Volltext Seite (XML)
Beilage zu Nr. 150 des DktAÄNtk HüUkMlA Mittwoch, 1. Juli 1908. Hans Ramins Eheglück. Ein Künstlerromaa von Konrad Remling. 10 (Fortsetzung zu Nr. 147.) Nun war Ramin allein in seiner Wohnung. Und ehe er Hut und Mantel ablegte, ging er zu seinem Sohne. Der Junge schlief still und friedlich in seinem Bett. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, beugte der Vater sich herab und küßte die Stirn seines Kindes. Dann trat er an seinen Schreibtisch und vernichtete die kurzen Aufzeichnungen, die er am Abend vorher in einem Briefe an Linden und in einem zweiten an seine Schwiegereltern gemacht hatte. Ein großes Glücksgefühl kam über ihn. Jetzt erst fühlte er, wie sehr er das Leben liebte, seine Kunst und vor allem sein Kind, dem der Vater wiedergegeben war. Dann aber dachte er an Jeanette, und ein trüber Schatten legte sich über sein glückfrohes Empfinden. Schwer atmend ließ er sich vor dem Schreibtisch nieder und versank in tiefes Sinnen. Das Schwerste stand ihm ja noch bevor und würde vielleicht sein ganzes Leben lang nicht von ihm weichen. Er erhob sich und begann ruhelos im Zimmer umherzuwandern . . . ^Plötzlich blieb er stehen . .. Nein — er mußte alle diese trüben Gedanken aus seiner Erinnerung streichen . . . mit aller Kraft mußte er versuchen, darüber hinwegzukommen — schon um seines Kindes willen, dem er von nun an Vater und Mutter zugleich sein mußte . . . Er nahm wieder Platz. Jetzt galt es, eine letzte Aussprache mit Jeanette herbeizuführen. Nach der schmählichen Flucht Dannenbergs mußte sie ja weit eher geneigt sein, auf seine Bedingungen einzugehen. Er sah nach der Uhr: schon sieben . . . Wie schnell doch die Zeit verging! Aber noch konnte er nicht gehen . . . er mußte warten. In den Kleidern warf er sich auf das Ruhebett und versuchte zu schlafen. Aber es gelang ihm nicht. Nun dünkten ihn die drei Stunden, die er im Halbschlummer, mit dem Gedanken an das Bevor stehende beschäftigt, zubrachte, wieder eine Ewigkeit. Endlich schlug es zehn Uhr. Vom Kinder zimmer her hörte er das Plaudern seines Jungen, der soeben vom Mädchen zum Ausgehen angekleidet wurde. Jetzt würde er gleich nach dem Vater fragen, um ihm „Guten Morgen" zu sagen . . . Nein — er wollte und konnte das Kind jetzt nicht sehen, nicht eher, als bis er auch den letzten schweren Gang hinter sich hatte . . . Leise und vorsichtig stand er auf, nahm Hut und Mantel und verließ das Hous . . . In der Pension Durand schien man ihn bereits erwartet zu haben. Das Mädchen, das ihm öffnete, sah ihn mit einem sonderbaren, fragenden Blick an, und führte ihn, ohne ein Wort zu sprechen, in den Salon. Gleich darauf erschien Monsieur Durand. Sehr ver legen und bei weitem nicht so wortreich wie sonst, be grüßte er den Schwiegersohn. Noch ehe man Platz ge nommen hatte, begann Ramin: „Lassen sie uns ruhig miteinander verhandeln, Herr Durand. Ich denke, Jeanette hat Ihnen alles gesagt, und so bedarf es wohl keiner weiteren Aus einandersetzungen über die ernste und traurige An gelegenheit selbst, die mich heute zu Ihnen führt . . ." Er sah den alten Herrn hilflos und gebrochen vor sich im Sessel sitzen und hatte plötzlich das Gefühl, als habe er hart und lieblos gesprochen. Mit Mühe zwang er sich zu einem freundlicheren Tone: „Ich bin nicht gekommen, um Ihnen, als dem Vater, Vorwürfe zu machen. Jeanette war meine Frau, ich hatte in unserer sechsjährigen Ehe genügend Zeit, sie kennen und beurteilen zu lernen. Wenn über haupt einen Dritten eine Schuld trifft, so hätte ich mich selbst anzuklagen . . . Aber davon wollen wir ja nicht sprechen ... Es handelt sich jetzt um die Zukunft Ihrer Tochter. Verstehen Sie mich nicht falsch, wenn ich so rein sachlich und scheinbar so ruhig zu Ihnen spreche. Ich habe selbst schwere Stunden hinter mir und bin fast am Ende meiner Kraft..." Er machte eine kurze Pause. — „Haben Sie selbst vielleicht schon einen Entschluß gefaßt? Ich bin bereit, Ihnen