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Beilage zu Nr. 162 des Dresdner IMMMls Mittwoch, 15. Juli 19N8. Hans Ramins Eheglück. E n Künstlerroman von Konrad Remling 14 (Fortsetzung zu Nr. 1S9.) 10. Kapitel. Es war Herbst geworden, als Ramin mit Käthe und Heinz wieder in Berlin eintraf. Doktor Linden, der einzige, den sie von ihrer Rück kehr benachrichtigt hatten, empfing sie. Er hatte ihr Heini mit frischen Blumen schmücken lassen und war glücklich, nach so langer Trennung wieder den ersten Abend an der ihm lieb gewordenen Stätte verleben zu dürfen. Nachdem fich Käthe, von der langen Reise ein wenig angestrengt und übermüdet, etwas früher zur Ruhe begeben hatte, blieben die beiden Freunde noch bei einem Glase Wein zusammen. Und nun begann Ramin zu sprechen. Sein ganzes liebeeefülltcs Herz tat er vor dem Freunde auf, um ihn an feinem Glücke teilnehmen zu lassen. Mit leuchtenden Augen und be redten Lippen erzählte er und ließ Linden kaum Zeit zu einer Gegenfrage. „Und Fräulein Hartwig weiß alles?" unterbrach ihn Linden endlich. Ta stockte Ramin: „Alles ... bis — bis auf das eine ... daß noch ein loses äußeres Band zwischen mir und Jeannette besteht. Anfangs konnte ich ihr das nicht sagen; ich hatte nicht den Mut. Und dann —.wollte ich nicht. Sie soll unberührt von alledem bleiben..." Linden schwieg eine Zeitlang, und Ramin suchte vergebens in seinem Gesicht zu lesen. „Tu antwortest nicht, Heinrich", begann er endlich mit unsicherer Stimme; „hätte ich vielleicht doch da von sprechen sollen?" Ta nahm Linden die Hand Ramins: „Ich habe dir eine Nachricht mitzuteilen, die dich vielleicht überraschen wird — oder solltest du es schon wissen? Jeanette ist in Berlin..." Ramin erschrak: „Jeanette — hier? Seit wann? Was will sie?" „Ich selbst habe sie weder gesehen noch gesprochen, hätte auch eine etwaige zufällige Begegnung mit ihr um jeden Preis zu vermeiden gesucht. Ihr Vater erzählte es mir. Er war sehr glücklich, sein Kind wieder zu haben, vor allem, weil sie ihn ..." — er stockte — „nun, du mußt es ja doch schließlich erfahren, und da ist es besser, du hörst es jetzt von mir, als ..." „Aber so sprich doch!" Ramin hatte sich erhoben; mit klopfendem Herzen und schwer atmend blieb er vor dem Freunde stehen, der nun leise fortfuhr: „Jeanette hat ein Engagement im Wintergarten und tritt seit etwa einer Woche hier auf." „Im — Wintergarten . . . Jeanette . . . ? Aber das ist doch..." Ter Schreck und die Bestürzung ließen ihn nicht zu Ende sprechen. Schwerfällig stützte er sich mit beiden Händen auf die Tischplatte, während seine weitgeöffne ten Augen verständnislos zu Linden hinüberstarrten. „Ich selbst war dort", berichtete Toktor Linden weiter, „und habe sie gesehen. Sie stellt lebende Bilder nach bekannten Gemälden; und ich muß sagen, daß ihre Tarbietnngen in der Tat künstlerisch zu nennen sind." Nun endlich löste sich Ramins Starrheit: „Sie wagt es, hier in Berlin, wo man mich und doch auch sie kennt ... !" Tas Ganze erschien ihm noch immer so ungeheuerlich, daß er zunächst kaum Worte für seine Entrüstung und Empörung fand. „Unter welchem Namen tritt sie auf? Toch nicht etwa ... ? Nein, so weit kann sie sich ja nicht ver gessen ..." „Sie nennt sich Madame Jeanne." Linden war nachdenklich geworden, zog die Schultern in die Höhe und fuhr dann fort: „Ich weiß nicht, Hans, ob du schließlich berechtigt bist, dich darüber zu entrüsten, oder es ihr gar zu verbieten, woran du ja wohl denkst. Ich selbst hatte, obwohl ich dir doch gewiß nahestehe und mit dir fühle, nicht das Gefühl, daß etwas Un würdiges in der Art ihres Auftretens liege; gewiß gebe ich zu, daß der Gedanke peinlich für dich sein muß, aber schließlich ist es doch auch anzuerkennen, daß sie sich damit ihr Brot zu verdienen sucht, da sie ja doch — soviel ich weiß — aller Mittel entblößt ist." Er sah den Freund fragend an. Ramin schüttelte den Kopf. Er tonnte die ruhige Objektivität Lindens nicht teilen. „Nein. Ich werde es und muß verhindern und würde auch vor einem größeren Geldopfer nicht zurückschrecken. Bedenke: noch ist sie meine — Frau, sie trägt meinen Namen." „Noch", entgegnete Linden, „für wenige Monate vielleicht. Und dann — du darfst mir nicht böse sein, daß ich dich daran erinnere — du hast mir soeben selbst erzählt, daß auch du dich darüber hinweggesetzt hast, daß du sie schon jetzt nicht mehr als deine Frau be trachtest. Auch glaube ich schwerlich, daß sie so leicht zu bewegen sein wird; sie erhält vermutlich eine nicht unbedeutende Gage. Ter alte Turand sprach davon, als wären es beinahe Gvldbergc". Ramin war sehr nachdenklich geworden. „Ich muß sie sprechen", sagte er endlich, „ich werde ihr schreiben und sie um eine Unterredung bitten. Sie muß auf meinen Vorschlag eingehen." Plötzlich schien ihm ein neuer Gedanke gekommen zu sein. „Nun gut. Mag sie tun und lassen, was sie will, obwohl ich das Recht hätte, sie, als meine Frau, zu zwingen. Ich will nur eine Bedingung stellen: sie soll mir die schriftliche Erklärung an Eidesstatt abgeben, daß sie in eine sofortige Scheidung willigt. Tamil erspare ich mir und auch ihr das Peinliche und Un würdige, sie, als den schuldigen Teil, zur Scheidung zu zwingen." Mit diesem Gedanken beruhigte er sich und sah, fast mit einem Gefühl der Erleichterung, den kommen den Tagen entgegen. Schon am nächsten Morgen suchte er seinen Schwiegervater auf und teilte ihm seinen Entschluß mit. Monsieur Turand machte wieder dasselbe hilflose und verlegene Gesicht, zuckte mit den Schultern, erklärte sich jedoch bereit, Jeanette davon in Kenntnis zu setzen. Trei Tage wartete Ramin vergebens auf eine Antwort aus der Potsdamerstraße. Ruhelos ging er während dieser Zeit in der Wohnung umher, machte sich im Atelier zu schaffen und versuchte sogar zu arbeiten, um seine Ungeduld und Aufregung zu bemeistera. Er hatte das noch immer nicht ganz vollendete Bild Küthes mit Heinz an der Seite wieder in den Rahmen gespannt und stand davor mit Pinsel und Palette, ohne auch nu. einen Pinselstrich zu tun. Tes Nachmittags wanderte er planlos durch die Straßen. Wie zum Hohne leuchtete ihm von den Anschlagsäulen in großen, aufdringlichen Buchstaben die Ankündigung entgegen: Madame Jeanne! Lebende Bilder nach Gemälden bekannter Meister! Zum erstenmal in Teutschland! Künstlerisch vollendete Tarbietungen! Tann reizte es ihn schließlich, den Wintergarten zu besuchen und sie zu sehen. Lange Zeit stand er unent schlossen im Kassenraum und überlegte. Schließlich trat er ein. Teilnahmslos folgte er den ersten Nummern des Programms. Er wußte kaum, was er sah. In der kurzen Pause vor ihrem Auftreten kam wieder die ganze Entrüstung über ihn, und er war nahe daran, den Saal zu verlassen. Ta öffnete sich der kleine Vorhang im Hinter gründe der Bühne, und er blieb. Regungslos saß er da und ließ Bild ans Bild an sich vorüberziehen. Ter Mensch in ihm trat ganz hinter dem Künstler zurück. Tie Tarbietungen fesselten ihn in der Tat. Linden hatte nicht zuviel gesagt. Sv sehr ihn die Art dieser Wiedergabe anfangs befremdete: es lag ein eigenartiger Reiz darin. Eigentlich war eS ja durchaus unkünstlerisch — diese Verbindung von Plastik und Malerei! Ter Hintergrund war nämlich, dem Originale eines jeden Bildes entsprechend, auf der Leinwand durch Umrisse und Farben angedeutet, während die Hauptfigur des Bildes, durch Madame Jeanne verkörpert, sich plastisch dem Ganzen angliederte und cinfügte. Rauschender Beifall, Händeklatschen und Bravo rufe belohnte jede einzelne Tarstellung, sobald sich der Vorhang auf längere oder kürzere Zeit schloß, wie es gerade das Wechseln des Kostüms erforderte. Als