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KONGRESS - SAAL DEUTSCHES HYGIENE - MUSEUM Freitag, 24. Mai 1963,19.30 Uhr Sonnabend, 25. Mai 1963,19.30 Uhr Sonntag, 26. Mai 1963, 19.30 Uhr 7. Philharmonisches Konzert Dirigent: Gerhard Rolf Bauer Solist: Konzertmeister Walter Hartwich, Dresden Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Sinfonie C-Dur KV 200 (Trillersinfonie) Allegro spiritoso Andante Menuetto Presto Gian Francesco Malipiero geb. 1882 Kurt Striegler 1886-1958 Konzert für Violine und Orchester (Erstaufführung) Allegro con spirito Lento ma non troppo Allegro Rondo burlesk op. 50 - Pause - Robert Schumann 1810-1856 4. Sinfonie d-Moll op. 120 Ziemlich langsam - Lebhaft Romanze Scherzo Langsam - Lebhaft Zur Einführung Wolfgang Amadeus Mozart schrieb 1773/74 eine Gruppe von Sinfonien (KV 183, 200-202), die erhebliche formale und stilistische Ähnlichkeiten aufweisen und innerhalb der Entwicklung des Sinfonikers Mozart durchaus Marksteine sind. Hatten sich die vorausgehenden Sinfonien an die dreisätzige italienische Ouvertürenform angclchnt, so ist die hier in Betracht kommende Gruppe durch die Wiedereinführung des Menuetts gekennzeichnet. Auffallend ist ferner, daß der äußere Umfang dieser Werke beträchtlich zugenommen hat, daß die Durchführungen zwar noch nicht wie bei Joseph Haydn streng thematisch bestimmt sind, sondern sequenzartig fort gesponnen werden. Substantiell ist entschieden ein Hang zum Großen, Festlichen zu spüren. Die schwungvolle Thematik wird häufig kontrapunktisch verarbeitet. Selbständig sind die Bläser be handelt. Aus dieser Werkgruppe, die dem viersätzigen Mannheimer Typus angehört, ragt eine Trias von Sinfonien heraus, die nach Alfred Einstein auf einer früheren Entwicklungsstufe und in einem engeren Rahmen die gleiche Vollendung zeigt wie die Trias der Meisterwerke aus dem Jahre 1788: die Sinfonie in C-Dur, KV 200 (entstanden im November 1773), die in g-Moll, KV 183 (Oktober 1773) und die Sinfonie in A-Dur, KV 201 (April 1774). Bei kleinster Beset zung des Orchesters erreichte Mozart hier eine neue Weite im Ausdruck, gestaltete er den Bau der Sätze großzügiger, dramatischer, gelangte er zu kontrapunktischer Vertiefung. Dies alles macht deutlich, daß der jugendliche Komponist mit diesen seinen „Salzburger Sinfonien“ eine neue, persönliche Sprache fand, sich schon weit über den Charakter der aristokratischen Gcscll- schaftskunst seiner Zeit erhebend. Die unser heutiges Konzert eröffnende C-Dur-Sinfonie KV 200 des 17jährigen Mozart, ein licht gelöstes, heiteres Gegenstück zur vorausgegangenen g-Moll-Sinfonic und eine Vorläuferin der charakterlich verwandten, vielleicht noch ausgeglicheneren, gelösteren Sinfonie in A-Dur, hat den Beinamen „Triller-Sinfonie“ erhalten, da sich vor allem die Hauptthemen des ersten und letzten Satzes, aber auch die anderen Sätze durch reichlichen Gebrauch von überraschenden Triller wirkungen auszeichnen. Ein kammcrmusikalisch ausgesparter Satz und ein verhalten-heiterer Grundton sind für die Haltung des liebenswürdigen Stückes charakteristisch. Im ersten Satz (Allegro spiritoso) ist an die Stelle barock-höfischer Festlichkeit eine neue Erregung getreten. Das leicht überschaubare thematische Material der kurzen Exposition besitzt eine feine Durch bildung. Der zweite Satz (Andante) weist ein bezauberndes gesangliches Thema in den sordi- nierten Violinen auf. Das Menuett mit dem hervortretenden Hörnerklang ist kein Interludium mehr, sondern fester Bestandteil des sinfonischen Zyklus. Höhepunkt des reizvollen Werkes ist fraglos das buffoneske Prcsto-Finale mit seinem Dialog zwischen den Violinen und dem Tutti des Orchesters. Mit einem Crescendo