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2. Beilage zu Nr. 1 des DrtSk vor und zu Das ist gewiß Ihr Herr . Wollen Sie sich nicht Gemahl, aus dem den Kopf. lehnte sich noch weiter Zrau machen schnell Toilette - trinken BWMle ich die Kleinen herem , versprach als ich dachte ..." Schwester Else ließ das Fenster des Abteils herunter. „Da auf dem Bahnsteig steht ein Herr mit einem Heimkehr. Novelle von Margarete Gräfin Bünau. (Fortsetzung zu Nr. 302.) Diener dahinter, gnädige Frau . . Fenster beugen?" Mary schüttelte Die Schwester machte Zeichen. Der Herr trat zu dein Abteil heran, dessen Tür der Schaffner aufriß: „Wiesental — drei Minuten!" Herr von Buchwald drückte der Schwester die Händ. Mit einem unruhig fragenden Blick säh er sie an. Sie lächelte ihm beruhigend zu. Er reichte nun auch schnell Mary seine Hand hin, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Seine Haltung hatte etwas Unschlüssiges, vorsichtig Zögerndes, was zu der großen, breitschultrigen Gestalt gar nicht passen wollte, ebensowenig wie der ängstliche Ausdruck zu seinem hübsch geschnittenen, sonnenbraunen Gesicht. Er fürchtete offenbar eine erregende Wiedersehens szene vor dem Publikum. Als Mary vollkommen ruhig neben ihm her dem Wagen zuschritt, atmete er sichtlich erleichtert auf. Er küßte schnell ihre Hand, die auf seinem Arm lag. „Ist dir die Reise gut bekommen?" Ihm fiel in dem Augenblick nichts anderes ein als diese billige Allerweltsanrede. „Danke — ja." Er hob sie in den Wagen. Die Schwester setzte sich neben Mary, Herr von Buchwald ihr gegenüber. Der Diener sollte mit dem Gepäck nachfolgen. Mary hatte sich so weit wie möglich zurückgelehnt, nur ab und zu sah Buchwald ihr von dem flackernden Kerzenlicht der Bahnhofslaterne bestrahltes Spiegel bild in den Glasscheiben des Wagens — fast wie eine Vision. Er nahm den Hut ab. Wie heiß es in dem engen Kasten war! . . . Ihm wurde immer schwüler, unheimlicher in Gegenwart der schweigsamen, regungs losen Gestalt, in der augenblicklich nichts leben mochte als verborgene, mysteriöse Gedanken, über die er keine Macht — von denen er kein Wissen hatte. Ein nieder ziehendes Gefühl der Mutlosigkeit überkam ihn. Wie im Nebel mußte er mit seinen Fragen umhertappen . . . hiermit hätte er anstoßen — damit sie verletzen können. Der Professor Hammer schrieb ihm eindring liche Warnungen. Lieber Himmel, was gab es da alles zu bedenken — wie folgenschwer konnte jedes Wort sein —-besonders in der ersten Zeit. Fürchterlich! Warum sagte Mary auch gar nichts? Wahrscheinlich verletzte sie seine kühle Zurückhaltung — aber ein Ge spräch in der ersten Stunde in Gegenwart der beobachten den Schwester, das war ja wie tanzen auf einem dünnen Seil. Das brachte er nicht fertig. Die Schwester unterbrach endlich das bedrückende Schweigen dieser Fahrt mit Fragen nach der^Gesundheit der Kinder. „Geht ihnen ausgezeichnet — sind drei große wilde Rangen geworden", halb wandte sich Buchwald zu Mary mit der Antwort. „Der Jüngste ist der Strammste von allen. Ein famoser Schlingel! Den hat Elena prachtvoll herausgefuttert. Geflügel, junge Kälber und zarte Kinder aufpäppeln, das ist ihre Kunst." Er lachte: „Du wirst dich wundern, Mary, was jetzt alles für Jungvieh in den Ställen, Geflügel auf dem Hof herum läuft — und wie die drei Heimchen aussehen . . . nicht zum Wiedererkennen." Mary antwortete nicht, er sah nur ihr feines Profil- Die blonden Haare stachen so hübsch von der schwarzen Pelzboa ab. Hatte er schon im ersten Augenblick etwas Dummes vorgebracht? Konnte er sie gekränkt haben? Die nächsten Worte der Schwester schienen seine Be fürchtung zu bestätigen. „Aus zartgeborenen