das letzte Bild vorüber war, forderte das Publi kum durch fortgefetztes „Da eapo-Rufcn" eine Zugabe. Ramin war schon aufgestanden und schritt dem Ausgange zu, als plötzlich die Musik, die die Pausen ausfüllte, abbrach und der Vorhang sich noch einmal öffnete. „Jeanette. . .!" Bei dem Anblicke, der sich ihm in diesem Augenblicke bot, vermochte er den erschreckten Aufschrei kaum zu unterdrücken, und ihr Name kam, ohne daß er cs wollte und wußte, über seine Lippen. Er fühlte, wie sich alles Blut nach seinem Herzen drängte; ein Schleier schien sich über seine Augen zu legen und wie durch einen rötlich-grauen Nebel hindurch sah er zur Bühne, sah — sein Bild, seine „Salome" . . . das Brokatkleid, den zarten, grünen Schleier und das rote Haar darunter, die Armspangen, den Kopfschmuck und die goldene Schüssel mit den: bleichen, blut bespritzten Haupte des Täufers. Ein kurzer Augenblick noch, dann schloß sich der Vorhang. Ramin starrte noch immer nach der Bühne: die Erinnerung an das Vergangene stieg mit greif barer Deutlichkeit wieder vor ihm auf. DaS war Jea nette, wie er sie damals kennen gelernt hatte, ehe sie seine Frau wurde! Und doch war sie heute eine andere. Den lockenden Liebreiz ihres Körpers, den sie damals nur vor ihm, dem schönheitsdurstigen Künstler, ent hüllt hatte in der Stille des Ateliers, den bot sie jetzt einem vieltausendköpfigen Publikum zur staunenden Bewunderung dar. Sie warf sich weg . . . Jetzt, da der Künstler in ihm schwieg, und nur noch der Mensch sprach, konnte er cs nicht anders bezeichnen. Sie war noch immer schön, rätselhaft, verführerisch, aber sein Herz blieb unberührt davon. Auch wenn er Küthe nicht gekannt und geliebt Hütte: nach ihr, nach Jeannette, hätte er auch in dieser Stunde nicht mehr verlangt; sie konnte ihm nichts mehr sein. Ohne sich uni die weiteren Vorgänge auf der Bühne zu kümmern, verließ er den Saal. Draußen umfing ihn die kühle, erfrischende Luft des Oktoberabends. Langsam schritt er durch die Straßen seiner Wohnung zu. Daheim fand er Käthe noch wach. Sie saß mit eine* Handarbeit beim summenden Teekessel und wartete auf ihn. Welch ein friedliches, trauliches Bild! sagte er sich. Er trat auf sie zu, küßte ihre schlanken, weichen Hände und plauderte mit ihr von Dingen, die so weit ablagen von dem, was er soeben erlebt und wieder von sich abgeschüttelt hatte, so weit, daß er sich in der Tat auS der rauhen, unerfreulichen Wirklichkeit des Lebens in ein Traumland versetzt glaubte. Am nächsten Morgen fuhr Küthe mit Heinz zu ihrer Mutter nach Potsdam. Ramin war allein in der Woh nung und hatte sich an den Schreibtisch gesetzt, nur seinen Schwiegervater an die versprochene Antwort zu erinnern. Gegen elf Uhr klingelte es. Er achtete nicht weiter darauf und wandte sich erst um, als das Müdchen eintrat: „Eine Dame wünscht den Herrn Professor zu sprechen." „Eine Dame?" Ramin überlegte, wer cs sein könnte. Außer Lindeu wußte bisher uoch uiemand von seiner Rückkehr aus Bauern. Eine Karte hatte die Dame nicht abgegeben, und das Mädchen, daß er erst kurz vor der Reise, im Frühjahre, gemietet hatte, konnte ebenfalls keinen Aufschluß geben. Er erhob sich. „Ich lasse bitten!" Tann trat er in das anstoßende Besuchsz mmer. Jeanette stand vor ihm. (Fortsetzung folgt.) Kunst und Wissenschaft. Kunst und Kultur unter den sächsischen Kurfürsten. I. Tie Frage noch einer Neugesta'tung öffentlicher Samm- lungcn, vor allem solcher, die Werke des Kunstgiwerbes um fassen, beschäftigt Vie Öffentlichkeit allerorten schon seit längerer Zeit; immer dringlicher wird bei Kunstgelehrten und üu st- sreunden der Wunsch, daß solch: Sammlungen den Zw cken dienstbar gemacht werden müssen, die in der Gegenwart ten angewandten Künsten zuzewiesen werden. Die Erkenntn s hat ganz allgemeine Geltung gewonnen, daß den in unseren Mußten bewahrten künstlerischen Besitzständen eine bildende Krait wne. wohnt, die weit über die geschichtliche Bedeutung der Kunst werke hinausweist. Sie sind mehr als nur Zeugnisse und Vermächtnisse der Vergangenheit; sie sind oder sollen zu?lnch sein Nachweise für den Gang der Entwickelung künstlerischer Kultur, sollen lehren, als solche die Wege zur Weiterentwlcke- lung zu zeigen. