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Beilage zu Nr. 198 des DlkAdNtk JSUkNüIs Mittwoch, 26. August 1908. Hans Ramins Eheglück. Ein Künstlerroman von Konrad Remling. 26 (Fortsetzung und Schluß zu Nr. 19b.) Ein zweites und ein drittes Mal hatte Ramin den Brief gelesen. Dann ließ er das Blatt sinken und faltete die Hände darüber. Wie Friede und Erlösung kam es über ihn. Das Bild Käthes stieg wieder auf in seinem Innern, verklärt und von reinem, mildem Lichte umflossen. Sie nahm Abschied von ihm, sie sagte ihm Lebewohl — und er mußte sich fügen. Aber sie gab ihm die Erinnerung wieder, die er gewaltsam aus seinem Herzen hatte ver bannen müssen. Sie zürnte ihm nicht länger und sie segnete sein Kind. „Du Reine, Edle — du Gute!" flüsterten seine Lippen. Dann stand er auf und ging zu seinem Kinde. „Heinz — mein lieber, geliebter Junge! Ich habe eine fröhliche Botschaft für dich!" Seine Stimme klang voll und kräftig, wie das Kind sie lange nicht gehört hatte. Zärtlich schmiegte es sich an den Vater und sah fragend zu ihm auf: „Du gehst aus mit mir?" „Ja. Und noch mehr. Du sollst Fräulein Käthe besuchen und — und ihr Lebewohl sagen." Bei den letzten Worten klang nun doch ein leiser Schmerz hindurch. Aber er durfte dem Kinde ja nicht sagen, daß es ein Lebewohl für immer war. „O — Väterchen . . .?" „Und sollst ihr Blumen bringen — zum . . .Ab schied . . . „Seme Stimme zitterte wieder. „Und du gehst mit?" Ramin seufzte schwer auf. „Nein. Aber ich begleite dich bis zu ihrem Hause. Du sollst ihr aber meine Grüße bringen. Fräulein Käthe hat Trauer, Heinz. Ihr Onkel ist gestorben. Sei still und artig, wenn du bei ihr bist, und frage nicht zu viel." „Der alte Herr? Dann wird sie wohl sehr traurig sein?" „Gewiß. Aber sie hat dich trotzdem sehr lieb . . . Nun geh und laß dir von Bertha deinen besten Anzug geben. Ich erwarte dich hier." Als Ramin wieder allein war, sann er lange nach denklich vor sich hin. Er hatte das Verlangen, Käthe zu danken, ihr irgendein Kleinod, ein Erinnerungszeichen zu senden. Er versuchte zu schreiben, aber die Worte klangen nüchtern und alltäglich. Er zerriß das Blatt wieder. Plötzlich kam ibm ein Gedanke: sein Vermächtnis, das niemand öffnen sollte, solange er leben würde . . . sein Tagebuch aus jener Zeit, als er mit der sterbenden Jeanette Italien durchwanderte — auf dem Wege des Todes. Käthe allein war würdig, dieses Vermächt nis aus seinen Händen entgegenzunehmen, einen Blick in sein Heiligtum zu tun, das er bisher vor aller Welt und auch vor seinem besten und einzigen Freunde, vor Linden, verschlossen hatte. Seine Seele lag darin, und diese Seele gehörte ihr ollem — trotz Abschied und Trennung. Ein Hymnus an sie war es ja und eine Klage aus blutendem Herzen, die nur sie verstehen würde. Er nahm das Buch aus einem verborgenen Fach seines Schreibtisches. Sollte er es öffnen — noch ein paar Worte an sie hinzuschreiben — einen letzten Gruß? Nein. Mit dem festen Bande, das er einst darum getan, sollte Heinz es,der.teuren Geliebten überreichen . . . Er stand auf, als er den Schritt seines Sohnes hörte. „Nun bin ich fertig, Vater. Kaufen wir auch Blumen?" „Ja, mein Sohn — die schönsten, die wir finden. Komm!" Mit klopfenden Herzen führte Ramin seinen Sohn nach der Kleiststraße. Dann küßte er ihn noch einmal in der Nische der Haustür und kehrte um. Zu Hause angekommen, schloß er sich ein in seinem Zimmer und wartete. Zwei Stunden vergingen. Heinz kam noch immer nicht. Ramin wurde unruhig. Sollte ihm unterwegs etwas zugestoßen sein? Aber er war doch ein großer Junge — und er kannte den Weg von der Kleiststraße bis zur Lützowstraße ganz genau. Ramin hatte ihn so eben noch einmal darauf aufmerksam gemacht. Wiederholt trat er ans Fenster und lehnte sich hinaus. Endlich sah er ihn von der Potsdamerstraße her in die Lützowstraße einbiegen. 