Volltext Seite (XML)
klassischen Repertoirestücken förderte er zugleich intensiv die Zeitgenossen, brachte Hans Pfitzners „Rose vom Liebesgarten'', Charpentiers „Louise", Rezniceks „Donna Diana", Richard Strauß' „Feuersnot", Wolf-Ferraris „Die neugierigen Frauen", Puccinis „Boheme" und „Butterfly" und Hugo Wolfs „Der Corregidor". Mahlers Wahlspruch, der über seiner gesamten musikalischen und inszenatori- schen Arbeit stand, war: „In jeder Aufführung muß das Werk neugeboren werden." Vom traditionellen Aufführungsstil der Wiener Hofoper, von jeder eingerissenen Schlamperei sich lösend, erstrebte er wahrhaftiges Musiktheater, eine lebendige Einheit zwischen Musik und Szene. Dem Starwesen sagte er zugunsten echter Ensembleleistungen den Kampf an. Mit beispielloser Energie, einer geradezu unwiderstehlichen Suggestionskraft zwang er die Mitarbeiter in seinen Bann. „Mit Augen einer Viper in den fernsten Winkel fahrend, vom Pult aufschnellend, mit Beschwörerarmen winkend, deutend, blitzartig in die Tiefe fahrend, ein fana tischer mittelalterlicher Mönch im Frack, ein asketischer Büßer und Geisterseher, Luzifer als Operndirektor" — so erlebte der Wiener Musikkritiker Max Graf den faszinierenden Dirigenten Mahler. Schneller als erwartet, stand er am Ziel seiner Wünsche. Freilich waren härteste Anstrengungen Basis und Ursachen seiner Er folge. Wie von sich selber, verlangte er von seinen Musikern angestrengteste, oft aufreibende, die Kräfte verzehrende Probenarbeit. Zusätzlich war er noch im Herbst 1898 als Nachfolger Hans Richters an die Spitze der Wiener Philharmoniker getreten. Doch seine Arbeitsweise und seine gelegentlich allzu subjektiv-eigen willigen, ja extravaganten Deutungen klassisch-romantischer Sinfonien führten sehr bald zu Spannungen mit dem Orchester und schon 1901 zu einer Trennung. (Fortsetzung im nächsten Programmheft) Meine Berufung nach Wien hat zunächst nur eine unerhörte Unruhe und Kampf erwartung in mein Leben gebracht. Ob es die mir gemäße Stellung ist, muß ich erst abwarten. In allen Fällen muß ich mich auf ein Jahr der erbittertsten Gegner schaft aller Elemente, die nicht wollen oder können (was gewöhnlich zusammen fällt) gefaßt machen . . . Ein neues Kapitel beginnt wieder. Aber ich ziehe in die Heimat ein und werde alles daransetzen, um meine Wanderschaft für dies Leben zu beendigen . . . Mahler am 22. April 1897 aus Hamburg an Arnold Berliner Ich renne mit dem Kopf durch die Wand, aber da bekommt die Wand ein Loch! Solche Gewitter tun not bei dem Zustand von Disziplinlosigkeit, Verlotterung und Schlamperei, der an der Oper herrscht und seit Jahrzehnten immer tiefer einge rissen ist. Hier Ordnung zu schaffen, ist nur durch größte Strenge möglich; diese müsse der Einsichtige daher gutheißen und jeden „Skandal" als heilsam wünschen! Darum soll in Zukunft nur dann nach mir geschickt werden, wenn nicht jede Woche mindestens zwei „Skandale" in der Oper vorkommen. Mahler im Jahre 1898 in Wien zu seinem höchsten Vorgesetzten Andere pflegen sich und reiben das Theater auf; ich reibe mich auf und pflege das Theater, Menschlich mache ich jede, künstlerisch gar keine Konzession; wer zu verlieren fürchtet, ist schon verloren. Was ihr Theaterleute euere Tradition nennt, das ist nichts anderes als euere Be quemlichkeit und Schlamperei. Aussprüche des Operndirektors Mahler Gustav Mahler als Dirigent (Schattenrisse von Dr. Otto Boehler)