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EINFÜHRUNG IN DAS 2. ZYKLUSKONZERT WolfgangAmadeus Mozarts Klavierkonzert A-Dur (KV 488) ist in der Reihe seiner meist für den eigenen Bedarf komponierten 21 Konzerte für dieses Instrument eines der bekann testen und beliebtesten. Das am 2. März 1786 beendete Werk gehört zusammen mit den Konzer ten Es-Dur (KV 482) und c-Moll (KV 491) zu einer Gruppe von drei Klavierkonzerten, die, in den Wintermonaten 1785/86 für die musikalischen „Akademien“ der Fastenzeit geschrieben, von der geistigen Atmosphäre geprägt sind, die die gleichzeitige Arbeit an „Figaros Hochzeit“ umgibt. Diese Zeit der Entstehung, eine Zeit glücklichen Schaffens, in der Mozart große künstlerische und sogar auch einige materielle Erfolge verzeichnen konnte, scheint gerade in dem liebenswürdig heiteren, anmutig verspielten A-Dur-Konzert unmittelbare Widerspiegelung gefunden zu haben. Die hier vorherrschende lichte, liebliche Grundstimmung wird bereits durch eine entsprechende Instrumentation unterstützt: Trompeten und Pauken fehlen, statt der herberen Oboen werden die weicher klingenden Klarinetten eingesetzt. Aber trotzdem sind auch in diesem Werk, das durch seine Einfachheit und leichte Eingängigkeit dem Publikum ganz besonders entgegenkommt, Töne zarter Wehmut und Melancholie nicht zu überhören. Ein festlich-heiteres, gelöstes Musizieren von größter Klarheit und Schönheit, bezaubernder Leichtigkeit und Eleganz - nur gelegentlich von Andeutungen einer ernsteren Stimmung ein wenig getrübt - bestimmt den Charakter des 1. Satzes (Allegro). Der kurze langsame Mittelsatz in fis-Moll mit seinem elegischen Siciliano-Thema bildet einen ausgesprochenen Kontrast zu den beiden Ecksätzen: schmerzliche Klage, ja Resignation spricht aus der ergreifenden, verinner lichten Haltung dieses wunderbar innigen, tief empfundenen Musikstückes. Im Finalrondo (Alle gro assai) dominieren dann wieder sonnigste Heiterkeit, liebenswürdige Ausgelassenheit - alle Bedrängnis der Seele wird gelöst und überwunden. Von zahllosen geistreich-witzigen Einfällen nur so funkelnd, beschließt der graziöse, helle Satz in virtuoser Brillanz das Konzert. „Wenn ich ein großes musikalisches Gebilde konzipiere, so komme ich immer an den Punkt, wo ich mir das »Wort* als Träger meiner musikalischen Idee heranziehen muß“, heißt es in einem Brief Gustav Mahlers von 1897 an den ihm befreundeten Musikwissenschaftler Arthur Seidl im Zusammenhang mit seiner sechs Jahre nach der 1. Sinfonie, im Juni 1894, vollendeten 2. Sinfonie c-Moll. Tatsächlich hat der Komponist, der um dieses Werk in siebenjähriger mühe voller Arbeit lange gerungen hatte, hier dem gesungenen Wort eine bedeutsame Rolle zu geteilt. Die als Ganzes am 13. Dezember 1895 in Berlin unter Mahlers Leitung uraufgeführte Sinfonie I (einzelne Sätze daraus waren bereits einige Monate früher von Richard Strauss in einem Berliner Konzert der Öffentlichkeit vorgestellt worden) verlangt nicht nur einen durch die Orgel verstärk ten sehr umfangreichen Orchesterapparat, sondern auch noch vierstimmigen gemischten Chor sowie Sopran- und Alt-Solo. Aber sowohl dieses anspruchsvolle Aufgebot instrumentaler und vokaler Besetzung als auch die gewaltigen (von der 3. Sinfonie allerdings noch in den Schatten gestellten) Ausmaße des fünfsätzig aufgebauten Werkes wurden von Mahler hier - ebenso wie in späteren Schöpfungen - keinesfalls um irgendwelcher äußerlichen Wirkungen willen oder etwa aus dem Drang nach Überbietung alles bisher Dagewesenen heraus eingesetzt. Er wollte vielmehr mit diesen ungewöhnlichen Mitteln einzig Inhalt und Aussage seiner Musik unterstreichen, seine Bekenntnisse verdeutlichen - und gerade die 