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KONG RE S S - SAAL DEUTSCHES H YG I E N E - MU S EU M Freitag, 8. November 1963, 19.30 Uhr Sonnabend, 9. November 1963, 19.30 Uhr Sonntag, 10. November 1963, 19.30 Uhr 3.PHILHARMONISCHES KONZERT Im Rahmen der Festtage neuer Musik Dirigent: Gerhard Rolf Bauer Solist: Gustav Schmahl, Berlin Dieter Nowka 2. Sinfonie, op. 70 geb. 1924 (Uraufführung) Allegro con brio Andante molto moderato Vivace Gerhard Rosenfeld geb. 1931 Konzert für Violine und Orchester „1963“ (Uraufführung) Sostenuto - Allegro molto Adagio Allegro - Sostenuto Pause Ludwig van Beethoven i 0-1827 2. Sinfonie D-Dur, op. 36 Adagio molto - Allegro con brio Larghetto Scherzo Allegro molto Zur Einführung Der Komponist der in diesem Konzert zur Uraufführung gelangenden zweiten Sinfonie, Dieter Nowka, wurde 1924 in Madlow bei Cottbus geboren. Seine musikalischen Studien, unter anderem bei Hermann Grabncr, wurden verschiedentlich durch Kriegs- und Nachkricgseinwirkungcn un terbrochen. Praktische Theatertätigkeit machte ihn mit den Bedingungen und Forderungen der Theatermusik vertraut, ehe er in den Jahren 1952/54 als Meisterschüler von Hanns Eisler und Max Butting an der Deutschen Akademie der Künste seine Ausbildung abschloß. Seit dieser Zeit lebt und wirkt Dieter Nowka in Schwerin, wo er sich neben seiner bedeutsamen kompositorischen Tätigkeit auch auf organisatorischem und kulturpolitischem Gebiet als 1. Vorsitzender des Kom ponistenverbandes im mecklenburgischen Gebiet große Verdienste, ganz besonders in Hinsicht auf die Verbreitung der zeitgenössischen Musik, erworben hat. Nowkas Herkunft aus dem Lau sitzer Gebiet ist für seine kompositorische Entwicklung von großer Bedeutung gewesen. Dem musikalischen Volksgut der Sorben von Kind an aufgeschlossen, sind eine ganze Reihe von Kom positionen diesem Einfluß verpflichtet. Sowohl in einer Anzahl instrumentaler Werke, beson ders aber auch in den beiden großen Bühnenwerken, dem Ballett „Eine Baucrnlegende“ und vor allem der ersten sorbischen Volksopcr „Jan Suschka“ wird das spürbar. Dabei ist cs Nowka wesentlich, im Geiste der sorbischen Musik zu schreiben, nicht einfach sorbische Melodien zu übernehmen und zu verarbeiten. Herzuleiten aus dieser engen Verbindung zu der ungemein viel fältigen und besonders melodisch eigenartigen, aber auch rhythmisch charakteristischen sorbischen Folklore sind Nowkas interessante Melodiebildung, sein Mut zu einem herben Melos, aber auch seine rhythmisch-musikantischc Vitalität. Aufgeschlossen für alle Entwicklungstendenzen der zeitgenössischen Musik, ist der Komponist immer wieder mit der Erweiterung seiner handwerk lich-stilistischen Mittel, mit der Erprobung neuer Formen beschäftigt, fruchtlose Experimente ausschaltend. Für den denkenden Musiker Nowka ist die geistig-analytische, ästhetische und formprägende Durchdringung der Musik so wichtig, wie dem Musikanten Nowka der vitale, emotional erfüllte Impuls am Herzen liegt. Außer den schon erwähnten Bühnenwerken schrieb Nowka noch eine Kammeroper „Die Erbschaft“, zahlreiche Kammermusikwerke, ein Violin konzert, ein Konzert für Englischhorn, ein Klavierkonzert für die linke Hand, die „Schweriner Schloßmusik“, neuerdings eine Sonate für Orchester, das „Lausitzer Tryptichon“ und die 2. Sinfonie. Den drei zuletzt genannten Werken ist gemeinsam, daß sich Nowka in ihnen mit barocken For men und Techniken auseinandersetzt. Dabei liegt ihm Stilkopie absolut fern. Auch die zweite Sinfonie op. 70 ist ganz in modernem Geist entstanden, doch verwendet der Komponist in star kem Maße Techniken, die dem Barock näher stehen als der klassischen Sinfonik. So ist bereits der erste Satz - Allegro con brio - gekennzeichnet durch starke imitatorische und kontrapunk- tische Arbeit, wobei auf eine thematische Auseinandersetzung weitgehend verzichtet wird. Viel mehr erschließt Nowka aus der Variation, der Weiterentwicklung, der Fortspinnung des thema tischen Materials die musikantische Kraft dieses Satzes. Drei Themen sind maßgebend: Das erste, nach kurzem Anlauf durch einen doppelten Quartsprung, einen