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Köln, Freitagnachmittags nach der ersten Probe (der 5. Sinfonie) 16. Oktober 1904 Oh selig, oh selig, ein Schuster zu sein! mit Variationen Weg weiternehmen wird, ohne mich für ein Monstrum zu erklären! Gustav Mahler an seine Frau Alma Lieb's Almschi! Meiner Berechnung nach wirst Du diesen Brief morgen früh erhalten, wenn ich ihn gleich auf den Bahn hof trage. Also heute die erste Pro be! Es ist alles passabel gegan gen. Das Scherzo ist ein verdamm ter Satz! Der wird eine lange Lei densgeschichte haben! Die Diri genten werden ihn fünfzig Jahre lang zu schnell nehmen und einen Unsinn daraus machen, das Publi kum - oh Himmel - was soll es zu diesem Chaos, das ewig auf's Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu grundegeht, zu diesen Urwelt klängen, zu diesem sausenden, brüllenden, tosenden Meer, zu die sen tanzenden Sternen, zu diesen veratmenden, schillernden, blitzen den Wellen für ein Gesicht ma chen? Was hat eine Schafherde zu einem „Brudersphären-Wettge- sang" anderes zu sagen, als „blö ken"? Oh selig, oh selig, ein Schneider zu sein! Oh, wäre ich als Commis geboren und als Bari- tonist am Opernhaus angestellt! Oh, könnt' ich meine Sinfonien fünfzig Jahre nach meinem Tode uraufführen! Jetzt gehe ich an den Rhein, - der einzige Kölner, der nach der Premiere ruhig seinen Die gestrige Uraufführung von Gustav Mahlers fünfter Sinfonie (ohne Programm und ohne vokales Element) unter Mahlers bewun dernswerter Leitung hatte einen ent schiedenen großen Erfolg. Die Hauptsymptome sind wieder groß artiges kontrapunktisches Vermö gen, elementare weitspannende Themen, wunderbarer Stimmungs gehalt. Der anfangs einsetzende Trauermarsch war von erschüttern der Wirkung. Das Finale, fast durchweg in Mahlers genialer Art fugiert, ist grandios, poesievoll, mit einfachsten Mitteln das Adagietto. In dieser Sinfonie steht Mahler auf bezwingender Höhe der Meister schaft. Anonymus in „Münchener Neueste Nachrichten", 20. Oktober 1904 Hausverwaltung Ankauf «Verkauf Kapitalanlagen SEIFERT^ IMMOBILIEN Seifert-Immobilien Schillingplatz 16 01159 Dresden Tel.: (0351) 4 21 53 08 und (0351) 4 21 53 09 Fax: (0351) 4 21 53 05