Volltext Seite (XML)
2. Beilage zu Nr. 6 des AfillkfifilA Sonnabend, 9. Januar 1909. - - " —— n—1 Heimkehr. Novelle von Margarete Gräfin Bünau. 7 (Fortsetzung zu Nr. S.) Die Kinder saßen noch aufrecht in ihren Kissen und schwatzten zusammen. „Du, was hat unserer Mama eigentlich gefehlt?" fragte Margot — sie bog den blonden Kopf möglichst weit vor, um über den Schirm weg den Bruder sehen zu können. Harry lachte verschmitzt. „Ich sag' dir's nicht, du kannst ja doch den Mund nicht halten." „Wohl kann ich das! Hab' ich etwa erzählt, daß du neulich in den Sumpf gefallen bist?" „Na — ich hält' dich auch ordentlich verhauen, wenn du gepetzt hättest!" »Ich erzähl' es aber doch noch, wenn du mir nicht sagst, was du weißt." „Na meinetwegen. Der Hermann im Stall hat's mir erzählt, der ist doch am längsten hier." „Ja — und . . ."- „Und der war dabei, wie man die Mama damals wegschaffte. Zwei Krankenschwestern mit großen Hauben und ein Arzt haben, sie abgeholt." „Warum denn so viele?" „Ja, sie war doch verrückt!" Harry senkte die Stimme. „Verrückte haben furchtbare Kräfte, weißt du — die beißen und schlagen um sich. Darum sperrt man sie ein." „Und die Mama war eingesperrt?" Die Stimme des kleinen Mädchens zitierte vor Angst — „mit lauter solchen Verrückten zusammen?" „Ja — die machen oft gräßliche Fratzen —" Harry schnitt eine Grimasse — „und manche liegen auf der Erde und beten immerzu — oder schreien fortwährend .." „Hör auf, Harry, ich hab' Angst — Tante — Tante Elena!" „Willst du wohl still sein, Margot! Wenn du Tante Elena rufst, dann paß bloß auf, wie ich dich morgen verhaue!" Diesesfreundliche Versprechen verfehlteseine Wirkung nicht. Margot hörte auf zu schreien — sie flüsterten noch weiter über „die Tollen"! Das Thema schien auf beide Kinder einen unheimlichen Reiz auszuüben. Mary schwankte. Sollte sie hineingehen — Margot beruhigen — Harry aufklären? Aber sie ließ es lieber... wenn sie jetzt plötzlich zu den aufgeregten Kindern hereintrat, konnten die sich entsetzlich erschrecken . . . Sie ging langsam den nur inatt erhellten Korridor herunter. Am letzten Ende traf sie mit ihrem Mann zusammen. „Warst du bei den Kindern?" fragte er schnell, sichtlich erfreut, eine so passende Anrede zu wissen. Mary zögerte einige Sekunden, was sie antworten sollte. Aber die eben erhaltene Wunde brannte zu heiß — sie mußte sich aussprechen! „Bubi wollte in meiner Gegenwart nicht beten," sagte sie hastig, „das kann mich nicht wundern, er kennt mich ja kaum, aber —" „Harry und Margot auch nicht? Ich werde gleich hineingehen und die kleine Gesellschaft zur Vernunft bringen." „Glaubst du, daß es mir Freude macht, wenn sie auf Kommando mit mir beten?" „Na ja, vielleicht ist's klüger, man erzwingt das nicht", stimmte er bei. Buchwald ging neben ihr her ihrem Zimmer zu. „Warum habt ihr es den Kindern nicht verborgen, wo ich gewesen bin?" brach sie plötzlich los; sie drückte die gerungenen Hände an die Stirn. „Warum mußten meine Kinder erfahren — wo ich gewesenem — warum?" Buchwald wurde blaß. „Was hat der ungezogene Bengel ,der Harry, gesagt?" fuhr er auf. „Gleich auf der Stelle soll er dir abbitten — oder —" Er machte eine leicht verständliche Handbewegung. „Und der Mensch, der ihm das in den Kopf gesetzt hat, der fliegt zum Hause hinaus." „Auf keinen Fall sage ich dir seinen Namen", ent gegnete sie leidenschaftlich. „Glaubst du, ich möchte Unruhe und Streit am ersten Abend schon in dies Haus bringen? Wie kann ich einem ungebildeten Dienstboten, einem ahnungslosen Kind ihre Worte übelnehmen? Es ist ja Wahrheit, was