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Erdmann Ullrichs Weg zum Ziel G O KSFortsehung. Nachdruck verboten. Im»Laufe des Vormittags erschien Brödjukoff. Das Mädchen HHte ihn in den^Salon geführt. HanS herrschte, fle^an: „Sägte ich Ihnen nicht, heute keinen Besuch vorzu- lÄffen'?" ^Zch.tonnte doch nicht wissen, daß Herr Doktor auch i damitzgerpeint ist; er kommt doch täglich ein paarmal." „HabewSie gesagt, daß ich zu Hause bin?" „In." Das Mädchen blieb abwartend an der Tür stehen. Hans überlegte, waS er tun sollte. Ihm graute davor, den Kerl zu sehen, ohne ihm gleich an die Gurgel springen zu können; aber er sagte sich, daß es jetzt nötig war, Ruhe zu bewahren. Aber würde ihm das auch ge lingen? Sein Herz klopfte laut gegen die Rippen. Er fühlte, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht trat, wie ein Feuerstrom durch seine Glieder rann. „Sagen Sie, ich käme sofort", befahl er kurz ent schlossen. Er steckte das Bild und den danebenliegenden 'Zettel zu sich, um zu Brödjukoff zu gehen ... * * * Wochen waren nach der Verhaftung Erdmanns ver gangen, und noch immer ahnte er nicht den Grund zu dieser. Man hatte ihn nicht ein einziges Mal verhört. Oeffnete sich Vie Tür des feucht-muffigen Raumes, in welchem er mit zwölf von Schmutz und Ungeziefer starren den Russen zusammengepfercht lag — und der Wächter er schien, um einen oder den anderen zum Verhör abzurufen, so hoffte er jedesmal, daß endlich die Reihe an ihn sei, und daß sich nach dem Verhör seine Inhaftierung als Irrtum herausstellen würde. Eine Unruhe, peinigend, wie ein bohrender Schmerz erfaßte ihn, so ost er sich enttäuscht sah; die goß sich in sein Hirn, wie glühendes Blei, die trieb ihn von der schmalen Holzbank auf, die ihm Tag und Nacht als Lager diente, und ließ ihn, einem gefangenen Tier gleich, den engen Naum der Zelle mit hastigen Schritten durchmessen. Dann folgten ihm die grinsenden Blicke seiner Mitgefange nen, die seine Unruhe nicht begrifsen, die ihm auch nichts zum Trost hätten sagen können, weil er ihre Sprache nicht verstand. Eines Tages wurde ein neuer Gefangener eingcbracht. Ein Mann, groß, schlank, mit schmalem rassigen Gesicht und großen klugen Augen. Trotz der schäbigen Kleidung, die er trug, erkannte Erdmann sofort, daß er den besseren Kreisen angehörte, und er empfand so etwas wie Freude über den neuen Zuwachs. Als dieser, nachdem der Wärter gegangen war, nun gar aus ihn zukam und ihn in seiner Muttersprache anredete, da hatte er das Gefühl des Er löstseins aus schwerster Qual. Voll inniger Dankbarkeit drückte er die Hand, die sich ihm cntgegenstreckte. „Sie sind Deutscher?" sragte er. „Deutsch-Balte. Und Sie?" „Reichsdeutscher." „Reichsdeutscher", wiederholte der Balte und schüttelte oen Kopf. „Weshalb hat man Sie verhaftet?" „Ich ahne es nicht. Das erstemal in meinem Leben bin ich in Rußland; einen einzigen Tag war ich in Moskau, als man mich verhaftete." „Hatten Sie Geschäfte in Moskau." „Nein. Veranlassung zu meiner Reise nach Moskau war eine private Angelegenheit, in der ich aber noch nichts unternommen hatte, als man mich verhaftete — so gut wie nichts", verbesserte Erdmann. „Ich hatte einen Moskauer Herrn aufgesucht, um eine Adresse von ihm zu erfahren — das war alles." Der andere sah ihn nachdenklich an, nickte ein paarmal, und sagte dann: „Ja, ja, viel gehört nicht dazu, um hier festgesetzt zu werden. Vielleicht war Ihr Besuch bei dem Moskauer Herrn für Sie kompromittierend. Hat man während Ihres Verhörs diesen Besuch erwähnt?" „Ich bin noch nicht verhört worden, obgleich ich seit drei Wochen hier schmachte." „Sie können verlangen, verhört zu werden — tun Sie eS doch, damit Sie erfahren, was man Ihnen zum Vor wurf macht. Sie sprechen nicht russisch?" Erdmann verneinte. „Nun ja, da ist diese Situation für Sie doppelt schwer. Ich will mal darüber nachdenken, wie ich Ihnen