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sporadischen Erfolge (die Ich vielleicht nur äußerlichen Begleitumständen ver danke) scheint sich noch ein langer Leidensweg für meine Werke zu eröffnen. Und für meine zukünftigen vielleicht noch mehr! . . . Meine Sechste wird Rätsel auf geben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen und verdaut hat.“ — So darf nur ein Narr sprechen oder einer, der wie Gustav Mahler unerschütterlich von seinem Berufensein überzeugt ist, und dessen menschlich-ethische und künstlerische Größe, allem Hohn zum Trotz, unbeirrt und unnachgiebig in vollem Bewußtsein innerer Kraft sich der Lösung der gewaltigsten und ernstesten Probleme des Lebens und der Kunst gewachsen fühlt. Für das Herannahen jener Zeit, für die Erschließung dieser großen Werke zu strei ten, ist das einzige Ziel, das über die schwere Stunde wegtragen kann, in der wir den Meister der Erde übergeben müssen, und das schönste für alle, die ihn je geliebt haben. Aus: „Der Merker“, österreichische Zeitschrift für Musik und Theater, 2. Jg., Wien, 2. Mai-Heft 1911 Einführung in das 6. Zykluskonzert Bei der Form der „konzertanten Sinfonie" (ital. Sinfonia concertante), die sich in der Nachfolge des barocken Concerto grosse Mitte des 18. Jahr hunderts entwickelt hatte und von zahlreichen Komponisten der Zeit ge pflegt wurde, handelt es sich um eine Art Zwischenform von Sinfonie und Solo-Konzert, um eine Sinfonie mit mehreren in verschiedener Weise (ein zeln oder in Gruppen) solistisch hervortretenden Instrumenten. Auch Wolfgang Amadeus Mozart schrieb mehrere Kompositionen in diesem Genre, so ein Frühwerk, das Concertone KV 190 (mit zwei Solo violinen) oder die Sinfonia concertante Es-Dur KV 297 b, Anh. 9 (mit vier Blasinstrumenten). Sein zeitlich letzter und unbedingt bedeutungsvollster Beitrag zu dieser Musizierform aber ist die Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester Es-Dur, KV 364, die vermutlich ungefähr im Herbst 1779 entstanden ist (eine aus der gleichen Zeit stammende Sinfonia concer tante in A-Dur für Violine, Viola und Violoncello blieb unvollendet). Das Werk, das gleichzeitig Mozarts letztes Konzertwerk für Streichinstrumente, die Krönung dieses für ihn früh hinter anderen Gattungen zurückgetretenen Schaffensgebietes darstellt, zählt in seiner bereits hohen künstlerischen Reife zu den stärksten Leistungen des jungen Komponisten aus diesen Jahren. Der erste Satz (Allegro maestoso) wird mit einem breit angelegten, prunk- voll-rauschenden Orchestertutti eröffnet. Im Verlaufe des Satzes spielen dann allerdings die beiden Soli, die sich (nach einem großen Orchester crescendo in der Art der Mannheimer Schule) nacheinander vorstellen, eine dominierende Rolle; das Orchester wird hauptsächlich begleitend, die aus drucksvollen Zwie- und Wechselgesänge der Soloinstrumente unterstützend, eingesetzt. Zu einem wirklichen „Konzertieren" zwischen Solisten und Or chester, zu reizvollen Dialogen, kommt es im darauffolgenden Andante in c-Moll, einem von innigsten Gefühlen beseelten, ergreifenden Musikstück, dessen empfindungstiefes Hauptthema zuerst durch die Violine, danach durch die Viola zum Klingen gebracht wird. Der Satz muß als einer der bedeutendsten langsamen Sätze überhaupt angesehen werden, die Mozart bis dahin geschrieben hatte. Den Ausklang des Werkes bildet ein Finale in Rondoform, dessen sprühende, kraftvolle Heiterkeit in stärkstem Kon trast zum tiefen Ernst des vorangegangenen Satzes steht. Eines der ganz besonders selten zu hörenden sinfonischen Werke Gustav Mahlers ist die 6. Sinfonie a-Moll, seine „Tragische Sinfonie". Die in den Jahren 1903/05 entstandene, am 27. Mai 1906 unter Mahlers Leitung in Essen zur Uraufführung gebrachte Komposition gehört allerdings in ihrer gedanklichen und klanglichen Herbheit, ihrer monumentalen Anlage zu den am wenigsten eingängigen, am schwierigsten zu verstehenden und an spruchsvollsten Werken