Kindern werden oft die kräf tigsten," das klang beinah wie ein Verweis, „man braucht nur der Natur ihren Lauf zu lassen." „Gewiß — gewiß." Er räusperte sich. In seiner Verlegenheit fing er an von allem möglichen zu erzählen: von einem neu gekauften Reitpferd — Elena ritt gern — von der guten Ernte — alle Ernten wären in den letzten Jahren gut gewesen — von der eingericheten Molkerei, die vorzügliche Erträge abwerfe . . . „Sonst hätte ich ja unmöglich die Kosten . . ." Er wurde blutrot und stockte. „Die Kosten für den teuren Aufenthalt in Sachsen hausen aufbringen können", wollte er sagen, hielt aber im letzten Augenblick zum Glück noch diese unzarte Äußerung zurück. Krampfhaft schnell Iprang er auf ein andres Thema über. Dies atemlose Sprechen wirkte noch peinlicher als das erste bedrückte Schweigen und zu allen seinen Reden, die ihm selbst fremd und unangenehm in den Ohren klangen wie falsche Töne, sagte die stumme Gestalt ihm gegenüber nicht eine Silbe, sondern sah ihm abgewandt auf die von den Wagenlaternen flüchtig erhellte Chaussee hinaus, auf der die verkrüppelten Weidenstümpfe an den Graben rändern gespenstige Arme ausreckten. „Harry, Morgot und —" Mary stockte. „Es sind doch drei Kinder, gnädige Frau?" „Jawohl drei, aber wir sagten immer „Baby „Das ist hart . . . jedes Band soll also zerschnitten fein? Ich darf ihm nicht einmal schreiben, wie ich mich einlebe, wie es mir geht?" „Nein, bedenken Sie, welchen Umfang die Korre spondenz da mit den Jahren für ihn annehmen würde — und seine Zeit ist knapp genug bemessen." „Er könnte immerhin eine Ausnahme machen. Mir wäre ein Rat — ein Wort von ihm so viel . . ." „Das soll gerade vermieden werden, gnädige Frau. Sie durften in diesen drei Jahren nichts von der Heimat hören — jetzt in der Heimat müssen Sie Sachsenhausen und alles, was damit zusammenhängt, vergessen, wenn Sie wieder ganz mit den Ihren leben wollen. Die Familie hört meistens nicht gern davon sprechen . . ." „Ich würde gewiß nicht viel davon reden — aber ist es nicht natürlich, daß ich noch gern von dem Schicksal der Leidensgenossen dieser Jahre hören möchte? Wie interessiert es mich, ob Hollen trotz alledem wieder komponieren, Olbrich feinen Roman schreiben — Miß Murphy zu ihren Eltern nach England zurückkehren wird!" „Nehmen Sie das Peste an und denken Sie nicht weiter darüber nach." „Ach, Schwester, Sie haben gut sagen: „denken Sie nicht mehr daran." Kann ich auf einmal die drei Jahre auswischen? Das ist ja wie ein zweites Sterben! In Sachsenhausen war ich für meine Familie tot — und jetzt bin ich in Sachsenhausen ausgelöscht, als wäre ich niemals dort gewesen; hätte nie in dem wundervollen, herbstmüden Park mit meinen Büchern gesessen — nie dem Professor seine Arbeiten abgeschrieben in meiner stillen, sonnigen Stube — mich nie von seinem starken Willen stützen — führen lassen — nie ihm vorge sungen ..." Sie brach ab. Der Wagen bog mit lautem Gerassel in die kleine schlechtgepflasterte Stadt ein. Der Bahnhof mußte bald erreicht sein. Die Schwester suchte die Tücher und Taschen zusammen. Mary umklammerte plötzlich ihre Hand: „Sie lassen mich nicht allein, nicht wahr? Sie bleiben noch beiMr in Wiesental?" bat sie angstvoll: „Sie sind das letzte Bindeglied mit Sachsenhausen — und ich fürchte mich — o, ich fürchte mich . . ." Sie warf sich in die Ecke des Wagens zurück. „Aber liebe gnädige Frau, was würde der Herr Professor sagen? Noch kaum ist Sachsenhausen Ihren Blicken entschwunden, da ist auch schon die Selbst beherrschung fort?" Schwester Else zog den Lederriemen so energisch straff um die PlaidroNe, als könne sie damit auch den Willen der Pflegebefohlenen