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Wirth ans dem Peamtentag Gegen Radikalismus und Diktaturdestrebungen. Berlin, 24. Oktober Sm Rahmen der Bundestagung des Deutschen Beamtend un des fand eine große Kundgebung statt, die sich in erster Linie mit der Lage der deutschen Beam tenschaft befaßte, wie sie sich nach dem Rcgierungsprogramm ergibt. Reichsinnenminister Dr. Wirth hielt hierbeit eine längere politisch bedeutsame Rede, der deshalb besondere Beachtung geschenkt wird, weil sie ähnliche Gedankengänge entwickelt, wie sie bei der Ernennung Severings zum preu ßischen Innenminister obgewaltct zu haben scheinen. Dr. Wirth befaßte sich zunächst mit den Punkten des Regie rungsprogramms, die sich auf die Beamtenschaft beziehen und erklärte unter starker Unruhe der Versammlung, daß die Regierung keine andere Möglichkeit zur Rettung der Lage gesehen hätte. Wo die Gesamtheit in ihren Lebensbe dingungen erschüttert würde, könne nicht ein einzelner Be- rufrstand unberührt davon bleiben, am wenigsten der Be amtenstand, der am stärksten in der Gesamtheit wurzele. Der Minister wandte sich dann den innerpolitischen Verhältnissen zu und stellte fest, daß die starke Welle des Radikalismus sich erkläre einmal aus der Ungunst der Wirt schaftslage und den gewaltigen, durch die Tributoerpflich- tungen besonders drückenden finanziellen Lasten, zum an deren daraus, daß es Parlament und Negierung wieder holt an einer starken Willensbilduna im Staate hätte feh- lep lassen Jedes llnsicherwerden müsse gerade in der heuli- Zelt verhängnisvolle Auswirkungen auch auf die wirt schaftliche Lage heraufbeschwören. Der Radikalismus lauere nur darauf, daß die heutige demokratische Staatsführung in ihrem willen unsicher werde und Augenblicke der Schwäche zeige. Die Reichsregierung habe aus dem Schaden gelernt und müsse mit großer Energie und mit Erfolg bemüht sein, die Autorität der zu der Führung der deutschen Politik be rufenen Instanzen neu zu stärken und zu sichern, im Reich wie in Preußen. Dr. Wirth erinnerte daran, daß Deutsch land schon schwerere Zeiten durchgemacht habe und sprach die Gewißheit aus, „daß die Wogen des Radikalismus an dem politischen Sinn, der ruhigen Beurteilung der Beam tenschaft einen unbesiegbaren Widerstand finden würden." Wenn es aber wirklich Fanatikerderfaschistischen Idee in der deutschen Beamtenschaft geben sollte, so müsse er sie bitten, soviel Mut und Ehrlichkeit auf- zubringen und sbviel Achtung vor dem eigenen Selbst, daß sie die Stellung verlassen, in der sie durch ihren Eid gebunden seien, die Verfassung unter allen Umständen zu schützen Die Mc>rvng stehe fest avf ihrem Platz und sie werde sich nicht scheuen,,mit allen Machtmitteln, die ihr verfasspngs,rechtlich zur Verfügung stünden, die Gegner des heutigen Staates mrderzuhalken. Dr. Wirth ging zum Schluß auf die Stellung der Be amtenschaft im deutschen .Staate ein und erklärte, daß sein Ziel die Codifizierung des Beamtenrechtes sei. Der Ent wurf des Veamtenoertretungsgesetzes, der dem vorigen Reichstag oorlag, solle unverändert und umgehend auch dem neuen Reichstag zur Beschlußfassung unterbreitet werden. Die Wünsche der Beamten zu dem Entwurf der Reichs dienststrafordnung seien, soweit erfüllbar, in einen neuen Entwurf «ingearbeitet bezw. dem Kabinett zur endgültigen Entscheidung vorgelegt. Sofortiger Amtsantritt Severing; Run auch ein kommunistischer Rlißtrauensantrag Berlin, 24. Oktober. Der zum preußischen Innenminister ernannte Reichs lagsabgeordnete des preußischen Landtages, Severing, wird sein Amt bereits am heutigen Freitag antreten. Sein Amts vorgänger, Professor Dr. Waentig, hat sich am Donnerstag von den Beamten des Ministeriums verabschiedet. Im Preußischen Landtag ist nun auch von den Kom munisten ein Mißtrauensantrag gegen den neuen preu ßischen Innenminister Severing eingebracht worden. Da nach den Bestimmungen der Verfassung ein Mißtrauens- antrag binnen 14 Tagen zur Erledigung kommen muß. wird