Volltext Seite (XML)
des ihm mehr vertrauten Soloinstrumentes zurücktritt. Der Komponist hat das Werk selbst mehr fach mit großem Erfolg nicht nur in seiner Heimat, sondern auch in Westeuropa und in Amerika gespielt. Weniger an Alexander Skrjabin als an Serge Rachmaninow knüpft der Armenier Arutjuno witsch Babadsbanjan in seiner „Heroischen Ballade“ für Klavier und Orchester an. Geboren am 21. Januar 1921 in Jerewan, der zauberhaften Hauptstadt Armeniens, war er zuerst in seiner Heimatstadt Schüler von W. G. Taljan, dann in Moskau Schüler von Litinski. Mit einem „Pionier marsch“, der schon 1932 im Armenischen Staatsverlag gedruckt wurde, zeigte er sich als früh reifes Talent, das große Erwartungen aufkommen ließ. Babadshanjan hat sie auch nicht ent täuscht; bedauerlicherweise wird er, der als Lehrer am Jerewaner Konservatorium tätig ist, durch Krankheit oft an der völligen Ausschöpfung seines Talents gehindert. Die „Heroische Ballade“ ist eines seiner bekanntesten Werke, das er selbst für die Schallplatte gespielt hat und das große internationale Verbreitung fand. Es verbindet das virtuose Element mit armenischem Lokal kolorit, das auch in seinen Werken für Klavier solo immer wieder hervortritt. (Wer sich von den Klavierspielern mit Stil und Eigenart Babadshanjans vertraut machen will, greife nach den „Vier Stücken für Klavier“, die 1954 in Moskau erschienen sind!) Die „Heroische Ballade“ ist ein Variationenwerk. „Symphonische Variationen“ ist der Unter titel, den der Komponist hinzugefügt hat. In der Tat hat das Werk sinfonischen Zuschnitt, schon im Thema, das erst nach einer pompösen Einleitung des Orchesters vom Solo klavier vorgetragen wird. Bei aller Eingängigkeit des Themas, einer Melodie, die mehrfache Zeichen folkloristischer, in diesem Falle armenischer Herkunft zeigt, ist es durch die starke Chromatik dem Volkslicdmäßigcn fernegerückt, man spürt, daß es schon im Hinblick auf sinfo nische Entwicklung und Entfaltung erfunden ist. Die erste Variation ist in sich dreiteilig, wobei vor allem das Mittclstück die Verwandtschaft mit dem Thema erkennen läßt. Mehr Überleitung zur nächsten Variation als eigentliche Variation selbst ist das zart beginnende, dann kraftvoll gesteigerte Andante cantabile, dem eine Variation folgt, die mit dem vorherrschenden 5 /g-Takt tänzerische Elemente der armenischen Tanzmusik aufgreift, wie sie uns auch in dem Werk des armenischen Altersgenossen Babadshanjans, A. Arutjan, begegnen. Ein hinreißend temperament volles Musikstück, zu dem der dann folgende, deutlich aus dem Thema herausgewachsene Trauermarsch einen starken Kontrast bildet. Es ist wohl als die Klage um den Heros aufzufassen, dem das Werk gilt. Daß er unsterblich in seinem Ruhm weitcrlebt, verkündet die letzte, lebens volle Variation, die in mehrere Abschnitte zerfällt und in die glanzvolle Wiederholung des Themas einmündet. Als Abschluß des Konzerts erklingt die 6. Sinfonie von Peter T schaikowski. Er hielt sie für sein „bestes und aufgeschlossenstes Werk“. „Ich liebe sie“, schrieb er am 3. August 1893, „wie ich bisher noch keines von meinen musikalischen Kindern geliebt habe“. Und wenige Tage später bekennt er: „Tn diese Sinfonie legte ich, man kann es sagen, ohne zu übertreiben, meine ganze Seele hinein.“ Hier gibt er noch einmal seiner Liebe zum Leben Ausdruck, zugleich aber nimmt er, wie in Vorahnung seines frühen Todes, im letzten Satz Abschied von diesem geliebten Leben. So heißt diese Sinfonie: „Liebe das Leben — aber wisse, am Ende steht der Tod.