und Jeanette in jeder Weise entgegenzukommen . . ." Herr Durand schüttelte nur den Kopf. „Und Jeanette selbst . . .?" Der alte Mann schien mit einem Entschluß zu ringen. „So hat Ihnen meine Tochter keine Nachricht ge geben, bevor sie . . . ich meine, seit gestern?" „Nein, ich habe nichts von ihr gehört." „Kein einziges Abschiedswort?" „Nein. Nach ihren letzten Worten, die sie am gestrigen Morgen zu mir sprach, habe ich das auch nicht erwartet." „Sie wissen also wenigstens schon, daß es zu spät ist . . .?" „Zu spät?" Ramin verstand ihn nicht. „Nun ja — ein Zurück gibt es ja doch nicht mehr." „Sie ist mein einziges Kind, Hans; und wenn auch Sie die Ärmste verstoßen hatten — das Haus ihres Vaters wäre stets offen für sie gewesen. Und nun . .!" Der alte Mann stieß einen schweren Seufzer aus und ließ den Kopf sinken. „Aber ich verstehe Sie nicht: Jeanette ist doch hier . . .?" Nun erst begriff Durand, daß sein Schwiegersohn noch völlig ahnungslos war. „Also wissen Sie es doch nicht . . . Jeanette hat noch in dieser Nacht mit Leutnant Dannenberg unser Haus verlassen. Sie ist geflohen, um in ihrer alten Heimat, in Paris, ein neues Leben zu beginnen . . ." „Was . . .?" Ramin war aufgesprungen. »Ja", flüsterte der Vater, „ein neues Leben be ginnen — das waren ihre letzten Worte ..." „Mit Dannenberg? Und das, noch ehe die Schei dung zwischen uns ausgesprochen ist?" Ramin war fassungslos. „Wie konnte sie das tun!" Durand wußte nichts zu entgegnen. Und nun war auch Ramin mit seiner Kraft zu Ende. Nein, sagte er sich, sie ist völlig verloren und nicht wert, daß ich noch weiter Gedanken und Worte an sie verschwende . . . Er erhob sich: „Leben Sie wohl, Herr Durand! Wir werden noch Zeit und Gelegenheit haben, miteinander zu sprechen, wenn Ihre Tochter zur Einsicht gekommen ist, wenn sie von selbst den Wunsch äußern wird, auch das letzte, nur noch rein äußerliche Band zu lösen, das sie noch an mich fesselt. Sie wird selbst eines Tages die Scheidung beantragen, um ganz frei zu sein; bis dahin . . ." er unterbrach sich, da er sah, welchen schmerzlichen Eindruck die letzte Konsequenz auf den Vater Jeanettes machte — „Ihnen selbst aber" — fuhr er fort — „wird so oft Sie das Verlangen haben sollten, das Kind Ihrer Tochter zu sehen, mein Haus offen stehen . . ." Er reichte ihm die Haad und ging. Zu Hause angekommen, durchschritt er still und nachdenklich die Räume, in denen er sechs Jahre lang mit Jeanette gelebt hatte; wie still und friedlich es aussah in den Zimmern — aber auch wie einsam! Er hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und hielt ihr Bild in den Händen. Da hörte er vom Korridor her die Stimme seines Kindes, das vom Spaziergang nach Hause kam. Mit einem letzten Blick auf die Züge seiner Frau, der Mutter dieses Kindes, die einst seine Muse gewesen war, und die ihm nun die Treue ge brochen und ihn verlassen hatte, stellte er das Bild an seinen Platz zurück und erhob sich. Jeanette mußte von diesem Tage an für ihn ver gessen sein; die Gegenwart verlangte ihr Recht, und eine neue Zukunft tat sich vor ihm auf: die Zukunft seines Kindes. 8. Kapitel. Ramin hatte noch einmal Berlin verlassen müssen, um die Arbeiten, zu beendigen, die durch die Ereignisse der letzten Tage so jäh unterbrochen worden waren. Nun war er endgültig heimgekehrt und konnte daran denken, seinen Haushalt den veränderten Ver hältnissen entsprechend zu regeln und vor allem für die Erziehung seines Sohnes zu sorgen. Heinrich — den Namen hatte er nach seinem Taufpaten vr. Linden erhalten — war fünf Jahre alt und durfte nicht länger der Pflege des sonst tüchtigen Kindermädchens über lassen werden. Aber auch der übrige Haushalt bedurfte der Leitung einer gebildeten und umsichtigen Frau, da sich der Professor aus Rücksicht auf seinen Beruf und seine Lebensstellung noch weniger als früher dem gesellschaftlichen Verkehr entziehen konnte. Er hatte es zunächst mit einer älteren entfernten