befestigen. Mary lachte, trotzdem Tränen an ihren Wimpern hingen. Ihr Lachen klang wie das Gurren einer Wald taube — süß, zärtlich — ein klein wenig spöttisch. „Schwester, ich soll ja den Professor Hammer ver gessen — und nun bedienen Sie sich gleich wieder seines Namens, damit ich hübsch artig und ruhig bin?" Schwester Else lächelte auch: „Nun )a, man ist das so gewöhnt. Ich werde jetzt aber lieber die Namen Ihrer Kinder anrufen, wie heißen die doch?" Ich v-d»°t- daß I>- od-n bt-ib-n, bis du dich ausattuhl halt-st. Di- Kmdn ,md °»r w»d ^ch scheu, da sie nur selten Fremde ^hem Ja richtig, ich bin für sie eine Fremde. Herl^xn Buchwald sah die Schwester hilseslehend an. „Gnämg^^ i^npll Toilette — trinken Tee, und dan Erst als sie von der Chaussee ab m den Hof em bogen, wandte sie sich zu ihm: „Werden die Kinder "" Der schmerzlich fragende Blick ihrer Augen tat Sonnabend, 2. Januar 1000 Marys Gesichtszüge nicht mehr Körung konnte siel Die junge Frau saß stumm da. Zug bereits langsamer fahrend in die BaH^^ „ einglitt, wandte sie sich wieder der Schwester Professor hatte recht — das Heinikehren ist doch schn> dem Kleinsten." „Es ist ein Mädchen, gnädige Frau?" „Nein, ein kleiner Junge . . . Schwester! Ist das nicht wunderbar — ich weiß den Namen auf einmal nicht — der Name von meinem eigenen Kinde ist mir entfallen." Mary drückte die Hand gegen die Stirn. „Nun, das kann schon vorkommen, gnädige Frau. Sie waren ja damals sehr krank. Die Taufe wird gar nicht in Ihrer Gegenwart gewesen sein, und Briefe durften Sie nicht bekommen." „Nein — aber ich habe auch gar nicht gefragt, wie mein Kind heißt." Sie zupfte mit einer nervösen Bewegung an ihrer Pelzboa. „Ich bin gesund geworden, aber trotzdem ist doch etwas Entsetzliches zurückgeblieben ... ich muß eben wirklich für die Meinigen tot gewesen sein, denn nie mand hat mir je den Namen meines jüngsten Kindes genannt, und ich — ich habe all die Jahre über nie danach gefragt . . ." Ein tränenloses Schluchzen hob ihre Brust. „Kleine Kinder werden doch oft lange Zeit nur „Baby" genannt," begütigte die Schwester. „Wollen Sie mir einen Gefallen tun?" „Gewiß, gnädige Frau." „Fragen Sie gleich zuerst, wie das Baby heißt — gleich, hören Sie! Und sagen Sie mir dann den Namen leise ins Ohr. Es wäre zu schrecklich, wenn ich mein Kind rufen wollte und wüßte nicht wie . . . Baby darf das nie erfahren, daß seine eigene Mutter nicht einma seinen Namen gewußt hat." „Ja, ja, das wollen wir schon machen." Mary sprach nur noch wenig während der Eisen bahnfahrt. Die Schwester störte sie nicht in ihren Gedanken. Sie wußte, welche seelischen Erschütterungen solche Heimkehr stets mit sich bringt. sie munter. . „Ja, 1° ist's am stimmt- Buchwald b-u Bor den, balglcu ßch -mig- Kinder herum. » c - Mar., beugte ,ich vor. Kmder?" fragte sie atemlos. „itüt iür Buchwald schüttest- den Rops. auch im gewöhnlich findet man unsere drei Stall." „Margot auch?" „Die klebt schon wie eine Katze auf Ihr schönstes Vergnügen ist es, ihn selber zu und zu füttern. Elena bat mich so lange, bis Kindern den Pony kaufte . . . Der Jubel'" Der Wagen hielt vor der Haustür. Im Eingang kam ihnen eme große, schlanke Dame in einem dunklen Kleid mit kleiner weißer Schürze darüber entgegen Buchwald stellte vor: „Liebe Mary — Base Elena — Schwester Else — Fräulein Gellert." Mary gab der ihr ganz fremden Verwandten die Hand. Zu einer Umarmung konnte sie sich nicht ent schließen, und Elena schien das auch nicht zu erwarten Sie drückte Marys schlanke Finger flüchtig. „Hier rechts sind die Zimmer der gnädigen Frau Schwester."j Sie ging voran, um den Weg zu zeigen. (Fortsetzung folgt.) Bücher- und