sie sagen, wenig stens von ihrem Standpunkt aus. Sie wissen das nicht besser. Daß dieses sogenannte „Irrenhaus" ein Asyl— eine Zufluchtsstätte gebrochener, aber nicht irrer Geister war — wie soll ich ihnen das deutlich machen? Aber ihr — du und Elena — ihr durftet das nicht leiden! Ihr habt mich meinen Kindern entfremdet, habt sie Angst und Grauen vor der eigenen Mutter lernen lassen — o, das war nicht recht." Ihre Stimme versagte. „Mary, ich beschwöre dich, sei ruhig", bat Buchwald. Sie sah, daß große Schweißtropfen auf seine Stirn traten. In seinen Augen lag die qualvolle Angst vor einer hysterischen Szene so deutlich, daß sie sich gewalt sam bezwang. Er nahm ihre Hand, aber sie machte sich rasch los. „Laß mich! Dies Bitten um Ruhe kränkt mich. Ich will diese Schonung nicht — ich bin ja gesund' Du kannst mit mir verkehren wie mit jedem andern Menschen." „Ja, gewiß, selbstverständlich bist du gesund, sonst hätte man dich nicht zurückreisen lassen." Trotz seiner eifrigen Versicherung lag ein leiser Zweifel in seinen Worten, den Marys feines Gefühl heraushörte. Das verstimmte und peinigte sie. Völlig verstummt saß sie ihm daher in ihrer Stube gegenüber. Wovon hätten sie auch zusammen reden sollen? Von ihrer Krankheit — ihrer Heilung? Das blieb ein ge fährliches Thema, denn von Sachsenhausen hörte er ficher>nicht gern reden. Ihn, den robust gesunden Mann, stieß alles Kranke, Nervöse ab, das wußte sie wohl; Menschen mit feinen, zarten Sinnen — empfindlichen Nerven — galten ihm für Narren oder Schwächlinge. Sogar von ihren Kindern anzufangen scheute sie sich. Auch die waren augenblicklich zu einem „wunden Punkt" geworden. Ja wirklich, alle Themen, die ihnen zu Gebote standen, wuchsen sich zu „toten oder wunden Punkten" aus. Entsetzlich! Das Schweigen wurde immer drückender. Buch wald wagte weder zu rauchen, noch mit den Händen in den Taschen im Zimmer auf und ab zu spazieren. Seine Lieblingsgewohnheit! Das hätte Mary nervös machen können! Seine Haltung blieb daher trotz seiner bequemen Jagdjoppe, die er trug, steif und ungemüt lich — sein Gesichtsausdruck gequält. „Du hast neue Reitpferde?" fing Mary endlich an. Mit einer ähnlichen Frage wandte sie sich an ihr Kind, weil ihr nichts Passenderes einfiel. Welch trost loser Standpunkt! „Ja, für mich eins, das war sehr notwendig", ant wortete er hastig, „und kürzlich kaufte ich für Elena einen Rappen, der wird aber auch gefahren. Es ist also wirklich keine Verschwendung, denn sieh mal, Mary, Elena tut doch sehr viel für mich — für uns, wollte ich sagen ... sie ist ans Reiten gewöhnt von zu Hause her . . . und darum . . . deshalb . . ." „Warum entschuldigst du dich denn? Wenn du gerne mit ihr reitest, ist es ja gut. Ich kann es doch nicht mehr lernen." „Gern — gern . .." Er sah sie unsicher an. „Natür lich bin ich immer bereit, Elena einen Gefallen zu tun — den ganzen Tag rackert sie sich in der Wirtschaft und mit den Kindern ab. Du wirst selbst sehen, wie famos jetzt alles im Zuge ist." „Davon bin ich bereits überzeugt." Der Diener, der das Abendbrot meldete, erlöste beide förmlich. Bei Tisch bot das Essen Stoff zu einigen gleichgültigen Bemerkungen. Nachher wollte Elena sich zurückziehen. „Aber weshalb denn?" Buchwald bat sie dringend zu bleiben. Es kam Mary so vor, als klammere er sich ängstlich an ihren Rock fest, wie Bubi das tat. Alles aus Furcht, nicht mit ihr — seiner Frau — allein bleiben zu müssen! Elena gab nach. Sie holte ihre Handarbeit und saß steif aufgerichtet Mary gegenüber. Die langen Holznadeln gingen rasch in der bunten