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ZUR EINFÜHRUNG Christoph Willibald Glucks musikdramatische Gestaltung des Iphigenie-Stoffes in seinen Opern „Iphigenie in Aulis“ (1774) und „Iphigenie auf Tauris“ (1779) erfüllt in der Verbindung von klassischem Geist der Antike mit den humanistischen Ideen der Aufklärung vollendet die Grundforderung dieses Kom ponisten nach „Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit”. In der Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis" besitzen wir auf dem Gebiete der Instrumentalmusik eines der schönsten Beispiele der edlen Tonsprache des großen Opernreformators, ein Werk von klassischer Klarheit, formaler Geschlossenheit (Sonatenform) und vor bildlicher Instrumentation. Seine Ansicht von der Bedeutung der Opernouvertüre legte Gluck in dem berühmten, das Bekenntnis seiner reformatorischen Ideen enthaltenden Vorwort zu „Alceste" (1769) dar: die Ouvertüre solle „den Zuhörer auf den Inhalt der darzustellenden Handlung vorbereiten". I<n diesem Sinne hat auch die Iphigenien-Ouvertüre einen ausgesprochen programmatischen Cha rakter, bereits hier wird das Drama in seinen großen Gegensätzen und erregen den menschlichen Konflikten entwickelt. Der Seelenkampf und die Zerrissenheit Agamemnons, der auf Artemis’ Geheiß seine Tochter Iphigenie opfern soll, die Forderung des Volkes nach dem im Interesse der Allgemeinheit notwendigen Menschenopfer und die liebliche, jungfräuliche Zartheit Iphigenies erscheinen als die thematischen Kraftzentren der Komposition. Unmittelbar in den Anfang der Handlung übergehend und durch die Verwendung musikalischer Motive in engem Zusammenhang mit der Oper stehend, trägt die Ouvertüre schon gewisse Züge, die wir viel später im „Vorspiel" Richard Wagners wiederfinden. Dieser schätzte das Werk denn auch besonders hoch, fügte ihm einen heute allgemein benutzten Konzertschluß an und unterzog es eingehenden Betrachtungen. Wagner kennzeichnete bei seiner Analyse vier Hauptmotive: „1. ein Motiv des Anrufes aus schmerzlichem, nagendem Herzeleid" (langsame Einleitung, Moll- Fugato), „2. ein Motiv der Gewalt, der gebieterischen, übermächtigen Forderung” (Unisono-Thema des Hauptsatzes), „3. ein Motiv der Anmut, der jungfräulichen Zartheit, in Violine -und Flöte" (kontrastierendes Gegenthema in der Dominante), „4. ein Motiv des schmerzlichen, qualvollen' Mitleids" (Fortfühwngsgedanke in Moll) und führte weiter aus: „Die ganze Ausdehnung der Ouvertüre füllt nun nichts anderes als der fortgesetzte, durch wenige abgeleitete Nebenmotive ver bundene Wechsel dieser (drei letzten) Hauptmotive; an ihnen selbst ändert sich nichts außer der Tonart; nur werden sie in ihrer Bedeutung und gegenseitigen Beziehung eben durch den verschiedenartigen, charakteristischen Wechsel immer eindringlicher gemacht, so daß ... wir in das Mitgefühl an einem erhabenen tragischen Konflikt versetzt sind, dessen Entwicklung aus bestimmten dramati schen Motiven wir zu erwarten haben." Ludwig van Beethoven hat mit seinen fünf Klavierkonzerten, die er zunächst für sein eigenes öffentliches Wirken als Pianist schrieb, Gipfelwerke der virtuosen Konzertliteratur geschaffen. Bereits vor den ersten beiden Klavierkon zerten op. 15 und op. 19 hatte er sich mit der Komposition von Klavierwerken beschäftigt (Trios op. 1, zahlreiche Sonaten) und auf diesem Schaffensgebiet weit eher musikalisches Neuland, neue Klangbezirke