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immer wieder zog es ihn in die alte Heimat. Seinen Wohnsitz in Wien hatte er nicht aufgegeben — „leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener", schrieb er in jenen Tagen. Jeden Sommer verbrachte er weiterhin in seinen geliebten österreichischen Bergen, namentlich in Alt-Schluderbach bei Tob lach (Osttirol), und widmete sich quälend-beglückender Komponiertätig keit, bedrängt von peinigender Todesahnung. Mit dem „Lied von der Erde**, der 9. und der Fragment gebliebenen 10. Sinfonie erreichte er einen letzten schöpferischen Höhepunkt. Mahler hat keines dieser späten Werke mehr selber gehört. Die stürmisch bejubelte Uraufführung seiner 8. Sinfonie, der sogenannten „Sinfonie der Tausend", im September 1910 in München unter seiner Leitung war der größte und auch letzte triumphale Erfolg, den der Komponist Mahler je zu Lebzeiten errang, überhaupt setzte er sich in jenen Jahren neben seinen amerikanischen Verpflichtungen vor allem für sein eigenes vollendetes Schaffen ein: 1908 brachte er in Prag und München seine „Siebente" zur Aufführung, dirigierte in Amsterdam, Paris und Wies baden. Auf seinen vielen Reisen, die seine ohnehin erschütterte Gesundheit mehr und mehr untergruben, lernte er viele bedeutende Persönlichkeiten seiner Zeit kennen, so 1909 in Paris den Bildhauer Auguste Rodin, ein Jahr später kam er in Berührung mit dem Kreis um Debussy. Ein Jahr vor seinem Tode suchte er in Leyden Sigmund Freud auf. 1910 schloß Mahler mit der Universal-Edition Wien einen Gesamtvertrag über die Veröffentlichung seines Lebens Werkes ab, aus dessen Erträgnissen auch die Druckkosten der ersten Gesamtausgabe der Werke Bruckners be stritten werden sollten. So hoffnungsvoll zunächst seine Tätigkeit in New York begonnen hatte, wurde er schließlich gewahr, daß ihm auch hier Geg ner erwachsen waren. Doch alle Pläne des Meisters wurden durch seine tödliche Krankheit zunichte gemacht. Am 21. Februar 1911 mußte er seine Konzerte in New York abbrechen. Der Arzt diagnostizierte eine perniziöse Vergiftung durch Streptokokken. Man empfahl eine Behandlung durch einen berühmten europäischen Bakteriologen. In Begleitung seiner engsten Ange hörigen verließ der Todkranke, ganz der Hilfe und Sorge seiner Frau an heimgegeben, Anfang April Amerika. Ferruccio Busoni, der sich zufällig auf demselben Schiff wie die Mahlers befand, zeigte sich herzlich um das Wohl des Sterbenden besorgt. In Paris wechselten Stunden hoffnungsvoller Zuversicht (so entwickelte er den Plan einer Inszenierung von Cornelius’ Oper „Der Barbier von Bagdad") und müder Resignation. Dann, in Wien, in der Stadt, dessen musikalisches Leben er einst zu einer beispiellosen Höhe geführt hatte, kam das Ende, nach langer Agonie. Eine riesige Men schenmenge folgte Mahlers Sarge, als er auf dem Friedhof der Wiener Vor stadt Grinzing beigesetzt wurde. In Alma Mahlers Lebenserinnerungen fin den sich nachstehende Sätze: „Gustav Mahler ist am 18. Mai (1911) von mir gegangen. Was liegt alles dazwischen. Ein unruhiges Leben. Viel Leid. Viel große Freude. Heute ist der erste Abend, an dem ich allein in meiner neuen Wohnung schlafen soll... Ich habe eben in der eisernen Kassette Gustav Mahlers Abschied an mich gefunden. Es sind die Skizzen zur 10. Sin fonie. Wie eine Manifestierung muten sie mich an, diese ungeheuren Lie besworte aus dem Jenseits.*' Am Schluß ihrer „Erinnerungen an Gustav Mahler" (Amsterdam 1940) schreibt Alma Mahler: „Sein Sterben, die Größe seines Gesichtes, das immer schöner wurde, nahe dem Tode — ich will und werde es nie vergessen! Sein wahrhaftes Ringen um die ewigen Güter, sein Erhobensein über jede Alltäglichkeit, seine Wahrheitsseligkeit bis in den Tod sind das Beispiel eines heiligmäßigen Lebens." (Fortsetzung im nächsten Programmheft) Nadi der Enthüllung des Herzleidens Ich habe mich hier zunächst einzurichten versucht. Diesmal habe ich nicht nur den Ort, sondern auch meine ganze Lebensweise zu verändern. Sie können sich vor stellen, wie schwer mir letzteres wird. Ich hatte mich seit vielen Jahren