man sofort nach Wiederaufnahme der Plenarberatun gen am 4. November mit einer großen politischen Aus sprache rechnen dürfen. Polnische EntMIdigung wegen der Ausschreitungen in Posen Berlin, 24. Oktober Der Wojewode von Pommerellen hat wegen der Aus schreitungen am 12. Oktober gegen die deutsche Einwohner schaft von Posen durch den stellvertretenden Sicherheits chef beim deutschen Generalkonsul in Posen, sein Bedauern aussprechen lassen. Der stellvertretende Sicherheitschef sagte dem deutschen Generalkonsul zu, daß die polnischen Behörden mit den schärfsten Maßnahmen gegen die Demonstranten vorgehen und in ?>' -nft ähnliche Ausschreitungen verhindern wer den. Arichsrot billigt Amnestie Teonerkuadgebvug zum Aachener Unglück Ser««, 24. Oktober. Die öffentliche Sitzung des Reichsrats wurde mit ein«. Trauert»nügebung für di« Opfer des Aachener Grubern «glucks eingeleitet. Der Bevhandlungsleiter, Reichsinnew inÄvister Dr. Wirth, gedachte der Opfer und zollte der Rettungsmannschaften Dank und Anerkennung. Der Reichsrat stimmt« dann den vom Reichstag ange rwmmenen Gesetzentwürfen über di« Schuldentilgung amd zur Durchführung der Entschädigung auf Grund der Leutsch-polnischen Liquidationsabkommens endgültig zu ^ebenso Ler Ergänzung zum Handelsabkommen mit Finn Mnd. Auch bezüglich der vom Reichstag beschlossenen A m »estie wurde gegen die Stimmen der Provinzen Hessen Massau und Sachsen von der Einlegung eines Einspruchs ab »chöhen. Endlich wurde einem Gesetzentwurs zugestimmt M die Reichsregierung ermächtigt, den Zinssatz für dii Lufw « rt.u n g sh y p o th e k e n , der ursprünglich bi; zum 1. Lcktober festgelegt sein sollt«, mit Rücksicht auf di, DerhältniGe am Kapitalmarkt später festzusetzen, und zwai /bis zum K. Dezember d. I. 8« Zeichen der BölleroekftSndignng Empfang bei Ler Deutschen presse. Berlin, 24. Oktober Der Reichsverband der Deutschen Bresse veranstaltete im Haus der Presse einen Empfang für dre Delegierten der FLdtration Internationale des Iournalistes, des Weltver bandes der Presse, und ihre Damen sowie für eine Reihe geladener Gäste. Nach einem kurzen Wort Georg Bern hards, der die Aufgabe, den Gastgebern zu danken, an den Vizepräsidenten, den Führer der polnischen Delegation de Beauprt abtrat, griff dieser den Gedanken der völkerver bindenden Nebenwirkung der internationalen journalistischen Zusammenarbeit auf. Verständigung, Friede und wechselseitiger Respekt der Völker vor ihren nationalen Notwendigkeiten sei das unbewußte Ziel der bewußt den Standevlnteressen dienenden Verbandsarbeit, ein Ziel, das vielleicht höhet zu bewerten sei, als das so gern geäußerte, aber etwas unklare Wort der Brüderlichkeit. Unter den Aufgaben der Kongreßarbeit befinde sich di« Er richtung eines internationalen journalistischen Ehrengerichts, ein Beweis für die Kühnheit und die Größe der gesteckten Ziel«. In deutscher Sprache gab er zum Schluß seiner Rede dem warm empfundenen Dank der ausländischen Organi sationen an den Reichsverband und seine Mitglieder Aus druck, die von Anfang an der Bewegung die größten Dienste geleistet hätten. Unter den zahlreichen Gästen bemerkte man u. a. den französischen und den englischen Botschafter, die Gesandten Oesterreichs, Belgiens, der Tschechoslowakei und Griechen lands, den Direktor der Nachrichtenabteilung des Völker bundes Comert und den bisherigen Direktor des Instituts für geistige Zusammenarbeit Luchaire, ferner eine Reihe von Parlamentariern und zahlreiche Beamte des Auswärtt- gen Amts, der Presseabteilung und anderer Behörden. Kmldgelnmg Nr Briand Eine Erklärung der Sozlalrepublikanlschen Partei. Paris, 24. Oktober. . Der Bezirksverband des Seinedepartements der Sozial- > republikanischen Partei, der Briand angehört, hat eine Ent- schließung angenommen, die den Außenminister betrifft. In ihr bringt der Lezirksverband der Sozialrepubljka- - ner des Selnedeparlemenls sein Erstaunen und seine Enl- ; rüstung über die Haß- und Verleumdungskamvagne