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2. Beilage zu Nr. 167 des Dresdner Journals Sonnabend, 20. Juli 1907. 1,7» dann ärgerte ich mich ästhetischen Gefühlen keinen unverantwortlich grausam", und (Aorvttzuug s°lgr l'»» all« und »,io »,«» '71» >7,7» *«» ehr im Unrecht. Und dann — dann ärgerte ich mich iber mich selbst und geriet in Aufregung, die ich freilich Htte unterdrücken mästen. Da» ist die ganze Wahrheit „Vielleicht. Aber desto wäre es Grausamkeit, seinen Ausdruck geben zu dürfen." „Die- wäre allerding erwiderte Klara lachend. ' "5st die- nicht ein Umgehen de- weisen Gebot-?" verlockender ist er. Zudem vortrefflicher Schütze werden, und wenn Sie Lust haben, will ich Ihnen gerne Gelegenheit dazu geben." Nach der Jagd versammelten sich alle im Speise zimmer und ließen sich an der prunklo-, aber hübsch ge deckten Tafel nieder. Walter hatte Klara und Ulrike zu Nachbarinnen. Zu Ulriken- Linken saß die-mal nich Radowitz, sondern ein hübscher Landjunker, der jedoch etwa- blöde schien, und den Ulrike offenbar einschüchterte Eine glänzende Unterhaltung war von ihm entschieden nicht zu erwarten. Die Honoratioren, da- heißt der ältere Teil der Gesellschaft, nahm den oberen Teil der Tafel ein. Klara wandte sich an Walter: „Waren Sie von dem Ausflug, den Sie neulich mit Ulrike machten, befriedigt?" „O, bitte, sprechen Sie nicht davon." „Wie, auch Sie? Al- ich vorhin Ulrike nach dem AuSfluge fragte, antwortete sie: „O, bitte, sprich nicht da von" Da werde ich mich wohl an Herrn v. Radowi wenden mästen, um etwa- über diesen mysteriösen Ritt zu erfahren" Walter lachte. „Tun Sie da- ja nicht, er würde ebenso sagen: „O, bitte, sprechen wir nicht davon." „Sie erregen meine Neugier auf da- äußerste Was hat Radowitz mit Ihrem Ritt zu tun?" „Er wollte eS uns nachtun und wurde für seine Ver messenheit gestraft, wie Sie an seinem Gesicht sehen können." „Das sind ja äußerst interessante Komplikationen" „Die sich al- die alltäglichsten Vorfälle entpuppen werden. Aber reiten Sie nicht auch, gnädige- Fräulein?" „Wir Mädchen auf dem Lande reiten alle ein wenig, aber das Reiten ist für mich nur Nebensache" „WaS ist Ihnen dann Hauptsache?" „DaS weiß ich selbst nicht Vielleicht meine häus lichen Pflichten, im allgemeinen. Wenig poetisch, nicht wahr?" „Im Gegenteil, eine Frau, die still im Hause waltet, für alles Sorge trägt, ohne Beifall zu beanspruchen, ist eine wahrhaft poetische Erscheinung." „Auch wenn sie im Kuhstall nachsieht, ob die Kühe gut versorgt sind oder in der Milchkammer, ob die Magd die Eimer gut gereinigt hat?" „Auch dann, denn nicht diese Einzelheiten füllen ihr Denken aus, sondern sind nur unwesentliche Bestandteile des ordnenden Geistes, der über dem Hause waltet" „Wahrhaftig, Herr v Welser, die Poesie, womit Sie so liebenswürdig sind, die Hau-frauen au-zuschmücken, liegt wohl in Ihnen selbst." „Sie, gnädiges Fräulein, können sie ebensowenig sehen, als Sie Ihr Gesicht ohne Spiegel sehen können, während alle andern sich an seinem Anblick erfreuen" „Verzeihen Sie, war der letzte Satz nicht etwas zu liebenswürdig?" „Wenn man die Wahrheit sprechen will, darf man vor der Liebenswürdigkeit nicht zurückschrecken." ,Zmmer besser, Sie zeigen sich ja in einem ganz neuen Licht." „Dieses Licht ist oft nur ein Reflex und geht meist von dem aus, mit dem man spricht. Bei manchen prallen unsere Worte spurlos ab, bei andern finden sie ein Echo und dann wird man verleitet, liebenswürdig zu sein " „Welche Torheit." „Die Weisen behaupten, daß Liebenswürdigkeit aus zwei Gründen verwerflich ist, erstlich weil sie unserem Nebenmenschen nicht gut tut und zweiten-, weil sie uns selbst nicht- nützt." Klara lachte. ,,O, wie weise." „Wie Sie sehen, ist