“ So erklärt sich leicht und zwingend die ungewöhnliche Anordnung der Sätze, über die viel gerätselt wurde. Die Stimmung des letzten Satzes wird in der langsamen Einleitung des ersten mit dem melan cholischen Fagottsolo vorweggenommen. Der Hauptteil greift zunächst das Thema auf und reiht dann Bilder der Erinnerung aneinander,, erregte und freundliche, friedliche und düstere, die mit dem Zitat des Chorals aus der russischen Begräbnismesse (in den Trompeten und Posaunen) in die Nähe des Todes geführt werden. Im zweiten Satz, einem graziösen Scherzo, scheint der Komponist an ein heiteres Fest zurückzudenken, aber auch in diese Erinnerung mischt sich (im „Trio“) bittersüße Schwermut. Sie wird hinweggefegt von den triumphalen Klängen des Finale marsches (dritter Satz), dem kämpferischen Bekenntnis zum Leben, von dem Tschaikowski im letzten Satz (der kein „Satz“ mehr ist, sondern nur ein Epilog) Abschied nimmt: immer leiser wird der Herzschlag. Er klingt aus in dem Gedanken: das Leben ist erfüllt; cs war schön und reich. Es ist ein Werk voll Trauer, aber ohne Bitternis. Es ist die Autobiographie eines Mannes, der ein an Leid und Freud, an schweren und schönen Stunden gleich reiches, aber eben doch ein glückliches Leben geführt hat. Die Uraufführung der 6. Sinfonie fand am 28. Oktober 1893 in einem Konzert der Russischen Musikgesellschaft, das von dem Meister selbst geleitet wurde, statt. Am nächsten Tag erhielt sic, wie aus dem Bericht Modests hervorgeht, den Namen „Pathetique“; er war es ge wesen, der dem Bruder den Rat gegeben hat, anstatt des ursprünglich vorgesehenen Titels „Programmsinfonie“ die Bezeichnung „die Pathetische“ zu setzen. Peter Iljitsch war begeistert 1 davon und fügte sofort in Gegenwart des Bruders den Titel in die Partitur ein. Am 1. November besuchte Tschaikowski zusammen mit Freunden ein Theater, ging dann mit ihnen in ein Restaurant, wo er nach dem Essen ein Glas ungekochten Newawassers trank. Am nächsten Tage klagte er über Magenbeschwerden - es war mehr; bald stellten die Ärzte fest, daß eine todbringende Cholcrainfektion vorlag. Am 6. November, früh zwischen drei und fünf Uhr, raffte ihn die Krankheit hinweg. In der Agonie hatte er mehrmals, „in unwilligem oder vorwurfsvollem Tone“, wie Modest berichtet, den Namen der Freundin genannt. Sic hat ihn nur wenige Monate überlebt. Frau von Meck starb am 25. Januar 1894. Von den Brüdern ii| Modest, der Biograph und Textdichter, der zusammen mit dem treuen Diener des Meisters, Alexei Sofronow, das Haus in Klin zu einem Tschaikowski-Muscum ausgebaut hatte, starb dort 1916 - war es Hippolyt vergönnt, noch zu erleben, wie in der Sowjetunion die wahre Bedeutung Tschaikowskis richtig erkannt wurde. Er, der frühere Admiral, wurde nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution als Kurator des Tschaikowski-Museums eingesetzt und ver waltete es bis zu seinem Tode im Jahre 1927. Das Haus wurde während des zweiten Weltkrieges von den Faschisten zerstört, die kostbaren Schätze des Museums waren aber vorher in Sicherheit gebracht worden. So konnte das Museum nach dem Krieg wiederhergestellt werden und ist nun wieder eine Wallfahrtsstätte für viele Musiker, nicht zuletzt für die aus Deutschland, aus dem Land, in dem Tschaikowski immer auf leidenschaftliche Anhänger, echte Freunde, große Inter preten und zahllose Verehrer zählen konnte. Gerade von der 6. Sinfonie gilt, was Dmitri Schostakowitsch, der große Nachfahre Tschaikowskis, gesagt hat: „Tschaikowski fügt zur philosophischen Verinnerlichung in der sinfonischen Musik Beethovens jene leidenschaftliche lyrische Aussage der verborgensten menschlichen Gefühle hinzu, die die Sinfonie, dieses komplizierteste Formgebilde der Musik, der breiten Masse des Volkes zugänglich macht und nahebringt.“ Prof. Dr. Karl Laux