9km begann sein Herz hastig und laut zu schlagen. Nervös ging er im Zimmer auf und ab und wartete auf das Klingelzeichen. Dann trat Heinz ein. In starker Erregung ging der Pater auf ihn zu, nahm ihn in seine Arme und küßte ihn mit leidenschaft licher Zärtlichkeit. „Väterchen . . . weshalb hast du Fräulein Käthe ein so trauriges Buch geschickt?" „Sagte sie, daß es traurig wäre . . . Heinz, mein guter Junge — sagte sie das?" „Nein. Aber sie weinte, als sie es las; und dann hat sie mich immer wieder geküßt." „Was sagte sie dabei?" „Sie war sehr lieb zu mir. Als ich fragte, ob ich nun wieder gehen sollte, damit sie allein sei, um zu lesen, da schüttelte sie nur den Kopf; und ich mußte mich ganz dicht zu ihr setzen. Dann legte sie ihren Arm um meine Schultern und nahm meine Hand. Ganz gewiß, Väterchen — ich habe ganz still und ruhig gesessen und habe sie keinmal gefragt. Nur hin und wieder habe ich sie angesehen, wenn ich glaubte, sie würde es nicht merken . . . Die ganze Zeit über hat sie meine Hand festgehalten; und als ich fühlte, daß ihre Finger sehr kalt waren und manchmal unruhig zitterten, da habe ich sie noch fester gehalten und meine andere Hand leise daraus gelegt. Warum hat sie wohl geweint, Vater?" „Ich weiß es nicht, Heinz. Aber hat sie denn auch nichts gesagt, als sie das Buch zu Ende gelesen hatte?" „Sie hat es mehrmals geschlossen — wenn sie ein paar Zeilen gelesen, und manchmal hat sie auch zurück geblättert und noch einmal von vorn angefangen; aber gesagt hat sie nichts. Nur ein paarmal hat sie schwer geseufzt. Und dann ist sie aufgestanden und mit mir an das Fenster getreten und hat mich ganz dicht an ihre Seite gezogen und hat unverwandt hinausgesehen. Ich habe mich gar nicht bewegt, weil du doch gesagt hattest, ich sollte still und artig sein . . ." Ramin fragte nicht weiter. Die Erzählung seines Sohnes hatte ihn sehr bewegt. Wortlos nahm er Hut und Mantel und verließ mit Heinz das Haus. „Wohin gehen wir, Väterchen?" „Hinaus — in den Wald, mein Sohn. Komm!" Er nahm einen Wagen, und sie fuhren über den Kurfürstendamm in den Grunewald hinein. Licht und Luft — rief es in ihm — und den freien Gotteshimmel über mir! Die Wände des Hauses be engten ihn und schienen ihn schier erdrücken zu wollen. Er mußte frei aufatmen. Und dann schloß er die Augen, als sie unter den stillen, verschwiegenen Bäumen des Waldes dahin fuhren, durch deren Zweige, wie ein fernes, geheimnis volles Rauschen, ein leiser Windhauch ging. So immer weiter fahren und alles umher vergessen, wünschte er. Aber er konnte nicht vergessen. Gerade jetzt fühlte er, wie die Liebe zu Käthe unbezwinglich und mit erneuter Kraft in seinem Herzen emporwuchs. Mußte er denn verzichten? Durfte er es nicht wagen, noch einmal vor sic hinzutreten und zu werben um ihr Herz, um ihre Liebe, um eine Zukunft an ihrer Seite? So kämpfte er einen schweren Kampf. * Am nächsten Morgen kam ein Brief von Käthe. Er erkannte sofort die Handschrift auf der Adresse. Mit zitternden Händen zerriß er den Umschlag: zwei Zeilen nur enthielt der Briefbogen: „Kommen Sie zu mir. Ich habe mit Ihnen zu sprechen. Käthe Hartwig." * Eine halbe Stunde später stand er vor ihr, in dem hohen, geschmackvoll und vornehm eingerichteten Arbeits zimmer ihres verstorbenen Onkels. Käthe war weder befangen noch verlegen. Ruhig trat sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, Herr Professor! Und nun lassen