zum ! Ausdruck, die gegen den französischen Außenminister Briand ! gerichtet sei, der beschuldigt werde, er verrate die Interessen ' Frankreichs, wenn er lediglich die notwendigen Richligstel- , lungen vornehme und sich vor allem für eine Konsolidierung des Frieden» einsehe. Der Bezirksverband der Sozlalrepu- blikaner brandmarkte die Geschäftsjournalisten, die im Solde der blutigen Internationale der heereslieferanten nicht zö gerten, Lügen zu verbreiten und eine Panik hervorzurufen, um einer Gewaltpolitik zu dienen. Der Bezirksverband der Sozialrepublikaner übermittle dem Parteigenossen Briand die Versicherung seiner tiefen Bewunderung und Anerkennung seiner achtunggebietenden Haltung angesichts der vornehmen Beharrlichkeit, mit der ! Briand seine Annäherungspolitik verfolge. z ... aber die Frontkämpfer find gegen ihn Verschieden« Frontkämpfervereinigungen, die nach ihrer Erklärung „dem Geist des Sieges treu geblieben" sind, ha ben einen ständigen Wach- und Aktionsausschuß der ehe maligen Frontkämpfer geschaffen. Dieser Aktionsausschuß veranstaltete am Mittwoch eine große öffentliche Kundge bung, an der, wie behauptet wird, zehntausend Personen teilgenommen haben. Die Versammlung nahm einstimmig eine Entschließung an, in der die gegenwärtige internatio nale Lage als logische Folge der durch den Geist von Locarno symbolisierten auswärtigen Politik bezeichnet, die sofortige energische Umstellung der französischen Außenpo litik und als unerläßliche Bedingung hierfür die endgültige Entfernung Briands gefordert werden. 251 Tote! Roch immer Ungewißheit über die Zahl der Vermißten ! Alsdorf, 23. Oktober In der Frühe des Donnerstag wurden die Rettungsar beiten für einige Stunden unterbrochen, da man bis zum Ende sämtlicher Reviere vorgedrungen ist. Von den Rettungs Mannschaften wird gemeldet, daß die Strecken teilweise 306 bis 500 Meter zu Bruch gegangen sind. Es läßt sich noch nicht mit Sicherheit feststellen, ob sich in den zu Bruch ge gangenen Strecken noch Verschüttete oder Abgeschlossene be finden. Dagegen vermutet man noch weitere Tote unter den Trümmern des Schachtgerüstes Die Rettungsarbeiten wurden deshalb am Donnerslag- l morgen mll vereinten Kräften gegen die oberirdischen Trümmerstätten angesehl. Unter den Trümmern des För- ' derturmes wurden inzwischen zwei Leichen geborgen. Da mit wird die Zahl der Toten von der Grubenverwaltung aus 251 angegeben. In der Bevölkerung von Alsdorf Hal sich eine starke Erregung darüber entwickelt, daß es bisher nicht möglich war, eine genaue Liste der Toten herauszu geben. Auch eine Aufstellung der bisher noch vermißten konnte nicht erfolgen. Bisher wurde die Persönlichkeit von 149 Toten festge stellt. Die Zahl der Verletzten in den Krankenhäusern ist auf 107 gestiegen. Reun von ihnen ringen mit dem Tode. Man glaubt kaum, daß sie durchgebracht werden können. Beisetzung in Massengräbern Am Sonnabendvormittag 10 Uhr werden di« Opfer in Alsdorf in einem Massengrab beigesetzt werden. Reichs arbeitsminister Stegerwald und Handelsminister Dr. Schrei ber haben zu den Beisetzungsfeierlichkeiten ihre Anw«senheit angemeldet. Die Beisetzung soll in Massengräbern auf einem , besonderen Friedhof erfolgen, da der Alsdorfer Trauer in Alsdorf. Unser Bild zeigt die ersten Särge vor dem Verwaltungsgebäude. zu nein ist. Am Donnerstagmorgen wurde den Angehöri gen der Opfer der Zutritt zu den Leichenhallen gestattet- Die Absperrungen sind weiter rückwärts verlegt worden, da sich der Bevölkerung eine gewisse Erregung bemäch tigt hat. Das Städtchen liegt in tiefer Trauer da. Auf den Straßen sieht man sehr viele weinende Frauen un» Mädchen Wne Rettungsmannschaften verschüttet Die Meldung eines Berliner Morgenblatks, wonach eine aus einem Steiger und 20 Mann bestehende Rettungs- kolonne durch einen Zusammenbruch von Stullen völlig von der Außenwelt abgeschnitt«n word«n sei, entspricht, wie wir von der Grubenoerwaltung erfahren, nicht den Tat sachen. Weitere Spenden Die