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Erdmann AMchs Weg zum Ziel O O 18.Gortsetzung. Nachdruck verboten. Erdmann betrat-es,, ohneauch nur im entferntesten zu ahnen, daß er Lem Präsidenten der Tscheka, diesem All- geü^lltiKen Rußlands, der unzählige Todesurteile kalt lächelnd unterzeichnet hatte, gegenüberstand. Im Zimmer befanden sich noch Smirnow und Jljew. Als Erdmanns Blick auf Jljew fiel, atmete er erleich tert auf. »Treten Sie näher, Bürger Ullrich", forderte Smirnow ihn auf. »Genosse Dserschinski wünscht Sie persönlich noch einmal zu vernehmen." »Nehmen Sie Platz, Genosse", sagte Dserschinski, mit einer einladenden Handbewegung auf den Sessel deutend der neben seinem Schreibtisch stand. Mit einem festen Blick in Erdmanns Gesicht sagte er dann: „Das Kollegium der Tscheka hat Ihre Haftentlassung beschlossen, Genosse." Er war frei! Ein wahrer Freudentaumel erfaßte ihn plötzlich. Dserschinski sprach weiter: „Es ist erwiesen, daß Sie die Ihnen zur Last gelegten Vergehen gegen die Sowjet macht nicht begangen haben." Er hörte diese Worte wie aus weiter Ferne. Sein Blick suchte Jljew. Der nickte ihm kaum merklich zu. Und nun stellte Dserschinski noch eine Reihe von Fragen an ihn. Ueber Brödjukosf mußte er aussagen, alles, was er von ihm wußte. „Sie wissen, daß seine Machinationen schuld an Ihrer Verhaftung waren?" „Ich vermute es." „Nun ja. so ist es. Und Sic werden begreifen, daß wir nicht anders handeln konnten. Wir sind gerecht gegen Sie gewesen, oas müssen Sie zugeben. Ausgcstanden haben Sie hier doch nichts? Ein Spaß war es natürlich nicht für Sie. hier zu sein. Wir bedauern es sehr, daß es dazu ge kommen ist. Ja. und nun, was ich Sie noch bitten muß: kein Wort über das, was Sie hier erlebt. Die ausländische Presse beschäftigt sich mit Ihrem Fall. Es ist besser für Sic, ihr kein Material zu liefern. Verstehen Sie mich?" Erdmann begriff. Er drückte Dserschinskis Hand, die Vieser ihm reichte. „Ich darf nun gehen?" fragte er. „Noch nicht, warten Sie noch einen Augenblick." Aus ein Klingelzeichen, das er von seinem Schreibtisch aus gab. öffnete sich die Tür, und zwei Gefängniswärter führten die Brüder Brödjukosf herein. Beim Anblick Goswins wurde Erdmann von einer rasenden Wut ge packt Mit kreideweißem Gesicht und lodernden Augen stürzte er aus ihn zu. die Faust zum Schlage erhoben. Noch ehe es einer hindern konnte, traf Brödjukofs ein wuchtiger Schlag zwischen die Augen, daß er taumelte. Jljew trat zu Erdmann. „Ruhe. Ruhe", raunte er ihm zu. und faßte seine Hand mit festem Druck. „Das Richten überlassen Sie uns, Genosse Ullrich", sagte Dserschinski scharf. Und sich zu den Brüdern um wendend: „Treten Sie hier an den Tisch." Eine Anzahl Briefe lagen darauf ausgebreitet. „Genosse Colja Brödjukofs, sehen Sie sich die Briese an und sagen Sie mir, ob dieselben von Ihnen geschrieben sind?" Colja warf nur einen Blick hinein. Sollte er leugnen? Was würde es ihm helfen? Er war vernichtet. Seine schmalen Lippen preßten sich fest aufeinander. Gar nichts wollte er sagen. Nicht ums Totschlägen! Er hob seinen Blick voll bitterer Anklage zu Goswin. „Mir scheint, Sie wollen nicht antworten", sagte Dser schinski, „nun, so sagen S i e, Genoste Goswin Brödjukosf, sind die Briefe von Ihrem Bruder an Sie gerichtet?" Als auch er nicht gleich antwortete, mischte sich Smir now ein. „Sie wissen, daß wir Mittel haben, Sie zum Sprechen zu bewegen, Genosse. Wir werden uns nicht scheuen, sie anzuwenden." Goswins Atem ging schwer. „Die Briefe sind von meinem Bruder", kam es stoßweise aus seiner schwer arbeitenden Brust. „Und befanden sich in den Händen Sonja Makarow nas?" fragte