Volltext Seite (XML)
Beilage zur Weiheriy-Zeilung Nr. 255 . Sonnabend, am 1. November 1830 96. Jahrgang Kurze Notizen Das Gesetz über die Abgleichung des ordentlichen Staatshaushalts für 1930, das auch die Schlachtsteuer ent hält, wegen deren Nichtannahme im Sommer die Regierung Held zurücktrat, wurde vom bayerischen Landtag mit 86 gegen zwei Stimmen bei 16 Stimmenthaltungen ange nommen. Der Führer der badischen Zentrumspartei, Prälat D. Lr. Schöfer, ist in der Nacht zum Freitag einem Herz schlag erlegen , Die siegreichen brasilianischen Südtruppen sind nun mehr in die Bundeshauptstadt Rio de Janeiro emgezogen. Ford und deutsche Eisenlöhne Bekanntlich hat Henry Ford durch eine großzügige Reklame bekanntgegeben, daß er in fernen deutschen Auto betrieben eine Lohnerhöhung durchgefuhrt habe. Das hat begreiflicherweise in weitesten deutschen Wrrtschafts- und Arbeiterkreisen zu der Frage geführt: Weshalb kann Ford die Löhne erhöhen, während in der gangen deutschen Wirt schaft die Tendenz zur Lohnsenkung besteht? Es muß daher ausdrücklich festgestellt werden, daß das Fordsche Prinzip „Lohnerhöhung und Preissenkung auch bei Ford ledig lich in der Automobilfabrikation emgefuhrt ist, während diese Systeme in den großen Hochofen- und Stahlwerksbetrieben der Ford-Gesellschaft ebenso wie im übrigen Amerika und in allen Industrieländern der Welt noch unbekannt sind. Ford läßt eben diesen Grundsatz nur bei einer einzigen Produktionsmethode walten: bei der Mas senfabrikation unter schärfster Konzentration aller finanziel len Machtmittel, die mit peinlichster Sparsamkeit und Ratio nalisierung Hand in Hand geht, sowie grundsätzlicher Kon zentrierung auk eM einzelnes Fabrikationsobjekt. Man wird sich demgegenüber bei einem Vergleich unse rer deutschen Eisen- und Stahlverhältnisse mit den amerika nischen auf das beschränken müssen, was wirklich verglichen werden kann, nämlich auf die eigentliche Eisen- und Stahlproduktion selbst. Hier ist von einer Fordschen Erhöhung der Löhne nicht das mindeste zu spüren. Im Gegenteil beginnt man gerade in den Bereinigten Staaten, in einer Herabsetzung der Lohnkosten das einzige Mittel zur erfolgreichen Bekämpfung der auch der amerikanischen Eisen industrie drohenden Krise zu erblicken. So hat der Direktor des Eisenindustriellen Konjunkturforschungsbüros der Uni versität Newyork, Dr. Lewis H. Haney, kürzlich im Rahmen einer Untersuchung über Lohnhöhe und Konjunktur dis Frage gestellt: „Warum zahlt man jetzt nicht höhere Löhne, um das Geschäft besser zu gestalten? Warum bringt man die früheren Ansichten, daß höhere Löhne die Kaufkraft steigern und das Geschäft günstig beeinflussen, jetzt nicht zur praktischen Anwendung?" Dr. H. Haney fügt selbst sofort hinzu, daß heute die amerikanischen Eisenindustriellen er widerten, sie könnten unmöglich zu einer Lohnsteigerung übergehen, weil die Preise zu niedrig und die Verdienste schon zu sehr herabgedrückt seien. Höhere Löhne würden sie nur zu einer Schließung der Betriebe zwingen. Tatsächlich hat denn auch die amerikanische Wirtschaft in vielen Indu strien die Löhne bereits gesenkt, eine Tatsache, die die „Usine" zu der Bemerkung veranlaßte: „Es droht von diese, Seite — der durch Lohnsenkungen verbesserten Konkurrenz lage Amerikas — eine große Gefahr, und man darf sich nicht verhehlen, daß alle unsere europäischen Industrien ver suchen müssen, billiger zu produzieren." Auch in England sind verschiedentlich Lohnsenkungen nicht nur durchgeführt, sondern sogar freiwillig von den Gewerkschaften, eben aus der Erkenntnis des Konkurrenzkampfes aus dem Weltmarkt, angeboten worden. In diesem Zusammenhangs ist die Frage der Ar beitszeit in den Vereinigten Staaten beson ders interessant, die eben jetzt in einer zufammenfassenden Uebersicht des Arbeitsstatistischen Büros behandelt wird. Vor dem Kriege arbeiteten die meisten Betriebsabteilungen der Eisen- und Stahlindustrie im Zweischichtensystem. Während des Krieges trat eine gewisse Neigung zur Anwendung des Dreischichtensystems ein. Jedoch kehrte man bald wieder zum Zweischichtensystem