helfen könnte." Erdmann dankte ihm und nannte ihm seinen Namen, auch er nannte den seinen. Er hieß Hartwig und war ehemals Advokat in Moskau gewesen. „Ich befinde mich seit einem halben Jahr im Gewahr sam der Tscheka — heute hat man einen Zellenwechsel mit mir vorgenommen, worüber ich erst sehr böse war, jetzt bin ich froh darüber." Ein schwaches Lächeln glitt über sein bartloses Gesicht. „Soweit man noch froh sein kann." Er griff in seine Rocktasche, holte ein Kästchen mit Zigaretten hervor. „Das hat mir ein guter Mensch zukommen lassen", sagte er, und öffnete es mit zitternder Hand. „Rauchen Sie, Herr Ullrich? Bitte nehmen Sie." Er reichte ihm das Kästchen hin, und nachdem Erd mann sich bedient hatte, zählte er zwölf Zigaretten ab, nahm sie in die Hand und reichte sie den übrigen Gefange nen, die, in ein wahres Freudengeheul ausbrechend, auf ihn zustürzten. „Gieriges Pack!" schall er lachend. „Ich tonn ihre Gier verstehen", sagte Erdmann, einen liefen Zug machend. „Das Verlangen nach irgend etwas Rauchbarem hatte piich auch schon höllisch gepeinigt." „Na, da kam ich ja als Helfer in der Not. Ich hoffe, Herr Ullrich, Ihnen auch sonst noch helfen zu können; viel dürfen Sie sich natürlich nicht von meiner Hilfe ver sprechen." „Mir ist schon allein dadurch geholfen, daß Sie hier sind", gestand.Erdmann. „Ich bedaure es sehr, daß Sie hier sind, uni? doch macht es mich glücklich." Er lächelte Hartwig an. Schon wollte eine leise Hoffnung auf Gerechtigkeit in ihm aufkeimen, als eines Tages zwei von seinen Mit gefangenen, ein junger Mensch und ein hinfälliger Greis, vom Wärter abgerufenwurhem Es hieß, daß sie zum Tode verurteilt wären. Int Korridor hörte man laute Stimmen; die Zellentür wurde aufgerissen, und jemand brüllte herein, daß niemand an das Fenster treten dürfe, sonst würde er abgeschossen. Einige taten es doch, ihre Erregung war so groß, daß sie sie nicht meistern konnten. Auch Härtwig wollte zum Fenster. Erdmann hielt ihn zurück. Sein Gesicht war totenbleich, seine Glieder zitterten. „Was wird geschehen?" sragte er mit bebender Stimme. Hartwig faßte seine Hand mit festem Druck. Das Jammern und Schreien von Menschenstimmen klang zu ihnen. „Ruhig, ruhig", redete Hartwig ihm zu. Er lauschte dabei nach dem Hofe hin, wo das laute Surren eines Autos vernehmbar war. Er wußte, was das auf sich hatte. Wurden am Abend Hinrichtungen vorgenommen, so stellte man den Motor des Autos an, dessen Geknatter die Schreie der Unglücklichen und die Schüsse des Henkers übertönen sollte. Als das Geknatter endlich verstummte, sagte Hartwig, seine Hände aus denen Erdmanns lösend: „Nun ist es vorüber, die Aermsten haben ausgelitten. Wer weiß, an wen nun die Reihe kommt." Erdmann ließ sich auf die Holzbank nieder, starrte mit einem Blick vor sich hin, der voll erschütternder Verzweif lung war... Tags darauf wurde Hartwig zum Verhör abgerufen. Es war am Spätnachmittag. Im Hofe ratterte schon wieder der Motor. In angstvoller Beklommenheit sah Erdmann dem Freunde nach, als er den Raum verließ. Würde er wiederkommen? Das gestern Erlebte flößte ihm die Furcht ein, daß Hartwig dasselbe Schicksal erwarten könnte, dem gestern die Aermsten zum Opfer gefallen waren. Lähmendes Ent setzen überfiel ihn bei der Vorstellung, er könne ihn am Ende nie Wiedersehen. In quälender Erwartung ging er in der Zelle auf und nieder. Draußen blieb es still, nur der Motor brummte. Hartwig blieb lange weg. Die Zellengenossen tauschten untereinander Vermutungen aus, auch sie schienen beunruhigt über Hartwigs langes Aus- bleiben. Endlich, nach Stunden, erschien er. „Sie haben sich gesorgt um mich", sagte er zu Erd mann, „das hätten Sie nicht tun sollen. Sehen Sie, da bin ich wieder unbeschadet zurückgekehrt, während Sie ganz verstört aussehen. Nehmen Sie eine Zigarette, das Rauchen wird Sie beruhigen." Er hielt ein brennendes