienen und dabei meist noch nicht zu wissen, in welchen Winkel Deutschlands ihn für den nächsten Winter der Machtspruch des Agenten verweisen wird — nur der kann das erhebende Gefühl verstehen, von dem er füllt das mit mehrjährigem Vertrage angestellte Mit glied einer Hofbühne in seine Ferien reist. Was die Spielzeit vielleicht an Enttäuschungen und Arger ge bracht hat, ist so gut wie vergessen; mit dem Opti mismus und der harmlosen Übertreibung, die den Theaterleuten im Blute liegt und durchaus nicht als Entstellung der Wahrheit oder gar Lüge bezeichnet werden darf, werden die kleinen Errungenschaften der Spielzeit in große, laute Erfolge umsrisiert, die man dann den lauschenden Bekannten, Verwandten und Fremden so lebenswahr zu schildern weiß, daß man selber daran glaubt. Diejenigen Schauspieler aber, die wirklich eine erste Stellung einnehmen, lassen sich in den Ferien gern einen struppigen Bart wachsen und spielen die Nervös-Abgearbetteten, die unter der Last ihrer Künstlerschaft fast zu Boden sinken und darum am liebsten von allem Theater kram nichts hören möchten. Sie haben's aber doch ganz gern, wenn sie im Seebad oder in der Sommerfrische erkannt und ein wenig gefeiert werden. Hugo Haffner gehörte weder zu den Auf schneidern, noch zu den Blasierten; der Erfolg hatte ihn heiter, gut und mitteilsam gemacht, und der kleine Stachel, den seine Nichtverwendung bei den Sondervorstellungen ihm im Herzen zurückgelassen hatte, spornte seinen Ehrgeiz auch während der Ruhezeit mächtig an. Was er seit langer Zeit nicht mehr gekannt hatte, das fand er jetzt wieder: das Wohlbefinden, das Heimatsgefühl im Vaterhause. Vergessen war alles, was je trennend zwischen ihnen gelegen hatte, sorgende Liebe umgab ihn, und das Bewußtsein, nicht nur geliebt, sondern auch ge achtet zu sein, ließ ihn den Zauber des Elternhauses empfinden wie nie zuvor. Der Seinen freudige An teilnahme an allem, was seine Kunst betraf, öffnete ihm Herz und Mund, und mehr fast noch als der Mutter frommer Glaube an seine Künstlerschaft be glückte ihn des Vaters Zuversicht, daß er als ein tüchtiger Mann immer seines Schicksals Herr bleiben werde. Und was ihm früher stets unmöglich er schienen war, gelang ihm jetzt: in den engen, aber treu ausgefüllten Lebenskreis des Vaters sich zu ver setzen und aus ihm heraus dessen Denken und Tun zu begreifen. Wie Schuppen fiel es da von seinen Augen, er erkannte, wie aus dieser bürgerlich schlichten Arbeit für den Vater und alle die Seinen ein reicher Segensstrom viele Jahre lang geflossen war; er begriff, wie tief er einst den Vater ver wundet hatte, als er das alles von sich stieß, um einen Weg zu gehen, zu dem ihn nur eine Ahnung, eine Herzenssehnsucht zog. Mit Staunen, mit un endlicher Freude bemerkte Vater Haffner diese Sinnes änderung Hugos, und zu seiner väterlichen Liebe ge sellte sich fast ein tiefes Dankgefühl dafür, daß der auf seiner eigenen Bahn so rasch emporgeschrittene Sohn ihm jetzt Gerechtigkeit widerfahren ließ. So wuchsen die drei Menschen, die durch Blutes Macht zueinander gehörten, nun auch im Herzen fest zusammen — Wochen des Segens, der Reife, des Glückes waren es, die sie zusammen verlebten. Im Banne dieses Gefühls verzichtete Hugo auf eine geplante Reise, nahm dafür neue Rollen vor und kostete die Gunst des traulichsten Heimatgefühls mit Dank und vollem Bewußtsein bis zum letzten Tage aus. Nur zu schnell entschwanden die Wochen, ein Brief der Intendanz mit dem gebührend angestaunten Vermerk „Groß herzogliche Angelegenheit" setzte den Tag seines Ein treffens in Kronburg fest, und als er vom Eltern hause Abschied nahm, da verbiß er tapfer Tränen, die jemals kennen zu lernen er noch vor einem Jahre nicht geglaubt haben würde. Doch, als ob er durch die Berührung des heimatlichen Bodens an Kraft gewonnen hätte, so reich und im tiefsten Innern gestärkt und beglückt fühlte er sich, als er zum zw- iten- mal in Kronburg einfuhr. (Fortsetzung folgt.) Jungdeutfchland in Afrika. 