Smirnow. „Wußte sie von dem Inhalt der selben?" „Ja", kam es fest zurück. Daß ihm Gelegenheit gegeben war, sich an der verräte rischen Sonja zu rächen, erfüllte ihn für einen Augenblick mit teuflischer Freude. Dserschinski fragte plötzlich: „Genoste Jljew vertraute Ihnen vor Jahren den Ent wurf zu einem neuen Automobiltyp an. Was haben Sie damit gemacht?" Er überlegte: wozu noch etwas verschweigen, sein Leben war verwirkt, so oder so. Er gestand ein, daß er nach diesem Entwurf die Wagen für die Ullrichsche Auto mobilfabrik hatte bauen lassen. „Das sollten Sie noch hören", sagte Dserschinski zu Erdmann und reichte ihm noch einmal die Hand. „Und nun leben Sie wohl und verzeihen Sie uns. Genosse Jljew wird Sie in Ihr Hotel zurückbegleiten." Schweigend schritten sie die vielen Treppen des un heimlichen Hauses hinab. Als das Portal sich hinter ihnen geschlossen, sagte Jljew, Erdmann die Hand reichend: „Nun werde ich Sie nicht ins Hotel, sondern erst zu Ihrer Schwester, meiner Frau, führen." »Ihrer Frau, verstehe ich recht?" Er sah Jljew fragend an. Der nickte. »Ja, Grete ist meine Frau, wir haben uns in aller Stille trauen lassen." Mit gemischten Gefühlen nahm Erdmann diese Nach richt auf. Seine Schwester Lie Frau eines Tschekakommissars! Jljew war gewiß keiner von den schlimmen. Hart wig hatte von ihm gesagt, er sei ein edler Mensch. Vielleicht kamen amh solche unter den Tschekisten vor. Aber Grete war nun wohl für die Ihrigen verloren, sie würde hier in Moskau bei ihrem Manne bleiben und nicht zur Mutter zurückkehren. Plötzlich fiel ihm die letzte Frage Dserschinskis an Brödjukosf ein. Er fragte Jljew, was es damit auf sich habe? „Die Konstruktion des Wagens ist meine Erfindung, um die mich Goswin Brödjukofs bestohlen hat." „So sind Sie Ingenieur?" „Von Beruf, ja. Und nun möchten Sie noch mehr wissen, wie ich zu meiner jetzigen Stellung gekommen bin. Das erzähle ich Ihnen ein andermal. Nur das sollen Sie noch wissen: ich gebe sie auf. Schon lange bin ich ent schlossen, nach Wien zu gehen, wo ich eine Anstellung bei der russischen Vertretung bekommen kann. Diese benutze ich auch nur als Brücke, um aus Rußland heraus zukommen. Sie verstehen mich?" „Ich verstehe." Ganz leicht wurde ihm aus einmal ums Herz. Er hatte das deutliche Empfinden, daß Jljew ein Ehren mann war. Als Jljew mit Erdmann die Wohnung Natascha Narumosfs betrat, kam Grete aus ihrem Zimmer. Sie flog Erdmann an den Hals und schluchzte, daß ihre Schultern bebten. Jljew, erschüttert von diesem Anblick, ließ die Geschwister allein. Ganz unerwartet traf Erdmann zu Hause ein. Das Mädchen, das ihm die Tür öffnete, schrie vor Schreck laut auf, als er vor ihr stand. Dann kamen Hans und Käte an gestürzt. Hans riß die Tür zum Wohnzimmer auf. „Mama, Erdmann ist hier!" Mit ein paar Schritten war Erdmann bei ihr und hielt sie im Arm. Sie war so erschüttert, daß sie kein Wort sprechen konnte. Hans ließ sie auch nicht d-zu kommen. Er überschüttete Erdmann mit einer Flut von Fragen, zwischendurch streichelte er an ihm herum. Erdmann führte die Mutter zum Sofa, wo er sich neben ihr niederließ. Und nun erfuhr sie von Grete. Mit angst voll forschendem Blick sah sie Erdmann an. „Sie ist glücklich, Mama, ganz gewiß, du darfst es mir glauben. Und ihr Mann ist ein grundguter Mensch." „Nun, Gott sei Dank! Und warum kam sie nicht mit dir?" Erdmann sprach von Waßkas Vorhaben. Sie nickte, und Erdmanns Hand zärtlich streichelnd, sagte sie: „Nun, ich bin dankbar, daß ich dich habe und Grete in guten Händen weitz." Hans war dafür, daß man Schraders von Erdmanns Eintreffen benachrichtigte. Er lief zum Telephon. Plötzlich fiel ihm Käte ein. Wo war