Liebenswürdigkeit nicht gestattet, außer vielleicht in Ausnahmefällen" „Diese wären?" „Wenn man liebenswürdig gegen Damen ist, die selbst liebenswürdig sind." Geben Sie sich keme Mühe, Herr v. Welfer, die nächste Bleiche wird alles wieder gut machen. Dann wandte sie sich ihrem anderen Tischnachbar zu Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben und die Gäste rüsteten sich zum Aufbruch. Die Selnnh waren in zwei Wagen gekommen. Im ersten saßen der Baron und seine Frau, Ulrike und Walter, im anderen, einem Phaeton, Alfred und Radowitz Bei der Heimfahrt bat jedoch Ulrike ihren Bruder, ihr seinen Platz im Phaeton, der frischen Luft wegen, wie sie sagte, abzutreten, denn nach dem Borgefallenen war eS ihr peinliw, neben Walter zu sitzen Nur ungern gab Alfred seinen Platz neben Radowitz auf und verfügte sich in die Familienkutsche. Während der Fahrt entwickelte Ulrike eine ungewöhn liche Lebhaftigkeit in der Unterhaltung, sie schwatzte und lachte zum Erstaunen des verblüfften Husaren unaufhörlich, unterbrach ihn beständig, wenn er ein Wort einschalten wollte, frug ihn über eine Menge Dinge, ohne seine Ant wort abzuwarten, daß der Leutnant, der Ulrike stets als zurückhaltend, ja selbst als stolz gekannt hatte, ängstlich wurde und sehnlich da- Ende der Fahrt herbeiwünschte. Vom anderen Wagen konnte man die lebhafte Sprache Ulrikens und ihr häufiges Lachen vernehmen, und Walter, der sie noch nie so gesehen hatte, wunderte sich im stillen, was mit ihr vorgegangen sein könnte. ES war schon spät geworden, al- man im Herren hause ankam. Obwohl die Baronin vorschlug, noch ei re Taffe Tee zu trinken, zogen doch alle vor, sich zur Ruhe zu begeben und man verabschiedete sich für die Nacht Ulrike reichte Walter nicht die Hand und bewahrte in seiner Gegenwart eine stolze Miene: als er jedoch das Zimmer verlassen hatte, veränderte sich ihr ganzes Aus sehen, ihre Züge verloren die Spannung, ihr Auge wurde matt, sie ließ die Arme sinken und eilte mit einem hastigen „Gute Nacht" hinaus In ihrem Zimmer an gelangt, verriegelte sie die Tür, preßte die Hände an daL Herz und warf sich laut schluchzend auf ihr Lager Als Walter am anderen Morgen erwachte, fiel ihm wieder Ulrikens sonderbares Benehmen vom gestrigen Tage ein Er war zweifellos im Unrecht, als er sich fast ausschließlich mit Klara unterhielt, verdiente auch eine Rüge, aber eine so leidenschaftliche Erregung wegen einer so geringen Ver nachlässigung ließ sich kaum rechtfertigen. Wenn er auch persönlich ihre beleidigenden Worte übersehen konnte, die sie in ihrer Heftigkeit auSgestoßen hatte, so waren sie doch gefallen, von der Tochter deS Hause- gefallen, wo er als Gast verweilte. Mußte er nicht notwendig Notiz davon nehmen? Und dann, sie begann ihn zu interessieren, ein so intimer Verkehr, wie er notwendig auf dem Lande ent stehen mußte, war gefährlich, vielleicht für beide Teile ge fährlich, und darum mußte er fort Er war vielleicht schon zu lange geblieben und je früher er aufbrach desto bester Beim Frühstück teilte er dem Baron seine Absicht mit, den nächsten Tag wieder nach der Stadt zurück zukehrcn, indem er ihm zugleich für seine freundliche Auf nahme in warmen Worten dankte. Der Baron sprach sein Bedauern au-, daß er sie so bald verlaffen wolle, drang jedoch nicht in ihn, länger zu bleiben Ulrike hatte die ganze Zeit zugehört, ohne die Augen von ihrem Teller zu erheben, als man sich jedoch vom Tische erhob, trat sie ;u Walter und bat ihn, sie auf einem Spaziergange zu begleiten. Er sagte bereitwillig zu und beide schlugen den Weg nach dem Weiher ein, wo sie sich schon früher ge troffen hatten Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander Beide suchten nach Worten, um das