7 Tagebuchaufzeichnungen. Von G. Sch. Den 27. August 1908. Gestern abend ist mein Boy, ein kleines Kerlchen von zwölf Jahren, nach dreitägiger Krankheit gestorben. Am Sonntag abend hatte er starkes Fieber, und ich gab ihm auf Anordnung des Arztes Chinin. Am Montag und Dienstag schien es besser zu gehen, er war ziemlich fieberfrei und hatte auch etwas gegesseu. Am Mittwoch früh sah der Junge indessen recht schlecht aus und schien mir auch nicht mehr ganz bei Bewußtsein zu sein. Ich ließ daher nochmals den Arzt rufen, welcher meinte, der Junge hätte sich wohl eine starke Erkältung oder Lungenentzündung zugezogen. Der Arzt verschrieb einen heißen Tee. Mehr konnte er nicht tun, da für die Neger kein Lazarett hier ist. Außerdem ist auch den Ein geborenen, wenn sie sich mal eine starke Erkältung zu gezogen haben, selten mehr zu helfen; sie klappen in ' wenigen Tagen ganz zusammen und gehen ein wie Pflanzen, die man in anderen Boden verpflanzt hat. Als ich gestern abend gegen 9 Uhr nochmals nachsah, war der Kleine tot und fing schon an, kalt zu werden. Ich drückte ihm die Augen zu und ließ den Arzt rufen, der den Tod feststellte. Dann wurde der Tote von Freunden abgeholt, blieb die Nacht über irgendwo im Dorfe aufgebahrt und wurde heute auf dem Eingeborenen- Friedhofe eingescharrt, darauf folgt dann seitens seiner Bekannten und Verwandten eine große Pembetrinkerei, und der Tote ist vergessen. — Es ist bezeichnend für die Indolenz der Neger, mit welcher Gleichgültigkeit sie einen Stammesgenossen sterben lassen. Wenn ein Neger mal ernstlich krank wird, so ist er für seine Stammesbrüder schon so gut wie erledigt. Kein Mensch kümincrt sich um ihn. Wenn ich nicht mit dem armen Jungen Mit gefühl gehabt hätte, ihm hätte Limonade geben, Suppe kochen lassen, und ihn zugedeckt Hütte, so wäre er vielleicht noch eher gestorben. Die Neger hier sind zum größten Teil Mohammedaner, und was einem zustößt, ist Xigmet, unabwendbares Schicksal, und da hält es jeder für über flüssig, auch nur einen Finger zu rühren. Mitleid und Mitgefühl sind dem Neger unfaßbare Begriffe. Essen, Trinken, Schlafen und hin und wieder etwas Arbeiten, wenn jemand dahinter steht, von dem er ab und zu eine Ohrfeige gewärtigen muß, damit ist die Tätigkeit der Neger begrenzt. Die gewöhnlichen Strafen für kleine Diebstähle, Widerspenstigkeit, Entlaufen aus der Arbeit ohne Kün digung re. sind 10 bis 25 Peitschenhiebe mit der Nil pferdpeitsche. Bei schweren Fällen gibt es außer dem noch 14 Tage bis einige Jahre Kette. Jeder Gefangene bekommt, wenn diese Strafe über ihn verhängt werden muß, einen eisernen leichten Ring um den Hals, und an diesem Ringe werden 8 bis 10 Mann mit einer langen Kette verbunden. Die so Gefesselten verrichten dann im Freien unter Bewachung eines Askaris allerhand Arbeiten: Straßenreinigung, Transportieren von Wagen oder Lasten, wohl auch hin und wieder kleine Maurerarbeiten re. Diese Art der Strafe ist jedenfalls humaner, als wenn man die Leute in finstere Kerker steckt. Gleichzeitig werden sie tüchtig zur Arbeit ange halten und bringen wohl auch ein gut Teil ihrer Unter haltungskosten dadurch auf. Den 1. September 1908. Am Sonntag vormittag habe ich die zweite Berg tour gemacht und diesmal mein Ziel, einen etwa 1700 m hohen Gipfel, erreicht. Ich machte mich früh um A8 Uhr auf den Weg, hatte etwa eine halbe Stunde in der Ebene zu gehen, und geriet dann in ein unentwirr bares Labyrinth von Schilf (2 bis 3 m hoch) und Schling pflanzen, durch das unmöglich hindurchzukommen war. Ich ging daher wieder etwas rückwärts auf eine kleine Anhöhe, um erst mal Umschau zu halten, und entdeckte etwa 1000 m nach der Seite einen sanft ansteigenden Höhenzug, der anscheinend zu dem Gipfel, den ich mir ausersehen hatte, hinaufführte. Ich ging also im Bogen um das Dickicht, das mich aufgehalten hatte, herum, er reichte nach einer Viertelstunde den Höhenzug und stieg,