Verwandten versucht, die zwar nach außen hin mit bestem Willen die Stelle der Hausfrau zu ersetzen be müht war, die aber — wie Ramin von Tag zu Tag mehr einsehen mußte — nicht die geeignete Persön lichkeit war, den schon recht verständigen, aber äußerst lebhaften Heinz zu erziehen. So sah er sich denn nach wiederholter, reiflicher Überlegung genötigt, eine jüngere Dame zu engagieren, da ihm das Wohl und Wehe seines Sohnes mehr als alles andere am Herzen lag. Auf sein Gesuch erhielt er eine große Zahl von Anerbietungen, unter denen er lange und sorgfältig wählte. Ein kurzer Brief war es, den er bereits mehrfach durchgelesen hatte, da er ihm sowohl der Form wie dem Inhalt nach besser gefiel als alle die übrigen mit den üblichen Phrasen und Versprechungen: eine klare, einfache und energische Handschrift ohne Schnörkel und von knappem, schlichtem Inhalt über den Bil dungsgang und die bisherigen Lebensverhältnisse der Schreiberin. Etwas nur störte ihn: die Dame war vielleicht doch etwas zu jung, erst fünfundzwanzig jährig, und mochte als Tochter eines pensionierten Majors wohl größere Anforderungen stellen, als er schließlich wünschen würde. Endlich entschloß er sich doch und bat um ihren Be such. Als er dann am nächsten Tage die schmale Be suchskarte in der Hand hielt, kamen ihm doch wieder allerlei Bedenken. Dann stand er ihr gegenüber: „Fräulein Käthe Hartwig?" er verbeugte sich und nannte auch seinen Namen. „Darf ich bitten, Platz zu nehmen?" Eine kleine Verlegenheitspause trat ein; er fühlte sich fast befangen ihrem ruhigen und sicheren Auftreten gegenüber. Sie sah ihn ernst und fragend an, als er warte sie seine Anrede. „Ich bin Ihnen zunächst einige Aufklärungen schuldig, gnädiges Fräulein", begann er endlich, „nach denen Sie sich dann entschließen mögen. Ich sprach in meinem Gesuch zunächst nur von einer Hausdame. Wichtiger aber noch ist es mir, für meinen fünfjährigen Sohn Heinz eine geeignete Persönlichkeit zu finden, die bereit ist, an ihm Mutterstelle zu vertreten und seine Erziehung zu leiten. Gerade in einem solchen Alter genügt die liebevollste väterliche Fürsorge allein nicht; vielmehr meine ich, daß die weibliche Pflege in körperlicher und geistiger Beziehung unbedingt er forderlich ist. Wären Sie also auch dann geneigt?" Er sah sie fragend an. „Um so lieber!" entgegnete sie mit einer weichen, vollen Stimme, die einen sehr sympathischen Eindruck auf Ramin machte. „Dadurch würde mir die Aufgabe, einem Haushalte vorzustehen, die ich zum erstenmal übernehme, zu einer erfreulichen und — wie ich hoffen will — dankenswerten Pflicht." Ramin verbeugte sich leicht. Er war angenehm berührt von ihrer schlichten Art, zu sprechen. „Das war meine Hauptsorge", fuhr er fort, „die übrigen Anforderungen und Pflichten, die die Leitung eines Hausstandes mit sich bringt, werden Sie ja nicht allzu sehr in Anspruch nehmen. Größere Gesellschaften gebe ich nicht; ich sehe hin und wieder ein paar Freunde und Bekannte bei mir und pflege im Sommer auf mehrere Monate zu verreisen. Wenn Ihnen also diese Bedingungen zusagen, so können wir, denke ich, ab schließen — das heißt, ich will Sie nicht zu einem vor eiligen Entschluß drängen, obwohl es mir lieb wäre.." „Ich bin bereit," entgegnete sie ruhig und be stimmt, „und stehe schon morgen zu Ihrer Verfügung. Eine kurze Besprechung mit meiner Mutter, die in Potsdam lebt, kann ich noch heute nachmittag er ledigen." Sie erhob sich. „Noch eins, gnädiges Fräulein", sagte Ramin nach einigem Zögern. „Sie würden mich zu großem Tanke verpflichten, wenn Sie dem Kinde möglichst bald über den Verlust der Mutter hinweghelfen könnten. Tis Jugend verschmerzt ja selbst den schwersten Verlust eher und leichter als wir Erwachsenen und . . ." er stockte, da er sich nicht entschließen konnte, ihr die volle Wahrheitzusagen. Ta kam sie ihm durch die naheliegende Frage zuvor: »Ihre Frau Gemahlin ist tot?" Wieder zögerte Ramin: wäre es nicht das