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Dresdner Journal : 23.03.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-190703234
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-19070323
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-19070323
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-03
- Tag 1907-03-23
-
Monat
1907-03
-
Jahr
1907
- Titel
- Dresdner Journal : 23.03.1907
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1. Beilage zu Nr. 69 des DkeAdNtk IllUNllllK Sonnabend, 23. März 1907. (Fortsetzung folgt.) der der -j- Au» München wird berichtet: Hier ist vorgestern abend Bildhauer Prof. Roth gestorben Mustk. Au» Budapest wird gemeldet: Der Libretuft Oper „Monna Vanna", Emil Lbranyi, veröffentlicht gegenüber der Beschuldigung Maeterlinck», einen litera- rischen Diebstahl durch die Umarbeitung de» Drama» zu einem Lperntexte verübt zu haben, eine Erklärung, in der er sich auf den Bries de» Dichter» beruft, in dem keine Erwähnung von einem Protest gegen das au» dem Drama geschöpfte Libretto enthalten »st. Abranyi erklärt, Maeterlinck seien bedeutende Tantiemen zugefichert worden — Die Erstaufführung der „Salome" in New Dork, die, wie unr gemeldet Haden, Drrektor Eonried doch noch zu ermöglichen suchte, hat gestern nun wirklich stattfinden können, und zwar im dortigen Deutschen Theater Die Vorstellung ist völlig ungestört verlaufen Wie au» Prag berichtet wird, ist der Direktor de» dortigen Konservatorium», der verdiente Musikpädagoge Karl Knittl, im 53 Lebensjahre gestorben Konzert. (Sven Scholander.) Der schwedische Volk»- sänger hat sich die Gunst unsere» Publikum» nunmehr offenbar dauernd gewonnen, davon konnte man sich gestern im Palmen gartensaale überzeugen Al» er vor Jahren hier war, wußte man sichtlich noch nicht recht, wohin man ibn rangieren sollte, und erst sein dieiwinterliche» Konzert, im Anfang de» Dezember» vorigen Jahre» abgehalten, zeigte so recht, daß man seine Veranstaltungen durchaus irrtümlicherweise vielfach unter die Zahl der eigentlichen „Künstlerkonzerte" hatte rechnen wollen Ambitionen aber nach dieser Seite hin sind dem liebens würdigen Herrn au» dem Schwedenlande durchau» fremd Auch beliebt er nicht, wie Kothe, der „Sänger zur Laute", mit einem kunsthistorischen Mäntelchen zu paradieren, sondern proklamiert sich gleich mit seinem einleitenden Mottogesang „Jeder nach seiner Art" al» eine „Spezialität" Seine Auf. aabe erblickt er darin, seine Hörer zu unterhalten, und zu dem Zwcckc zieht er al» „ Volk»sänger" auch ganz ungeniert die Mittel eine» Gesangskomiker» heran. Wie er da» aber tut, wie er Gestik und Mimik, wie er den Klang der Laute zur Belebung seine» Vortraz» und Verdeutlichung der Pointen, wo erforderlich, zur Veranschaulichung rc verwendet, da» ist so durchau» originell, daß man schon ern Griesgram sein müßte, amüsierte man sich nicht über ihn. Und so werden e» auch nur die wenigen gewesen sein, die unter falschen Voraussetzungen in da» frühere „Musenhau»" kamen, denen Sven Scholander gestern abend nicht gefallen hat Die erdrückende Mehrheit war auf seiner beite und unterhielt sich köstlich Der Sänger ersang sich diesmal wieder seine stärksten Erfolge mit einigen Gesängen eigener Komposition, darunter dem zündend «in schlagenden „mimisch-plastisch" dargestellten „Einzug de» Militär» in Karlstad", de» weiteren mit reizenden französischen Chanson» und Romanzen, darunter dem sinnigen „v»ns Iss Koses" — al« „Franzose de» Nordens", d. h. al» Schwede, spricht Hr Scholander da» Idiom brillant — Aber selbstverständlich blieb e» gar nicht bei dem eigentlichen „Programm". Die Zugaben waren aleichsam in Permanenz erklärt, und unter ihnen durste natürlich da» „Begräbnis des Branntweinbrenner» Lundholm" mit den dunklen Tlockrntönen der schwingenden Laute nicht fehlen O. b »iffenschaft. Au» Würzburg berichtet man: Auf Wunsch br Majestät de» Kaiser» und Einladung der ameri kanischen wissenschaftlich medizinischen Gesellschaft wird der Ophthalmoloae Univerfitätsprofeffor Karl Heß sich am 9. April nach Nordamerika begeben, um vier Monate lang Vorträge an den Universitäten in Chicago, Phila delphia und New N"k zu halten — Von der amerikanisch.englischen Nordpol- expedition unter Führung de» Kapitän« Mikkelsen, die am 20. Mai v. I. von Victoria (Britisch-Columbia) adfuhr, ist nunmehr die erste Nachricht in Briesen, die an Bord des Expedition»schiff« „vueboss ok öeäkorck" geschrieben wurden, eingelaufen Der Geologe der Expedition teilt darin mit, daß da» Schiff 20V Meilen von Point Barrow (Ala»ka) fest eingefroren sei, daß aber die Expedition alle» vorbereitet habe, um einen Vorstoß nach Norden zu unternehmen. Die Ebbe- und Flutverhältnisse und die Nachrichten, die man von Eingeborenen erhielt, brachten die Forscher zu der Ansicht, daß man in nicht großer Entfernung vom Kontinent eine bisher unbekannte große Insel finden werde Die Briefe find vom 14 Oktober au« dem Winterquartier bei der Insel Flux- man datiert. AuH Kapitän Mikkelsen betont in einem Briefe die Wahrscheinlichkeit des Auffinden« von Land Sollte sich diese Hoffnung bestätigen, so werde da» Land al» Basi» für eine lange Reise im Frühjahr 1908 benutzt werden In dem Falle, daß da« erwartete Land sehr groß sein sollte, werde die Expedition seine Erforschung zu ihrer Hauptaufgabe machen, wozu allerdings nötig sei, daß man noch Proviant für ein wertere» Jahr erhalte, well e» nicht angehe, unter den bevor stehenden Verhältnissen mit Proviant für ein Jahr eine Arbeit von wenigsten» zweijähriger Dauer zu unternehmen Der Zoologe der Expedition erkrankte, wird jedoch den Versuch machen, sich ihr wieder anzuschließen — Wie man aus Frerburg i. Br. berichtet, wird der Allgemeine Deutsche Sprachverein, der dort vom 20 bi» 22. Mai seine diesjährige Hauptversammlung abhält, am 22. Mai Gast der Stadt Freiburg sein. In. der Festsitzung wird Geh. Hofrat Prof, vr Kluge sprechen Literatur. Au» Leipzig meldet man: Körperlich so frisch und rüstig wie geistig, hat Rudolf v Gottschall, der greise, im 84. Lebensjahre stehende Dichter und Leipziger Schauspielkritiker, soeben ein neue» Theaterstück vollendet Es heißt „Auf dem Kynast" und ist die Dramatisierung einer eigenen Erzählung Gottschall« Der Dichter hat sein Werk d.m Leipziger Stadttheater cingereicht; sollte es aus« geführt werden, so würde es da» sechSundzwanzigste Gott- schallsche Drama sein, da» über die Bühne geht Sein fünf- undzwanzigste» Stück, ein Lustspiel „Alte Schulven", erlebte erst im vorigen Frühjahr in Leipzig die Uraufführung. — Aus Eöln