In der Tat wird in der „Alpen sinfonie" der Klang sich selbst zum Thema, galt es doch, dem sinnli chen Naturverständnis Strauss' ein akustisches Äquivalent zu erfinden. Trotz Wind- und Donnermaschine, Kuhglocken und Tam-Tam kommt es jedoch so gut wie nie zu deskripti ven Klangexzessen, wie sie die Teilüberschriften der Partitur vermu ten lassen. Selbst für einen Könner wie Strauss („Jetzt hab' ich endlich instrumentieren gelernt!" soll er nach der Generalprobe gescherzt haben) ist Instrumentation nie illu strativer Selbstzweck, sondern bleibt stets der poetischen Erfin dung nachgeordnet. Für die Partie „Am Wasserfall" entwarf der Kom ponist sogar ein märchenähnliches Sujet: „Vision einer Wasserfee", musikalisch verkörpert durch eine volksliedhafte Phrase der Klarinet ten und Oboen, die als „Erschei nung" von impressionistischen Klangvaleurs umspielt wird, zu de nen neben Glockenspiel, Triangel und Becken vor allem Streicher- Glissandi, Harfen- und Celesta-Ar- peggien gehören. Besonderes Au genmerk richtete der Instrumentator auf die Anfangstakte der Partitur: 20 fach geteilte Streicher und Fa gotte lassen - durchaus im Sinn moderner Cluster-Technik - alle Töne der b-Moll-Tonleiter nach und nach erklingen - was einen gleich sam im Raum stehenden, das Ge fühl der Eingeschlossenheit sugge rierenden Klangeindruck ergibt. Daß diese Takte - die, von Strauss um 1900 aufgezeichnet, als erster Einfall zur „Alpensinfonie" zu gel ten haben - das Werk nicht nur er öffnen, sondern auch beschließen, ist vordergründig mit der Gleich heit der Stationen zu erklären („Nacht"). Doch ging es Strauss ja nicht um Widerspiegelung realer Vorkommnisse, sondern um künstle rische Sublimierung seelischer Re flexe, die er zu allgemeinen poeti schen Programmen weitete und dem traditionellen Sinfonieschema - wie Hermann Scherchen 1920 formulierte - „zur inneren Bele bung" beigab: „Dickicht: Fugato polyphon "/„Sonnen Untergang: Fantasie exstatisch, mit aufgereg tem Geigenrecitativ" (aus den Skiz zenbüchern). Der Formverlauf der „Alpensinfomie", die vier Sätze zu einem amalgamiert, bestätigt aufs neue Strauss' architektonisches Prin zip der psychologisierten Form: poetische Programme als Korrektiv, das die Materialschwere der tra dierten Schemata elastisch werden läßt. Erst nach und nach - 10 Skiz zenbücher belegen die qualvolle Entstehungsgeschichte - hat Strauss sich von der Viersätzigkeit gelöst; das ursprünglich streng klassische Konzept hatte u. a. im zweiten Satz, unter Einbeziehung von „raschen Oberpfälzer Dre hern", einen Ländler mit Trio-Ein schüben vorgesehen. Das poeti sche Programm einer an Selbst findung (Antichrist) und Natur geschehen (Alpen) orientierten Erlebniskurve ließ Strauss je doch sehr bald zu einer Form behandlung finden, die als sinfoni- Erst nach und nach löste Strauss sich von der Viersätzigkeit.