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iRoman von Max von Weißenthurn Seine erste Fra« Copyright d? Martin keucUttVanger, »all« (Saal« ^.Fortsetzung. Nachdruck verboten. Run weiß ich, daß ich wenigstens für den Moment gesichert bin; ich tue mein möglichstes, um sie zur Er kenntnis ihrer Pflicht zu führen, aber es ist ein hartes Stück. Sie verhehlt nicht, daß meine Gesellschaft sie lang weilt, und daß sie mir grollt, weil ich Murr fortgeschickt habe. Sie weiß, daß ich es getan; vermutlich schrieb er ihr. In ihrer Achtung mag ich meiner Haltung wegen gestiegen sein, wenigstens ist sie weniger unhöflich mit mir, als sie es zu Hause gewesen ist. Aber es ist er müdend, gegen eine Person entgegenkommend sein zu sollen, die uns nicht mag, und ich Weitz, datz sie mich nicht mag. Ich behalte mein Ziel aber im Auge, in Erinne rung an die Kinder. Ich will einem gewissen, mir ° teuren Wesen das Wort nicht brechen. Ich Weitz nicht, wie lange dies so fortgehen wird, aber ich hege die Absicht, solange hierzubleiben wie sie und sie die ganze Zeit über zu beobachten. Ich kann mich darauf verlaffen, daß die alte Gräfin jedes an sie ge richtete Telegramm beantwortet. Es ist erniedrigend, in solcher Weise vorgehen zu müssen; da ich aber meine Mission übernommen habe, so will ich sie auch zu Ende führen, so schwer es mir auch fallen mag. Ich bin gar nicht trübselig gestimmt, obwohl ich das eigentlich selbst nicht begreife. Küsse die Knaben in meinem Namen! Gott segne Euch alle! Bald werde ich Euch Wiedersehen! Stets Dein getreuer Michael." Kitty preßte diesen Brief an ihre Lippen; er regte sie aus, er betäubte sie förmlich, er erfüllte ihre Seele mit Wonne. Es war ein gesunder, kraftvoller, natürlicher Brief, der Bries eines Mannes, der sich selbst wiedergefunden hat, der ein bestimmtes Ziel lm Auge behält und es durchzu führen beabsichtigt. * » * Der Oktober kam. Sie weilte mit den Kindern bereits seit mehr als einem Monat an der See, als sie eines Abends den Baron auf das Haus zukommen sah. Sie saß auf der Veranda, die sich vor dem Gemach, in dem die beiden Knaben schon schliefen, hinzog. Mit dem ersten Blick, den er auf die Veranda richtete, hatte er sie bereits entdeckt. In sichtlicher Erregung trat er an sie heran und um armte und küßte sie, ehe sie sich dagegen wehren konnte. »Nimm Platz und berichte mir, was sich zugetragen!" sagte sie dann leise. »Ich vollbrachte das, was du mir geraten hast", ant wortete er. »Ich bin mit ihr in die Heimat zurückgekehrt, und nun muß ich die Kinder morgen zu ihr bringen." Sie war auf ihren Platz zurückgekehrt. Mit einem selt sam ins Leere gerichteten Blick saß sie jetzt da. Was er ihr da sagte, war nur natürlich. Sie selber hatte ihn veranlaßt, der Frau, die ihn vielleicht für immer hatte verlassen wollen, nachzureisen und zu ihrer Pflicht zurückzuführen. Zu ihrer Pflicht? Zu was für einer, wenn sie ihn und wenn er sie doch nicht liebte? Oh, was — was nur löste diesen Zwiespalt, wenn sie sich tausend mal auch selber zum Opfer bringen wollte, sich und ihre selbstlose Liebe für diesen Mann, der doch ihr rechtmäßiger Satte war? e Sine Zeitlang saßen sie sich schweigend gegenüber. Die Schwere ihrer Gedanken machte sie beide stumm. Die Frau Drach zuerst die peinliche Stille. »Ist sie anders geworden? Bedauert sie das Ge schehene?" forschte Kitty. Baron Michael zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, was ich von ihr zu halten habe. Sie ist sehr ruhig, viel höflicher, aber ganz und gar nicht wärmer als vordem", sagte er. Kitty verkrampfte die Hände. »Und ich hatte so sehr gehofft..." Er schüttelte den Kopf. »Du gutes Kind", sprach er, »du