Zeitschriftenschau. Isolde Kurz hat soeben ein erzählendes Gedicht „Die Kinder der Lilith" (Stuttgart bei Cotta, kart. 3M.) erscheinen lassen, das ihre ganzen Vorzüge und Schwachen entfaltet. Ein erzählendes Epos aus den Anfängen der Menschheit. Gottvater hat den Menschen geschaffen, damit er nach oben strebe. Ihn in geistige Höhen zu ziehen und seine Schaffenskraft rege zu halten, dazu ist Adam Lilith bestimmt. Dem wirkt Sammael entgegen — der spätere Luzifer. Er schafft Eva, die nun zu Adam strebt wie der Teil zum Ganzen. Ihr unterliegt der Mensch; Herrenbewußtsein und Sinnlichkeit erwachen in ihm und werden genährt, alle edlen, hohen Bestrebungen dagegen vernichtet. Durch Eva kommt das Unglück, die Vertreibung aus Eden und Kains Bruder mord. Immer mehr verstrickt sich der Mensch, ohne sich aus seiner Drangsal retten zu können. Doch noch lebt Liliths Sohn, den einst Gott zum Segen seiner Bastard brüder in eine irdische Wiege legen wird. Er bringt LUiths Schleier mit, der „jedes Ding in lichte Fernen hebt". Er wird im Kampfe mit den Menschen die Voll kommenheit auf Erden schaffen. Jüdische, nicht christliche Traditionen der Kabbala hat Isolde Kurz verarbeitet. Sie hat die Gestalt Liliths höher gefaßt als jene Quellen. Dort war sie die Stammutter der Riesen und ein Gespenst, hier ist sie zur Himmelsbotin umgestaltet worden. Lilith und Eva sind zwei Gegensätze: Himmel und Hölle, Gut und Böse. Dem ersten Menschen war nur das Gute (zwischen denen der Mensch zu wählen hatte) bestimmt, erst Hurch Sammaels Eingreifen wählte er das Böse, das Irdische. Doch die Zukunft wird den Menschen zu seiner ursprüng lichen Bestimmung zurückführen. Farbenprächtig ist die Darstellung, und formell wie gedanklich ist die Dichtung gleich vollendet. Formelle Vollendung weisen auch viele der Gedichte des Frhrn. Börries v. Münchhausen auf, dessen „Balladen und ritterlichen Lieder" schon in 3. Auf lage erscheinen. (Berlin, Egon Fleischel u. Co. 4 M.) Es ist eine Sammelausgabe, die das Schaffen des Dichters von 1892 bis 1908 überschauen läßt. Münch hausen ist der Typus des bewußt schaffenden Künstlers. .Seine Eigenart ist seine Kultur. Äcziehung und Ein fühlung sind bei ihm, dem Aristokraten, auf das schärfste ausgebildet. Durch seine Abstammung ist auch der Stoff kreis gegeben: Rittertum, Adel, Tapferkeit, daneben noch Liebe. Die Ausprägung ist unpersönlich, die Situation steht vor der eigenen Stimmung, so herrscht bei ihm im wesentlichen die Ballade vor. Meisterstücke sind unter den Balladen die „Pest in Elliant", die „Glocke von Hadamar", die Bayardlieder und die Zigeunergesänge. Das Knorrige, Herbe, Harte liegt Münchhausen, so sind ihm die Eddagesänge vor allem geglückt; formell zeigt sich seine Kunst namentlich durch den angewen deten Stabreim von der glänzendsten Seite. Daß der Dichter auch des Humors nicht entbehrt, beweist „die Wunderwirkung der Latinität". Weit weniger liegen ihm Naturstimmungen und Liebeslieder; es ist keine selb ständige Regung in diesen Gedichten zumeist, und man wundert sich, daß Münchhausen, der sonst so hohe An sprüche an sich stellt, hier nicht strenger gegen sich gewesen ist. Auf jeden Fall bleibt Münchhausen einer von den Dichtern, die Form und Inhalt der Ballade erweitert und ihr neue Freunde erworben haben. „Balladen" heißt auch das Gedichtbuch von Wilhelm Brandes (Stuttgart bei Cotta, 3. vermehrte Auflage geb. 3,50 M.) Wilhelm Raabe, von dem der Dichter manche Anregungen empfangen bat, ist der Band gewidmet, und Raabesche Töne enthält er auch. Em stilles Sichbescheiden, eine große Liebe zum heimatlichen Boden zeigt sich in den Liedern au- „Welfenblut". Einige