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Ähnlich wie die beiden vorher gegangenen Sinfonien gelang auch die „Siebente" in einem Durchgang, und sie spricht ganz Bruckners eigene Sprache, obwohl die Coda des langsamen Satzes unmittelbar unter dem Eindruck der Nachricht, daß Wagner gestorben sei (13. Februar 1883), komponiert wurde. Von Wagner übernahm Bruckner nur die sogenannten „Wagner"-Tuben, die dem Hörner satz eine zusätzliche Farbe verlei hen, sonst nur noch gewisse chro matische Wendungen. In seiner melodischen Erfindung ist Bruckner gerade in der E-Dur-Sinfonie ganz bei sich. Die ersten Kritiken lobten denn auch insbesondere den klaren formalen Aufbau, sprachen von for maler Schlüssigkeit und rühmten die „Klassizität" des Werkes, manche meinten sogar, Bruckner sei der größte Sinfoniker seit Beethovens Tod. Der erste Satz ist ein weitaus greifender Sonatensatz mit einem bei Bruckner einzigartigen melodi schen Hauptthema, das sicher die Zuhörer von jeher in seinen Bann gezogen hat. In zwei jeweils über vierundzwanzig Takte hinweg strömenden Wellen ereignet sich, wie es Max Dehnert ausdrückte, „die Geburt der Melodie aus dem Geiste der Harmonien". Kein ande res Hauptthema Bruckners weist ei nen solchen Atem auf. Seine Art der „unendlichen Melodie" kann sich, im Gegensatz zu Wagner, aussingen. Tiefe Trauer ist der Inhalt des Adagio-Satzes, doch fehlen Bericht. Leipzig. Ein Concert, gar nicht nach dem Recept, wel che» gemeinhin für Aufstellung der Svmphonieconcftrte der Concert Institute benutzt wird, dabei in der Ausführung seiner Hauptnummern von anegeauchteater Güte, war da«, welches am Abend de» 30. Dec. im Neuen Stadttheater stattfand und mit »einem von Hm. Director Staegemann und dessen excellentem Capellmeister Hm. Niki sch planvoll entworfenen modernen Programm speciell die dieswinterlichen Gewandhausconcerte mit ihrer hyperciassisc hen Physiognomie in wirklich erfri schendster Weise unterbrach. Seine Hauptnummer bildete die CkMtnposition eines hochbegabten, hier vorher gänzlich unbe- bannt gewesenen österreichischen Tonsetters, die 7. Symphonie des Wiener Hoforganisten Anton Bruckner, die weiteren Haupt- bestandtheile waren Liazt’« symphonische Dichtung „Les Prö- ludee“ und zwei Fragmente aus Wagner’s „Götterdämmerung'*: die Scene der drei Rheintöchter und Siegfried’«, sowie Brünn- hilde’s Schlussscene. Dazwischen spielte Hr. Hofpianist Pohlig ans Sondershausen die Wanderer-Phantasie von Schubert-Lisxt und Liszt’» „Don Juan u -Phantasie. Die Symphonie von Anton Bruckner hat uns im höchsten Grade intereasirt, in ihrem 2. und 3. Satz, Adagio und Scherzo, uns sogar die wärmste Bewunde rung abgenöthigt. Dieser Componist weiss wirklich etwas Eige nes und dabei Bedeutendes zu sagen, eine seltene Ursprünglich keit der musikalischen Ideen zeichnet sein Werk aus. Das Tiefste, Nachhaltigste gibt er im Adagio, einem ganz herrlichen Tonstück, das in der Erfindung der Hauptthemen wahrhaft Beethoven’sche Erhabenheit zeigt und den Hörer bis zum Ende de« dasselbe beschliessenden weihevollen TrauerhymnuR in Äthern erhält. Nicht minder originell ist dasScherzo, ein Muster leichtflüssiger Productionskraft und durchaus orchestral ge dacht. Im 1. und 4. Satz will es dem Hörer an einigen Stellen erscheinen, als würde der logische Faden der Entwickelung unterbrochen, als wäre die Verbindung der einzelnen Theile eine mehr äusserliche und stocke der symphonische Fluss. Inhalt lich sind aber auch diese beiden Sätze von grossem Interesse, ja von einem Reichthum der Gedanken, um welchen der Com- Sonist zu beneiden ist Erhöht wird die Eindrucksfühigkeit iezer Symphonie durch eine glänzende Instrumentation. Hr. Capellmeister Nikisch hatte die Novität bewundernswürdig ein- fttudirt, die Ausführung glückte ungemein und gereichte der Capelle zu höchstem Ruhme. Der anwesende Componist wurde nach dem 4. Satz seine« hochbedeutenden Werke« gerufen und musste zwei LorbeerkrÄnzc, eine verdiente Auszeichnung, ent gegennehmen. auch nicht Züge des Trostes und gläubiger Hoffnung. Das ernste Hauptthema tragen die Wagner-Tu ben „sehr feierlich" vor. Die trostvol le Streicherstelle entstammt Bruck ners gleichzeitig entstandenem „Te deum". Lebenssprühend ist der Charakter des nach klassischem Muster ge bauten Scherzos, das auf das ent rückte Adagio folgt. Ein fast kämp ferisches, trotziges Trompetenthema Concert-Bericht in der Januar-Depesche 1885 des „Musikalischen Wochenblattes"