des Komponisten und erschließt sich eigentlich erst nach öfterem Hören mehr und mehr. Im Gegensatz zu der vorangegangenen 5. Sinfonie, die nach anfänglicher Düsternis schließlich zu Befreiung und Triumph führte, endet die „Sechste" nach gewaltigen Kämpfen voller Sehn sucht nach Klärung und Überwindung doch in Dunkelheit und Hoffnungs losigkeit. Um die pessimistische Gefühlsrichtung dieser Sinfonie, den Un frieden und die Zerrissenheit der Seele, die sich hier widerspiegeln, ursäch lich begreifen zu können, müssen wir uns erneut vor Augen stellen, in welch einer Epoche Gustav Mahler seine Werke geschrieben hat. „Es ist oft bemerkt worden, wie Mahler unter der Krise der bürgerlichen Welt, jener .Entwertung aller Werte" litt, die der Imperialismus herbeigeführt hatte. In seinem Werk erscheinen denn auch zunächst einmal in ganz auffälligem Maße Bilder des Schreckens und Grauens, der Verzweiflung und Seelen nacht gequälter, gejagter Menschen, so wie besonders in der ins Riesige gesteigerten und dabei tragisch-erschütternden 6. Sinfonie. Das Leid zahl loser Mitmenschen leidet er mit; er empfindet die Auflösungserscheinungen einer ganzen Epoche und insbesondere der bürgerlichen humanistischen Kultur, und er empfindet auch die Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Gefühls kälte, Gleichgültigkeit, so wie er sie im Wien von damals um sich hatte" (E. H. Meyer). Speziell muß für die 6. Sinfonie auch die unmittelbare Ent stehungszeit berücksichtigt werden: die Tätigkeit des Komponisten als Wiener Operndirektor neigte sich bereits ihrem Ende zu, und die damit im Zusammenhang stehenden verbitternden Kämpfe, die auf seine Gedanken und Stimmungen selbstverständlich nicht ohne Einfluß blieben, mögen hier ihren Niederschlag gefunden haben; zudem ist denn wohl auch viel intim Persönliches aus Mahlers Leben in die Sinfonie eingegangen. „Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen wie dieses. Wir weinten damals beide, so tief fühlten wir diese Musik und was sie vorahnend ver riet. Die „Sechste" ist sein allerpersönlichstes Werk", schrieb seine Gattin Alma dazu. Demgegenüber muß aber auch deutlich herausgestellt werden, daß die tragische Grundhaltung der 6. Sinfonie keinesfalls als abschließen des Bekenntnis des Komponisten zu werten ist, der im Grunde durchaus kein Pessimist war, sondern für den das Leben immer lebens-, immer kämp fenswert blieb. Bereits in seiner nächsten, der 7. Sinfonie, fand er wieder zu sieghafter Überwindung der dunklen Mächte, und bezeichnenderweise ist die „Sechste" überhaupt die einzige seiner Sinfonien, die derartig resig nierend beschlossen wird. — In seinem formalen Aufbau ist das eine unge meine Verfeinerung des musikalischen Ausdrucks aufweisende Werk tradi tionell viersätzig und nicht wie andere Mahler-Sinfonien in Abteilungen gegliedert. Wesentlich erscheinen die stark erweiterte Thematik und die vielfältigen thematisch-gedanklichen Verbindungen zwischen den einzelnen Sätzen. (Hierbei sei vor allem das charakteristische symbolische „Motto" der Sinfonie erwähnt, das in Gestalt eines kurzen „Leitmotivs", des nach a-Moll absinkenden A-Dur-Dreiklangs, an entscheidenden Stellen auftritt und das gewaltsame Niedergedrücktwerden symbolisieren soll.) In bezug auf die riesigen orchestralen Mittel, die Mahler wiederum einsetzte, um seine geistigen Intentionen zu verdeutlichen, wird sogar gegenüber der 5. Sinfonie noch eine Steigerung erreicht; vor allem kommt ein besonders großes Aufgebot von Schlaginstrumenten (u. a. Rute, Holzklapper, Herden glocken, Hammer) zur Anwendung. Ein Allegro energico bildet den ersten Satz. Aus Marschrhythmen entwik- kelt sich das Hauptthema von trotziger Entschlossenheit, dann erklingt zum erstenmal als Trompetenmotiv das bereits genannte „Motto" der Sinfonie. Nach einem choralartigen Seitensatz in F-Dur wird das leidenschaftliche zweite Thema (mit dem der Komponist Alma porträtieren wollte) vorgetra-