sie geblieben? Das Mädchen kam und sagte ihm, daß Fräulein Laudin nach Hause ge gangen sei. Sie glaubte wohl zu stören, dachte er, und stellte die telephonische Verbindung mit Schraders Woh nung her. Lilly meldete sich am Apparat. Er brüllte ihr die freudige Nachricht ins Ohr, wartete kaum ihre Ent gegnung ab, legte das Hörrohr in die Gabel und stürzte wieder ins Zimmer zurück. Inzwischen hatte Erdmann von der Mutter erfahren, daß es schlecht ums Werk stand. Die Nachricht traf ihn schwer. „Am liebsten ginge ich sofort zu Laudin, um mit ihm darüber zu sprechen." »Das kannst du ja noch", sagte Hans, „nur warte mal ab, bis Schraders hier sind." Es dauerte nicht lange, da fuhr Schraders Auto vors Haus. „Da sind sie!" rief Hans. Lilly flog als erste Erdmann an den Hals, dann schloß Rose-Marie ihn in die Arme. „Du, Männe, ich bin verlobt, rate mal, mit wem", sagte Lilly. - „Oskar, ja?" „Nichtig geraten." Sie umarmte ihn noch einmal. „Die ist ganz meschugge vor Glück", sagte Schrader. „Nun mußt vu dich verloben, Erdmännchen, um doch eine kleine Entschädigung für das zu haben, was du eben durch gemacht hast." „Nun, eben gibt es Wohl für mich Wichtigeres zu tun, als mich zu verloben, Onkel Alex." Der zog die Schultern hoch. -„Du, ich hielt das für das Allerwichtigste." Er hat gewiß schon eine Partie für mich bereit, schoß es Erdmann durch den Kopf. '„Darüber sprechen wir ein andermal, Onkel Alex. Ich muß jetzt schnell zu Laudin, um zu hören, wie es im Wert steht." „Das kann ich dir auch sagen: Oberfaul. Um es zu retten, mutz etwas Besonderes geschehen." »Und was müßte das sein?" „Du mußt 'ne reiche Partie machen, mein Junge." „Das stellst du dir so einsach vor, Onkel . . ." „Ganz einfach! Hör'mal zu!" Er trat Erdmann einen Schritt näher, legte seine Hände um seinen Arm. „So 'n Kerl, wie du bist, na, das soll doch wohl mit dem Teufel zugehen, wenn du nicht das schönste und reichste Mädel kriegst, was es auf dem Erdball gibt." Erdmann lächelte. „Nee, du glaubst das nicht? Pass' mal auf, wir werden gleich den Beweis dafür haben. Du fährst morgen nach Dresden, gehst zu Professor Eschwcge, bedankst dich sür das, was er für dich getan hat." „Ich weiß ja gar nicht, was er eigentlich für mich getan hat." „Für deine Sache hat er sich eingesetzt, Mama hat er beigestanden in ihren Nöten, ja, oas Hai er getan; eine ganze Wochechat er hier in Berlin deinetwegen verbracht. Na, schön und gut, morgen fährst du zu ihm. Und weil so was belohnt werden muß, hältst du gleich uÄ die Hand seiner Tochteran." „Ob er sich dadurch so belohnt fühlen würde, Onkel, das bezweifle ich." „Na, aus seine Gefühle kommt es dabei ja nicht an. Ich weiß, du wärst ihm recht als Schwiegersohn * „Na, wollen mal sehen, was sich machen läßt, Onkel. Bedanken werde ich mich natürlich beim Professor, aber mit dem Freien werde ich mich nicht übereilen. Nun mutz ich aber gehen — entschuldigt mich!" * * * „Das Werk soll uns beiden über alles gehen. Haben wir uns das nicht einmal mit Handschlag gelobt, Herr Erdmann?" Der alte Laudin sah seinem jungen Freund in die Augen. „Das haben wir, Meister, und wir wollen es auch halten." „Dann denken Sie jetzt nicht an sich, sondern an Ihr Werl. Es kann nur gerettet werden, wenn es schuldenfrei gemacht wird, wenn außerdem Kapital hineingesteckt wird." „Mein Onkel hat Ihnen das von der reiche» Partie eingeslößt, ich sage Ihnen, daß ich die nie machen werde- und das Werk trotzdem nicht zusammenkracht." Laudin schüttelte unwillig den Kops. „Ihr Onkel hat mir gesagt, Sie sind aus dem Grunde nach Dresden gefahren, um sich einen Goldfisch aus der Elbe zu angeln." „So hat es sich mein Onkel gedacht