Sie uns Platz nehmen. Ich denke, wir haben uns noch mancherlei zu sagen. Bitte hier", sie deutete auf einen Sessel und nahm selbst auf dem Sofa, ihm gegenüber, Platz. Wie liebliche Musik klangen ihm ihre'Worte in den Ohren. Er hätte die Augen schließen mögen, um nur dem weichen, vollen Klange ihrer Stimme zu lauschen. Ein Gefühl unsäglichen Glückes überkam ihn in ihrer Gegenwart. Er wagte kaum zu atmen, um den stillen Frieden dieser Stunde nicht zu stören. Sie hatte sein Tagebuch in den Händen und blätterte gedankenvoll darin, hier und da länger auf einer Seite verweilend. Während der ersten Minuten war es ganz still zwischen den beiden. Er sah zu ihr hinüber: sie trug ein Kleid aus schwerem, dunklem Tuchstosf ohne jeden Schmuck; sie trauerte ja um den Onkel. Ihr volles, tiefschwarzcs Haar und die starken, edel gezeichneten Augenbrauen boten einen wundervollen Gegensatz zu der reinen, weißen Stirn und den von der Erregung des Augenblickes leicht geröteten Wangen. In ihren Augen, die tief und blau wie der Abendhimmel glänzten, lag ein eigentümlicher Ausdruck: gedämpfter Schmerz und zugleich ein Schimmer stillen, verborgenen Glückes. Endlich hörte er sie sprechen: „Ich durchblättere noch einmal Ihr Buch ... es wird mir schwer, mich davon zu trennen . . . Ihr Vermächtnis . ." „. . . das ich für Sie schrieb, Käthe ... Sie sollen sich nicht davon trennen. Behalten Sie es, zur ... zur Erinnerung an mich . . ." Die letzten Worte fügte er ganz leise hinzu. „Nein! Es ist ja für Ihren Sohn bestimmt. Sagen Sie es nicht selbst am Schlüsse..." Und nun wiederholte sie die Worte, die er damalsgeschrieben hatte — aus dem Gedächtnis, ohne in das Buch zu blicken. „Ihm mag es ein heiliges Vermächtnis sein; denn hier sprach das Herz seines Vaters die Wahrheit — inTagen und Wochen, in denen sein Mund log, seine Augen heuchelten, und . . ." Sie vollendete den Satz nicht und suhr fort: „In diesen Zeilen sprach er von Leiden und Qualen, die ihn einst fast zu vernichten drohten, und träumte . ." Wieder brach sie ab. „Wovon träumte er, Käthe? Weshalb vollenden Sie den Satz nicht? Sie wissen die Worte auswendig . . ." „Ja. Ich habe sie oft gelesen — gestern, als Heinz bei mir war, und den Abend über . . ." „So wissen Sie auch den Schluß, die letzten Worte, in denen ich Sie grüße . . ." Sie nickte. Und dann kam es leise, wie eine Frage, von ihren Lippen: „Und du, Käthe, sei mein guter Stern, der auf dem einsamen Wege leuchtet, den ich nun wandeln muß . . .? So schrieben Sie . . ." „Ja! So mußte ich schreiben . . .!" Er sah plötzlich zu ihr auf. „Käthe — werden Sie mir niemals mehr sein können als nur ein guter Stern, der fern, in ein samer Höhe über mir leuchtet . . .? Sie bedeckte das Gesicht mit der Hand und ent gegnete nach langer Pause: „Ich weiß es nicht. Wenn ich Ihnen heute auch glaube — mit freudigem Herzen jedes Wort glaube, das sie auf diesen Blättern schrieben. Wie kann ich wissen, ob nicht trotz alledem die Gestorbene zwischen uns steht ..." „Nein, Käthe! Sie wissen es wohl, Sie müssen eS ja wissen, nachdem Sie dieses Buch gelesen haben . . . Zwischen uns stand und steht nichts als meine Schuld. Und diese haben Sie mir verziehen. Taten Sie das nicht?" „Ja! Aus vollem, aufrichtigem Herzen — wie ich es Ihnen schrieb . . ." Langsam erhob sie sich und trat an seine Seite. Dann fühlte er ihre Hand auf seiner Schulter. „Hans . . .!" Es war nur ein Flüstern. Aber er hatte es verstanden. Mit einem leisen Aufschrei überwältigenden Glückes sank er vor ihr ins Knie und berührte ihre herabhängende Hand mit seinen Lippen. Dann preßte er seinen Kopf in die Falten ihres