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Zur Einführung Von der musikwissenschaftlichen Forschung wird immer umfassender und präziser der Einfluß der französischen Revolutionsmusik auf das sinfonische Schaffen Ludwig van Beethovens nach gewiesen. Wie der Geist der Französischen Revolution das Weltbild und die Ideale des großen deutschen Komponisten wesentlich mitbestimmt hat, so hat auch die kämpferische und vor wärtsdrängende Musik dieser Epoche ihre Eindrücke auf Beethoven nicht verfehlt. Es ist aus diesem vergleichenden Blickwinkel besonders interessant, ein bedeutendes Werk dieser Zeit zu hören: die „Sinfonie für großes Orchester“ in g-Moll von Etienne Nicolas Mehul. Der im Jahre 1763 geborene Komponist (gestorben 1817) darf wohl neben Gretry (1742-1813), Gossec (1734-1829) und Cherubini (1760-1842) als bedeutendster Vertreter der Musik der Revolutions zeit gelten. In Paris als Organist, später als Musiklehrer tätig, Inspektor des Conservatoire und Akademiemitglied, schrieb Mehul zahlreiche Opern, einige sinfonische Literatur, Festmusiken und Chöre für das „Fest des höchsten Wesens“, dazu auch Massenlieder wie beispielsweise den berühmten „Chant du Depart“. Von den insgesamt sechs Sinfonien ist die g-Moll-Sinfonie das deutlichste Beispiel für die „Einfachheit, Größe und Entschlossenheit, die den demokratischen Künstler charakterisieren soll“, wie Mehul selbst forderte. Das Werk entstand im selben Jahr, in dem Beethovens 5. Sinfonie zur ersten Aufführung gelangte — 1808. In vollkommener Unabhängigkeit voneinander entstanden, müssen gewisse Ähnlichkeiten im Wesen der Werke, aber auch in Details um so mehr frappieren, Ähnlichkeiten, auf die schon Robert Schumann hingewiesen hat und die ein bedeutsames Licht auf Beethovens geistige Nähe zur Französischen Revolution werfen. Andererseits aber überrascht die musikalische Größe, die Eindringlichkeit der thematischen Erfindungen, die dramatisch-sinfonische Verarbeitung der Themen in der an sonsten an überragenden Werken vor Berlioz nicht gerade reichhaltigen französischen sinfo nischen Literatur. Ohne jede Einleitung setzt im ersten Satz - Allegro — das aus Holzbläsern, Streichern und Pauken bestehende Orchester klar und bestimmt mit dem aus Dreiklangsbrechungen und großen Sprüngen bestehenden ersten Thema ein. Eine kreisende Achtelbewegung gehört zu diesem Themenkreis genau wie ein fanfarenartiges Quartsprungmotiv und abschließend eine kaden- zierende Zweiunddreißigstelfigur. Gesanglich gibt sich das zweite Thema, in seinen geraden Tonleiterausschnitten deutlich gegen die Sprunghaftigkeit des ersten Dreiklangthemas abge setzt. Schon in der Exposition, weitaus dramatischer aber noch in der Durchführung werden diese gegensätzlichen Themen, ihre einzelnen Motive gegeneinander geführt. Der Verehrer der französischen Barockmeister zeigt hier sein kontrapunktisches Können. Ist die Durchführung wiederum mit den Zweiunddreißigstelkadenzen abgeschlossen, beginnt Mehul die Reprise I mit dem zweiten Thema, das erst ziemlich weit entwickelt wird, ehe das erste Thema zu seinem Recht kommt. Auch die Coda ist noch reich an kämpferischer Stimmung. Harmlos — inhaltlich wie formal - zeigt sich der zweite Satz - Andante. Der freundliche Liedsatz erfährt erst einmal eine Wendung nach Moll. Dann, wieder in B-Dur angelangt, folgt eine Reihe von Figurationen des Liedthemas, die aber eine wirkliche Vertiefung nicht mit sich bringen. Von großer Bedeut samkeit erweist sich das Menuett, das große Ähnlichkeiten zum Scherzo der „Fünften“ zeigt. Nicht nur die Dreiklangsbrechungen im Auf- und Abstieg, auch das Pizzikato der Streicher, eben die ganze düstere und dumpfe, unheilschwangere Stimmung ist der des Beethovenschen Scherzos verwandt. Die Ähnlichkeiten setzen sich im Trio fort: hier wie dort nun in der Dur- Parallele die rollenden Läufe in der tiefen Lage. An der Wiederholung des Menuett-Teiles beteiligen sich auch die Holzbläser. Schließlich