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KO N G RE S S-S AAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Mittwoch, 25. Dezember 1963, 19.30 Uhr Donnerstag, 26. Dezember 1963, 19.30 Uhr 5. Außerordentliches Konzert Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solist: Gerhard Berge, Dresden Ludwig van Beethoven 1770-1827 4. Sinfonie B-Dur, op. 60 Adagio - Allegro vivace Adagio Allegro vivace Allegro ma non troppo Konzert für Klavier und Orchester B-Dur, op. 19 Allegro con brio Adagio Rondo - Pause - 5. Sinfonie c-Moll, op. 67 Allegro con brio Andante con moto Allegro - Allegro Gerhard Berge In Beethovens ganzem Wesen - in seiner Art, zu empfinden und die Welt in sich aufzunehmen, in der ihm eigentümlichen Form des Verstandes und des Willens, in den Gesetzen seines Schaffens, in seinem Ideenkreis ebensowohl wie in der Beschaffenheit seines Körpers und in seinem Temperament - stellt sich ein Stück europäischer Geschichte dar. Wenn ich Beethoven zeichne, so zeichne ich die Schar, die ihm folgt. Unsere Zeit. Unser Ideal. Uns und unsre Genoss sin, die Freude, die uns wunden Fußes begleitet. Das ist nicht die satte Freude derer,, die im Überfluß schwelgen, sondern die Freude der Tapferen, die mühsam streben und sich bewähren, die das Leiden überwunden, sich selbst gebändigt und das Schicksal unterworfen, an sich genom men und fruchtbar gemacht haben. Romain Rolland Zur Einführung Die 4. Sinfonie in B-Dur, o p. 6 0 , komponierte Ludwig van Beethoven im Jahre 1806 und brachte sic im März 1807 neben anderen eigenen Schöpfungen in Wien zur Urauffüh rung. Der Meister war zu jener Zeit - trotz der Enttäuschungen, die er mit seiner einzigen Oper, „Fidelio“, eben erlebt hatte -, „heiter, zu jedem Scherz aufgelegt, frohsinnig, munter, lebenslustig, witzig, nicht selten satirisch“, wie uns sein Zeitgenosse Seyfried überlieferte. Seine auch nach Mißerfolgen ungebrochene Schaffenskraft und jene geschilderte Stimmung haben sich in der „Vierten“, die in relativ gedrängter Zeit entstand, niedergeschlagen. Die Sinfonie weist durchweg eine inhaltliche Helle, eine heitere Atmosphäre auf, die von Haydn und Mozart gewiß nicht unbeeinflußt ist, obwohl Beethoven auch in diesem Werk - nach der Eroica - eine ganz neue Stufe seiner Entwicklung erreicht hat, die sich etwa in der diffizilen Harmonik und der inhaltlichen Klarheit offenbart. Der Aufbau der 4. Sinfonie ist locker, fast improvisiert, sic strotzt vor musikalischen Einfällen, die den Eindruck optimistischer Lebenshaltung erzeugen. Nur selten einmal werden Schatten beschworen, Hintergründe gesucht. Geheimnisvoll wirkt zunächst die Adagio-Einleitung des ersten Satzes, aus deren vcrschwebend- erregenden Klängen sich plötzlich in frischem Allegro-vivace-Tcmpo das heiter-bewegte Haupt thema mit seinem Trioienauftakt herauslöst, das für den Satzablauf bestimmend wird. Dem reizvoll-beschwingten Spiel mit diesem Thema werden noch zwei Seitenthemen in F-Dur, durch Holzbläser vorgeführt, beigegeben, die im Gefolge mit dem Hauptgedanken die urmusikan- tische Stimmung der Durchführung vorantreiben. Keine Konfliktsituation kommt auf. Doch allmählich weicht die Turbulenz der Entwicklung einer Episode inniger Ruhe und Schönheit. Auf schwebenden H-Dur-Harmonien scheint die Bewegung zu Ende zu sein. Doch über einem sich steigernden Paukenwirbel fängt das Spiel mit dem Hauptthema noch einmal an und wird zu einem glanzvollen Schluß geführt. Der melodisch-empfindungsvolle langsame Satz, ein Adagio in Es-Dur, wird von zwei Themen getragen. Dem Hauptthema, in den Violinen erklingend, schließt sich ein schwärmerischer Seitengedanke in den Klarinetten an. Unbeschreiblich friedvoll, traumhaft, sphärisch rein mutet dieses Adagio mit seiner differenzierten Dynamik und der eigenartigen Instrumentation an. Der Einbruch des Leides in diese glückhafte Welt wird überwunden. Typischen Scherzocharakter besitzt der dritte Satz, Allegro vivace, mit seiner rhythmischen Ursprünglichkeit, der Derbheit seines Ausdrucks. Das Trio verarbeitet eine verspielt-heitere Ländlerweise, die in den Holzbläsern angestimmt wird. Lebenssprühend, wirblig gibt sich das Finale, Allegro ma non troppo, das zwar in Mozartschem und Haydnschcm Geiste entworfen, doch in vielen Schroffheiten den typischen Beethoven erkennen läßt. Ruhelose Sechzehntel bewegungen charakterisieren das markante erste Thema, volkslicdhaftc Melodik das zweite. Welch ein Spiel mit Motiven, Stimmungen und Steigerungen! Welch meisterlicher Humor durch pulst diese Partitur! Man achte auch auf die Überraschungen des Schlußteils mit seinen Orche sterschlägen und Gcncralpausen. Mitreißend im wahrsten Wortsinn ist dieses Sinfoniefinale. Beethoven galt zu Lebzeiten als der bedeutendste Pianist und Improvisator nach Mozarts Tod. Carl Czerny, sein Schüler, äußerte über Beethoven als Pianist folgendes: Er „entlockte dem Fortepiano ganz neue kühne Passagen durch den Gebrauch des Pedals, durch ein außerordent lich charakteristisches Spiel, welches sich besonders im strengen Legato der Akkorde auszcichnctc und daher eine neue Art von Gesang bildete - viele bis dahin nicht geahnte Effekte. Sein Spiel besaß nicht jene reine und brillante Eleganz mancher anderer Klavicristen, war aber dagegen geistreich großartig und besonders im Adagio höchst gefühlvoll und romantisch. Sein Vortrag war, so wie seine Komposition, ein Tongemälde höherer Art, nur für die Gesamtwirkung be rechnet.“ Ebenbürtig den anderen Instrumentalwerken reiften Beethovens fünf Klavierkonzerte, zunächst für den eigenen Gebrauch komponiert, mit der Entwicklung seines sinfonischen Schaf-