verstehst sie nicht! Das Höchste, was ich bei ihr je erreichen werde, ist, daß sie nach und nach lernt, mich zu ertragen. Mehr werde ich ihr nie gelten, und ich fordere auch nicht mehr von ihr!" »Du mußt fortfahren, unausgesetzt gut und liebens würdig mit ihr zu sein", sagte Kitty. Er aber schüttelte ungeduldig den Kopf. »Fürs erste will ich nichts mehr von ihr hören, sondern du sollst mir von dir erzählen", sagte er. »Was hast du während meiner Abwesenheit getan? Du schriebst mir nie. Hast du denn meine Briefe nicht bekommen?" »Doch", erwiderte Kitty ruhig, »aber ich konnte natur gemäß nicht darauf antworten." »Warum nicht?" Sie sah ihn ernst, fast streng an. »Du hättest nicht so schreiben sollen, wie du es tatest. Ich soll und muß für dich Frau May bleiben!" »Ja, auf dem Briefumschlag, aber inwendig in dem Schreiben nicht. Nur vor den Leuten nenne ich dich Frau May — wenn wir allein sind, Kitty!" Eine namenlose Angst bemächtigte sich ihrer. Wie sollte sie es ermöglichen, den Pakt innezuhalten, den sie mit ihm geschlossen hatte, wenn er denselben so ignorierte, wie es tatsächlich geschah? Er lächelte sie an und fühlte sich offenbar durch ihre Gegenwart in einer Weise beglückt, die zu den seltsamsten Vermutungen Anlaß gegeben haben würde, wenn die beiden von irgendeiner dritten Person bei ihrem Zwie gespräch überrascht worden wären. Wie sollte sie es über das Herz bringen, kalt und abstoßend gegen ihn zu sein, Ihm zu sagen, daß er sie nicht lieben dürfe, daß er sie nicht ansehen sollte, daß er sich stets des Umstandes zu entsinnen habe, daß sie einander nichts sein konnten, während sie doch decht gut wußte, daß sie sich alles waren? Sie wurde unrubia: sie waate aar nickt mebr. seinen Blicken zu begegnen und beantwortete seine Fragen so kurz wie nur irgend möglich. »Du bist müde", sagte er endlich. »Ich habe das Gefühl, als ob ich deine Güte mißbrauchte, indem ich auf solche Art bei dir eindrang. Aber ich vermochte meine Sehnsucht nach dir nicht länger zu beherrschen. Nun will ich gehen, weil ich weiß, daß ich nicht länger bleiben darf. Morgen früh aber komme ich wieder und begleite euch alle an die Bahn." »Gute Nacht!" sagte Kitty leise. Er küßte sie, bevor sie es hindern konnte, ja, sie ver suchte es kaum, denn sie hatte einen Entschluß gefaßt. Sie sagte sich, daß sie es nicht über sich gewinnen werde, unablässig kalt und abstoßend gegen ihn zu sein; so durfte sie seinen rechtschaffenen Bemühungen nicht als Hindernis im Wege stehen. Als der Baron am folgenden Morgen kam, um sie und die Kinder zur Eisenbahnstation abzuholen, stellte es sich heraus, daß, Kitty verschwunden war. Die Knaben waren tiefbetrübt. Weder sie noch die Dienerin wußten, wohin Frau May sich begeben haben konnte. Nur so viel hatte sie der letzteren gesagt, daß sie Deutschland verlasse. Das sagte Baron Michael alles. * q- * Es war verabredet worden, daß Kitty nach dem Aufent halt an der See in Doktor Schnees Haus zurückkehren sollte. Von dem Wunsch geleitet, nicht mehr mit Michael zusammenzutreffen, war sie daher vor diesem nach Roth burg gefahren. Bevor die Knaben wach geworden, hatte sie dieselben unter der Obhut der alten Wärteriü zurück gelassen. Doktor Schnee befand sich in einem Zustand lebhaftester Erregung, als Kitty in der Rosenvilla eintraf. Er hatte ihr Geheimnis treu bewahrt, fürchtete aber, daß es früher oder später doch noch an den Tag kommen würde. Er war darum nicht allzu überrascht, als Kitty ihm er klärte, daß ihr Gatte sie erkannt, daß sie sich ihm verraten habe. »Und was wird Baron Michael nun tun?" fragte er. Sie antwortete: „Das, was ich von ihm begehre — das, was sein muß! Meine Existenz muß verleugnet