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Die „Romeo-und-Julia“-Opern reichen bis um die Wende des 18. und 19. Jahrhundert zurück. Die Operngeschichte läßt uns zuerst wissen von dem Pariser und Petersburger Modekomponisten und -Pianisten Daniel Stei- foelt (1756—1823) und .seiner Oper „Romeo et Juliette“, dann von Vincenzo Bellini (1801—1835) und seiner Oper „I Capuleti ed i Montecchi“, von den zarten Julia-Kantilenen in der Oper des Charles Francois Gounod (1818 bas 1893) bis zu Heinrich Sutermeisters (geb. 1910) Romeo-und-Julia-Oper, Uraufführung 19.40 in Dresden. Alle Opern mit diesem Vorwurf hatten keinen oder nur einen kurzen Zeiterfolg. Sergej Prokofjew (1891—1953) war der erste, der den richtigen Weg fand, den 'Stoff zum „wortlosen“ Bal lett zu gestalten.. Peter Tschaikowski hatte ursprünglich auch vor, .eine Oper zu schreiben, in der er das Thema des idealen Liebespaares „Romeo und Julia“ behan deln wollte. Die Idee von zwei Liebenden inmitten des mittelalterlich fanatischen Kampfes zweier vornehmer italienischer Patrizierfamilien erschien dem Komponisten zunächst reizvoll (Montague und Oapulet sind die Häupter zweier' feindlicher Häuser, Romeo ist der Sohn von Montague,' Julia die Tochter von Capulet). Aber Tschaikowski, der wohl ahnte, daß aus diesem dankbaren Shakespeareschen Sprechbühnendrama keine rechte Oper zu schaffen war, blieb bei.der symphonischen Dichtung für Orchester allein. In der Fantasie-Ouvertüre geht er nicht dem genauen Verlaufe des Shakespeareschen Dramas nach, die Ouvertüre gibt nur die musikalisch- interessanten Höhenpunkte wieder: Die sakrale Einleitung schildert den weisen und klugen Pater Lorenzo. Die musikalische Schilderung wird dramatisch unterbrochen vom Kampf thema der feindlichen Familien. Auch das Thema der Liebe, „eines der genialsten lyrischen Themen Tschaikowskis (Schönewolf)“, wird erneut von Kampfstimmung abgelöst. Das Thema der Feindschaft und dasThema des Paters Lorenzo stehen sich in der Durchführung gegenüber. In der Reprise (= Wiederaufnahme der Themen) leuchtet das Liebesthema nochmals auf — zum letzten Male nach der Stille des Todes der beiden Liebenden. Die Schlußakkorde zele brieren die Versöhnung der beiden feindlichen Familien. H. M. Die Unvereinbarkeit zwischen Kunst und Leben, Wahrheit .und bürger licher Wirklichkeit seiner Zeit erkannte Franz Schubert um so mehr, je reifer er wurde. Seit etwa 1819 bemächtigte sich dieser tragische Antago nismus seines Liedschaffens, seiner Kammermusik und schließlich seiner Sinfonik. Wie der schmerzlich-heftige Streichquartett-Satz c-Moll aus dem Jahre 1820 blieb auch die Sinfonie h-Moll von 1822 ein Torso und ging als Schuberts „Unvollendete“ in die Musikgeschichte ein. Zwingende äußere Gründe für die Nichtvollendung des Werkes gab es nicht. Das Schubert es nicht zum Abschluß brachte,, lag wohl an der nocjh nicht über wundenen UnsChlüssigkeit seiner Haltung: Auf der einen Seite spürte er die Übermächtigkeit jener für ihn neuen und schmerzhaften gesellschaft lichen Erkenntnis, auf der anderen Seite konnte er sich nur zögernd von einer alten Illusion lösen, vom ungetrübten Leben in der Kunst. So müs sen .wir uns mit den zwei vollendeten .Sätzen der Sinfonie begnügen, die uns Schuberts Durchbruch zu einer neuen, konflikthaften sinfonischen Sprache belegen, deutlich am Beethovenschen Vorbild orientiert und doch eigenständig. Wirklich tragische Gedanken finden in dem ergreifenden Werk Ausdruck. Nicht die Zerwürfnisse mit dem Vater bilden, wie viel fach angenommen wurde, den Kern des