und gewünscht, aber ich verstehe mich nicht aufs Angeln. Und der Goldfisch auf den mein Onkel es für mich abgesehen Hal, ist viel z» schade, um geangelt zu werden, der soll sich noch der Frei heit erfreuen. Und ich will es auch noch, Meister. Wenn ich meine Freiheit einmal ausgebe, dann nur, um ein Mädel zu heiraten, das ich liebe. Und das hol' ich mir erst, wenn ich im Werk Ordnung geschafft habe. Daran will ich zunächst denken. Und die Käte, Meister, die warte» auf mich, bis es so weit ist." Des Alten Augen wettcrleuchteten. „Unsinn, daraus kann nichts werden, wird nichts werden, ich schick' das Mädel weg, daß es Ihnen aus den Augen kommt. Damit Sie es wissen, ich schicke sie für ein Jahr fort zu meiner Schwester." „Daran kann ich Sie nicht hindern, aber Sie werden mich nicht daran hindern. Käte zu heiraten. Wir sind beide noch jung und können warten, wollen es auch, darin sind wir uns, wie in allen Dingen, ganz einig." „Nehmen Sie Vernunft an, Herr Erdmann, das Wohl und Wehe der Ihrigen hängt von Ihnen ab." „So ist's, Meister, das will ich auch keinen Augenblick vergessen. Und daß das Glück aus mich wartet, das wird mir Spannkraft geben. Sie sollen mal sehen, Meister, was das für ein frohes Arbeiten im Werk wird. Das Studium gebe ich auf, ich schasf's auch ohne das. UndnunseienSiemat wieder gut, machen Sie wieder ein freundliches Gesicht. Da sollten Sie mal den Brief lesen, den ich heute früh von Oskar bekam, der trieft von Glückseligkeit über meine Wahl. Wenn er übers Jahr seine Lilly geheiratet hat. schreibt er, will er Teilhaber vom Werk werden. Na, Meister, darüber ließ sich doch reden. Was? Da käm' doch Geld herein. Und mein Schwager Jljew hat mir das Recht gegeben, seinen Wagentyp weiterzubauen, das ist doch schon etwas. Sie sagten bei unserer ersten Unter redung nach dem Zusammenbruch: Wenn wir den Wagen weiterbauen könnten, dann wäre Aussicht, daß wir uns herausarbeiteten. Nun, jetzt dürfen wir es. Und mit unse ren Hauptgläubigern hab' ich gesprochen, die drängen uns nicht, also unsere Sache steht gar nicht so verzweifelt." „Nee, wenn der Wagen weitergebaut werden kann, dann mag's wohl gehen, aber dazu müssen wir auch die Möglichkeit haben „Wir kriegen schon noch Kredit, Meister." Laudin sah ihn an. Aus seinen Augen leuchtete Be wunderung, die er aber zu verbergen suchte. Ein Jahr voll eisernen Fleißes folgte. Man hatte im Werk noch immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber was bedeuteten die? Sie zu überwinden, war ein Spaß. — Laudin schien es so, daß er nie eine so frohe, glückliche Zeit in seinem Leben gehabt hätte. Die unverwüstliche Arbeitskraft Erdmanns spornte auch ihn an. Sein Blick ruhte ost voll stiller Freude auf dem jungen, feurigen Menschen, unter dessen Händen alles ins rechte Gleis kam. Oskar und Lilly hatten geheiratet, und Schrader hatte Lillys Heiratsgut in das Ullrichsche Werk gegeben. „Nun fehlt uns noch Watzka", sagte Erdmann eines Tages zu seiner Mutter. Er hatte längst gemerkt, daß die Mutter sich im stillen nach Grete sehnte. Auch aus Gretes Briefen klang deutlich das Heimweh. »Ich setze Wotzka so lange zu, bis er seine Beziehungen zur Sowjetregierung löst und hierher kommt", sagte Erd mann zur Mutter. „Er hat ein Recht auf eine Anstellung in unserem Werk. Und in feiner Stellung-fühlt er sich nicht Wohl." »Ja, tue es, Erdmann; ich wäre glücklich, euch alle beisammen zu haben." Ihre Seele war nur-moch erfüllt von der-Liebe-zu ihren Kindern, in ihr-gab estkeine»selbstsüchtigen Wünsche mehr. »Wenn wir allein im. Coupö bleiben, was ich hoffe, dann streckst du dich bald , aus.", sagte Watzka zu seiner Frau. ' Schluß folgt