a. Nh wird berichtet: Die diesjährige Königin der Cölner Blumenspiele, i-r denen der heiligen Elisab th und des Sängerkrieg» auf der Wartburg besonder» gedacht wird, ist die Herzogin Johann Albrecht zu Mecklenburg, geborene Prinzessin Elisabeth von Sachsen-Weimar, die zu ihrer Vertreterin die Frau General o Bcehn-Berlin ernannt hat Die Stadt Preßburg, die Vaterstadt der heiligen Elisabeth, wird einen Vertreter nach Cöln entsenden, und der Dompropst von Preßburg hat sein Erscheinen zugesagt. — „Kämpfer", Szenen au« dem Künstlerleben in vier Aufzügen von Richard Wintzer, gelangte soeben Lurch den Bühnenvcrlaz „Harmonie" zur Versendung an die Bühnen Bildende Kunst. Au» Kreta schreibt man: Un erschöpflich reich erscheint der uralte Kulturboden de» Mino»reich» zu sein: es ist bekannt, mit welch überraschenden Erfolgen Engländer, Italiener und Amerikaner den kretischen Boden durchforscht haben, von den großen Palästen von Knosso», Phaistos und Aja Triada an bi» zu d«n Land städtchen bei Gurnia und Palaekastro urd den berühmten Kulmsstätten des Lande«, wie der Diktäischen Grotte Ta» Museum in Jraklion, wie der neu« Name von Kandia ist, stellt sich schon nach kaum einem Jahrzehnt der Forschung al» die bedeutendste Sammlung dar zur Kennten» jener frühen Jnselkultur; denn in diese« Museum sind nicht etwa nur Pracht stücke ausgenommen worden, sondern äußerlich oft unscheinbare, aber höchst wichtige Dinge Ein großer Obelstand machte sich bi»her bei alledem geltend; cs war und ist noch sehr schwer, einen überblick über die Erzeugnisse und Schöpfungen dieser reichen, leben«frohen Kultur zu erlangen Ta« Reisen in Kreta »st nicht jedermann» Sache, zudem ist'» weit bi» dorthin * Emil Richters Kunstsalon (Prager Str). Die Aus« stellung von Georg Müller-Breslau, Marietta Eerrini, A Delaunoi» und Alfred East crf eut sich de« lebhaftesten Interesses unserer Kunstfreunde, das auch m einigen Verkäufen zum Ausdruck gekommen ist. Die Werke bleiben noch bis zu den Osterfciertagen ausgestellt Im graphischen Kabinett sind neue Arbeite» von Walter Klemm und Carl Thiemann, fa.bige Original-Holzschnitt, ausgestellt, von denen das Königl. llupserstichkaduien ich einige der besten gesichert hat * Die Ausstellung von Werken de» jungen Weimarer Künstlers C Lambrecht erregt in der Galerie Ernst Arnold berechtigte» Aussehen und ist im Laufe dieser Woche durch regen Besuch auSgezcrchnet worden Zur Neuaufstcllung gclangtrn einig« der wundeiwollen Stillebcn von Wilhelm Leibls b:ncm Freunde, dem vrrstorbenen Wiener Maler Karl Schuch Die Werke diese» Künstler» sind von Sammlern sehr gebucht und nur in den besten Galerien zu fanden Ferner wurden noch «in Antt-Nktzfch« von vr. Larl Gotthelf Häbler. (Fortsetzung.) Rietzsch«» Verhältnis zu Wagner ist vom Anfänge an ein tuf uogcsunde» gewesen Dre GenialitätSphilosophie — man gestatte mir diese« Dott! — di«, schon einmal von Emerson entgeaengebracht, und bei diesem doch noch demokratisch maßvoll, in der Herle de« 16 jährigen Gymnasiasten einen sehr empfäng lich«» Boden gefunden hatte, war in der byprrariftokrunsch»', Aun Schopenhauer« zum zweiten Male, und sitzt mit Fieber- gewalitn, üver den 24 jährigen Studenten hereingebrochen. Aber ,ä Ritschl, dem geistvollen, lieben«würdigen Manne, besten Kit