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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE - M USEUM Freitag, 19. April 1963, 19.30 Uhr Sonnabend, 20. April 1963, 19.30 Uhr Sonntag, 21. April 1963, 19.30 Uhr 10. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Bohuslav Martinu Sinfonische Dichtung „Lidice“ Ers taufführung 1890-1959 Anton Bruckner 8. Sinfonie c-Moll 1824-1896 Allegro moderato Scherzo (Allegro moderato) Adagio (feierlich, langsam, doch nicht schleppend) Finale (feierlich, nicht schnell) Bohuslav Martinüs Oeuvre repräsentiert im internationalen Musikleben wohl am nachhaltigsten den Begriff der tschechischen Gegenwartsmusik, ohne daß dieser — bei der stattlichen Schar be deutender zeitgenössischer Komponisten unseres Nachbarlandes - darauf beschränkt wäre. Der vielseitige, kraftvoll eigenständige Komponist, 1890 in Policka in Böhmen geboren, begann seine Musikerlaufbahn zunächst nicht mit ausschließlich schöpferischer Tätigkeit. Vielmehr saß er - nach dem Studium am Prager Konservatorium - zehn Jahre lang als Orchestergeiger in der Tschechischen Philharmonie. Daneben schulte er sich autodidaktisch in Komposition. Ein Ballett, „Ischtar“, erlebte bereits seine Uraufführung am Prager Nationaltheater, ehe Martinu in Josef Suk den ersten Kompositionslehrer fand. 1923 ging er nach Paris, und hier (bis 1940 lebte er in Frankreich), in der damaligen internationalen Musikmetropole, unter den Augen seines Lehrers Albert Roussel wurde Martinu seine Berufung gewahr, besann er sich aber auch gleichzeitig auf sein urtümliches tschechisches Musikantentum, das Erbe seiner Nationalität, das er seitdem nie mals verleugnet hat. Sein Verwurzeltsein im musikalisch-folkloristischen Heimatboden bewahrte ihn in all den Jahren in der Fremde, nicht zuletzt während seines Amerikaaufenthaltes (1941 bis 1946), vor Nachahmung ihm nicht gemäßer Stile, Auffassungen, Richtungen. Stets stand er in engstem Kontakt mit der Flcimat, war sich seiner nationalen Sendung auch im Ausland bewußt und nahm lebhaften Anteil an dem traurigen Geschick seines Volkes während der Kriegsjahre. So schuf der Komponist unter dem Eindruck der Tragödie von München, die das Schicksal seines Vaterlandes besiegelte und ihn äußerst unglücklich machte, eines seiner bedeutendsten Werke, das Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken, und 1943 den unser heutiges Konzert eröffnenden Orchesterhymnus „Lidice“ als Protest gegen die Ausrottung des gleichnamigen tschechischen Dorfes durch die Faschisten und in memoriam der Opfer dieser Barbarei. Nachdem Martinu jahrelang Musikprofessor an der Princeton University und zeitweilig auch Kompositions lehrer am Manes College sowie in Tanglewood gewesen war, folgte er 1946 einer Berufung als Professor für Komposition an das Prager Konservatorium. Seitdem lebte er abwechselnd in Prag, New York, Pratteln (Schweiz) und auf Reisen. Am 28. August 1959 verstarb er in Liedsdorf (Schweiz). Für das stilistische „Sichfindcn“ des jungen Komponisten wurden, wie schon angedeutet, seine ersten Pariser Jahre sehr wesentlich. Die antiwagnerische Musik fesselte ihn, die „Gruppe der Sechs“, Honegger, Milhaud, aber auch mit Strawinskis Schaffen begann er sich auseinanderzu setzen. Doch vorübergehende Begeisterung für diesen oder jenen Stil vermochte Martinu nicht von seinem Weg abzubringen. Zunächst wollte er einen neuen national-tschechischen Opernstil entwickeln. Manche Versuche belegen uns sein Ringen um eigene, gültige musikdramatische Formen (allein sieben unveröffentlichte Opern aus den Jahren 1926-1937 und acht ebenfalls noch kaum verlegte Ballette), jedoch auch verschiedene, in die Öffentlichkeit gedrungene Stationen auf dem Wege zum Ziel: das Mirakelspiel „Das Wunder unserer Frau“ (1933), „Juliette oder der Traumschlüsscl“ (1936/37), die Kurzopern „Komödie auf der Brücke“ (1935) und „Die Fleirat“ (nach Gogol, 1953), die Pastoraloper „Wovon die Menschen leben“ (nach Tolstoi, 1953), die Goldoni-Oper „Mirandolina“ (1954) und die „Griechische Passion“ (1956). Aufschlußreich ist, daß im Gesamtwerk des tschechischen Meisters der Anteil der Instrumentalmusik dominiert, viel leicht weil die instrumentalen Ausdrucksmöglichkeiten seinem Temperament mehr entsprachen und seiner Ansicht vom schöpferischen Prozeß. Denn: „Auswahl“ (= Konzentration) und „Or ganisation“ (= organische Konstruktion) erschienen Martinu als das wichtigste jeglicher kompo sitorischen Arbeit. Kein Wunder daher, daß er sich auch im Formalen weit eher auf unbestellteres Feld begab als auf den traditionellen Sonatensatz zurückgriff. Alle musikalisch-technischen Mittel, Melodik, Harmonik, Polyphonic, unverkennbar nationales Kolorit, seine vitale Rhythmik, seine besonders in der letzten Schaffensperiode bewiesene lyrische Neigung, ordnete Martinu ein unter den Gesamtbogen seiner meisterlich gearbeiteten Werke, deren Aufbau indessen dem Hörer ver borgen bleiben soll! Aber man beachte seine Mahnung, die er selber nie vergaß: „Die technischen