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich ohne weiteres die Pslicht, diese Besitzstände der Allgemeinheit zugänglich zu machen, sie den Zeitforderungen entsprechend zu gestalten und zur Schau zu stellen. In einer im vorigen Jahre eeschienenen Schrift') des Vor tragenden Rates in der Generaldireküon der Sammlungen, Geh. RegierungSratS Dr Woldemar v. Seiklitz, die sich mit dieser Angeleger heit belaßt, werden folgende Fordert»-gen allgemeiner Art für die Neuordnung öffentlicher Samm lungen ausgestellt: 1. die besonders beachtenswerten Gegen stände von den nur wissenschaftlichen Zwecken demnven zu trennen, damit sie bester genossen werden können; daraus folgt 2., daß das minderwertige Gut, das die Wirkung d<S übrigen nur stört, aus der für das Publikum bestimmte Sammlung überhaupt ausgeschieden werde; 3 gilt es, die Hauptstücke, damit sie zu voller künstlerischer Wirkung ge langen, in einer ihrem Werte entsprechenden Form zur Aus stellung zu bringen. Mit anderen Worten: aus der großen Menge der Museumsgegenstände sind diejenigen auszuwählen, die besonders bezeichnend für die Kultur ihrer Zeit erscheinen, sie sind aber dann nicht in der bisherigen Weise nach techno logischen Gesichtspunkten anzuordnen, sondern nach der Zeit ihrer Entstehung zu verernigen, so daß das aus einem und demselben Geschmack Geborene zusammensteht und die Auf einanderfolge der Zeiten die Wandlungen des Geschmacks ergibt. * * * Einen praktischen Versuch zur Ausführung der höchst zweckmäßigen Vorschläge des Hrn. v Seidlitz, gewissermaßen ein kleines sächsisches Fürstenmuseum stellt die Ausstellung dar, die unter dem Titel, den dieser Aufsatz trägt, der vus- jährigen Großen Kunstausstellung in Dresden ungegliedert worden ist. Freilich nicht mehr als einen Versuch Tenn das, was in der Ausstellung dargeboten wird, umschließt dre künstlerische Kultur der ganzen Kursürstenzeit des albertinüchen Sachsens, der Zeit von Kurfürst Moritz (regierte von 1541 bis 1553, seit dem Jahre 1547 al« Kurfürst, bis dahin als Herzog) an bis hinauf »u der Friedrich Augusts IIl, des Gerechten, als König Friedrich August I. (regierte von 1763 bis 1827). Nach den Seidützschen Vorschlägen müßten also minde stens elf Stilzimmer gezeigt werden, tatsächlich aber werten, wenn man zwei nur mittelbar Stilzimmer darstellende Räume (ein Wohnzimmer und eine Jagdhalle) mit in die stilechte Schilderung einrcchnet, nur sieben Stilzimmer vorgeführt Zweierlei Ursachen mögen daran gehindert haben, elf Räume in der Werse auszustatten, wie es erforder lich gewesen wäre, um den Wandel des künstlerischen Geschmack« im Laufe der Zeiten von 1547 bis etwa 1806 schalfumriffen zu charakterisieren: ersten« die Größe oder mermehr Kleinheit de« Hauses — cS wurde der Ausstellung da» von der III. Deutschen Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906 he: stehen gebliebene Kreissche „Sächsische Haus" al« Quartier an gewiesen —, das den Veranstalrern zur Verfügung stand; zweiten« das Bedenken, den Sächsischen Sammlungen für dre Dauer eines ganzen Sommers die wichtigsten und wertvollsten Bestände zu entziehen Veranstalter der Ausstellung sind der Oberst z D. v. Kretschmar in Radebeul, der als Sammler bekannte Ober- regierungSrat l)r. Demiani in Dresden, der Duektorialassistent ') W v. Seidlitz, Kunstmuseen (Vorschlag zur Begründung eines Fürstenmusrums in TrrSdcn). Leipzig lS07, Berlag von E. A. Seemann.