zu empfinden Nietzsche damals noch hinlänglich, unser- kibcn jugendlich fühlte, war er doch auf guten, redlichen Wegen zeilieben. Dir Wagner-Begeisterung von Pforta war kaum noch vor- sink» Gr schreibt von Leipzig aus: „Drei Dinar find meine Erholungen, aber seltene Erholungen: mein Schopenhauer, bchumannsche Musik, endlich einsame Spaziergänge" Im Oktober 1868 ist der Wagner-Taumel doch wieder so stark, daß er gegen Otto Jahn tobend ausbricht. Nietzsche spricht seine Verachtung gegen diesen au», al» gegen dm Re präsentanten einer Bildung, die, je bunter und umfassender sie zu sein pflege, gewöhnlich mit mattem Blicke, schwachen Beinm und entnervten Lenden auftrete „Wagner", so fährt er fort, „hat eine Gefühlssphäre, die Jahn ganz verborgen bleibt Jahn bleibt eben ein Grenzbotenheld, ein Gesunder, dem Tannhäusersaae und Lohmgrin - Atmosphäre eine vrrschlostene Welt sind. Mir behagt an Wagner, wa« mir an Schopen hauer behagt: die ethische Luft, der Faustische Dust; Kreuz, Tod und Gruft " Dieser Brief ist ein schwer belastende« Dokument! „Mir behagt!" Nicht etwa: „Ich verehre" oder auch nur: „Ich ehre. Ich achte". Nein! Sondern: „Mir behagt!" Der ethische Duft. — Hier zum ersten Male da« Wort „ethisch" in einer Bedeutung, von der weder Aristoteles eine Ahnung hatte, al» er seine Ethik schrieb, noch Cicero, wenn er das de» griechischen Denker« mit woraUs übersetzte, was dann in die romanischen Sprachen überging, und mit dem Adjekuoe moralisch, al» gleichbedeutend mit sittlich auch in unsere Sprache ausgenommen wurde Das Wort „ethisch" bei Schopenhauer beseitigt einfach den zanzen Begriff der Pflicht, und setzt an seine Stelle die un bedingte Berechtigung jeder Entwickelung der einzelnen Per sönlichkeit. Wa» die Worte „Kreuz, Tod und Gruft" sollen, ist an sich kaum zu verstehen Der Zusammenhang läßt sie al» eine verächtliche Ablehnung de» Christentum» erscheinen, da» mit diesen Worten die Freude am Dasein verkümmere. So hat der Brief schon in diesem Teile einen Klang, den wan wüst nennen könnte. Aber ich glaube an die Liebens würdigkeit de« vierundzwanzigjährigen Nietzsche, und sehe nicht mehr darin, al«, ich möchte sagen: Tollheit, wohl auch etwa» Eitelkeit de« Studenten, der sich al« auf den neuesten Stand punkten der Kultur stehend bekunden will. Aber da» ist eigentlich noch gar nicht da« Schlimmste. Hn demselben Briefe, sogar vor den früher angeführten Worten, stehen folgende: „Es gehört etwa« Enthusiasmus dazu, um einem solchen Mtnschcn gerecht zu werden, während Jahn einen individuellen Widerwillen hat, und mit halb verklebten Ohren hört. Ich gebe ihm trotzdem vielfach Recht, besonders darin, daß er Wagner für den Repräsentanten eines modernen, alle Kunst- intnessen in sich aussaugenden und verdauenden Dilettantis mus hält." In diesen Worten lauert unverkennbar die Anlage und die Neigung zu einem Strebertum, da« seine Dienste mit skrupellosem Eifer leisten will, wenn man sie zu schätzen wisse; aber sich bitter rächen könne und wolle, wenn man die an gebotene Gönnerschaft entbehren zu können meine. Aber wa« in Leipzig Instinkt gewesen war, da« war vier Jahre später am Bodensee Bewußtsein und Wille geworden Der junge Baseler Professor stattete in Tribschen öftere Besuche ab und rn dieser Zeit schreibt er