dargestellten Konfliktes, sondern seine tragische Lebenserfahrung, daß seine humanistische Lebensverbun denheit unvereinbar war mit den sich unaufhaltsam durchsetzenden kapitalistischen Produktionsverhältnissen, wenn ihm .auch diese Ursache zu seinem Konflikt mit der Welt letztlich undurchschaubar blieb. Halten wir uns an seine Worte: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich 'die Liebe und der Schmerz“ — darin liegt auch der Leit gedanke seiner „Unvollendeten“ beschlossen. Das der Sinfonie in den Bässen gleichsam mottohaft vorangestellte düstere achttaktige Thema, das in der Durchführung und der Coda des ersten Satzes (Allegro moderato) eine große Rolle spielt, läßt diesen Leitgedan ken deutlich werden. Nach einem schmerzlichen Klagegesang in Oboen und Klarinetten, einem Hornruf stimmen die Celli, dann die Violinen eine wunderbare Ländlermelodie an, die so recht die Herzlichkeit, Wärme und Volkstümlichkeit demonstriert, deren Schubert fähig war. Aber dieser Gesang von der Liebe wird von brutalen Fortissimo-Schlägen des Orchesters unterbrochen, bis 'die Melodie wieder Kraft findet, sich durch zusetzen. Wie schon die Exposition spiegelt auch der weitere dramatische Verlauf des ersten Satzes die „Zerteiltheit“ in Schmerz und Liebe wider. Das fatalistische Mottomotiv verwandelt sich in ein heroiiisches Kampf motiv. Doch den heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen ist kein Sieg beschieden. Mit drei gebieterischen Schlägen scheint der Schmerz über die Liebe zu siegen, der Tod über das Leben. Der zweite Satz (Andante con moto) versucht, fern von den Kämpfen des ersten Satzes einen Märchenfrieden zu gestalten, seine träumerische Ruhe vor dem Einbruch des Schmerzes, der Realität zu bewahren. Eine fried volle Kantilene vermag denn, auch im ersten Teil den Eindruck tiefer Ruhe und Ergebenheit zu erzeugen. Doch bald kommt es wieder zu einer großen Klageszene. Der Schmerz bricht erneut auf, bis er sich abermals in Liebe verwandelt. In der Reprise scheint dann die Verzweiflung noch gesteigert, bis eine endgültige Besänftigung in Wohllaut und Frieden ein tritt. Erst im reifen Alter von .dreiundvierzag Jahren, 1876, vollendete Johan nes Brahms seine 1. Sinfonie c-Moll op. 68, und bereits neun Jahre später schuf er .seine 4. und letzte Sinfonie. Sein sinfonisches Schaffen um spannt also zeitlich gerade ein Jahrzehnt. Aber welch eine Fülle herrlich ster Musik, welch eine einzigartige Weite und Wärme musikalischen Aus drucks verbirgt sich hinter dieser nüchternen Feststellung. Brahms fiel die Auseinandersetzung mit der großen zyklischen Form des 19. Jahrhunderts nicht leicht (allein sein schmerzvolles Ringen um die 1. Sinfonie bestätigt dies: lag der erste Satz bereits 1862 vor, so konnte doch das gesamte Werk erst vierzehn Jahre später vollendet werden). Mit seiner „Ersten“ lieferte der Komponist ein hervorragendes Beispiel schöpferischer Aneignung der sinfonischen Tradition eines Beethoven (dessen „Fünfter“ sie an Tiefe des Audrucks und Größe der Problemstellung verwandt ist), Schubert und Schumann. Von dem berühmten Dirigenten Hans von Bülow stammt das bekannte Bonmot, daß Brahmsens „Erste“ Beethovens. f ,Zehnte“ genannt werden könne. Damit ist die musikgeschichtliche Stellung dieser Sinfonie ■als bedeutendster sinfonischer Beitrag des 19. Jahrhunderts seit Beethoven klar umrissen. Und nichts anderes stellte auch der gefürchtete Wiener Kritiker Eduard Hanslick fest, als er nach der ersten Wiener Aufführung .schrieb: „Mit den Worten, daß kein Komponist dem Stil des späteren