Bereits neun Jahre nach der erst im Alter von 43 Jahren vollendeten 1. Sinfonie schuf Johannes Brahms seine 4. und letzte Sinfonie. Unmit telbar nach der „Dritten" entstan den, erlebte die 4. Sinfonie e-Moll op. 98 ihre Uraufführung unter der Leitung des Komponisten am 25. Oktober 1885 in Meiningen. Das machtvolle Werk bedeutet zucht vollste Zusammenfassung seiner sinfonischen Ausdrucksmittel, die noch einheitlicher, verdichteter, vielsagender erscheinen als in den vorausgegangenen Sinfonien. In der Rückbesinnung auf vorklas sische und klassische Traditionen der Tonkunst, auf das deutsche Volkslied, auf alte Tanzformen, fand Brahms das stilistische Fundament für sein bekenntnishaftes Werk, dessen erster Satz (Allegro non troppo) sogleich mit einem getra genen Thema der Violinen einsetzt, von den Bläsern begleitet. Das zweite Thema, in den Bläsern zu nächst trotzig erklingend, verstärkt den elegischen Grundzug, der schon dem ersten Gedanken eigen ist. Eine Cello-Kantilene, tröstende Holzbläsermotive, Geigenfiguren, mahnende Rufe der Trompeten füh ren zur dramatischen Durchführung und schließlich zur Coda, in der sich die trotzige Kampfstimmung des Satzes eindringlich ausdrückt. Dramatisches und Episches verbin det sich in der logisch-organischen Entwicklung des bildhaften melodi schen Materials. Eine Hörner-Devise eröffnet den zweiten Satz (Andante moderato), dessen für Brahms so ungemein ty pischer herbsüßer Klangcharakter aus dem Gegensatz von Phrygisch und E-Dur erwächst. Die wehmuts volle Anfangsstimmung wird von Violinen-Melodik überwunden. Ein „Schicksalsthema" erklingt, das an das Bläserthema des ersten Satzes erinnert. Aus ihm entfaltet sich - wiederum als Cello-Kantilene - ein zweiter tragender musikalischer Gedanke, der vor allem in der Re prise zu Wort kommt. Die müden Klarinettentöne des Beginns und das Devisenmotiv beschließen den Satz. Mit einem lärmend-heiteren C-Dur- Thema beginnt der dritte Satz (Al legro giocoso), der in deutlichem Gegensatz zur elegischen Grund haltung des vorausgegangenen angelegt ist. Anklänge an die Hauptthemen des ersten Satzes belegen auch hier die erreichte Einheit in der musikalischen Gestal tung der ganzen Sinfonie. Die zur Schau getragene Heiterkeit, ab sichtsvolle Lustigkeit und Wirb- ligkeit, der fast grimmige Humor des Satzes deuten an, daß der ei gentliche Kampf um die Entschei dung noch bevorsteht. Im Finale (Allegro energico e passionato) griff Brahms auf eine von den Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts hochgeschätzte, aus Spanien stammende Tanzform im Dreivierteltakt zurück, auf die Chaconne, bei der das (meist im Baß erscheinende) Thema in den Oberstimmen mannigfaltig verän dert und umspielt wird. Dem The-