werden; ich darf nur mehr als Frau May gelten!" Er runzelte die Stirn. „Sie werden also mit dem Baron nicht mehr zusam menkommen?" suchte er sich zu vergewissern. „Nein!" antwortete sie. Der Doktor wiegte das Haupt. „Es ist ewig schade, daß die Situation sich in dieser Weise zugespitzt hat!" sagte er. „Er benahm sich tadellos und ich fing schon an, zu hoffen, daß die Baronin ihm keine weiteren Sorgen mehr machen werde. Er besuchte sie an der Riviera und hat sie hierher zurückgebracht." „Ich weiß es; denn ich war es ja, die ihm dazu riet!" „Sie taten das?" »Ja!" Der Doktor zuckte mit den Achseln. „Es kann nur Unheil daraus entstehen, wenn ein Mann gleichzeitig zwei lebende Frauen besitzt", meinte er. „Baron Michael Thurner hat nur eine lebende Frau", entgegnete Kitty ruhig und ernst, „seine erste Frau ist tot!" Der Doktor blickte mit einem Ausdruck vor sich hin, als ob er gewünscht hätte, daß dem so sein möge. * * * - Frau May lebte nun wieder ganz still und zurück gezogen im Doktorhause und ging dem Schloßherrn mit solcher Beharrlichkeit aus dem Wege, datz der Doktor sich nach und nach einigermaßen beruhigt fühlte. Der Umstand aber, daß sie von Tag zu Tag besser aus sah, erweckte die Befürchtung in ihm, daß sie nun, wo sie wieder mehr an ihr einstiges „Ich" erinnerte, von einem der Landbewohner, der sie früher gesehen, erkannt werden könnte. Jetzt, wo ihre Wangen frische Farben aufzuweisen hatten, begriff man, daß ihr Haar nur vor der Zeit ge bleicht und daß sie noch jung war. Kittys Gewissenhaftigkeit war so groß, daß sie sogar den Kindern auswich und nur, wenn dieselben zu einem offiziellen Besuch nach der Rosenvilla gebracht wurden, mit ihnen spielte, was bei den Jungens immer lauten Jubel auslöste. Eines Tages sollte eine große Fuchsjagd in der Gegend stattfinden. Kitty bat Doktor Schnee, sie als Zuschauerin zu derselben zu fahren. Er konnte ihr diese Bitte nicht gut abschlagen, wies sie aber daraus hin, daß sie möglicherweise der Baronin Thur ner dabei begegnen konnte. „Baron Michael hat zwar dem Vergnügen des Jagens längst entsagt", sagte er, „seine Gemahlin aber läßt sich keine Jagd entgehen." Dicht verschleiert fuhr Kitty mit dem Doktor zur Jagd. Wie Doktor Schnee es vorausgesehen hatte, befand die Baronin sich unter den Jagdgästen. Ueberraschenderweise nahm aber auch Baron Michael an der Jagd teil. Kittys scharfem Auge entging es nicht, daß Graf Hans Murr, der sich ebenfalls unter den Jagdgästen befand, Blicke mit Philippine wechselte, die deutlich zeigten, daß die Beziehungen zwischen den beiden noch nicht aufgehört hatten. Philippine ihrerseits ward des Arztes bald ansichtig; ehe Kitty sich dessen versah, sagte eine Stimme knapp hin ter ihr: „Wie geht es Ihnen, Frau May? Es freut mich, wahr zunehmen, daß Sie sich allem Anschein nach vollständig er holt haben! Der Aufenthalt an der See muß Wunder ge wirkt haben!" Kitty bemerkte, daß die Augen der Baronin bei diesen Worten durchdringend auf ihr ruhten, daß in ihrem Ton eine gewisse Erbitterung lag, die darauf hindcutete, daß ihr mancherlei zu Ohren gekommen sein mochte, wie Kitty das kckon bekürcktet batte. »Es geht mir viel besser, ja, ich danke!