geht die Sinfonie wirkungsvoll zu Ende. Die neue Musik Italiens, die heute wohl hauptsächlich durch die Zwölftöner Luigi Dallapiccola und Luigi Nono, aber auch durch Goffredo Petrassi und Mario Peragallo vertreten wird, kann auf drei bedeutende Wegbereiter zurückblicken, denen die Erneuerung italienischer Musikkultur aus dem Geiste der Tradition gegenüber veristischer Verwässerung und manieriertem Konser vativismus am Herzen lag: Gian Francesco Malipiero, Ildebrando Pizzetti und Alfredo Casella. Malipiero, der aus einer alten venezianischen Patrizierfamilie Stammende, unter dessen Vorfah ren sich Dogen wie Musiker befanden, gehört zu jenen Künstlern, die unbeirrbar ihren einmal als richtig erkannten Weg konsequent verfolgen. Nach Musikstudien in Wien, Venedig und Bologna (u. a. bei Max Bruch, Enrico Bossi) kam er 1913 nach Paris. Hier erfolgte in einer ersten Schaf fensperiode die Auseinandersetzung mit den Einflüssen Strawinskys und Debussys. Fast alle bis zu diesem Zeitpunkt in romantischer Nachfolge komponierten Werke vernichtete er, so wesent lich erschien ihm die Berührung mit den genannten Meistern. Der erste Weltkrieg hinterließ in seinem Schaffen wie in seiner Existenz nachhaltige Spuren. Verschiedene Lehrstühle nahm er in den Nachkriegsjahren an, bis ihm 1940 seine „Lebensstellung“, das Direktorenamt des Licco Musicale in Venedig, angetragen wurde. Im Jahre 1902 fand der Zwanzigjährige mehrere, noch völlig unerschlossene Manuskripte alt- italienifchcr Komponisten - eine Begegnung, die für Malipieros künstlerische Entwicklung, seine ganz eigene Stellung zu den Epochen der Musikgeschichte grundlegend wurde. Denn er entdeckte zum ersten Male seine ausgesprochene Vorliebe für die italienische Musik früherer Jahrhunderte, die ausgedehnte musikhistorischc Studien und Forschungen zur Folge hatte und seine ablehnende Haltung zur Musik des 19. Jahrhunderts, zur italienischen Oper und zur deutschen Sinfonik speziell, festigte. Seine Besinnung auf vorklassische Traditionen erschloß ihm und damit der gc amten zeitgenössischen italienischen Musik nach dem „melodischen Subjektivismus“ (Wörncr) des 19. Jahrhunderts einen ganz neuen Bereich: die Welt, den Geist des musikalischen Barocks, der Rcnaissancczeit. Bei den alten Madrigalisten Gcsualdo, Monteverdi. Galuppi, Cavaliere, den venezianischen Instrumentalisten fand Malipiero die ihm gemäße Geistesverwandtschaft. Die Gesamtausgabe der Werke Monteverdis - und noch nicht abgeschlossen - Vivaldis, zahlreiche Publikationen zur Wiedererweckung alter Musik gehören zu seinen wichtigsten Leistungen. Indem er aber immer tiefer in die Welt der „Alten“ eindrang und Strawinskys, Bartöks, Hindemiths Ncuklassizismus eine Art Neovorklassizismus entgegensetzte, wuchs seine Opposition gegen den damals in Italien üblichen „Belcanto“-Stil, den verflachten, allzu vordergründigen Verismus. Seinen künstlerisch-stilistischen Durchbruch erzielte Malipiero mit einer „Verschmelzung“ archai sierender im- und expressionistischer Tendenzen, die naturgemäß nicht ohne innere Widersprüche bleiben konnte. Er entwickelte seine eigengeprägte Kunst im Zeichen der Vorherrschaft des Melodischen, das von der Gregorianik, der Tonsprache des 16., 17. und 20. Jahrhunderts wesentlich beeinflußt wurde. Seine Ablehnung jeglicher Schemen führte zu einem Protest gegen die „thematische Arbeit“, gegen das Grundprinzip also der Musik des 19. Jahrhunderts. Statt dessen gelangte er zu einer neuartigen Kontrasticrung lyrisch-melodischer Gebilde, ohne eigent lich polyphon oder sinfonisch zu „bauen“. Aus seiner lyrischen Grundeinstellung heraus, nach seiner Beschäftigung mit der Rezitativoper des 17. Jahrhunderts, erschloß