Woll strickerei auf und nieder. Buchwald warf ab und zu einen Blick in die Zeitung, manchmal gähnte er diskret durch die Nase. Mary sah nach der Decke, an die eine müde Herbst fliege surrend mit dem Kopf stieß. Unwillkürlich fielen ihr die Abende in Sachsen hausen ein . . . angeregte Unterhaltungen — Lektüre — Musik füllten dort die Stunden aus. Sie dachte daran, wie aller Augen aufstrahlten, wenn sie eintrat, wie viele Hände sich ihr entgegenstreckten, wie oft der Professor mit seinen Erklärungen sich besonders ihr zu wandte . . . und hier . . . „Sitzt ihr immer so schweigsam zusammen?" fragte sie endlich mit einem Versuch zu scherzen. „Wir legen oft Patience — oder spielen Schach", entgegnete Elena, indem sie die Maschen an ihrer Strickerei zählte. Dann tut das doch heute abend auch. Ich gehe jedenfalls früh zu Bett." „Du bist gewiß müde von der Reise, Mary?" „Ja — nehmt doch die Karten oder das Spiel vor." Buchwald zögerte. „Wir können uns ja ebensogut unterhalten." „Wovon denn?" Elena hob den Kopf. Der scharfe Ton von Marys Gegenfrage fiel ihr auf. Schweigend holte sie das Schachbrett und ordnete die Figuren. Mary sah eine Weile dem Spiel zu. Tas lange Zögern und Überlegen von Buchwald, ehe er einen Zug tat, reizte ihre Ungeduld. Sie sah von dem Brett fort. Elenas Profil war ihr jetzt zugedreht. Sie fah nicht mehr jung — aber auch noch nicht altjüngferlich aus. Die klaren grauen Augen, das volle silänzend- dunkle Haar waren sogar sehr hübsch. Häßlich allein waren die Hände — sehr groß nnd knöchern — die Finger verarbeitet . . . Hände, die aussahen, als ob sie eisern festhielten, was sie einmal ergriffen hatten. Der Anblick der etwas hervorstehenden roten Knöchel berührte Mary unangenehm. Schon vorhin, als sie dem Stricken zusah, empfand sie die rastlose Bewegung als unschön — jetzt, wenn die knochigen Finger die kleinen Elfenbeinfiguren des Schachspiels so derb anpackten, peinigte sie das geradezu. Der befehlende Ton, mit dem Elena vorhin zu ihren Kindern sprach, kam ihr auf einmal zum Bewußtsein und empörte sie. Auch diese derben Hände griffen gewiß rücksichtslos zu beim Erziehen — und Strafen . .. Ein Gefühl des Hasses wallte in ihr auf, obgleich sie sich immer wieder damit zu beruhigen versuchte, daß die Kinder Elena augenscheinlich sehr liebten — frisch und lustig waren. „Weil sie meine Pflichten in vieler Hinsicht besser als ich erfüllte — meine Kinder an ihr hängen, mein Mann sie schätzt — darum kann ich sie nicht leiden, so ungerecht und häßlich das auch ist", dachte Mary weiter. (Fortsetzung folgt.) Mannigfaltiges. Dresden, 9. Januar. * Se. Majestät der König und Se. Königl. Hoheit der Prinz Johann Georg haben Ihren Besuch bei dem am 2. Februar im städtischen Ausstellungspalaste stattfindenden Presseball „Erzgebirgisches Sport fest" in Aussicht gestellt. Die Einzeichnungen in die Subskriptionslisten für das Fest beginnen am 15. Januar. Subskriptionslisten liegen von diesem Tage an aus bei der Dresdner Bank, König Johannstraße, bei der Deut'chen Bank, Waisenhausstraße, bei der Allgemeinen Deutschen Creditanstalt, Altmarkt, bei dem Bankhause Gebr.Arnbold, Waisenhausstraße, in der Hosmusikalienhandlung von Ries, Kaufhaus, in der Hofmusikalienhandlung von Brauer, Hauptstraße, im Jnvalidendank, Seestrabe, und in Titt manns Buchhandlung, Prager Straße. Dort können auch die auf den Namen lautenden Eintrittskarten ent nommen werden. Der Eintrittspreis beträgt für Damen 10 M. und für Herren 15 M. * Ihre Königl. Hoheiten der Prinz und die Frau Prinzessin Johann Georg besuchten zum