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Mathilde Wesendonck: Fünf Gedichte Unsre Heimat ist nicht hier! Und wie froh die Sonne scheidet Von des Tages leerem Schein, Hüllet der, der wahrhaft leidet, sich in Schweigens Dunkel ein. Stille wird's, ein säuselnd Weben Füllet bang den dunklen Raum: Schwere Tropfen seh ich schweben An der Blätter grünem Saum. Schmerzen Sonne, weinest jeden Abend Dir die schönen Augen rot, Wenn im Meeresspiegel badend Dich erreicht der frühe Tod; Doch erstehst in alter Pracht, Glorie der düstren Welt, Du am Morgen neu erwacht, Wie ein stolzer Siegesheld! Ach, wie sollte ich da klagen, Wie, mein Herz, so schwer dich sehn, Muß die Sonne selbst verzagen, Muß die Sonne untergehn? Und gebieret Tod nur Leben, Geben Schmerzen Wonne nur: Oh wie dank ich, daß gegeben Solche Schmerzen mir Natur! i räume (Studie zu Tristan und Isolde) Sag, welch wunderbare Träume Halten meinen Sinn umfangen, Daß sie nicht wie leere Schäume Sind in ödes Nichts vergangen? Träume, die in jeder Stunde Jedem Tage schöner blühn, Und mit ihrer Himmelskunde Selig durchs Gemüte ziehn! Träume, die wie hehre Strahlen In die Seele sich versenken, Dort ein ewig Bild zu malen: Allvergessen, Eingedenken! Träume, wie wenn Frühlingssonne Aus dem Schnee die Blüten küßt, Daß zu nie geahnter Wonne Sie der neue Tag begrüßt, Daß sie wachsen, daß sie blühen, Träumend spenden ihren Duft, Sanft an deiner Brust verglühen, Und dann sinken in die Gruft.