2. Sinfonie ist in noch stärkerem Maße als die Erste Bekenntnis- und Weltanschauungsmusik, „eine tiefe Auseinandersetzung mit den Fragen des menschlichen Daseins“ (Knepler). Der Komponist hat das Programm, das er dem in seinen Grundgedanken um Leben, Tod und Auferstehung des Menschen kreisenden Werk für die Erst aufführung in München nachträglich beigegeben hatte, wieder zurückgezogen, da er (wie bereits bei der 1. Sinfonie) Mißverständnisse und Mißdeutungen fürchtete, und gewiß ist diese Musik auch nicht als „Programmusik“ im üblichen Sinne deutbar und erfaßbar. Dennoch geben uns Mahlers Erläuterungen bei dieser komplizierten, durch Fülle und Kraft der Inspiration, Mut und Kühnheit der - freilich oft ungemein heftigen, zerklüfteten, übersteigerten - musikalischen Spra che wie durch ihre ethische Problemstellung gleich imponierenden Komposition im einzelnen wesentliche und wertvolle Aufschlüsse. Im spannungsgeladenen, großangelegten 1. Satz (Allegro maestoso) wird die Totenfeier am Grabe eines geliebten Menschen geschildert. Nach den Worten des Komponisten zieht „zzz diesem ernsten, die Seele im tiefsten erschütternden Augenblick . .. sein Leben, Kämpfen, Leiden und Wollen noch einmal, zum letztenmal, an unsern geistigen Augen vorüber“ ; bang wird die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Dieser Satz mit seinem wildschmerzlichen Anfangsmotiv, seinen herben, schroffen Klängen, schneidenden Bläserwirkungen ist in seiner überaus leiden schaftlichen musikalischen Gestaltung häufig als geistesverwandt mit der Musik des französischen Komponisten Hector Berlioz bezeichnet worden. Besonders hingewiesen werden muß auf ein in der Durchführung von den Hörnern intoniertes schlichtes, choralartiges Thema, das durch seine Beziehung zum letzten Satz (im Sinne von Frage und Antwort) bedeutsam wird. Zwischen 1. und 2. Satz forderte Mahler eine Pause von fünf Minuten, um die große seelische Umstellung zu gewährleisten, die sich für die Aufnahme des nächsten, völlig andersgearteten Satzes (Andante) als notwendig erweist. (Das Andante sowie die beiden darauf folgenden Sätze sind vom Komponisten als „Intermezzi“ gedacht.) Anmutig beschwingt, in gemächlichem, un verkennbar österreichischem Ländlerrhythmus, bringt das vorwiegend heiteren Empfindungen Ausdruck gebende Andante, das in dreiteiliger Liedform aufgebaut wurde, eine Rückschau auf die Vergangenheit des Helden des Werkes — „wehmütige Erinnerung an seine Jugend und an seine verlorene Unschuld“. Als 3. Satz schließt sich ein bizarr-unheimliches, bewegtes Scherzo in Moll an. Das thematische Material dieses phantastisch-skurrilen Stückes entnahm der Komponist seinem Lied „Des heiligen Antonius von Padua Fischpredigt“. Durch die bissig-ironische Parabel von dem Heiligen, der ver geblich den Fischen Tugend predigt, soll hier gleichnishaft das sinn- und zwecklos bleibende ideale Streben des Helden dargestellt werden. „Die Welt und das Leben werden ihm zum wirk lichen Spuk; der Ekel vor allem Sein und Werden packt ihn mit eiserner Laust und jagt ihn bis Zum Aufschrei der Verzweiflung “ Unmittelbar folgt nun ohne Unterbrechung ein Altsolo mit dem warmen, ergreifend schönen Gesang vom „Urlicht“ aus der Arnim-Brentanoschen Liedersammlung „Des Knaben Wunder horn“, die Mahler sehr anzog und aus der er auch noch für seine beiden nächsten Sinfonien Lied texte verwendete (man hat deshalb die Sinfonien Nr. 2 bis 4 unter dem Namen „Wunderhorn- Sinfonien“ zusammengefaßt). Die erschütternde Klage der Altstimme „Der Mensch liegt in größter Not“ mündet, „die rührende Stimme des naiven Glaubens“ wiedergebend, in kindlich gläubiger Zuversicht: „Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben“.