sich Malipiero auch die Musikbühne, von dem Dichter Annunzio nicht unwesentlich inspiriert. Bei rein visueller Aktion tritt - in der ersten Schaffensperiodc zumindest - Gesang nur in lyrischer Funktion auf. Die Handlung wirkt als „orchesterbcgleitetc Mimik“, die Figuren werden Allegorien, Symbole. Die Ursache dieser Realitätsentfremdung, die sich in der Distanzierung vom realistisch-dramatischen Musikthcatcr äußert, ist Malipieros tiefe Enttäuschung am Leben, an der ihm umgebenden Ge sellschaft. die ihn nicht zuletzt in die - wie er meint - „bessere“ Welt der Vergangenheit trieb. Obwohl Malipieros Bedeutung sicherlich in seinem Opernschaffen liegt - er schrieb später Bühnenstücke im traditionellen Sinne -, verdient er doch auch als Kammermusiker und Sinfoni ker hcrausgcstcllt zu werden, da er seinen Landsleuten manche Gattung auf diesen Gebieten neu erschloß. Gerade in den Instrumcntalwerken, die infolge Bedrückung durch Zcitverhältnisse ent standen und diese widerspiegeln, kommt der für den Komponisten typische „Lyrismus“ gültig zum Ausdruck. Seine distanzierte Objektivität, die gelegentlichen Begrenzungen, die ihm sein Stil hier und da setzte, ändern jedoch nichts daran, „daß dieser fesselnde Musiker der italicni- Erncucrung jene nach vorwärts gerichtete Haltung eingenommen hat, die sein Land zur Ausein andersetzung mit der Musik des 20. Jahrhunderts antrieb“. Der italienische Kritiker Fcdclc d’Amico schrieb einmal: „In der überaus lichten Klarheit seiner Klanggcbung, in dem Zauber seiner vom Duft einer alten Kultur durchzogenen Melodik, in seiner aristokratischen Distanzie rung von Lärm und Dünkel erfüllte Malipiero in der italienischen Musik eine ähnliche Funktion wie Debussy in der europäischen: Wie Debussy hat er die musikalische Sprache regeneriert und gleichzeitig die jüngere Generation gelehrt, das italienische Seiccnto mit neuen Ohren zu hören.“ Das 1932 geschriebene und ein Jahr darauf in Mailand uraufgeführte Konzert für Violine und Orchester zeigt deutlich Handschrift und Eigenart Malipieros. Zwar wahrt es äußerlich die tra ditionelle Drcisätzigkcit der Konzertform, doch verzichtet cs auf die sinfonische Entwicklung des thematischen Materials im Sinne des 19. Jahrhunderts. Malipiero läßt die musikalischen Gedanken vielmehr aufcinandcrfolgen wie in „einem flüssigen Gespräch“. Die Grundmotive werden nicht „entwickelt“, sondern „ausgesponnen“ durch wechselnde klangliche und tempomäßige Belichtung. Das melodische Element ist das vorherrschende, ihm unterstellt sind die eigenwillige Rhythmik, die herbe auf freier tonaler Basis beruhende Harmonik, eine natürliche, nicht ver- grübclte Polyphonie und die durchsichtige Klanglichkcit der Instrumentation. Erscheinen auch die einzelnen thematischen Einfälle mehr aneinandergerciht als verarbeitet, vermag der Kompo nist doch in allen Teilen seines knappen, übersichtlichen Werkes, das dem Soloinstrumcnt stets Raum zu konzertanter Entfaltung gibt, eine eindringliche Spannung zu erzeugen. Im erregt drängenden Ausdrucksgcschchen des ersten Satzes (Allegro con spirito) werden fast opernhafte musikalische Elemente, Rezitativisches und Arioses, miteinander verbunden. Der langsame Mittclsatz (Lento ma non troppo) mutet ebenfalls wie eine Gesangsszene an. Schlichte, klare Linien kennzeichnen diese charaktervolle Musik. Das Finale (Allegro) bringt den schwungvollen Abschluß des Werkes. Tänzerische Rhythmen und Weisen bestimmen sein Wesen. Eine Kadenz des Solisten fügt sich zwanglos dem Ganzen ein. Gewiß ist cs nicht mehr nötig, Kurt Striegler den Dresdner Musikfreunden vorzustellen, ver körpert doch der Name des im Sommer 1958 Verstorbenen ein gutes Stück Dresdner und damit