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Dr. Dieter Härtwig GUSTAV MAHLER Bildnis einer großen Musikerpersönlichkeit (II) Fast drei Spielzeiten leitete Gustav Mahler die Königlich Ungarische Oper in Budapest. In einem Aufruf an die Mitglieder des Institutes hatte er „strengste Pflichterfüllung des einzelnen und vollstes Aufgehen und Hingabe an das Ganze“ gefordert. Bald schon zeigten sich die ersten Er folge seiner künstlerischen Anstrengungen. Der ehrgeizige junge Meister war dem Ziel seiner Wünsche einen großen Schritt nähergekommen. Sich auch der Regie zuwendend, baute er ein festes Ensemble an der Budapester Oper auf, förderte er u. a. die Werke des ungarischen Natio nalkomponisten Ferenc Erkel und räumte mit dem an dieser Bühne bis dahin üblichen sprach lichen Kauderwelsch von Ungarisch, Deutsch, Italienisch und Französisch grundsätzlich zugunsten der Landessprache auf. Der nach Jenö Mohäcsis Bericht „kleine, magere, bleiche junge Mann mit den fahrigen Bewegungen“ leistete hier wahre Pionierarbeit, die dem erst 1884 gegründeten Haus innerhalb kurzer Zeit beträchtliches Ansehen verschaffte. Doch als der nationalistisch gesinnte Graf Geza Zichy die Leitung der Oper an sich riß und dem Operndirektor seine „auto ritären Rechte“ genommen hatte, brauchte sich der 31jährige Künstler nicht allzusehr zu grämen, sein Name war längst weithin bekannt. Direktor Pollini vom Stadttheater Hamburg verpflichtete ihn 1891 als ersten Kapellmeister an sein Haus, dem er sechs Jahre, bis 1897, treu blieb. Die Hamburger Jahre, in denen Mahler durchaus wesentlich das Profil des Musiklebens dieser Stadt mitprägte, verhalfen vor allem sei nem kompositorischen Schaffen zum Durchbruch und förderten weiter seine persönliche Entwick lung. „Gelesen habe ich viel in diesem Jahr, und viele Bücher haben einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, ja sie haben sogar in Weltanschauung und Lebensansicht einen Umschwung - eigent lich Fortentwicklung verursacht.“ Selbstbewußter, in sich gefestigter wurde die Haltung des jungen Meisters, dem in Hamburg ausgezeichnete Kräfte an Sängern und im Orchester zur Ver fügung standen. In Zusammenarbeit mit berühmten Sängern wie Leopold Dcmuth, Anna Milden burg oder Bertha Foerster-Lauterer, der Frau des tschechischen Komponisten J. B. Foerster, kam es zu glanzvollen Opernabenden, z. B. „Freischütz“, „Tannhäuser“. Peter Tschaikowski, der 1892 in Hamburg weilte und dessen „Eugen Onegin“ von Mahler zur ersten deutschen Aufführung angenommen wurde, schrieb über ihn enthusiastisch: „Der hiesige Dirigent ist übrigens kein Durchschnitt, sondern ein Mann von Genie.“ Wie immer forderte Mahler von seinen Mitarbeitern, kompromißlos nach höchster Vollendung strebend, Unterwerfung unter seinen leidenschaftlichen Kunstwillen und erwartete eine gleiche Disziplin auch vom Publikum. Während seiner Hamburger Zeit gewann er internationales Ansehen. Aufführungen von „Tristan“, dem „Ring“ und dem „Fidelio“ im Londoner Drury-Lane-Theatre, die er gastweisc, zumeist mit Hamburger Kräften, leitete, fanden spontane Zustimmung der englischen Musikfreunde. „Die Galerie applaudierte nach jedem Aktschluß wie wild“, berichtete G. B. Shaw von einer „Sieg fried ‘-Aufführung. Mahler gelang es nun auch, dem verehrten Dirigenten Hans von Bülow in Hamburg näherzutreten, den er schon von Kassel aus gebeten hatte, als sein Assistent und Schü ler arbeiten zu dürfen. Obwohl der große Musiker sich