Kleides, und während es wie ein Schluchzen aus seiner Brust hervorquoll, rief er immer wieder ihren Namen: „Käthe . . .! Du meine teure, geliebte Küthe . . .! Wie ich dich liebe, Käthe .. du ... du Erlöserin . . . meine Käthe . . .!" Nun beugte sie sich herab und berührte sein Haar mit ihren Lippen und legte die Hand auf seinen Kopi. Da sprang er empor und breitete die Arme aus: „Käthe . . .!" „Hans . . .!" Sie warf sich an seine Brust. Und wie ihre Lippen sich fanden zu einem langen, innigen Kuß, so hatten sich auch ihre Herzen gesunden, um nie mehr voneinander zu lassen. * „Komm — und laß uns zu Heinz gehen!" sagte Ramin, als sie sich endlich saust aus seiner Umarmung befreite. „Er ist es ja, dem wir unser Glück zu danken haben. Er hat uns wieder vereint!" »Ja! Zu Heinz! Ich komme!" Und sie folgte ihm. Kunst und Wisienschast. Wissenschaft. Für den zweiten Internationalen Kongreß für Chirurgie, der unter Vorsitz von Er zellenz v. Czerny vom 21. bis 25. September d. I. in Brüssel tagt, sind 16 Referate bereits gedruckt worden und den Kongreßmitgliedern zugegangen. Nach der „Berl. Klin. Wchschr." sei davon folgender genannt: „Natur des Krebses", Referent Roswell Park-Buffalo. Eine ganze Reihe von Vorträgen betreffen die Behandlung der verschiedenen Krebskrankheiten, so des Lippenkrebses, des Brustkrebses, des Krebses der Mund- und Nasen höhle, der Leber, des Darms, der Nieren, der Geschlechts organe rc. Auch über die Chirurgie der Leber und der Wirbelsäule wird beraten werden. Zum Schlüsse wird Dollinger-Budapest über die Endergebnisse der operativen Behandlung des Krebses referieren. Dadurch, daß die Kongreßteilnehmer die Referate schon jetzt erhalten, und auf dem Kongreß selbst nur kurze Resümees gegeben werden, bleibt der Hauptteil der Zeit für eine fruchtbare Verhandlung eine Einrichtung, die gewiß auch aus anderen Kongressen sich bewähren dürfte. — Die Eröffnung des Phylogenetischen Museums zu Jena, das von seinem Gründer, Ernst Hasckel, bei Gelegenheit des Universitätsjubiläums an die Universität als Jubiläumsgeschenk übergeben wurde, wird voraussichtlich nicht vor nächstem Jahre geschehen können, da die Räumlichkeiten erst gründlich austrocknen müssen, ehe die kostbaren und vielleicht unersetzlichen Präparate ausgestellt werden können, die in seuchten Räumen Schaden leiden, event. zugrunde gehen dürsten. f Aus Paris wird gemeldet: Der Physiker Henri Becquerel,.ständiger Sekretär der Akademie der Wissen schaften, ist, 56 Jähre alt, hier gestorben. Er war ein hervorragender Forscher auf dem Gebiete der unsichtbaren Strahlen und der radioaktiven Stoffe. Becquerel wurde 1903 durch Verleihung des Nobel-Preises ausgezeichnet. Er war korrespondierendes Mitglied der Akademien zu Berlin und Göttingen und im Besitz der Helmholtz-Medaille. Sein Vater und Großvater waren Professoren der Natur wissenschaften, Jean Becquerel, ein Sohn des Verstor benen, ist Assistent am Pariser naturhistorifchen Museum. Im Jahre 1896 entdeckte Becquerel die nach ihm be nannten unsichtbaren Strahlen, die besonders von Radium, Polonium und Aktivium ausgehen. Literatur. Im Kurtheater zu Frankenhausen a. Kyffhäuser fand dieser Tage das Schauspiel „Gold und Eisen" eines dortigen Ingenieurs, Alfred Fröh lich mit Namen, bei feiner Uraufführung freundliche Aufnahme. — „Freiheit", politisches Schauspiel in vier Aufzügen von Karl Böttcher, wurde vom Luisentheater zu Berlin erworben, wo es bereits im Oktober zur Ur aufführung gelangt. „Freiheit" ist das erste Stück von Böttchers noch unter der Feder befindlicher Trilogie I sozialer Dramen „Freiheit", „Gleichheit", „Brüderlichkeit".