Zündholz bereit. Erdmann bemerkte, daß Hartwigs Hand stark zitterte. „Das Verhör hat Sie sehr erregt?" „Nu natürlich. Aber man sollte sich nicht mehr erregen, sollte alles, was kommt, ruhig und gefaßt hinnehmen." Er entnahm einem Pappschächtelchen einige Zigaretten, die er den Zellengenossen reichte. Dann wandte er sich wieder Erdmann zu, und sagte im Flüsterton: „Ich habe unter den Tschekisten einen wohlwollenden Menschen entdeckt. Ja, machen Sie nur erstaunte Augen. Es ist ein junger Kommissar, der zuweilen Vernehmungen führt — anständiger Kerl — wirklich. Von ihm kommen die Zigaretten. So oft er mich steht, steckt er mir ein Schächtelchen zu. Ist das nicht rührend?" Erdmann nickte. „Nun kommt etwas Interessantes für Sie", sagte Hartwig; „aber bitte, setzen wir uns doch." Sie ließen sich auf die schmale Holzbank nieder. „Ich hatte Gelegen heit, mit dem Kommissar über Sie zu sprechen. Bei Nennung Ihres Namens sah er mich überrascht an, daraus schloß ich, daß er ihn nicht zum ersten Male in seinem Leben hörte. Nun hätte ich gern aus ihm herausgebracht, wo er ihn gehört hatte, aber das gelang mir leider nicht. Schließlich bat ich ihn, sich für Sie zu interessieren, und er versprach mir, dafür zu sorgen, daß Sie morgen ver hört werden. Nun, ist das nicht schon etwas wert?" „Ob das etwas wert ist!" sagte Erdmann. Sie sahen sich beide an. Erdmann war in großer Erregung. Er faßte Hartwigs Hand und drückte sie. „Haben Sie Dank, tausend Dank." Seine Erregung war so groß, daß er nur mit Mühe die paar Worte stammeln konnte. Sie verscheuchte ihm auch den Schlaf; der Morgen graute schon, als er noch mit weitgeöffneten Augen auf seinem Holzbett lag. Ueber den kommenden Stunden lastete die zermürbende Qual der Erwartung. Die Stunden schlichen dahin, es wurde Mittag, es wurde Nachmittag, es ereignete sich nichts. „Er wird mich vergessen haben", klagte Erdmann. Hartwig antwortete nicht. Er starrte vor sich hin, nicht weniger zerquält als Erdmann. Endlich, es war schon fast Abend, trat der Gefängnis wärter ein, und rief: „Bürger Ullrich zum Verhör!" Erdmann folgte dem Wärter durch die verschiedensten Gänge, dann fünf Treppen hoch zur Konterrevolutionären Abteilung. An. der Tür, vor der der Wärter halt machte, stand: „Genosse Smirnoff." Erdmann erschrak. Smirnoff — es war gewiß derselbe, den er im Auftrage Brödjukoffs aufgesucht hatte. Da öffnete der Wärter die Tür. Richtig — vor einem großen, mit Akten überhäuften Schreibtisch saß Smirnoff, derselbe Smirnoff, der ihn mit Wein und Zigaretten traktiert hatte. Er streckte ihm auch jetzt ganz sreundschaftlich die Hand entgegen. „Na, nun erzählen Sie mir mal, junger Freund, wie Sie sich hier eingelebt haben." Erdmann, innerlich empört über des Alten Hohn, preßte, ohne zu antworten, die Lippen fest aufeinander. „Nun, mir scheint, Sie sind freundschaftlicher Unter haltung abgeneigt. Alfo beginnen wir gleich mit dem Ver- hör. Sie sind, wie Ihre Papiere ausweisen, Ferdinand Erdmann Ullrich? Das stimmt, was?" Erdmann bejahte. „Sie sind Student; was studieren Sie?" „Jngenieurwissenschaft." „So — so — nicht übel." Sein Blick, von den schlaffen Lidern halb verdeckt, war scharf auf Erdmann gerichtet. Eine Weile saß er so schweigend, dann begann er wette» zu fragen. „Es interessiert uns begreiflicherweise sehr, was Sie nach Moskau geführt hat. Wollen Sie mir das einmal anvertrauen?" Sein spöttischer Ton verletzte Erdmann, er vermochte es nicht, diesem Menschen den wahren Grund seiner Mos kauer Reise zu sagen. „Ich hatte den Wunsch, Moskau kennenzulernen." So, wer konnte ihm das widerlegen? Smirnoff schlug sich auf die Schenkel und wieherte vor scheinbarem Vergnügen. „Na, und sind Sie zufrieden mit dem, was Sie kennen gelernt haben?" Erdmann erhob sich. „Herr Smirnoff, wenn Sie nicht belieben werden, in einem ernsten Ton das Verhör zu führen, so muß ich be dauern —" „Was soll das heißen?" brüllte Smirnoff, dessen fahles Gesicht sich plötzlich dunkelrot gefärbt hatte. „Sie werden antworten, verstehen Sie!" Erdmann richtete sich unwillkürlich straffer auf. „Es kommt darauf an, wie Sie Ihre Fragen stellen werden." Smirnoffs Blick glitt an ihm auf und ab. „Nun los — antworten Sie — mit was für einen» Auftrag hat Pasturofs Sie nach Moskau geschickt?" „Ich kenne Pasturoff nicht." Smirnoff wandte sich ruckartig zu ihm hin; die Hände auf die Lehne feines Sessels gelegt, den Oberkörper vor gestreckt, so starrte er Erdmann an. „Was, Sie behaupten jetzt, Pasturoff nicht zu kennen?" fragte er, jedes Wort dehnend. „Ich kenne ihn tatsächlich nicht." „Wer soll Ihnen das glauben? Ich nicht, nachdem Sie sich mir als Pasturosss Freund vorstellten." „Herr Smirnoff, das habe ich hinterher bedauert, ich nannte mich fälschlicherweise so. Mir kam es daraus an. Pasturoffs Adresse zu erfahren; in Berlin sagte man mir, daß ich diese am ehesten durch Sie erfahren könnte. Es wurde mir geraten, mich als Pasturoffs Freund bei Ihnen einzuführen." „Wer gab Ihnen diesen Rat?" „Doktor Brödjukoff." Smirnoffs Blick wurde durchdringender. „Goswin Petrowitsch Brödjukoff, der Ingenieur?" fragte er. — Erdmann bejahte. „Was haben Sie mit ihm zu tun?" „Er ist Betriebsingenieur des Ullrichschen Automobil werkes, das meiner Mutter gehört." Smirnoff zog Lust durch die Zähne. „Aha — aha — also Goswin Petrowitsch Brödjukoff." Er machte in die Akten einen Vermerk. „Nun mal weiter", sagte er, den Blick wieder auf Erd mann richtend. „Ich muß Sie ersuchen, mir über Ihre Be- Ziehungen zu General Mellnikow, Graf Kleinmichel, Oberst Silin Aufklärung zu geben." „Ich kenne keinen dieser Herren." Smirnoff schüttelte den Kopf. „Wozu hatten Sie die Adressen der Herren notiert?" „Ich habe sie nicht notiert, sondern Brödjukoff gab sie mir zu dem Zweck, daß ich die Herren aufsuchen sollte." „Mit welchem Auftrag?" „Ohne Auftrag." Er kniff die Augen ein, fragte lächelnd: „Wer soll Ihnen das glauben?" „Es ist so", sagte Erdmann ruhtg und bestimmt. Smirnoff sah eine Weile schweigend vor sich hin, dann sagte er, ohne den Blick zu heben. „Für heute ist Ihr Verhör beendet. Ich gebe Ihnen Zeit, sich bis morgen nachmittag vier Uhr zu überlegen, ob Sie ein Geständnis machen wollen. Können Sie sich dazu entschließen, so sind Sie frei, andernfalls ist Ihr Schicksal besiegelt." Seine Hand hob sich zu der elektrischen Klingel, die aus seinem Schreibtisch angebracht war, und gleich daraus trat der Gefängniswärter ein, der Erdmann abführte. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschloffen, als durch eine zweite Tür Waßka Jljew eintrat „Nun, was war?" fragte er interessiert. Smirnoff zog die Schultern hoch. „Der Bengel ist hart näckig; um aus dem etwas herauszubringen, wird man ihm wohl erst Feuer unterlegen müssen." „Davon kann ich nur ernstlich abraten, Genosse Smir noff. Wissen Sie, daß seine Angehörigen sich an die Deutsche Gesandtschaft gewandt haben?" Smirnoff schob die Schultern hoch. „Das wird ihnen nicht viel helfon. Vorläufig sitzt der Jüngling erst mal fest. Zum Reden werd' ich ihn schon bringen, dafür kennen Sie mich doch?" „Genosse Smirnoff, ich bin fest davon überzeugt, er hat nichts zu gestehen." „Nanu, wo nehmen Sie diese Ueberzeugung her?" „Die muß einem doch kommen, wenn man die Sache mit klarem Blick übersieht. Ullrich steht im Verdacht, zu dem Monarchisten Pasturoff und anderen der Sowjet regierung feindlich gesinnten Persönlichkeiten Beziehun- gen zu haben. Wäre dies der Fall, so hätte er Pasturosf gewiß nicht bei Ihnen gesucht. Denken Sie mal darüber nach, Genosse Smirnoff, allmählich wird Ihnen ein Licht aufgehen, und Sie werden wissen, wo unsere wahren Feinde zu suchen sind." Nach kurzem Gruß verließ er, von Smirnoffs verdutz tem Blick gefolgt, das Zimmer ... Fortsetzung folgt.