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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES IIYG I E N E - M U S E U M Donnerstag, den 9. September 1965, 19.30 Uhr 1. Abend im Anrecht C für Betriebe Freitag, den 10. September 1965, 19.30 Uhr Sonnabend, den 11. September 1965, 19.30 Uhr Sonntag, den 12. September 1965, 19.30 Uhr 1. Philharmonisches Konzert Dirigent: Horst Förster Solist: Stanislav Knor, ÖSSR Gottfried Heinrich Stölzel 1690 - 1749 Concerto grosso a quattro chori für zwei Trompetenchöre mit Pauken, Holzbläserchor und geteiltes Streichorchester D-Dur Allegro Adagio Vivace Ludwig van Beethoven 1770 - 1827 2. Konzert für Klavier und Orchester B-Dur op. 19 Johannes Brahms 1833 - 1897 PAUS e 4. Sinfonie e-Moll op. 98 Allegro non troppo Andante moderato Allegrctto giocoso Finale - Allegro cnergico e passionato STANISLAV KNOR gehört zur jüngeren Pianistengeneration der CSS R. Er wurde 1929 geboren, studierte bei dem bekannten Professor Frantisek Maxian an der Musikakademie Prag. Bereits während des Studiums fiel seine ungewöhnliche Begabung auf. Bei den Wettbewerben junger tschechoslowakischer Pianisten errang er 1950, 1951 und 1952 den ersten Preis und wurde zum Prager Frühling eingeladen. Weitere Erfolge bei internationalen Wett bewerben in Warschau (1955) und Brüssel (1956) schlossen sich an. In den Jahren 1957 und 1958 vervoll kommnete der Pianist sein Können bei Professor Marcel Ciampi in Paris. Stanislav Knor konzertierte bislang u.a. in Belgien, Frankreich, in der DDR, in Westdeutschland, Bulgarien, Polen, Finnland, Norwegen, Schweden und natürlich immer wieder in seiner tschechoslowakischen Heimat. ZUR EINFÜHRUNG Gottfried Heinrich Stölzel war zu Lebzeiten einer der bekanntesten deutschen Musiker und erfreute sich als der „Gothaer Kapellmeister“ allseitiger Wertschätzung. Johann Mattheson zählte ihn zu den „vernünftigen, gelehrten und großen Tonmeistern“ seiner Zeit. Lorenz Christoph Mizler verzeichnete in seiner „Nachricht von der Societät der musi kalischen Wisenschaftcn“ die damals berühmtesten Komponisten Deutschlands in folgen der Reihenfolge: „Hasse, Händel, Telemann, die beiden Grauns, Stölzel, Bach, Pisendel, Quanz und Bümler“. Bach hat Stölzel sehr hoch geschätzt und vielleicht auch gekannt. Stölzels Werke, vor allem die Kirchenmusik und die Opern, wurden auch außerhalb Mitteldeutschlands aufgeführt; Johann Adolf Scheibe hörte 1751 Stölzelsche Oratorien sogar in Kopenhagen. Der kaum zu überbietende Fleiß, die staunenswerte Schöpferkraft, kompositorische Vielseitigkeit und Fruchtbarkeit des Meisters können am ehesten mit Telemann verglichen werden, obwohl er, im Gegensatz zu jenem, kaum etwas veröffent licht hat. Wenn auch angesichts der Massenproduktion Stölzels - er schrieb zahlreiche Concerti grossi, Solokonzcrte, Kammermusikwerke, 18 musikdramatische Werke, sieben Passionen, einige Messen, 12 Jahrgänge Kantaten, von denen freilich nicht alles mehr erhalten ist - nicht jedes seiner Werke gleichermaßen wertvoll ist, gehört der Komponist fraglos zu den wesentlichen Erscheinungen am Ausgang des deutschen Spätbarock, mit konservativen, aber auch zugleich in die Zukunft weisenden Stilelementen. Sein umfang reiches Vokalwerk, das ihn als einen der bedeutendsten Kantatenkomponisten seiner Zeit ausweist, wurde erst in jüngster Zeit wissenschaftlich erforscht. Stölzel stammte aus Grünstädtel bei Schwarzenberg im Ergebirgc. Erste musikalische Unterweisung erhielt er beim Vater, dann in Schneeberg und in Gera. In Leipzig sollte er Theologie studieren, widmete sich aber noch eifriger der Musik. 1710 verließ Stölzel Leipzig, als tüchtiger Komponist, Sänger und Klavierspieler ausgebildet. Nach zweijähriger Tätigkeit in Breslau unternahm er eine ausgedehnte Italienreise, die ihn mit führenden Persönlichkeiten seiner Zeit Zusammentreffen ließ. Über Bayreuth und Gera kam ec schließlich 1719 nach Gotha, wo er 30 Jahre als Gothaisch-Altcnburgischer Hofkapell meister wirkte und auch verstarb. Es war das Verdienst des Musikforschers Arnold Schering, 1907 mit der Neuausgabe des gewichtigsten Instrumentalwerkes des Komponisten, seines Concerto grosso a quattro chori für zwei Trompetenchöre mit Pauken, Holzbläserchor und Streichorchester mit vierfach geteilten Violinen in D-Dur, das den Höhepunkt höfischen Musizierens unter Stölzel und den Ausklang der Barockzeit in Gotha darstellte, nachdrücklich auf den Meister hingewiesen zu haben. Dieses von Dirigenten wie Furt wängler, Kleiber und Jochum gern interpretierte festliche Werk, das die ganze Pracht barocken chorischen Musizierens entfaltet, da es als Prunkstück wahrscheinlich für die Einweihung der restaurierten Schloßkirche auf dem Friedenstein bei Gotha geschrieben wurde, bildet den würdigen Auftakt unserer diesjährigen Philharmonischen Konzerte. Der Instrumentalsatz Stölzels ist - typisch für jene musikgeschichtliche Übergangszeit - nicht einheitlich ausgeprägt. Er vereinigt Elemente des alten polyphonen, von der Orgel herkommenden Instrumentalstils mit solchen des neuen, galanten italienischen Kammer stils. Neben strengen, komplizierten polyphonen Partien stehen einfachste homophon- akkordisch bzw. scheinpolyphon gearbeitete. Der schon erwähnte Musikwissenschaftler Schering stellte Stölzels vierchöriges Concerto grosso durchaus in die Nähe der Brandenburgischen Konzerte Bachs. Der Komponist hat sich in den drei Sätzen seines Werkes (Allegro - Adagio - Vivace), die von wahrhaft prächtiger Klangwirkung sind, kaum eine Möglichkeit des Konzertierens entgehen lassen. Nicht nur, daß die einzelnen Chöre in den mannigfaltigsten Kombinationen gegenein ander eifern - es werden auch reizvollste Mischungen und Effekte durch das Einander- ablösen von Soloinstrumenten erzielt. In seiner geschickten kontrapunktischen Arbeit und glücklichen Themenerfindung bedeutet das Werk - wiederum nach Schering - eine geniale Verschmelzung italienischer und deutscher Konzertkunst.