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ZUR EINFÜHRUNG Mieczyslaw Karlowicz, einer der bedeutendsten polnischen Komponisten um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, gehört neben Gregorz Fiteiberg, Ludomir Rozycki und Karol Szymanowski zu den führenden Repräsentanten der polnischen Komponistengruppe „Junges Polen", die auf das zeitgenössische Musik leben ihres Landes einen entscheidenden Einfluß ausübte. Ähnlich wie etwa in der russischen Musikgeschichte die berühmte Gruppe des sogenannten „Mäch tigen Häufleins" vertrat das „Junge Polen", um eine Erneuerung der nationalen polnischen Musikkultur kämpfend, gegenüber konservativen Traditionen eine radikal-progressive Richtung, ohne dabei allerdings — wie jene — aus der Quelle der nationalen Volksmusik zu schöpfen. Besonders charakteristisch für das Schaffen dieser polnischen Komponisten, die sich vor allem auch um eine Einführung der neuen technischen Errungenschaften der westeuropäischen Musik in die Musik ihrer Heimat bemühten, war die starke Bevorzugung orchestraler Kompositionsformen, namentlich der sinfonischen Dichtung. Karlowicz, ältester Vertreter der Komponistengruppe, wurde als Sohn eines be rühmten polnischen Sprachgelehrten und Ethnographen und einer Pianistin 1876 in Wiszniewo (Litauen) geboren. Schon von früher Kindheit an wurden seine musikalischen Neigungen gefördert. Nach Kompositions- und Geigenstudium am Warschauer Konservatorium besuchte er 1895/96 für ein Jahr die natur wissenschaftliche Fakultät der Universität Warschau. Doch gab er dieses Stu dium bald wieder auf und ging für vier Jahre nach Berlin, wo er bei Heinrich Urban weiteren Kompositionsunterricht nahm und an der Universität Musik wissenschaft und Philosophie studierte. Nach zahlreichen weiteren ausgedehn ten Reisen in verschiedene europäische Länder ließ sich Karlowicz, materiell unabhängig, schließlich als freischaffender Komponist in Warschau und seit 1908 in Zakopane nieder. Bei einer einsamen Skiwanderung in der Tatra ver unglückte der begeisterte Hochtourist und Skifahrer. Er wurde von einer Lawine verschüttet und starb im Alter von erst knapp 33 Jahren. Als Komponist begann Mieczyslaw Karlowicz, der übrigens auch schriftstellerisch (u. a. für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften) tätig war, zuerst mit kleine- ten Formen, vor allem mit Liedern und Kammermusikwerken. In einer zweiten, etwa ab 1900 anzusetzenden Schaffensperiode widmete er sich ganz besonders der Gattung der sinfonischen Dichtung und wurde trotz seines so frühen Todes zum eigentlich ersten bedeutenden polnischen Sinfoniker. Karlowiczs harmonisch von Richard Wagner, in der Behandlung des meist sehr massiven, aber fein differenziert eingesetzten Orchesters von Richard Strauss beeinflußte spätroman tische Tonsprache ist in ihrem Ausdrucksgehalt größtenteils lyrisch-melancholisch. Er komponierte sechs große sinfonische Dichtungen: „Wiederkehrende Wellen" op. 9, „Drei ewige Lieder" op. 10, „Litauische Rhapsodie" op. 11, „Stanislaw und Anna von Oswi^ciem" op. 12, „Traurige Mär" und „Episode auf dem Masken ball", die — neben einem wertvollen Violinkonzert (A-Dur, op. 8) — noch jetzt in seiner Heimat häufig erklingen. über Karlowiczs heute auf dem Programm stehendes sinfonisches Triptychon „Drei ewige Lieder" schrieb die führende polnische Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa: „Die Entwürfe zu diesem Werk entstanden 1906, als sich Karlowicz in der Tatra aufhielt. Dort wurde er durch die erhabenen Bilder der Natur zum Nach denken über die »ewigen Fragen' des Lebens angeregt. So tragen die drei Teile dieses sinfonischen Zyklus programmatisch-philosophische