befangene Still chweigen zu brechen Endlich schien Ulrike einen Entschluß gefaßt zu haben Sie blickte bittend zu Walter auf und sagte mit unsicherer Stimme: Ich war gestern recht häßlich und unartig und kann nur zu meiner Entschuldigung Vor bringen, daß ich nicht ganz wohl war und al» Sie sich o eifrig mit Klara unterhielten und mich ganz ver- lachlässigten, mehr gereizt wurde, als eS bei weniger ver timmten Nerven der Fall gewesen wäre. Ich war ja richteten sich jxtzt ne Tränen unterdrückte Walter war trocknete mit seiner Serviette da ¬ allein meine Schuld", rief er gnädige- Fräulein Ulrikens Nachbar zur Linken batte mehrere Versuche gemacht, ein Gespräch mit ihr anzuküpfen, aber sie hatte hm keine Beachtung geschenkt, denn >hre ganze Aufmerk- amkeit war auf Walter und Klara gerichtet. Sie horchte mit größter Spannung auf jede» ihrer Worte, und in ihren Zügen prägte sich deutlich eine innere Unruhe aus Ihre sonst stet» bleichen Wangen begannen sich zu röten, hre Augen schaffen Blitze, ihre Mundwinkel zuckten. Uber urz oder lang mußte ein Ausbruch erfolgen, denn e- chien, daß sie am Ende ihrer Geduld angelangt war. luch erfolgte der Ausbruch ebenso heftig al» plötzlich. Mit lammenden Augen wandte sie sich an Walter: E» beweist wenig Höflichkeit, daß Sie unbeachtet lassen, der — der Sie doch einige Rücksicht chuldig sind Ihr Benehmen gegen mich ist unverant wortlich eine Dame Dabei stieß sie unversehen» mit ihren zitternden der Wem sich in fänden mer breiten an i Kleebergs Gut war bei weitem nicht so groß al- da- des Baron-, aber e- war immerhin ein sehr ansehnlicher Besitz, der gut verwaltet und musterhaft gehalten war. Auch galt Herr v. Kleeberg für wohlhabend, wenn nicht für reich, und sein ganzer Hausstand war auch demgemäß eingerichtet. DaS Herrenhaus war zwar nur ein ganz einfaches Gebäude, das keinen Anspruch auf architektonischen Wert erheben konnte, aber eS war geräumig und behäbig. Die Zimmer waren groß und hell, etwas altmodisch, aber behaglich eingerichtet und überall zeigte sich der gesunde Sinn des Besitzer-, der allen unnötigen Prunk vermied und nur auf wirklichen Komfort Wert legte. Die zur Jagd eingeladenen Gäste waren weit weniger zahlreich al- die, welche sich beim Baron eingefunden hatten, und bestanden eigenttich nur aus den nächsten Freunden Auch war da- Revier zu Nein, al- daß sich viele Jäger an der Jagd hätten beteiligen können, aber Kleeberg hatte dafür gesorgt, daß jeder der Geladenen oft genug zum Schuß kam Walter erntete bei dieser Gelegen- Er war kein guter Schütze, da e- ihm an Gelegenheit gefehlt hatte, sich zu üben; auch ergötzten sich die anderen Jäger, wenn er ein Huhn fehlte, da- dicht vor ihm auf flog, an seinem Ungeschick, aber er hatte ein gute- Auge eine sichere Hand und brachte e- am dahin, daß er einige recht gute Treffer machte >eit keine Lorbeeren. Der Baron, der ihn seit der Mitteilung seiner Frau genau beobachtete, hatte sich anfang» geärgert, al» die anderen spöttische Bemerkungen über sein schlechte» Schießen machten, wurde aber versöhnt, al» Walter von Stunde zu Stunde sicherer wurde und schließlich nicht zu weit hinter den anderen zurückblieb. Er klopfte ihm freundlich auf die Schulter Sie können bei ger Übung einmal ein Bitte, denken Sie de»halb nicht schlechter von mir und verzeihen Sie mir." „Ich habe Ihnen nicht- zu verzeihen" „Bitte, keine Phrase Verzeihen Sie mir im Ernsts ,Hm vollsten Ernst". Ulrike reichte Walter die Hand „Danke Wollen wir jetzt wieder gute Freunde sein?" „Da- wollen wir, gnädige- Fräulein". „Dann aber dürfen Sie mich auch nicht mehr gnädige- Fräulein nennen " Wie denn?" Sagen Sie einfach „Sie" „Ich danke Ihnen" Und jetzt, da wir wieder gute Freunde sind, kann ich