beste, wenn er diese Frage bejahte? War sie für ihn nicht in der Tat gestorben? Aber ihr offener Blick zwang ihn zur Aufrichtigkeit: „Nein," sagte er, „unsere Ehe ist getrennt. Aber für mich und das Kind ist meine Frau tot." Damit mußte sie sich begnügen. Taß seine Ehe in Wirklichkeit noch nicht geschieden war, verschwieg er ihr. Mochte sie es immerhin glauben; in absehbarer Zeit mußte ja auch die offizielle Scheidung ausgesprochen werden, und dann würde er schon eine Entschuldigung für diese halbe Unwahrheit finden, zumal das Wort „getrennt" ja eigentlich vollkommen der Wahrheit entsprach. Sie hatte sich erhoben und^ihre rechte Hand in seine dargebotene Rechte gelegt. -:-„Auf Wiedersehen also morgen!" entgegnete er und geleitete sie zur Tür. (Forlseyung folgt.) Kunst und Wissenschaft. Wissenschaft. Au« Berlin wird berichtet: Eine inter- essante Promonon vollzog gestern der Dekan der medizi nischen Fakultät an der hiesigen Universität Promcv nt war Or plül. Han« Aron, dem von der amerikanischen Regierungdie Professur der Physiologie ander Philippine Medical School Manila, P. I., übertragen worden ist. Der junge Berliner Geührte, der da« 27. Lebensjahr noch n cht vollendet hat, war vom Sowmersemester 1903 ab Assistent am Tiervbysiologischen Institut der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin und fungierte vom 1 Oktober 1906 bis zum 1 April 1908 al« wistenschastlicher Assistent am physiologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule in Berlin, wo er zeit weise mit der Vertretung in den Vorlesungen und der JnstitutS- leitung nach dem Abgänge de« Geb. Rates Munk beauftragt war. Von den wissenschaftlichen Publikationen Arons seien dre Abhandlungen über den „Einfluß der Alkalien auf das Knochen- wachStum", „über d'e Lichtabsorption de« Blutfarbstoffes" und s.ine „Untersuchungen über die Bedeutung der Kalksalze für den wachsenden Organismus" hervorgehoben Seine Dissertation behandelt die „Kalkaufnahme beim Säugling" und die „Be deutung de« Kalkes für die Ätiologie der Rachiti«". Prof. Aron begibt sich in diesen Tagen nach Manila, um dort die Leitung des physiologischen Instituts zu übernehmen s Literatur. Au« Berlin meldet man: Von Alfred Capu« erscheint in kommender Spielzeit ein reue« vieiaktige« Drama „I/Oisv»u bl«88v" („Der verwundete Vogel"), da« im Renmstancetheater seine Uraufführung erleben wird. — Die planmäßige Verbreitung guter Literatur in alle Kreise de« Volkes steht seit Jahren im Vorder gründe de« Interesses aller Kulturfreunde. Gerade jetzt drängt nch dies Thema mit all seinen technischen Schwierigkeiten be sonders hervor. Die Deutsche Dichter > Gedächtnis- stiftung, die soeben ihren ausführlichen Jahresbericht über ihre Tätigkeit im Jahre 1907 hat erscheinen lasten, hat sich feit Jahren bemüht, den Kampf gegen die Schund literatur für ihren Teil von den geschäftlichen Gepflogenheiten des SchundliteraturvertriebS fernzuhalten — die man nicht erfolgreich mitmachen kann, ohne selber von ihrem üblen Ge rüche angesteckt zu werden — und sich statt dessen aus die Kräftigung der natürlichen Eimichtungen zur Verbreitung guten Lesestoffs konzentriert: auf den wohlfeilen Verlag und die Unterstützung kleiner Volksbibliotheken mit guten Büchern. Die Mittel dazu erhält sie zum Teil au« den Jahresbeiträgen ihrer Mitglieder, außerdem betreibt sie ihren immer mehr sich entwickelnden eigenen Verlag. Die Mitglieder zahl stieg im Berichtsjahre um 3000 und betrug am Ende 6288. Alle Kreise sind darunter vertreten, von Ihrer Majestät der Kaiserin und den Kaiserlichen Prinzen bi« zum Arbeiter Die eigenen Bücher der Stiftung (die bekannten Sammlungen „Hausbücherei" und „Volksbücher") sind im Buchhandel überall zu haben. E« befinden sich darunter neben bester Volkskost wert- volle Werke, wie die Auswahl der Goethe-Briese in zwei Bänden (jeder zu 1 M.), ferner JmmermannS „Preußische Jugend zur Zeit Napoleons", aus des Dichters ungelesenen