über Wagner im Tone tiefster Ehrfurcht: „In ihm herrscht ein solcher erhabener Lebensernst, daß ich mich in semrr Nähe, wie in der Nähe de« Göttlichen fühle." Ich glaube nicht an die Redlichkeit dieser Zeilen. Ich halte sie für eine diplomatische Täuschung, die den Charakter Wagner«, de« Menschen und de« Künstler«, der Öffentlichkeit gegenüber unbedingt vertreten soll. Der Ton müßte einfacher sein, um überzeugen zu können Der heitere Gesellschafter, über den Nietzsche in Leipzig ein Paar Tage lang nicht au» dem Lachen kam, war in Tribschen manchmal recht verdrießlich und sorgenvoll, weil die Patronat»scheine für Bayreuth sich do- nicht ganz mit der wünschen»werten Beschleunigung unter- brngen ließen; aber wenn e« hoffnungsvoll au«sah, war er noch so lustig, wie vier Jahre früher. So göttlich groß, um solche feierliche Stimmung de» anbetenden Priester» hervor zubringen, war er schwerlich je. E« ist jetzt die Tatsache unbezweifelbar festgestellt, daß in Nietzsche» Erstlingswerk, „Die Geburt der Tragödie au« dem Geiste der Musik" ursprünglich nur von vorchristlichen Zeiten bis zu den Alexandrinern die Rede war, und daß die „Ein- Mischung der neuesten Dinge" erst nachträglich erfolgte: Nretzsche besuchte Wagner und Cosima in Tribschen, fand sie recht sorgenvoll und beschloß, dir rettende Gönner dieser Bedrängten zu werden. Daß sich seine Auffassungen bis zu dieser Kühnheit ver stiegen, geht klar hervor au» einer Zeile deS Vorwort» an Richard Wagner, au» der Zeile: „dem ich, al» meinem er- habcnen Vorkämpfer auf dieser Bahn diese Schrift ge- widmet haben will". Die hier in Frage kommende „Bahn" ist die Ersetzung derjenigen Religion und Moral, die al» Ergebnis der bi«- Hermen Menschheitsentwickelurg sich darstelle, durch die, ich möchte sagen, „GenialitätS-Ethik" Schopenhauers, von der Nietzsche, wenn nicht schon damals, so doch unverkennbar in späten» Jahren, hoffte, daß sie, in verbesserter Auflage, al« Nietzsche-Evangelium Wrltrettgion werden solle. Richard und Cosima bestätigten, natürlich mit verbindlichsten Zeilen, den Empfang der Schrift Darau« zu schließen, daß ße die mystischen Tiefen derselben zu erfassen versucht hätten, wäre wohl voreilig. Sie lasen sie jedenfalls im allgemeinen ,^uf ter Diagonale", und Zelle um Zeil« nur diejenigen Seiten, auf denen fie den Namen Richard Wagner gewahrten Vie hatten damals so viel Dringenderes zu tun. In wunderbarem Grad« spaßhaft ist Bülows Stellung zu dieser Schrift. Er schreibt nach Empfang derselben zunächst, daß er leider vorerst einige Monate verhindert sein werde, sie »u lesen. Al» er sich dann ihr einzige» Wichtige« ar.gengnet hatte, fand er sie allerdings „urfamo«", und erwarb zahlreich« Exemplare derselben, um sie nach allen beiten zu verschenken Er hatte dem Verfasser höchst ehrerbietig gedankt, ehe er die Schrift gelesen hatte; al» er aber einige Monate später nach Basel kam, da bat er sich die Ehre au», seinen Dank durch Vortrag einiger Musikstücke au»drück«n zu dürfen biekt da« nicht ein wenig so au«, al» ob er Erörterungen über die Gedankengänge der Schrift mehr zu vermeiden gesucht, al« erstrebt hätte? Dann aber dirigierte Bülow ein München eine Tristan-Aufführung; Nietzsche eilte hin und dankte dann für den gehabten Genuß m»t überströmendem