keineswegs für die Kompositionen Mahlers erwärmen konnte, brachte er dem Dirigenten größtes Interesse entgegen, ja stellte ihn einem Mottl und Richter an die Seite. So verwunderte es nicht, daß Bülow vor seinem Tode Gustav Mahler zu seinem Nachfolger als Leiter der Abonnementskonzerte des Vereins Hambur gischer Musikfreunde bestimmte, eine Tätigkeit, die dem jungen Kapellmeister in der Spielzeit 1894/95 erwuchs. Damals begannen auch seine freundschaftlichen Beziehungen zu Richard Strauß, J. B. Foerster und Bruno Walter, der als Chordirektor am Hamburger Theater wirkte. Später zeichnete der inzwischen zu hohem Ruhm gelangte Dirigent in seinem Buch über Mahler ein lebensvolles Bild seines ehemaligen Lehrers und Freundes. Von Mahlers inniger Verbundenheit mit der Natur berichtet Walter etwa folgende Begebenheit: „Wahres Vergnügen bereiteten ihm zwei junge Kätzchen, an deren Gehabe er sich nicht sattsehen konnte. Auf kleineren Spaziergängen pflegte er sie in seinen weiten Rocktaschen mitzunehmen, um sich bei der Rast an ihrer ihm stets inter essanten Gegenwart zu erfreuen; die Tierchen waren so an ihn gewöhnt, daß sogar ein veritables Versteckspiel mit ihnen von vollem Erfolg belohnt wurde, worauf er nicht wenig stolz war. Er war der Mitkreatur von Herzen zugetan; Hunde, Katzen, Vögel, die Tiere des Waldes ergötzten ihn und erregten zugleich seinen ernstesten Anteil.“ Bruno Walter gelangen auch tiefe Einsichten in das ganz eigene, von heftigen Impulsen und Kontrasten bestimmte Wesen des Meisters: „Nichts in seinem Leben - das hatte ich bald er kannt - war systematisch; sein Lebensstil glich einem Strom in Katarakten wie der Nil im mitt leren Lauf, nicht einem gleichmäßigen Fluß; daher fand sich auch schon damals in den Urteilen über seine Persönlichkeit kein Epitheton so häufig wie das Wort,sprunghaft'. Sprunghaft erschien er auch mir, aber keineswegs im Sinn mangelnder Gründlichkeit - er war erst zum nächsten ,Sprung' bereit, wenn im Katarakt des Denkens und Fühlens die volle Masse des Bewegten sich ergossen und wieder beruhigt hatte; die Ruhe dauerte freilich nur, bis sein Wesen in einem neuen Impuls aufschäumte.“ Von Mahlers Hamburger Jahren an begannen Dirigenten wie R. Strauß, Weingartner und Nikisch Einzelsätze aus Sinfonien des jungen Meisters in ihre Programme aufzunehmen. Inzwischen war im Sommer 1894, den der Komponist in Steinbach am Attersec verbrachte, die 2. Sinfonie voll endet worden, deren Entwürfe mehrere Jahre zurückreichten: die sogenannte „Auferstehungs sinfonie“ für Solostimmen, Chor und Orchester. Als Mahler das Werk ein Jahr später in Berlin dirigierte, war das Publikum von der humanistischen Substanz der Sinfonie zutiefst angerührt, während einige Kritiker Äußerungen des Mißfallens von sich gaben. Dessenungeachtet nahm sich Ernst von Schuch in Dresden der „Zweiten“ erfolgreich an. Auch die 3. Sinfonie und die „Wunderhorn“-Gesänge reiften in den Hamburger Jahren. Worauf G. Knepler zu Recht hinwies: in jener Zeit entfaltete sich Mahlers ganz sonderbare Arbeitsweise. „Das ganze Jahr hindurch führt er die Geschäfte eines Theaterdirektors und Theaterkapcllmeistcrs, um sich nur in den Sommerferien in das zu verwandeln, wäs sein eigentlicher Beruf ist, in einen Komponisten. Fünfzehn Jahre hat er das so gehalten. In den Ferien während seiner Hamburger Tätigkeit, die er in der österreichischen Heimat verbringt, entstehen die 2. und 3. Sinfonie.“ (Fortsetzung im nächsten Programmheft)