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Als 1907 nach qualvollem Leiden Mahlers Tochter Maria Anna von Scharlach- Diphterie hingerafft wurde, stand der Meister selbst jenem bitteren Geschick gegenüber, dem er Jahre zuvor in seinen „Kindertotenliedern" ergreifenden Aus druck verliehen hatte. Bald darauf eröffnete ihm sein Arzt, daß seine eigene Ge sundheit nicht die beste sei, und konstatierte ein perniziöses Herzleiden. In dieser Situation ging Mahler an die Vertonung seines schwermütigen „Liedes von der Erde". Körperlich geschwächt und seelisch zermürbt zog sich Mahler Anfang Dezember des Schicksalsjahres 1907 von den Geschäften des Operndirektors zurück. Ver stärkte Intrigen in den Jahren 1906/07 gegen den allzu „unbequemen", ständig das Höchste fordernden Chef, die mehr und mehr vergiftete Arbeitsatmosphäre um ihn herum, der Kampf der für und wider ihn steifenden Parteien, Unstimmigkeiten mit dem Intendanten der Wiener Hofoper, Prinz Montenuovo, der ihm häufig Vorhal tungen wegen seiner vielen Reisen machte — das waren einige der Gründe, die Mahler mit einer gewissen Erleichterung, aber doch zugleich voll enttäuschter Bitterkeit aus seinem Amte scheiden ließen. Mit einer Aufführung des „Fidelio" und seiner „Auferstehungssinfonie" verabschiedete sich Gustav Mahler von Wien, dessen Musikleben er zehn Jahre lang den Stempel seiner Persönlichkeit aufge drückt hatte, nachdem er nochmals nach Petersburg und nach Helsingfors gereist (und in der finnischen Hauptstadt mit Jean Sibelius zusammengetroffen) war. Das Ende des Jahres 1907 sah ihn bereits in der Neuen Welt. (Fortsetzung im nächsten Programmheft) Den Abschied feierte man im Konzertsaal, wo Mahler seine 2. Sinfonie mit dem Philharmonischen Orchester in höchster Vollendung aufführte, wo er, schon ver loren, noch einmal mit überirdischer Macht alle Gemüter zwang. Eine Art Raserei antwortete dem deutungs- und beziehungsreichen Schluß des Werkes. Keiner wich, und er, ein Feind des Beifalls, in Verbeugungen nicht geübt, hatte immer wieder zu danken ... Noch in den ersten Dezembertagen begann Mahler, von seiner Frau begleitet, die Reise. Kurz zuvor war verbreitet worden, man möge ihn bis zum letzten Augen blick, bis in den Bahnhof, in Treuen geleiten. Als wir also endlich den Tag der Abreise erfuhren, schickten einige den Freunden einen kleinen Zettel: „Die Ver ehrer Gustav Mahlers versammeln sich zum Abschied am Montag, dem 9. Dezem ber, vor halb neun vormittags am Perron des Westbahnhofes und laden Sie ein, dort zu erscheinen und Gleichgesinnte davon zu verständigen. Da Mahler mit die ser Kundgebung überrascht werden soll, erscheint es dringend geboten, Personen, die der Presse nahestehen, nicht ins Vertrauen zu ziehen." — Wer die Begrüßung aller derer, die gekommen waren, untereinander gesehen, wer gesehen hat, wie herzlich, wie überschwenglich jeder, jeder Mahler die Hand drückte, wie freund lich und erfreut er es zuließ, wie er, sonst so wortkarg, für diese Getreuen so man ches freundliche Wort fand, der mußte ihm oder doch denen, die ihn lieb hatten, diese letzte Freude gönnen. Auch war alles über Nacht angeordnet, waren keine „offiziellen" Persönlichkeiten verständigt worden. Nichts Künstliches mischte sich ein: nur der gebietende Wunsch war in allen rege, den noch zu sehen, dem man so vieles dankte... Der Zug bewegte sich. Und Gustav Klimt sprach aus, was alle bangend und von einer großen Zeit empfanden: „Vorbei!" Mahler erhielt keine Auszeichnung, keinen Titel, keinen Dank vom Hofe. Und er vergaß seine Orden in einer Lade des Direktionszimmers. — Am selben Tage war in der Hofoper sein Abschiedsbrief angeschlagen und in den Zeitungen veröffent licht. Paul Stefan in seinem Buch „Das Grab in Wien", Berlin 1913 Mahlers Gattin Anna Maria Mein ganzes Leben stand ich richtunggebend unter dem hohen Einfluß Gustav Mahlers. Als junges Mädchen, Schülerin von Zemlinsky, Mitschülerin von Arnold Schönberg und Alban Berg, waren wir, ohne Mahler persönlich zu kennen, ihm verfallen. Zunächst waren es die Philharmonischen Konzerte und die berauschenden Opern aufführungen von Mozart und Wagner. Ohne jede Konzession führte er seine Mozart-Renaissance durch — brachte Sänger und Orchester zu glanzvollsten Lei stungen, denn sie waren des Mozart-Stils entwöhnt. Er fand als stehendes Reper toire Massenet, Mascagni, Leoncavallo und die Jugendwerke Wagners, stark ver kürzt, vor. Als ich Mahler kennen lernte, wußten wir schon genug voneinander, so daß er seine Liebeserklärung mit den Worten, ohne jede Einleitung, begann: „Es ist nicht so einfach, einen Menschen wie mich zu heiraten — wir müssen gemeinsam an meiner Idee arbeiten — ohne rechts und links zu schauen — ohne an Wohlleben oder Geld zu denken" — und so geschah es — und es war ein reiches Dasein von tiefstem Ernst und höchster Freude! Von der 5. Sinfonie an kopierte ich alle Werke bis zu seinem Tode. — Die Skizzen der 10. kannte ich durch sein Spiel — sie war sein Vermächtnis an mich. Alma Maria Mahler