zurück. Erst Im Jahre 1923 begann eine Bewegung, die zur Einführung des Achtstundentages bei zahlreichen Betrieben führte. Typisch für die amerikanischen Verhältnisse ist dabei, daß dieser Uebergang nicht schematisch durch einen gesetzlichen Eingriff erfolgte, sondern daß die ein zelnen Werke je nach ihrer Organisation und ihren technischen Einrichtungen allmählich von der einen zur anderen Ar beitszeit übergingen. Auch heute ist bei dem Fehlen einer einheitlichen gesetzlichen Regelung in den Vereinigten Staa ten der Achtstundentag keineswegs allgemein eingeführt, sondern bei den einzelnen Firmen wird die verschiedenste Arbeitszeit je nach oem praktischen Bedürfnis angewandt So kommt es auch, daß in zahlreichen Betrieben seit 1926 bis zum letzten Berichtsjahr 1929 wieder eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit eingetreten ist. Bei den Hoch ofenwerken arbeitete 1 N der Arbeiter 48 Stunden und darunter, 72 N arbeiteten 48 bis 60 Stunden. 26 N arbei- teten über 60 Stunden je Woche Auf die eigenartigen ar beitsrechtlichen Verhältnisse In Amerika weist der Umstand hin, daß ein verhältnismäßig hoher Prozentsatz der Arbeiter regelmäßig 7 Schichten verfuhr, ohne daß die Möglichkeit zu einem freien Sonntag gegeben wurde Das trifft nicht nur für die Hochofenwerke zu, die ihrer Natur nach auch Sonntags durcharbeiten, sondern auch in den Siemens- Martin-Stahlwerken arbeitete die Mehrzahl der Arbeiter 7 Schichten je Woche ohne einen freien Sonntag. Diese Beweglichkeit in der Gestaltung der Arbeitszeit gibt der amerikanischen Industrie natürlich einen starken Konkurrenz- vorsprung vor jenen Ländern, die eine wesentlich ausgepräg tere Sozialgesetzgebung haben. Von diesen Dingen allerdings § erzählt Ford in seinen Mitteilungen über die von ihm durch geführte Lohnerhöhung in der Automobilfabrikation nichts. Die Nnmrlermigrgtkelie woher die erforderliche Zweidrittelmehrheit nehmen? Die vom Reichskabinett verabschiedeten Finanz- un! Wirtschaftsgesetze, die die Grundlage des neuen Reichshaus- haltsplanes bilden, tragen zum Teil verfassungsän dernden Charakter, so insbesondere das Gesetz übet die Einschränkung des Personalaufwands im Reich und Ländern, das die im Reich eintretende Ge hälterkürzung auf Länder und Gemeinden übertragen will, und weiter oas Gesetz, durch das dem Reich eine gemisst Aufsichtsbefugnis über die Finanzgeba- rung der Länder und Gemeinden zugestanden werden soll. Diese verfassungsändernden Gesetze, die eine Zweidrittelmehrheit im Reichstage bedingen, lassen sich vielleicht vermeiden, wenn es gelingt, vertragliche Verein barungen über diese Fragen zwischen Reich und Ländern zustande zu bringen. Die Punkte, in denen die Länder Widerstand angekündigt haben, sind: Die Kontrolle ihrer eigenen Finanzgebarung, die Umgestaltung der Hauszins steuer, die Senkung der Realsteuern und die vom Reich geplante Kürzung der Beamtengehälter. Die Länder sind zwar an sich mit einer Kürzung der Beamtengehälter ein verstanden. Das Reich will aber von der Ersparnis, d-e sich daraus für die Länder ergibt, für eigene Finanzzwecke 10li Millionen Mark abziehen, und gegen diesen Abzug richtete sich der Widerstand der süddeutschen Länder, Sachsens und auch einzelner mitteldeutscher Länder. Von süddeutscher Seite ist oorgeschlagen worden, statt der einheitlichen 6prozentigen Kürzung der Beamtengehälter einen gestaffelten Abzug vorzunehmen, der mit 15 Prozent bei den oberen Gehältern beginnen und auf 2 Prozent bei den unteren Gehältern sinken soll. Das Reich hält dem Standpunkt der Länder entgegen, daß die Kürzung der Ge hälter bei Länder- und Gemeindebeamten eine Ersparnis von 300 Millionen Mark bedeuten würde, so daß, wenn das Reich für sich selbst 100 Millionen abzieht, den Ländern im mer noch zwei Drittel des ersparten Betrages verbleiben würden. Insgesamt wird die Kürzung der Beamtengehälter 514 Millionen Mark bei allen öffentlichen Körperschaf ten betragen, und zwar entfallen davon auf das Reich 62 Millionen, auf die Reichspost 62 Millionen, auf die Reichs bahn 90 Millionen, auf Länder und