erschlossen als in der Sinfonik. Die Klavierkonzerte entstanden etwa parallel zu den ersten sechs Sinfonien. Als sein Gehörleiden den Meister zwang, seine von den Zeitgenossen hochgeschätzte pjainistische Tätigkeit aufzugeben, hatte er sein bedeutendstes Klavierkonzert, das fünfte in Es-Dur, bereits geschaffen und die mit dem dritten Konzert einset zende Entwicklung seines konzertanten Schaffens von aristokratisch-gesellschaft licher Unterhaltungskunst zum ideell-schöpferischen Bekenntnis auf den Höhe punkt geführt. Das 3. Klavierkonzert in c-Moll op. 37 stammt in seiner endgültigen Gestaltung aus dem Jahre 1802 (Skizzen dazu entstanden allerdings bereits in früheren Jahren) und wurde mit dem Komponisten als Solisten zusammen mit der 2. Sin fonie und dem Oratorium „Christus am öl berg" am 5. April 1803 in Wien urauf geführt. Es ist sicher vor allem von der Zeit der Entstehung dieses Werkes her zu begreifen, wenn Beethoven hier im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Klavierkonzerten ganz neue Töne anschlägt, diese Gattung unter ganz neue Ge setze stellt: war doch das Entstehungsjahr 1Ö02, das Jahr des erschütternden „Heiligenstädter Testaments", für ihn durch die menschliche Tragik seiner begin nenden Ertaubung auch in' persönlicher Beziehung äußerst krisenreich und be deutungsvoll. Aus dem c-Moll-Konzert (schon die Wahl dieser Tonart ist charak teristisch) spricht bereits der gereifte Meister zu uns, der sich in großen, leiden schaftlichen Auseinandersetzungen durch die ihn bewegenden Probleme hin durchkämpft und sie endlich überwindet. In formaler Hinsicht wird dabei in die sem Werk zum erstenmal in der Geschichte des Instrumentalkonzertes das Kon zert der Sinfonie angeglichen und auch in der Verarbeitung des thematischen Materials dem sinfonischen Prinzip unterworfen. So wie beim Soloinstrument das Virtuose jetzt vollkommen in den Dienst der inhaltlichen Aussage gestellt wird, wird nun auch das Orchester aus seiner bisher größtenteils nur begleitenden Funktion gelöst — Klavier und Orchester konzertieren im dramatischen, span nungsgeladenen Mit- und Gegeneinander in absoluter Gleichberechtigung. Das plastisch-einprägsame, männliche Hauptthema des ersten Satzes (Allegro con brio) setzt sich aus einem aufsteigenden c-Moll-Dreiklang, einem abwärts zum Grundton fallenden Schreitmotiv und einem ausgesprochen rhythmischen Quartenmotiv zusammen, das besonders in der Coda (hier von den Pauken ge spielt) wichtig für die thematische Entwicklung wird. Einen Gegensatz dazu bringt ein schwärmerisches, gesangvolles zweites Thema in der Paralleltonart Es-Dur. Nachdem das Hauptthema die orchestrale Exposition energisch beendet hat, beginnt in der an Auseinandersetzungen und Spannungen reichen, die Themen meisterhaft verarbeitenden großen Durchführung das intensive Wechselspiel der beiden Partner, das schließlich noch nach der Kadenz des Solisten in der Coda eine letzte Steigerung erfährt. Schon rein durch seine Tonart E-Dur hebt sich das folgende, innig-schöne Largo merklich von den Ecksätzen ab. Der dreiteilig angelegte Satz, von dem eine ge löste, fei erlich-ruhevolle Stimmung ausgeht, setzt solistisch ein; das zuerst vom Klavier vorgetragene Thema ist von klassischer Größe und Erhabenheit. Im Zwie gespräch mit dem Orchester wird es dann durch das Soloinstrument mit feinem, filigranhaften Figurenwerk umspielt. Harfenähnliche Arpeggien des Klaviers um-