Entzücken „Sie haben mir den Zugang zu den erhabensten Kunsteindrücken meinc« Leden» erschlaffen!" So stammelt sein Dank Aber nun geriet er auf den Einfall, Bülow diesen Dank durch Zusendung und Widmung einer eigenen Komposition auszudrücken, sie betitelte sich: „Manfred. Symphonische Meditation." Er schreibt unsäglich vescheiden: „Ein so guter Mensch und eine so zweifelhafte Musil! Lachen Ere mich au«!" Solche sich nach Widerspruch sehnende Selbstherabsetzungen, sind ja denen, die einige Jahrzehnte Leben hinter sich Haven, meist nicht unbekannt oder unverständlich. Auch Bülow verstand ohne Zweifel die unausgesprochene Bitte Nietzsche«, von ihm al« genialer Komponist erklärt zu werdcn, vollkommen. Aber er antwortete durch den Ausdruck tiefster Geringschätzung in Worten kernigster Grobheit. Er nannte die „Meditation" eine „Erinnerungsschwelgerei an Wagner sche Klänge" Er erklärt: innerhalb de« Bereich« der Kunst bedeute sie nicht viel Andere», al» ein Verbrechen im Bereiche der Moral". Er höhnt erbarmungtlo« mit den Worten: „Vom apollinischen Elemente habe ich keine Spur entdecken können; und das dionysische anlangend, habe ich, offen ge standen, mehr an den lenäkmaia eine» Bacchanal«, als an diese» selbst denken müssen." Dieser Brief mag Nietzsche furchtbar tief gegangen sein Der Glaube an die eine Hälfte seiner Genialität, die musi kalische, war ihm in seinen Grundfesten erschüttert Ganz ihn aufzugtben, vermochte er nicht; aber hier war sein Glaub- nicht wie sonst prahlendes Trotzen, sondcrn nur leise schluchzen de« Hoffen Bülow hatte geschrieben: „Sollten Sie, hochverehrter Herr Professor, Ihre Abcrration in« Komponiergebiet wirklich ernst gemeint haben — woran ich noch immer zweifeln muß, so komponieren Sie doch wenigsten« nur Vokalmusik, und lassen Sie da« Wort in dem Nachen, der Sie auf dem wilden Ton meere herumtreibt, da« Steuer führen " Demütig schreibt Nietzsche drei Monate später: „Nicht wahr, ich habe mir Zeit geloffen, die Mahnungen Ihres Schreiben« zu beherzigen und Ihnen für dieselben zu danken" — „Dabei glaube ich auch jetzt noch, daß Sie um einen Grad günstiger — und einen geringen Grad natürlich! — geurteilt haben würden, wenn ich Ihnen jene Unmusik in meiner Art schlicht, doch ausdrucksvoll vorgespielt hätte " E« ist keine Zeile von Bülow aufzutreiben gewesen, in der er Sehnsucht nach weiterer Bekanntschaft mit Nietzsche, dem Komponisten, bekundet hätte. DaS Verhältnis kränkelte weiter Noch im Jahre 1887 schickte Nietzsche einen Hymnu« für gemischten Chor an Bülow Bülows Frau antwortete, daß ihr Mann vorläufig keine Zeit habe, auf den Brief zu antworten Nietzsche« Haltung gegen Bülow nach dem Briefe von 1871 beweist, daß er weder eine starke, noch eine in gutem Sinne stolze Natur war. Bülow erklärt ihn für wertlos, und er tut e« sogar mit Hohn; also: er tritt ihn mit Füßen In einem solchen Falle protestiert eine stolze Natur und wendet sich von dem Beleidiger für alle Zellen gelassen ab. Nur eine schwache und eitle Natur fährt in einem solchen Falle fort, zu hoffen, zu lauschen, zu betteln. Solche Naturen rächen sich eigentlich gern; aber Bülow war dem Beleidigten unnahbar Nietzsche hatte ihm nicht« zu geben und konnte ihm nicht» nehmen
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