Gemeinden 300 Mil lionen. Nach Verlautbarungen soll jetzt auch die sächsische Regierung erwägen, ihre mehrere Millionen betragenden Zinsansprüche aus der Abtretung der sächsischen Eisenbahnen an das Reich geltend zu machen. Nur einstweilige Lösungen London, 1. November Der amtliche Bericht der britischen Botschaft in Berlin über die deutsche Wirtschaftslage gibt dem Londoner Ar beiterblatt „Daily Herald" Veranlassung in einem Leitar tikel nachzuweisen, daß der Schatten der Revarations- und Kriegsschulden noch immer über der Welt hänge. Die fetzi gen Losungen trügen den Charakter der Einstweiligkeil und des Versuch». Der Poungplan funktioniere, aber die maß gebendsten Beurteiler bezweifelten, daß er die» auch in Zu- kunft tun werde, und der Eindruck verliefe sich, daß Deutsch land im nächsten Jahre sein Recht auf Suspendierung der ungeschützten Annuitäten ausüben werde. Das Blatt er klärt: Die Arbeit des Voungausschusses und der Haager Konferenzen war wertvoll. Sie hat ein Kapitel, aber nicht ein Buch beendet. Mer der Volenbmte Gewallmaßnahme gegen die größte deutsche Druckerei Posen, 1. November. Durch Verfügung ßes Magistrats Posen ist auf Grund eines Gutachtens einer Kommission die Druckerei Concordia in Posen, das größte deutsche Unternehmen in der Provinz, in dem auch die bekannte Zeitung der deutschen Minderheit, das „Posener Tageblatt" gedruckt wird, geschlossen worden. Der ganze Betrieb wurde stillgelegt, so daß auch das „Posener Tageblatt" nicht erscheinen kann. Die Maschinen wurden versiegelt und die Vetriebsräume mit Polizeiposten besetzt. Durch diese Maßnahme werden über 200 Arbeiter und Angestellte brotlos. Die Schließung ist auf unbestimmte Forderungen der Agrnrloolerenr Prag, 1. November Der wirtschaftspolitische Ausschuß der Konferenz des internationalen Agrarbüros hat einstimmig die Grundprin zipien einer Resolution angenommen, die u. a. folgende For derungen erhebt: Herstellung der Rentabilität der landwirt schaftlichen Erzeugung, Schutzmaßnahmen gegen die Einfuhr aus dem Auslande, Abänderung der Meistbegünstigungs klausel durch regionale, eventuell durch internationale Ab kommen über Aus- und Einfuhrkontingente und Kompen sationen für die für die landwirtschaftlichen Produkte der europäischen Agrarstaaten geltenden Präferenzfälle durch gewisse Konzessionen zu Gunsten der Industrieerzeugnisse. Auf Vorschlag de» Vertreter» der deutschen Landwirte in der Tfchechoslowakel wurde in die Resolution ein besonderer Absatz eingefügt, der im Verhältnis zu Rußland besondere Maßnahmen fordert. Die Einfuhr aus Rußland soll nur entsprechend dem Bedarf und ausschließlich dann gestattet werden, wenn bewiesen sei, daß die Preise der Einfuhrpro» dukle den inländischen Erzeugungskosten entsprechen. Vie Regelung dieser Einfuhr soll durch ein besonderes Amt er folgen. Zeit erfolgt, so daß noch nicht abzusehen ist, wie lange diesK Anordnung des Magistrats in Wirkung bleibt. Weitere Verhaftungen in der Alraft« Marschau, 1. November. Anläßlich der in Lemberg erfolgten Verhaftung des Obmanns der ukrainischen Nationaldemokraten, Dr. L«« wicki, und des Generalsekretärs der Partei, Dr. Maka« ruschka, behauptet die polnische Presse, daß die Sicher heitsbehörden „einen engen Kontakt zwischen den ukraini schen Nationaldemokraten und der sogenannten ukrainischen Militärorganisation", die seinerzeit die Sabotageaktion in Ostgalizien geleitet hat, „festgestellt" haben. Ueberdies habe man gelegentlich der bei Lewicki und Makaruschka durch geführten Haussuchungen die Verbindung der beiden Poli tiker mit „ausländischen Kreisen zum Schaden des polnischen Staates" konstatiert. Im ostgalizischen Städtchen Zaleszcznki, das dicht an der rumänischen Grenze liegt, ist auch der ehemalige ukrainische Senator Baranek verhaftet worden. Der ftulieuische Mule Washington vermittelt zwischen Paris und Lom. Paris, 1. November. Ministerpräsident Tardieu hat mit dem amerikanischen Botschafter in Brüssel, Gibson, dem ersten Delegierten der Vereinigten Staaten im Vorbereitenden Abrüstungsausschuß, über das Abrüstungsproblem