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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, den 18. Januar 1964, 19.30 Uhr Sonntag, den 19. Januar 1964, 19.30 Uhr 5. ZYKLUS-KONZERT MOZART - MAHLER Dirigent: Gerhard Rolf Rauer SolistVv Bruce Hungerford, Sydney Wolfgang Amadeus Mozart 17S6-1791 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 19, F- Dur, K V 459 Allegro Allegretto Allegro assai — Pause — Gustav Mahler 5. Sinfonie 1860-1911 Trauermarsch — Stürmisch bewegt Scherzo Adagietto Rondo-Finale Dr. Dieter Hartwig Gustav Mahler Bildnis einer großen Musikerpersönlichkeit (IV) In' jenem Jahrzehnt (1897—1907) seiner Tätigkeit als Operndirektor und Kapell meister in Wien vollendete Gustav Mahler, der „Sommerkomponist", in den weni gen Wochen seiner Ferien, die er bei fieberhafter Arbeit in Steinbach am Attersee, dann in Maiernigg am Wörthersee verbrachte, die Sinfonien 4 bis 8, dazu eine Reihe von Liedern (u. a. die Rückert-Lieder). Während der Wintermonate instru mentierte er in kurzen Morgenstunden, die er sich von Verpflichtungen im Theater freihalten konnte, die im Sommer geschaffenen Werke. Um die Jahrhundertwende veröffentlichte er mehrere seiner inzwischen überarbeiteten frühen Kompositionen. In die Wiener Zeit Mahlers fiel auch eines der entscheidendsten Ereignisse seines Lebens: im März 1902 heiratete der Zweiundvierzigjährige die um viele Jahre jüngere Alma Maria Schindler, Tochter des Wiener Landschaftsmalers Anton Schindler und begabte Kompositionsschülerin Alexander von Zemlinskys (sie stand später übrigens in enger Verbindung zu Oskar Kokoschka und heiratete in zweiter Ehe Walter Gropius, in dritter den Dichter Franz Werfel). Mahlers Ehe entstammten zwei Töchter, von denen eine, erst fünfjährig, starb — ein Verlust, den der Meister nie ganz überwand. Alma Mahlers Erinnerungsbücher „Gustav Mahler" (1949) und „And the Bridge is Love" (Und die Brücke ist Liebe; 1958) sowie die von ihr herausgegebenen Briefe ihres ersten Gatten unterrichten uns eingehend über die eigenwillige, faszinierende Persönlichkeit Gustav Mahlers und sein persönliches Geschick in den neun letzten Jahren seines Lebens. Da schildert Alma seine kindlich-rührende Unbeholfenheit im täglichen Leben, seine rücksichts lose, allen Konventionen abgeneigte Ehrlichkeit, seinen ihm gar nicht bewußt gewordenen Egoismus, zugleich aber weiß sie von seiner großen Fürsorglichkeit zu berichten, dann erzählt sie von den häufigen Reisen, nach Köln, Petersburg, nach Basel oder Straßburg oder von der Lebensweise während der gemeinsam verbrachten „Ferien" am Wörthersee. Die in der Regel nachmittags unternomme nen ausgedehnten Spaziergänge pflegten beispielsweise — nach Almas Worten — so auszusehen: „Oft, oft blieb er stehen, die Sonne brannte auf seinen hutlosen Kopf, er zog sein kleines Notenskizzenbuch hervor und schrieb und sann und schrieb; manchmal taktierte er in der Luft und schrieb weiter. Dies dauerte oft eine Stunde und mehr. Ich setzte mich unterdessen in einiger Entfernung auf die Wiese oder auf einen Baumstrunk und wagte nicht ihn anzusehen. Dann lächelte er manchmal herüber, wenn er sich über einen Einfall freute. Er wußte, nichts auf der Welt war mir eine größere Freude." Unter Almas Einfluß erweiterte sich Gustav Mahlers Freundeskreis. Zu den Ge fährten der Jugendzeit, dem Dichter Siegfried Lipiner, dem Musikwissenschaftler Guido Adler, traten nunmehr jüngere Komponisten wie Arnold Schönberg und Alexander von Zemlinsky. Trotz gegensätzlicher künstlerisch-menschlicher Cha raktere und Ansichten fanden sich die Genannten gern zu ausgedehnten Diskus sionen im Hause Mahlers ein. Uber Schönberg sagte Mahler: „Ich verstehe seine Musik nicht, aber er ist jung; vielleicht hat er recht. Ich bin alt, habe vielleicht nicht mehr das Organ für seine Musik." Die Beziehungen Mahlers zu Schönberg und seinen Schülerkreis wurden in dem Maße enger, wie seine Sympathie zu Richard Strauß sich abkühlte. Ihr Kunstwollen war freilich allzu gegensätzlich. Zu Mahlers Vertrauten gehörte auch der Maler Carl Moll, Almas Stiefvater, und der Dichter Gerhart Hauptmann, mit dem ihn besondes innige Freundschaft verband. Vor allem Hauptmann, den Mahlers Persönlichkeit faszinierte, suchte immer wie der die Verbindung mit dem Komponisten, der nach seinen Worten „alles klar" aussprechen konnte, was er selbst nur „chaotisch" empfände.