an stete und kräftige Bewegung gewöhnt. Auf Bergen und in Wäldern herumzustreifen und in einer Art keckem Raub meine Entwürfe davonzutragen. An den Schreibtisch trat ich nur wie ein Bauer in die Scheune, um meine Skizzen in Form zu bringen. Sogar geistige Indispositionen sind nach einem tüchtigen Marsch (hauptsächlich bergan) gewichen. — Nun soll ich jede Anstrengung meiden, mich beständig kon trollieren, nicht viel gehen. Zugleich fühle ich in dieser Einsamkeit, wo iph nach innen aufmerksam bin, alles deutlicher, was in meinem Physischen nicht in Ord nung ist. . . Daß ich sterben muß, habe ich schon vorher auch gewußt. — Aber ohne daß ich Ihnen hier etwas zu erklären oder zu schildern versuche, wofür es vielleicht überhaupt keine Worte gibt, will ich Ihnen nur sagen, daß ich einfach mit einem Schlage alles an Klarheit und Beruhigung verloren habe, was ich mir je errungen ... Gustav Mahler im Sommer 1908 aus Toblach an Bruno Walter Als Konzertdirigent in Amerika Ich brauche eine praktische Bestätigung meiner musikalischen Fähigkeiten unbe dingt als Gegengewicht gegen die ungeheuren inneren Ereignisse beim Schaffen: und gerade die Leitung eines Konzertorchesters war lebenslang mein Wunsch . .. Warum hat mir Deutschland oder Österreich so was nicht geboten? .. . Ferner: Ich brauche einen gewissen Luxus, eine Behaglichkeit der Lebensführung, die mir meine Pension (das einzige, was ich in einer beinahe dreißigjährigen Dirigenten tätigkeit erwerben konnte) nicht hätte erlauben können. Daher war es ein will kommener Ausweg für mich, daß mir nunmehr Amerika nicht nur eine meinen Neigungen und Fähigkeiten adäquate Tätigkeit, sondern auch einen reichlichen Lohn dafür geboten hat, der mich nun bald instand setzen wird, den mir noch beschiedenen Abend meines Lebens in menschenwürdiger Weise zu genießen. Gustav Mahler am 1. Januar 1910 aus New York an Guido Adler Gustav Mahler ist tot Nur wer es weiß, was sein großes Leben bedeutete, kann ermessen, was mit ihm dahinging. Ein Mensch von einziger Art ist fort; einer, der immer in Flammen stand, der in Ekstase sich selbst zu verbrennen schien, einer, dessen bloßes Dasein all denen, die ihn liebten, Besitz, Erkenntnis, Beispiel und geistige Zuflucht war. . . Und wenn auch die Zeit des endlichen Triumphes seines Schaffens anbrechen mag — er hat sie nicht erleben dürfen. Was an ihm und seinem Werk derartig bezwang, war nicht das gebändigte Gleich maß ruhiger Harmonie; es war der Sturm in ihm, der unerhörte Wille zum Äußer sten und Letzten, die verzehrende Intensität seines Erlebens, die fanatische Energie und die herrliche Unduldsamkeit gegen sich und andere, die der eigenen Tondich tung und seiner Wiedergabe jeglichen Werks den extremsten und lautersten Aus druck erzwang. Diese prachtvolle, unbeugsame und unbarmherzige, fast asketische Reinheit und Strenge der künstlerischen Gesinnung, die kein Beschwichtigen kannte, ehe das letzte Ziel erreicht wurde, war es, die alle Liebe und allen Haß gegen ihn wachrief. . . Das Ringen gegen alles gedankenlose Hergebrachte und gegen die Hemmnisse, die ihm die bloß äußerlich liebenswürdige Alltagstradition und ihre Vorkämpfer bereiteten, hat ihn krank gemacht. . . Ein hoher Trost ist da: das Werk, das er uns hinterläßt. Jeder, der ihm innerlich nahegekommen ist, weiß, daß in diesen zehn sinfonischen Kolossen und in all den, in ihrer verzehrenden Schmerzlichkeit und ihrer wunderschönen, kindlich heiteren Einfalt ergreifenden Gesängen eine Größe waltet, die an das Höchste reicht, was wir besitzen. Mag sein, daß es noch geraume Jahre währen wird, bis diese Größe ganz erkannt werden kann . . . Er selbst hat das wohl begriffen und hat sich auch über einmütige Erfolge des einen oder des anderen Werkes nie getäuscht. Was nicht etwa sagen will, daß er sich seines Ranges und des Wertes seines Schaffens nicht bewußt gewesen wäre .. . Aber er wußte auch, wie lange Zeit verstreichen müsse, bis die Erkenntnis seiner Tondichtungen allgemein werden könne und hat es — zur Zeit der Beendigung seiner 6. Sinfonie — selbst ausgesprochen: „Trotz meiner