energischen Quintabsprung gekennzeichnet, dann auf engem Raum sich weiter bewegend, aus jedem Motiv viele neue Energien entwickelnd. Das zweite in kantablem Streicherklang sich entwickelnd, sogleich von der Klarinette kontrapunktiert, in der Fortführung aber auch in hymnischem Schwung erklingend. Das dritte, auf vitaler Motorik auf bauend, von pianissimo - Streicherfiguren rasch begleitet, in der Flöte auf tauchend. In einem durchführungsähnlichen Teil wird da,s Quartpithema des Anfangs rhythmisch und metrisch verwandelt, der^-Takt wechselt in 2 / 2 . Im Schlußteil verwendet Nowka vor allem das dritte Thema, besonders die Streicherbewegung, die er dann auch mit dem Es- pressivo des zweiten Themas geschickt kombiniert. Der zweite Satz, Andante molto moderato, ist durch expressives Melos bestimmt. Ein Anfangsthema wird von den Klarinetten vorgestellt, dann von der Oboe umgekehrt. Von großer emotionaler Intensität ist ein zweiter Gedanke der Strei cher. In den zweiten Satz ist ein Scherzo eingclagert. Kraftvoll stampft cs daher, imitatorisch durchsetzt. Ein schwingender Gedanke ist für einen trioähnlichen poco-meno-Teil maßgeblich. Es folgt das Scherzo, in variierter Form und ein ritardando leitet wieder zum Andante moderato zurück, das in freier Form die Themen weiterspinnt. In großer Intensität endet der Satz mit markanten Paukenschlägen. Von musikantischem Schwung ist der dritte Satz - Vivace - erfüllt. Nach anfänglichem Zögern setzt mit Elan die federnde rhythmische Grundfigur ein, über der sich das erste Thema in Piccoloflöte und Oboen erhebt. Auch dieser, von tänzerischem Geist erfüllte Satz besitzt eine lyrische Episode, die aber eben nur Episode bleibt und bald durch die Energien des Vivace wieder hinausgefegt wird. Gegen Schluß hin machen Tempowechsel das Geschehen noch etwas spannend, ehe das Vivace zu Ende rauscht. Gerhard Rosenfeld, der Komponist des im Auftrage von Gustav Schmahl geschriebenen Violin konzertes 63, schreibt über seinen künstlerischen Werdegang: „Geboren wurde ich im Jahre 1931 in Königsberg (Pr.). Mein besonderes Interesse für Musik erwachte in den letzten Jahren meiner Schulzeit in Potsdam. Erst nach Absolvierung des Abiturs erhielt ich den ersten systematischen Klavierunterricht. Später nahm mich die Humboldt-Universität Berlin für das Fach Musikwissen schaft an. Meine Kompositionsstudien begann ich 1953 bei Rudolf Wagner-Regeny an der Deut schen Hochschule für Musik in Berlin und setzte sic bei Hanns Eisler und Leo Spies in der Mei sterklasse für Komposition der Deutschen Akademie der Künste fort. Jetzt bin ich einesteils frei schaffend, andernteils als Lektor der Internationalen Musikbibliothek Berlin tätig.“ Wesentliche Werke des Komponisten sind die sinfonische Trilogie für Orchester, Variationen über ein bretonisches Volkslied, ein Divertimento für Kammerorchestcr, ein Quintett für Strei cher, ein Concertino per Cinque, Fabeln von Aesop für Chor a-cappella. Zu seinem Violinkonzert 63 gibt der Komponist folgende Analyse: „1. Satz (Sostenuto - Allegro molto) Auf eine langsame Einleitung, in der punktierte Rhythmen vorherrschen, folgt ein schneller Satz in Achteltrioien, der von zwei Episoden in langsamem Tempo unterbrochen wird. Eine kurze Überleitung nach dem zweiten langsamen Einschnitt führt zur Wiederaufnahme des Achtelrhyth mus, der den ersten Satz beschließt. 2. Satz (Adagio) Im zweiten Satz flankiert eine Gruppe von rhythmisierten charakteristischen Akkorden einen melodischen Mittelteil, in dem die Solovioline, von ihrer tiefsten Lage ausgehend, einem Höhe punkt zustrebt und von diesem wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückfällt. Der Satz endet mit einem Unisono der tiefen Streicher. 3. Satz (Allegro - Sostenuto) Formal betrachtet ist der dritte Satz in seinem ersten Teil fugenähnlich. Das Fugenthema knüpft mit geringen rhythmischen Veränderungen und in schnellerem Tempo an das Schlußunisono des zweiten Satzes an. Der fugiertc Teil dieses Satzes mündet in die Wiederaufnahme der langsamen Einleitung,des ersten Satzes, die in abgeänderter Form das Konkert beschließt.“