Titel: ,Das Lied von der ewigen Sehnsucht', »Das Lied von Liebe und Tod' und .Das Lied vom allumfassenden Sein'. Der Zyklus ist gekennzeichnet durch die Anwendung der Leitmotivtechnik. Die Leitmotive ziehen sich durch alle Teile des Werkes und geben ihm einen festen Zusammenhalt. Ihr starker Ausdrucksgehalt, mehr lyrisch als dramatisch, verbindet sich mit großem Reichtum an melodischen Einfällen und Glanz der Instrumentation, die — ähnlich wie die Harmonik — auf eine gewisse Verwandtschaft mit dem Stil Richard Wagners hinweist. Daß auch die philosophischen Konzeptionen sich aus der geistigen Verwandtschaft mit dem Bayreuther Meister erklären, beweisen die Titel der einzelnen Teile; das ist um so verwunderlicher, da das Werk kurz nach 1905 entstand, als das Vater land des Komponisten von der Welle der revolutionären Bewegungen erfaßt und stark erschüttert worden war. Die Flucht zu den .ewigen' Problemen ist symptomatisch für die innerhalb der polnischen Künstlerschaft allgemein ver breitete Tendenz, vor den schwierigen sozialen Fragen der Gegenwart auszu weichen und sich auf das Gebiet des Irrationalen zurückzuziehen. Auch Karlo wicz erlag dieser Tendenz, wenn auch in geringerem Maße als seine anderen Altersgenossen. Das vom Komponisten eigenhändig über die Partitur geschrie bene Motto darf als Zeugnis für die subjektiven Inhalte der .Drei ewigen Lieder' angesehen werden: .Ich stehe hier vor euch, um mein Schicksal zu beklagen'. Die Tiefe und edle Lyrik dieser Klage beeindruckt auch heute noch den Zuhörer.“ Fryderyk Chopin, der große polnische Komponist, verlebte seine Jugend in Warschau, wo er schon frühzeitig Musikunterricht erhielt, zuerst bei Wojciech Zwywny, dann am Konservatorium bei dem Geiger und Theaterkapellmeister Joseph Elsner. Bereits im Alter von neun Jahren errang er als musikalisches Wunderkind Erfolge, 19jährig gab er seine ersten Kompositionen heraus. Im Jahre 1831 verließ Chopin, der inzwischen in Warschau als Pianist bereits zu einem Begriff geworden war, kurz vor dem Ausbruch des Aufstandes des pol nischen Volkes gegen seine zaristischen Unterdrücker die Heimat und siedelte nach Paris über, wo er — von einigen Reisen abgesehen — bis zu seinem frühen Tode als gefeierter Pianist und Komponist, freundschaftlich verbunden mit be deutenden Persönlichkeiten seiner Zeit, wie Adam Mickiewiz, George Sand, Balzac, Heine, Liszt, Berlioz, Meyerbeer u. a., geblieben ist. Das kompositorische Werk Chopins umfaßt fast ausschließlich Klaviermusik, aber auf diesem seinem ureigensten Gebiete schuf er eine Fülle kostbarer, unver gänglicher Musik, erschloß er vielfältige neue Ausdrucksmöglichkeiten, eine neue pianistische Technik, ja einen neuen Klavierstil, dessen Auswirkungen bis zum Impressionismus hin zu verfolgen sind. In seinen Klavierwerken, den Sonaten, Etüden, Mazurken, Nocturnes, Polonaisen, Preludes, Balladen, Walzern und Scherzi ist eine tiefe, höchst persönliche und ausdrucksstarke Aussage von echt romantischer Prägung verschmolzen mit einer glänzenden Virtuosität, die jedoch niemals wie in den Schöpfungen anderer bekannter Klaviervirtuosen des 19. Jahrhunderts, beispielsweise Fields, Hummels und Kalkbrenners, zum Selbst zweck wird. Von größter Bedeutung für Chopins Schaffen war die Volksmusik seiner polnischen Heimat, von der er sich schon seit frühester Jugend angezogen fühlte. Ein glühende Patriot, schöpfte der Komponist, den Freiheitsbestrebungen und dem nationalen Erwachen seines Volkes stets eng verbunden, aus den polnischen Volkstänzen und -liedern die farbige Harmonik, die gesangvolle, figurationsreiche Melodik und die erregende, leidenschaftliche Rhythmik, die