gesprochen. Cs wird bebaup- tet, die französi che Regierung sei geneigt, sich dem im April von England, den Vereinigten Staaten und Japan abge schlossenen Flottenabkommen anzuschließen unter der Be- dingung, daß erstens die von Frankreich geforderte Tonnaae- ziffer mit einer gewissen Kürzung auf 560000 Tonnen angesetzt werde, ohne daß dabei die „ Spe zi a l s ch i f f e " mttaezählt würden, zweitens daß Frankreich eine Sicherheitsklausel zugebllllgk erhalte, wie sie zugunsten Englands In den Vertrag ausgenommen worden sei, also eine Klausel, die Frankreich berechtige, seine Alotkeabauten über das vorgesehene Maß zu erhöhen, falls es sich als not wendig erweisen sollte, gegenüber Italien die für unerläßlich anerkannte lleberlegenhelt zu bewahren. wie aus Washington berichtet wird, soll Präsident Hoo ver dem amerikanischen Botschafter in Brüssel und ersten amerikanischen Delegierten bei der vorbereitenden Ab- rüstungskommission Gibson volle Handlungsfreiheit für eines vermitklungsaktion zwischen der französischen und der Italic nlschen Regierung in der Frage der Abrüstung gegeben haben. Das amerikanische Staatsdepartement Hecke lm voraus alle persönlichen Sondierungen un- Verhandlungen gebilligt die Gibson in Paris und in Rom führen werde. Dieses Eingreifen der Vereinigten Staaten in euro päische Angelegenheiten durch einen amerikanischen Botschaf ter stelle eine Neuerung in der amerikanischen Politik dar- Einzug des bulgarischen Königsvaares Sofia, 81. Oktober. König Boris und Königin Johanna find in Sofia einge- kroffen und wurden mit begeisterten Beifallskundgebungen der Bevölkerung empfangen. Ministerpräsident Liaptscheff, der in Begleitung aller Mitglieder der Regierung auf dem Bahnhof erschienen war, hieß das Herrscherpaar willkommen. Geschützdonner zeigt« der auf den Straßen harrenden unaebeuren Menschenmenge die Ankunft des Königs und der Königin an. Nach den üb lichen Vorstellungen im Emvfangssaal des Bahnhofes begab sich der Zug nach der Kathedrale, wo das Königspaar unter dem Geläut aller Glocken empfangen wurde. Wahren- der ganzen Feier kreist« ein Flugzeugaeschwader über der Stadt, das mit seiner Staffelung die IniKalen der Namen des Königs und der Königin bildet«. Auf dem Schloßplatz fand ein Vorbeimarsch der Truppen vor dem König statt. Die Nachricht von der Ankunft des Königs und der Königin in Burgas verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das ganze Land. Die Bevölkerung, die durch die Ungewiß heit über das Schicksal der königlichen Jacht In große Unruys vers«tzt worden war, strömte nach den Bahnhöfen der Eksen- bahnlinie Burgas—Philippopel—Sofia, um das Herrscher paar zu begrüßen. Versicherung der Bergleute Berlin, 1. November. Drei große Massenunfälle im deutschen Bergbau, an! 9. Juli 1930 in Neurode, am 21. Oktober 1930 in Alsdor! und am 26. Oktober 1930 bei Saarbrücken, haben det Oeffentlichkeit wieder einmal die Gefährlichkeit des Berg mannsberufes, sowohl für die Arbeiter als auch für du Angestellten, vor Augen geführt. Private Sammlungen zui Unterstützung der arbeitsunfähig gewordenen Verletzten un! der Hinterbliebenen der tödlich Verunglückten beweisen di« Anteilnahme der ganzen deutschen Bevölkerung an der schweren Schicksalsschlägen, die die Arbeitnehmer des deut schen Bergbaues in den letzten Monaten tragen mußten Um so bedauerlicher ist es, daß die soziale Versicherung del Arbeitnehmer des Bergbaues, das heißt die Reichsknapp schaft, sich in finanzieller Gefahr befindet. Durch die in alle» Bergbaugebieten vorgenommenen starken Entlassungen von Arbeitskräften ist die Zahl der Versicherten in der Knapp schaft stark gesunken, dagegen die Zahl der Rentenempfänget gestiegen. Dadurch ist der besondere soziale Schutz der Ar beitnehmer des Bergbaues gefährdet. Der Gewerkschafts- bund der Angestellten und der mit ihm in Arbeitsgemein schaft stehende Verband kaufmännischer Grubenbeamten haben sich auf einer gemeinsamen Konferenz mit der Siche rung der Reichsknappschaft beschäftigt. Sie erwarten von der Regierung Maßnahmen, die in der Richtuna von Er«