Städte Saarbrücken und Köln, sowie der Hambur ger Senat haben für die Hinterbliebenen der Opfer -es Bergwerksunglücks von Alsdorf die Summe von je 10 000 Mark gespendet. Der Reichskanzler hat 6000 Mark zur Ver fügung gestellt, die Regierungskommission des Saargebiets 200 000 Franken und der Kyffhäuserbund 5000 Mark. Das Rätsel der Katastrophe Der Reichstagsabgeordnete Sollmann, der den Un tersuchungen über die Ursachen der Grubenkatastrophe in Alsdorf beigewohnt hat, hat seine Beobachtungen und Er fahrungen in einem Bericht der „Rheinischen Zeitung" nie dergelegt. Er betont, die Untersuchung habe mit zweifels freier Deutlichkeit ergeben, daß die ursprüngliche Annahme, es habe eine Sprengstoffentladung stattgefunden, fallen ge lassen werden müsse, da drei Sprengstofflager intakt waren. In stundenlangen Beratungen versuchten Sachverständige und Arbeiteroertreter, die Ursache der Katastrophe festzu» stellen, ohne der Lösung des Rätsels näher zu kommen. Ueber die Ursachen der Explosion werden zurzeit zwei Möglichkeiten erörtert: Erstens über Tage. Danach seien die 150 Liter Benzin am Verwaltungsgebäude explodiert. Diese Menge Benzin habe an sich das große Haus in Trümmer legen und den Förderturm umwerfen können. Die in den Schacht ein- strömcnde Luft hätte durch die Benzinexplosion noch oben gerissen werden müssen. Demnach müsse es als ausgeschlos- en gelten, daß die Explosion nach unten bis tief auf die Sohlen von 360 und 460 Metern Tiefe gewirkt habe. Zweitens unter Tage. Nach dieser Annahme habe im Revier eine Schlagwetterexplosion stattgefunden. Oer gewaltige Luftdruck von unten habe oben das Faß Ben- fin zertrümmert und das auslaufende Benzin sei explodiert und habe das Gebäude in Trümmer gelegt. Der Schacht sei durch den Stoß von unten luftleer geworden, und nun sei durch die Benzinexplosion ein Rückschlag der Flammen nach unten erfolgt. Die Untersuchung der Grubenlatastrophe Alsdorf, 24. Oktober. Der Unfallausschuß setzte gestern seine Untersuchungei , fort. Weitere von der Explosion erfaßte Steigerreviere wur den befahren. Auch in diesen Revieren konnte» die Ursprungsherde der Explosion nicht festgestellt werden , Während noch gestern angenommen werden konnte, daß über Tage eine Benzin- oder Benzolexplosion als Ursache vermut« l werden könnte, scheidet auf Grund des Ergebnisses der fort- ' schreitenden Aufräumungsarbeiten über Tage diese Annahm» ! aus, weil alle Behälter unversehrt vorgefunden wurden. In j Interesse der beschleunigten, restlosen Aufklärung der Ur sache der Explosion ist es als erforderlich bezeichnet worden ! daß alle Personen, die über Tage irgendwelche Wahrneh mungen über den Explosionsvorgang gemacht haben, sick unverzüglich beim Bürgermeisteramt in Alsdorf melden. An der Unglücksställe Die Bergungsarbeiten gestalten sich in ihren letzten Stadium äußer st mühsam, obwohl mit Anspan nung aller Kräfte gearbeitet wird, um die letzten noch Der mißten aus der Grube herauszuholen. Es ist begreiflich, das die Größe des Unglücke und der langsame Fortschritt in de» Beseitigung der letzten Hindernisse bei der draußen harrende» Menge Nervosität und Erregung Hervorrufen. Im benach barten Aachen wehen in allen Straßen die Flaggen auf Halb mast. Auch Alsdorf gibt auf diese Weise seiner Trauer Aus druck. Hin und wieder kommt ein Wagen, mit Tannengrü» geschmückt, durch das Bergtor. Am Verwaltungsgebäude ff! man eifrig damit beschäftigt, die Trümmer zu beseitigen, ein» Arbeit, die noch Tage erfordern wird. Im Gewerkschaftszim mer debattieren Belegschaftsangehörige über die Katastrophe Auf der Dorfstraße hasten die Rettungsmannschaften zu neue» Arbeit. An einem Schalter der Grube werden von den Ange hörigen die noch Vermißten gemeldet. Zahlen schwirren durck die Luft. Kaum sind die 250 Opfer bestätigt, so wird scho» von 270 gesprochen. Das erhöht oie Unruhe. Jeder Ange hörige mochte Gewißheit über die Seinigen haben, die vor läufig in vielen Fällen noch nicht zu erlangen ist.