Volltext Seite (XML)
EINFÜHRUNG IN DAS 4. ZYKLUSKONZERT Wolfgang Amadeus Mozart schrieb zwischen seiner Wiener und Münch ner Reise im Jahre 1774 eine Gruppe von Sinfonien (KV 183, 199—202), die erheb liche formale und stilistische Ähnlichkeiten aufweisen und innerhalb der Ent wicklung des Sinfonikers Mozart durchaus Marksteine sind. Hatten sich die vor ausgehenden Sinfonien an die dreisätzige italienische Ouvertürenform angelehnt, so ist die hier in Betracht kommende sinfonische Gruppe durch die Wiederein führung des Menuetts gekennzeichnet. Auffallend ist ferner, daß der äußere Um fang dieser Werke beträchtlich zugenommen hat, daß die Durchführungen zwar noch nicht wie bei Joseph Haydn streng thematisch bestimmt sind, sondern sequenzartig fortgesponnen werden. Substanziell ist entschieden ein Hang zum Großen, Festlichen zu spüren. Die schwungvolle Thematik wird kontrapunktisch verarbeitet. Selbständig sind die Bläser behandelt. Die unser Konzert eröffnende Sinfonie Nr. 29, KV 201, A-Dur, des 18jährigen Mozart ist neben der g-Moll-Sinfo- nie, KV 183, das gewichtigste Werk dieser Gruppe. Es läßt deutlich das Streben des Komponisten nach „ideellem Zusammenschluß der vier Sätze" erkennen und ist überhaupt ein blendendes Zeugnis für das phantasievolle frühe sinfonische Schaffen des Salzburger Meisters, aus dem es noch viele Schätze zu heben gilt. Dio A-Dur-Sinfonie, KV 201, die keineswegs das Haydnsche Vorbild leugnet, atmet einerseits die kraftvolle Lebensfreude, andererseits die fast romantische Schwär merei des 18jährigen Jünglings. Anmutig-humorvoll gibt sich nach dem heiteren Einleitungssatz (Allegro moderato) auch der langsame zweite Satz, ein fein gear beitetes Andante, in dem die zwei Bläserpaare (Hörner und Oboen) den Streicher satz melodisch bereichern. Auf das zierliche Menuett mit seinen Kontrastwirkun gen folgt ein Finalsatz von mitreißender, beschwingter Fröhlichkeit (Allegro con spirito), der nach dem Mozart-Forscher Alfred Einstein den reichsten und drama tischsten Durchführungsteil besitzt, den der junge Komponist bis dahin geschrie ben hat. Sein ganzes Leben hindurch komponierte Mozart neben den in einen bestimmten handlungsmäßigen Zusammenhang gestellten Arien seiner Opern auch zahlreiche für den Konzertsaal bestimmte einzelne Arien und Szenen, in denen er seine große Kunst entfaltete, für die menschliche Stimme zu schreiben. Die durch ein kurzes Rezitativ (,,A questo seno, deh! vieni") eingeleitete Sopran-Arie „Or ehe il cielo a me ti rencle“ (KV 374) stammt noch aus der Zeit des Dienstes beim Erz bischof von Salzburg. Mozart komponierte sie im April 1781 für den Salzburger Sänger Ceccarelli, einen Kastraten, der das Werk in einem Konzert am 8. April sang, wo es wiederholt werden mußte. Die Arie, deren Text die Seligkeit des Wiederfindens treuer Liebender preist, ist als ein einfaches, graziöses Rondo mit immer wiederkehrendem Schlußrefrain angelegt. Sechs Jahre später, im November 1787, entstanden Szene und Arie ,,Bella, miet fiamma, addio" (KV 528). Dieses Werk schrieb Mozart während seines Prager Aufenthaltes anläßlich der dortigen Aufführungen des „Don Giovanni" für die Sängerin Josepha Duschek, die Gattin des Prager Pianisten und Komponisten Franz Duschek. Mit ihr verband ihn langjährige gute Freundschaft; gern weilte er in dem bei Prag gelegenen Landhause der Duscheks, der „Bertramka", zu Gast. Auf die Überlieferung durch Mozarts Sohn geht die Anekdote zurück, nach der Josepha Duschek den Komponisten, um ihn zur Niederschrift der Arie zu bewegen, einfach in ein Gartenzimmer der Bertramka gesperrt und ihn erst wieder heraus gelassen hätte, als das Opus vollendet gewesen sei. Mozart wiederum soll sich dadurch „gerächt" haben, daß er erklärte, ihr die Arie nur dann geben zu wollen, wenn sie diese fehlerlos vom Blatt singen könnte. Das war keine einfache Bedin gung: hatte er doch (besonders im Andanteteil durch für das 18. Jahrhundert höchst ungewöhnliche Intervallsprünge über ebenso