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seine Werke auszeichnen, und gab als erster dem nationalen polnischen Stil in der musikalischen Literatur Weltgeltung. Neben den von ihm besonders ge pflegten intimen, lyrisch-poetischen kleinen Formen der Klaviermusik besitzen wir von Chopin auch einige wenige größere Werke für Klavier und Orchester, in denen die spezifischen Eigenschaften seines durch nationale Tradition, roman tische Haltung, virtuosen Glanz und unerschöpfliche Phantasie gekennzeichneten Stiles gleichfalls zum Ausdruck kommen; so außer den zwei bekannten Klavier konzerten, deren erstes heute zur Aufführung gelangt, und der Grande Polo naise Es-Dur ein Rondo ä la Krakowiak, eine Fantasie über polnische Lieder und Variationen über ein Thema aus Mozarts »Don Giovanni". Chopin vollendete sein Klavierkonzert e-Moll op. 11 ebenso wie das f-Moll- Konzert op. 21 im Jahre 1830. Da das e-Moll-Konzert op. 11 1833 als erstes veröffentlicht wurde, trägt es allgemein die irreführende Bezeichnung 1. Klavier konzert, obwohl es nach dem f-Moll-Konzert entstanden ist. Das am 11. Oktober 1830 in Warschau mit dem Komponisten als Solisten uraufgeführte Werk ist dem damals hochgeschätzten deutschen Klaviervirtuosen und Pädagogen Fried rich Kalkbrenner gewidmet. Diese Widmung erklärt auch die betont virtuose Anlage des klar und übersichtlich geformten Konzertes, das bezeichnendes Licht auf den typisch romantischen Geist seines Schöpfers wirft. Ein längeres Orchestervorspiel stellt das thematische Material des ersten, in Sonatenform angelegten Satzes vor (Allegro maestoso). Zwei Themen mit elegant-sentimentalem Charakter bieten Chopin Gelegenheit zu ornamentaler, figurativer, phantasievoll-virtuoser Arbeit. Das Klavier bemächtigt sich bald der führenden Rolle, während das Orchester fortan — wie überhaupt in den Kon zerten Chopins — nur noch untergeordnet in Erscheinung tritt. Der ganze Reich tum der schöpferischen Phantasie Chopins entfaltet sich im Klavierpart. Ein zauberhaftes Klangbild stellt der zweite Satz, eine Romanze, dar mit typischem Nocturne-Charakter. Der Komponist schrieb über diesen Satz, daß seine Stim mung „romanzenhaft ruhig und melancholisch“ sei, daß er „den teuren Anblick des Fleckens Erde vor uns erstehen lassen soll, wo tausend liebe Erinnerungen sind ... So ein Hinträumen von einer herrlichen Stunde im Frühling, bei Mon denschein." Dem Rondofinale (Vivace) gibt der Rhythmus des feurigen polni schen Volkstanzes Krakowiak sein sprühendes Gepräge. Virtuose Passagen und Läufe des Solisten führen am Schluß des Konzertes zu einem wahren brillanten Feuerwerk, zu tänzerischer Entfesselung — konsequenter Gipfelpunkt eines aus gärender, jugendlicher Leidenschaftlichkeit heraus geborenen Werkes, das die erste Schaffensperiode des polnischen Meisters beschloß. Die polnische Komponistin Grazyna Bacewicz ist bisher eine der ganz wenigen komponierenden Frauen, denen es getang, sich mit ihren Werken im internationalen Musikleben eine feste und anerkannte Position zu erobern. 1909 in Lodz geboren, studierte sie zunächst am Konservatorium in Warschau Komposition bei K. Sikorski und Violine bei J. Jarzebski. Sie vervollkommnete ihre Studien danach in Paris, wo sie Kompositionsunterricht bei Nadia Boulanger und Violinunterricht bei Carl Flesch erhielt; seit 1934 unternahm sie als Geigerin Konzertreisen in zahlreichen euopäischen Ländern (u. a. in Frankreich, Belgien, Spanien und der UdSSR). Doch bald widmete Grazyna Bacewicz sich vorrangig ihrem kompositorischen Schaffen, in dem sie schon früh erste Erfolge erringen konnte. Inzwischen hat die Komponistin eine sehr umfangreiche Werkliste vor zulegen, die neben zahlreichen Violinkompositionen (u. a. fünf Violinkonzerte) und Instrumentalkonzerten für Klavier und Violoncello mehrere Sinfonien und andere Orchesterwerke (u. a. Konzert für Streichorchester, Musik für Streicher und Trompete, Ouvertüren), Streichquartette, verschiedenartige weitere Kam mermusik- und Vokalkompositionen sowie eine große Anzahl von instrumentalen Übungsstücken umfaßt. Auch ein Ballett (»Vom Bauern zum König") und meh rere Schauspielmusiken (zuletzt — im Januar dieses Jahres — zu dem romanti schen Trauerspiel „Mazeppa“ von Julian Slowacki) schrieb die Komponistin, deren Werke größtenteils veröffentlicht, zum Teil auch auf Schallplatten aufge nommen und mit mehreren Preisen auf internationalen Kompositionswettbewer ben ausgezeichnet wurden. Grazyna Bacewiczs 3. Sinfonie (1952) stammt aus der mittleren Schaffensperiode der Künstlerin, die durch eine neobarocke, neoklassizistische Stilhaltung gekenn zeichnet ist, während die jüngsten Arbeiten der Komponistin vom Suchen nach neuen Ausdruckswegen und -formen geprägt werden, wie es allgemein für die neueste polnische Musik bezeichnend ist. Was an der 3. Sinfonie Grazyna Bace wiczs so beeindruckt, ist die glänzende Beherrschung der handwerklichen Mittel, die konzentrierte thematisch-kontrapunktische Arbeit, die Gesammeltheit und Wesentlichkeit der musikalischen Aussage, die Fähigkeit, rhythmische Kraft und Bestimmtheit mit tiefem Gefühlsausdruck zu verbinden. Die Sinfonie folgt der klassischen viersätzigen Anlage. Dramatische Geladen- heit herrscht im ersten Satz, der sogleich mit einem sehr kraftvollen Thema beginnt, dem sich unmittelbar ein weiteres Thema von energisch-klopfender Gestalt anschließt. Das außerordentlich geschlossene musikalische Geschehen des Satzes entwickelt sich aus der intensiven, dichten Verarbeitung des vorge gebenen gedanklichen Materials. Der geballte Ausdruck des ersten Satzes gibt seine Impulse noch an das nachfolgende Andante weiter, das von Streicher melodik im Pizzikato eröffnet wird, über der sich in den Oboen ein ausdrucks voller Gedanke entfaltet, der bald dramatisch gesteigert wird. Nach einem kontrastierenden Mittelteil schließt der Satz mit einem Rückgriff auf die An fangsstimmung. Ein bravouröses, vielfältig schillerndes Scherzo (Vivace), das überwiegend von profilierten rhythmischen Kräften getragen wird, steht an dritter Stelle. Die motorische Bewegung des Stückes erfährt lediglich in einem quasi-Trioteil mit einer Klarinettenkantilene vorübergehende Unterbrechung. Das Finale (Moderato) beginnt zunächst nachdenklich; das erste Thema des Anfangssatzes klingt herein. Dann wird das leidenschaftliche, stürmische Final thema (Allegro con passione) angestimmt, das gegenüber einem ausdrucks vollen Gedanken sieghaft das Feld beherrscht, den Charakter dieses lebens vollen Satzes mit seiner zündenden Prestosteigerung am Schluß bestimmt. Urte Härtwig I Dr. Dieter Härtwig