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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YGI E N E - M U S E U M 9. ZYKLUS-KONZERT MOZART - MAHLER Sonnabend, 4. April 1964,19.30 Uhr Sonntag, 5. April 1964,19.30 Uhr Dirigent: Dieter-Gerhardt Worm Solisten: Helmut Rucker, Dresden, Flöte Bärbe Seydel, Dresden, Harfe Gustav Mahler i86o-i9ii Adagio Fis Dur aus der 10. Sinfonie - Pause - Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Konzert für Flöte und Harfe C-Dur, KV 299 Allegro Andantino Rondo - Allegro Sinfonie Nr. 39 Es-Dur, KV 543 Adagio - Allegro Andante con moto M enuetto - Allegretto Finale - Allegro Dr. Dieter Hartwig GUSTAV MAHLER Bildnis einer großen Musikerpersönlicbkeit (VIII) Wir haben gesehen, daß Mahler dort, wo er seine Weltanschau ung bewußt formulierte, über den bürgerlichen Standpunkt seiner Tage nicht hinauskam, wenn ihn auch seine Stellung zur Arbeiterklasse über dieses Weltbild hinaushob. Daß er in der Gemeinheit der Menschen, der Grausamkeit des „Schick sals“ das Böse schlechthin er blickte, können wir ihm nach fühlen, ohne ihm darin freilich folgen zu wollen, da wir ge lernt haben, die Ursachen ge sellschaftlicher Zusammen hänge schärfer zu analysieren und einen hoffnungsreicheren Weg in den menschlichen Be- Gustav Mahler, 1911, letzte Aufnahme Ziehungen einzuschlagen. Mah ¬ lers Lösung, die in der Vereinigung mit Gott bestehen soll, werden — auch wenn Gott als Symbol für die Liebe steht — nicht alle von uns heute akzeptieren können. Während seiner letzten Lebensjahre entging Mahler — nicht zuletzt unter dem Einfluß amerikanischer Modeströmungen — keineswegs der bürgerlichen Skepsis seiner Tage. So erklären sich gewisse pessimistisch-mystische Tendenzen in einigen Spätwerken, von denen er — wir nannten die Ursachen — zeitlebens nie ganz frei gewesen war. In der 8. Sinfonie, der sogenannten „Sinfonie der Tausend“, in der er die alte lateinische Hymne „Veni, creator Spiritus“ mit den Schlußversen aus Goethes „Faust II“ kantatenhaft zusammenfügt, deutet er Goethes Worte nicht in dessen aktiv-optimistischen Sinne, sondern mystisch verklärt. Resignation bestimmt auch weite Teile des „Liedes von der Erde“; die Zerrissenheit der bürgerlichen Welt erscheint darin als etwas Unaus weichliches, Unüberwindliches. Seine sittliche Größe und Reinheit befähigte Mahler jedoch, gegen die geistige Enge seiner Zeit — auf seine Weise — anzukämpfen. Seiner Ab lehnung jeglicher Stimmungsmusik stellte er die Forderung nach gegen sätzlichen, plastischen Themen und Motiven, nach wechselvoller, logischer Entwicklung der Ideen gegenüber. Das war nicht eine bloße technische Frage, sondern eine Konsequenz seiner Weltanschauung. Er bekannte sich in seiner Musik zu allem, was er für wahr und gut hielt, dazu nahm er Stellung, dafür kämpfte er unerbittlich. Seine Tonwerke sind „begei sternde Aufrufe, die Hoffnung und den Kampf um die Weiterentwicklung des Menschen nicht aufzugeben“ (G. Knepler). Der müden, untergehenden Wiener Gesellschaft, ihrer Korruptheit und Sensationsgier, setzte Mahler seine Musik entgegen, in der das Leben ungeschminkt gestaltet war, so wie es war, so wie es Mahler erlebte, grausam, widersprüchlich — wie die