lassen sich auch im Finale - Allegro agitato - Parallelen zu Beethovens Schicksalssinfonie feststellen, dieses Mal zum ersten Satz und dessen bekanntem Klopfmotiv. Denn auch das Hauptthema des Mehul-Finales wird beherrscht durch klopfende Tonwiederholungen, die nur an wenigen Stellen den Satz verlassen. Voller Unruhe und Gehetztheit jagt der Satz dahin, ohne allerdings je die ganze Wucht und Gewaltigkeit des Beethovenschen genialen Anfangssatzes zu erreichen. Eine unheimliche Note tragen Zweiund dreißigstelfetzen hinein, die durch das ganze Orchester gefegt werden und die zu dramatischen Höhepunkten führen, wenn sie mit dem jagenden Klopfthema in der Reprise kombiniert wer den. Ohne Nachlassen der Energien wird der Satz zu seinem kraftvollen, in Moll beharrenden Ende geführt. Das Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur von Maurice Ravel gehört mit dem zur glei chen Zeit - 1930/31 - entstandenen Konzert für die linke Hand zu den letzten und reifsten Kompositionen des großen französischen Komponisten. Es zeigt Ravel auf dem Höhepunkt seiner kompositionstechnischen und stilistischen Entwicklung. Am 7. März 1875 in dem Pyrenäen städtchen Ciboure geboren, studierte er bei Gabriel Faure und gelangte stark in die Einfluß sphäre Claude Debussys. Gleich den Werken dieses großen musikalischen Impressionisten ist auch in den imponierenden frühen Kompositionen Ravels eine starke Auflösung der Form zu gunsten schillernder Impressionen zu bemerken. Die Schulung an Ramcau und Couperin („Le Tombeau de Couperin“), ein stärker Hang zur tänzerischen Geste („La Valse“) und eine enge Verbundenheit mit der vitalen Folklore des benachbarten Spanien („Bolero“!) lassen jedoch in seiner kompositorischen Entwicklung immer mehr eine klare Zeichnung und ein gestaltendes Formbewußtsein Raum gewinnen. Davon gibt das G-Dur-Klavierkonzert, für die berühmte Pianistin Marguerite Long geschrieben, deutlich Zeugnis ab. Ganz klare thematische Erfindungen sind zu beobachten, die in knapper und präziser Form spielerisch und mit viel Sinn für klang liche Delikatesse vorgetragen werden. Dabei fällt dem Soloklavier eine brillante Rolle zu. Die Harmonik atmet glasklaren romanischen Geist, fern jeder Schwülstigkeit und Überladenheit. Den Ton des ersten Satzes gibt ein heiteres Thema der Pikkoloflöte an. Das Soloinstrument trägt eine lyrische Stimmung hinein. Vor einer ausladenden kadenzartigen Solostelle des Pia nisten steht eine klanglich interessante Hornkantilene, von raschen Holzbläserläufen begleitet. Dann setzt sich die heitere Anfangsstimmung wieder durch. Von wunderbarer Ausgeglichenheit ist der zweite Satz — Adagio assai -, der durch einen ausdrucksvollen, liedhaft empfundenen Klaviersatz eröffnet wird. Die expressive Weise wird später vom Horn übernommen und von filigranartigen Klavierfiguren umspielt. Den konstanten Untergrund bildet eine ostinat durch gehende Achtelbewegung im Baß des Klaviers, die erst im vorletzten Takt verändert wird. Von klassizistischer Heiterkeit erweist sich der letzte Satz - Presto. Nach einer schwirrenden Quintbewegung des Solisten wechseln sich die Bläser mit einem kecken Thema ab. Eine %-Epi- sode ist von besonderer Brillanz. Der ganze helle, sonnige Satz ist von großer Durchsichtigkeit, von typisch französischer geistiger Prägnanz und Delikatesse. Aus dem reichhaltigen und vielseitigen Schaffen Ces ar Francks haben sich in Deutschland neben etlichen Orgelwerken und einiger Kammermusik eigentlich nur seine d-Moll-Sinfonie und die heute erklingenden Sinfonischen Variationen einen festen Platz in den Konzertsälen erringen können. Die relativ geringe Anteilnahme, die man in Deutschland dem Leben und Schaffen dieses Meisters zollt, ist um so verwunderlicher, als seine Musik der deutschen durchaus nicht wesensfremd ist und für Franck Anregungen der deutschen Musik seiner Zeitgenossen Brahms und Wagner, aber auch Bachs geistig und formal von großer Bedeutung waren.