auch fragen, ob Eie auch wirklich fort müssen?" „Ja, ich muß au- vielen Gründen fort" Können Sie mir diese Gründe nicht nennen ?" Rein" Wir sind aber doch Freun! „E- gibt Dinge, über die ein Mann zu einer Frau nicht sprechen darf und wären sie auch nochso gute Freun -Und Ihre Gründe gehören zu dieser Art von Dingen? de" Schade." Ulrike sann einen Augenblick nach „Haben dem Sie alle» sagen können be einen solchen Freund", erwiderte Walter er von bürgerlicher Abkunft. Ler Ehrlose Roman von Vietor v. Gchubert-Solderu. (Fortsttzung zu Nr. 1l».l Alsred wandte sich jetzt an seine Schwester: „Der Sturz de» unglücklichen Radowitz müßte doch ein glänzender Triumph für dich sein. Er ist al» einer der besten Reiter bekannt." „Der schlechteste Reiter kann eben auch nur stürzen. Aber ich schäme mich meiner kindlichen Empfindlichkeit. Wa» liegt denn schließlich daran, wie man reitet" „Gestern lag dir doch sehr viel daran " „Gestern, aber nicht heute." „Ich staune. Und wle hat sich diese Wandlung voll zogen?" „Ich weiß e» selbst nicht, aber ich bitte dich, ver schone mich mit wetteren Fragen und sprich nicht mehr von unserem gestrigen Ritt. ES wurde m letzter Zeit so viel darüber verhandelt, daß ich dessen müde, mehr al- müde bin." „Ein neue- Rätsel." Ulrike antwortete nicht, sondern wandte sich an Walter: „Kleebergs haben un- eine Einladung zur Jagd geschickt. Auch Sie, Herr v. Welser, betrifft drese Ein ladung, und Herr v. Kleeberg scheint einen Wert auf Ihr Kommen zu legen, denn er schreibt, er hoffe, daß der liebenswürdige Tischnachbar seiner Tochter diesmal nich verhindert sein werde, der Jagd beizuwohnen Meine Mutter und ich sollen auch von der Partie sein. Nehmen Sie die Einladung an?" „Selbstverständlich." „Meine Freundin wird sich sehr darüber freuen " Nach dem Lunch, als sich alle schon entfernt hatten, hielt die Baronin ihren Mann noch zurück. „Ich möchte mit dir über Ulrike sprechen, sie ist in letzter Zeit auf fallend verändert." „Ich habe nichts bemerkt." „Wie ist da- möglich! Jeder muß doch bemerken, daß sie nicht mehr ist wie früher. Bald ist sie unruhig, bald in sich gekehrt, dann wieder aufgeregt lebhaft und gleich darauf niedergeschlagen, auch scheint sie an nicht- mehr Interesse zu finden. Ich habe sie in Verdacht, daß sie sich für Welser interessiert." „Hm, was ist dabei zu tun?" „DaS hängt von dem ab, was du beschließt. Hast du nichts gegen eine Verbindung, dann läßt man den Dingen ihren Lauf, bist du jedoch dagegen, dann muß man die beiden sobald als möglich trennen." „Welser ist von gutem, alten Adel und wenn er Jurist oder Offizier wäre, würde ich ihn gerne al- Schwiegersohn begrüßen, aber al- Arzt..." „DaS ist allerdings zu bedenken." „Ich kann mir Ulrike alS DoktorSfrau gar nicht vorstellen, sie ist zu etwa- ganz anderem erzogen. Als Frau eines Offiziers oder eines höheren Beamten, von dem eine gewisse Re präsentation gefordert wird, wäre sie ganz auf ihrem Platze, aber als Frau eines Arztes kann sie nicht gut auf dem Fuße leben, wie sie bisher gelebt hat. Ich wundere mich nur, daß Ulkrike dies nicht selbst einsieht. Sie ist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen." „Wenn ein Mädchen verliebt ist, erscheint ihr die Welt natürlich in einem anderen Lichte." „Aber alle ihre Neigungen, ihre Liebhaberei für Pferde und Sport gehören doch anderen Gesellschafts kreisen an." „Eben weil sie sich immer in diesen Kreisen bewegt hat, erscheinen sie ihr alltäglich, während der Beruf eines Gelehrten ihr neu ist und mehr auf ihre Phantasie wirkt." Der Baron sann einige Augenblicke nach. „Schließ lich wäre eS trotzalledem kein Unglück — ich denke, wir wollen nicht eingreifen und den Dingen ihren Lauf lassen." „Wie du willst."