Ludwig van Beethoven. Kreidezeichnung von Stephan Decker, entstanden zwischen dem 7. und 23. Mai 1824 „Offenbar ist das Bestreben der besten Dichter und ästhetischen Schriftsteller aller Nationen schon seit geraumer Zeit auf das allge mein Menschliche gerichtet... Überall hört und liest man von dem Vorschreiten des Menschenge schlechts, von den weiteren Aus sichten der Welt- und Menschen verhältnisse. Wie es auch im gan zen damit beschaffen sein mag, welches zu untersuchen und näher zu bestimmen nicht meines Amtes ist, will ich doch von meiner Seite meine Freunde aufmerksam ma chen, daß ich überzeugt sei, es bil de sich eine allgemeine Weltlitera tur, worin uns Deutschen eine eh renvolle Rolle vorbehalten ist." Diese Worte schrieb Johann Wolf gang von Goethe 1827, im Sterbe jahr Ludwig van Beethovens. Es er übrigt sich zweifellos nachzuwei sen, wie sinnfällig gerade der Wei marer Klassiker diese „ehrenvolle Rolle" erfüllt hat. Aber „Weltlitera tur" ist nicht nur literarisch zu be greifen, sondern auch im musika lisch-musikhistorischen Sinne. Beethoven, der große Wiener Klassiker, schrieb kurz vor der Voll endung der 9. Sinfonie, im April 1823: „... so hoffe ich endlich zu schreiben, was mir und der Kunst das Höchste ist - Faust". In der Tat: Kaum ist das eindeutiger zu charakterisieren, was man den deutschen Beitrag zur Weltliteratur schlechthin nennen möchte, als mit dem Hinweis auf Goethes „Faust" und Beethovens „Neunte". Zwei Ebenbürtige schufen im Bestreben der „Besten" weltumspannende Botschaften, die einzigartigsten Dokumente wohl aus der deut schen klassischen Kulturperiode. Hat Goethe in seinem „Faust", der ihn fast 60 Jahre beschäftigt hat, seine und seiner ganzen Epoche Weltanschauung niedergelegt, so ist auch Beethovens „Neunte" Aus druck seiner „Weisheit und Philoso phie", seine weltanschaulich-künst lerische Offenbarung. Wie Goethe hat Beethoven jahre lang um die endgültige Gestaltung seines größten sinfonischen Wer kes gerungen. Bereits der 23jähri-