wieder holten Male die Galerie Ernst Arnold und besichtigten die Ausstellung der Plastiken von Frau v. Bary-Doussm, sowie die Ausstellung „Wilhelm Busch". * Die Freie Bereinigung Dresdner Staats beamten hielt gestern abend im großen Saale des Bereinshauses einen Bortragsabend verbunden mit Weihnachts- und Neujahrs-Nachfeier ab. Die Mit glieder hatten sich mit ihren Damen hierzu zahlreich ein gesunden, so daß der große Saal bis auf den letzten Platz besetzt war. Im ersten Teil des Programms schilderte Hr. vr. MühIstädt-Leipzig die Schönheit der Alpen, wobei er zahlreiche prachtvolle Lichtbilder, die nach seinen eigenenAusnahmen hergestelltworden waren, vor führte. Der Vortrag fand lebhaften und verdienten Bei fall. Im zweiten Teile spielte Hr. Kantor und Organist Johannes Kötzschke mehrere Tonstücke für Orgel, ferner sang die Opernsängerin Helene Seyfert eine Anzahl Volkslieder, wobei sie ihre klangreiche und ausgezeichnet geschulte Stimme zu bester Geltung brachte. Einen großen Genuß bereitete der Opernsänger Hr. Guido Häbler der Festversammlung, indem er ebenfalls mehrere Lieder, sowie den Prolog aus ,,Bajazzo" zu Gehör brachte. Im weiteren Verlause des Abends vereinigte er sich noch mit Frl. Seyfert zu mehreren Duetten. Tie Klavierbegleitung führte Hr. Johannes Kötzschke in trefflicher Weise aus. Die Künstler wurden durch lebhaften Beifall ausgezeichnet. — Zu zwei Bränden wurde die Feuerwehr gestern nach den Grundstücken Silbermann st raße 60 und Nostitz-Wallwitzplatz 16 alarmiert. An der ersten Stelle war ein Fußboden- und Balkenbrand entstanden, der sich unter eine Kochmaschine verbreitet hatte, die zum Freilegen des Brandherdes abgetragen werden mußte. Nach reichlich einstündiger Arbeit war die Gefahr be seitigt. — Im zweiten Falle war durch Zunahebringen eines Lichtes ein Christbaum in Brand geraten. Dem raschen Eingreifen der Bewohner gelang es, das Feuer in kurzer Zeit zu löschen. Die finanziellen Ergebnisse der Königl. Sächsischen Staatseisenbahncn im Jahre 1SO7. Der soeben erschienenen Rentabilitätsberechnung für die einzelnen Linien des Königl. Sächsischen Staatseisenbahnnetzes auf das Jahr 1907 entnehmen wir folgendes: DaS Staatseisenbahnnetz hat sich im Laufe des Jahres 1907 erweitert durch den Hinzutritt 1. der am 20. März eröffneten eingleisigen vollspurigen und von der Hauptbahn Kamenz—Pirna in einer Entfernung von 1,78 km vom Bahnhofe Pirna auf freier Strecke abzweigenden Güterbahn Pirna—Herrenleite, von der vorläufig nur die Teilstrecke Pirna— Mockethal dem öffentlichen, auf Wagenladungen beschränkten, die Reststrecke Mockethal—Herrenleite aber bis auf weiteres nur dem nicht öffentlichen (Zweiggleis-) Verkehr dient; 2. der am 15. Oktober eröffneten eingleisigen vollspurigcn und von der Hauptbahn Zwickau—Falkenstein—Olsnitz i. V. in einer Entfernung von 5,42 km vom Bahnhof Zwickau auf freier Strecke abzweigenden Güterbahn Zwickau—Niederplanitz. Außerdem ist am 21. Dezember die früher nur für den Bergwerks-(Kohlen-) Verkehr betriebene und bei der Hauptlinie Dresden — Werdau mit nachgewiesene vollspurige Nebenbahn Gittersee—Hänichen—Goldene Höhe als Teilstrecke der künftigen Linie Gittersee—Possendorf für den Personen-, Gepäck- und all gemeinen Güterverkehr eröffnet worden. Die Betriebseinnahmen sind gegen diejenigen des Vorjahres um 6 985154 M. gestiegen. An der Mehreinnahme sind beteiligt der Personenverkehr mit 752 797 M. der Güterverkehr mit 5 676 549 - die Erträge aus anderen Quellen mit . 555 808 - bdiii ff» » I l'I I ffff I »I ff ff ff kme-tlmei Umen-Mel «27 mMmn