ungewöhnlicher Harmonik) die Aufgabe recht schwierig gestaltet. — Im Ganzen zählt das Werk, das durch aus keine „Bravourarie" im herkömmlichen Sinne darstellt, zu den bedeutendsten seiner Gattung. Der Inhalt (ein Held bereitet sich auf den Opfertod vor und nimmt Abschied von seiner Geliebten) wird musikalisch durch eine sich immer mehr steigernde Erregung, eine immer schmerzlicher werdende Stimmung widergespie gelt. Neben der sehr einheitlichen Gestaltung (einzelne Grundmotive erscheinen stets wieder) zeichnet die Arie dabei vor allem ein überaus starker Ausdrucks gehalt aus, in dem die zeitliche Nachbarschaft des „Don Giovanni" spürbar wird. Gust a v Mahlers am 15. November 1901 in München uraufgeführte 4. Sinfonie in G-Dur, deren Partitur im Sommer 1900 abgeschlossen wurde, unterscheidet sich in Anlage und Charakter wesentlich von den vorangegangenen sinfonischen Wer ken des Komponisten. Bereits rein äußerlich zeigt sich das in der kleineren Beset zung des Orchesters, der Rückkehr zur klassischen Viersätzigkeit und der kürze ren Spieldauer. „Gemessen an den bisherigen Dimensionen könnte man sie beinahe als .Sinfonietta' bezeichnen", schrieb der Musikschriftsteller Walter Abendroth über die G-Dur-Sinfonie, und Mahler selbst äußerte einmal dazu: „Eigentlich wollte ich nur eine sinfonische Humoreske schreiben, und da ist mir das normale Maß einer Sinfonie daraus geworden — während früher, als ich dachte, daß es eine Sinfonie werden sollte, es mir zur dreifachen Dauer — in meiner 2. und 3. — wurde.. ." Besonders bemerkenswert aber erscheint bei diesem Werk der fast gänzliche Verzicht auf eine belastende Problematik, die helle, idyllische Grund stimmung. Aufgelockerter, durchsichtiger Klang, Streben nach Schlichtheit und Leichtigkeit sind charakteristisch für die von gelöster Heiterkeit, von Lyrik, Poesie und naivem Humor erfüllte Sinfonie. In starkem Maße kommt hier typisch österreichischer Lokalkolorit zur Geltung, was nicht nur in zahlreichen volkslied artigen Motiven, sondern zudem auch in der ausgesprochen streichermäßigen Prä gung der Thematik (im Gegensatz zu den ersten drei Sinfonien, wo besonders die Bläser bedeutsam eingesetzt werden) seinen Ausdruck findet. Es ist für uns kaum zu begreifen, daß gerade die unproblematische 4. Sinfonie — heute vielleicht das beliebteste und am häufigsten zu hörende sinfonische Werk Mahlers — bei den Zeitgenossen größtenteils auf Ablehnung und Unverständnis stieß und vom Kom ponisten als „Stiefkind" angesehen werden mußte. Deutliches Anknüpfen an die Traditionen der Wiener Klassik kennzeichnet gleich den von musikantischem Frohsinn durchdrungenen, in klar überschaubarer Sona tensatzform gearbeiteten einfallsreichen ersten Satz mit seinem charakteristischen (später mehrfach wiederkehrenden) Schellengeläut zu Anfang. Thematisches Mate rial bildet das von den Violinen angestimmte frohe Hauptthema, das Mahler wie einen Wiener Walzer begonnen haben wollte, und ein kantables Seitenthema der Violoncelli. Auch der zweite Satz, ein Scherzo in Rondoform, bringt trotz des ursprünglichen 'Untertitels „Freund Hein spielt auf" keine grundsätzliche Trübung. Wenn auch durch eine Solovioline, deren Saiten um einen Ton höher gestimmt sind (die „Fiedel" des Todes), unheimliche, fahle Klangwirkungen erzielt werden und einige spukhaft-phantastische Episoden zu verzeichnen sind, mischen sich doch bald mehr und mehr fröhliche, ja ausgelassene Klänge höchst irdischen, dörflichen Musizierens im Rhythmus eines Ländlers in den Tanz. Friedvolle Ruhe und innige, reine Schönheit lassen das folgende Adagio, das Mahler für seinen besten langsamen Satz überhaupt hielt, zum tiefen Erlebnis werden. Der Satz, von geteilten Violoncelli und Bratschen in zarten, weichen Tönen begonnen, wobei den oberen Violoncelli die Melodie anvertraut ist, wurde als kunstvolle Verbindung von Variationssatz und Sonatensatzform aufgebaut. Gegen den Schluß hin erscheint bereits einmal verheißungsvoll das Thema des Finales.