- entgegnete sie kühl. '' „Auch Michael ist Wohler", fuhr Philippine fort, »er ist in letzterer Zett sehr tätig geworden. Heute macht er fett Jahren die erste Jagd wieder mit." „Wirklich?" »Ich erzähle Ihnen wohl nur, was Sie selbst schon längst wissen!" sagte Philippine und ihr Ton hatte etwas Bissiges. »Vielleicht folgt er Ihrem Rate, indem er diese körperlichen Uebungen wieder aufnimmt." Düsteres Feuer brannte in Kittys Augen; sie begriff, daß jene die Absicht hatte, sie zu reizen; das machte sie auf alles gefaßt. „Leistete der Baron vielleicht auch Ihrem Rate Folge, als er mich sogar im südlichen Frankreich aufsuchte?" fuhr Philippine fort. Kitty schwieg einen Moment, dann sagte sie sehr leise, aber verständlich: „Wenn ich ihm einen solchen Rat erteilt haben würde: könnten Sie in Abrede stellen, daß er vernünftig gewesen wäre? Nein!" „Ach, ich weiß ja, wie gern Sie predigen!" warf Philippine hochmütig ein. „Es freut mich, daß Sie eine Seele gefunden, bei der Ihre Sucht des Predigens auf dankbaren Boden fällt. Bei mir und bei einem anderen mißglückten Ihre diesbezüglichen Versuche ja gründlich!" Auch sie hatte sehr leise gesprochen, damit der Doktor sie nicht verstand. „Was immer ich Baron Michael gesagt haben mag", gab Kitty ihr zurück, „geschah nicht in der Absicht, Un frieden zu stiften, sondern vielmehr von dem Wunsche be seelt, Sie beide glücklich zu wissen!" „Sie sind sehr gut! Das ist ja allgemein bekannt!" warf Philippine spöttisch ein. »Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn Sie sich bemühen wollen, Baron Michael zu bekehren, aber ich dächte, Sie könnten dies auch bewerk stelligen, ohne daß er seine Pflichten gegen seine Nächsten vergißt!" Mit diesen Worten wandte Philippine sich ostentati» ab. Kitty sah, wie Baron Michael auf seine Frau zu geritten kam und hastig einige Worte zu ihr sprach. Sie berührte den Arm des Arztes und flüsterte ihm zu: „Lassen Sie uns nach Hause fahren, Doktor! Ich fühle mich sehr ermüdet und wollte, ich wäre gar nicht hcr- gekommen!" Der Doktor willfahrte nur zu gern ihrem Begehr. Sie erreichten die Rosenvilla. Kitty stieg aus und ging in den Garten, während Doktor Schnee sich anschickte, seine Morgenrundfahrt bei seinen Patienten zu unternehmen. * * -i- Zu ziemlich später Nachmittagsstunde des gleichen Tages war es, als ein Reiter vor der Rosenvilla hielt, sein Pferd an einen Baum band, durch den Garten auf das Haus zukam und nach Frau May fragte. „Es ist Graf Murr", meldete die Dienerin, als sie Kitty die Botschaft überbrachte. Kitty begab sich in das Wohnzimmer, in dem es zu dieser vorgerückten Nachmittagsstunde des Monats Oktober schon stark dunkelte, so daß sie einander kaum sehen konnten. „Ich würde gewiß nicht mehr gestört haben", begann der junge Graf, »wenn eine wichtige Angelegenheit mich nicht dazu nötigte. Es wurde mir gesagt, Frau May, daß Sie bedeutenden Einfluß auf Baron Michael besitzen " »Ich?* »Es ist dies ja nur natürlich, wenn man bedenkt, was Sie für ihn getan, indem Sie das Leben seiner Kinder retteten. Ich möchte nun, daß Sie ihn in meinem Ramen bitten,-daß er die Verfolgungen einstellt, denen die Baronin Thurner meinetwegen ausgesetzt ist." »Ich glaube nicht, Herr Graf, daß ich mich dieser Bot schaft entledigen kann. Wenn Sie dem Baron irgendeine Mitteilung zu machen haben, warum tun Sie es nicht selbst?" »Weil er mich gar nicht anhören würde! Sie haben wohl gehört, daß er mich in Monte Carlo mittels Drohungen'veranlaßte, aus Rücksicht für die Baronin den Ort in aller Eile zu verlassen?" „Wenn ich daran denke, was ich an jenem Tage im Walde zufällig miterlebte, kann ich nicht umhin, zu glau ben, daß der Baron seine Frau mit Recht scharf bewacht und mit Ihnen nichts zu tun haben will." „Eben weil Sie Zeugin jenes Erlebnisses waren und so vielerlei wissen, bin ich zu Ihnen gekommen", entgeg nete der junge Mann einfach. „Was Sie damals sagten» verfehlte nicht, tiefen Eindruck auf mich zu machen. Natür lich sah ich mich gezwungen, die Baronin und mich selbst zu verteidigen, aber ich schämte mich schon damals meiner selbst. Das haben Sie allein zuwege gebracht." Er sah so ernst, so rechtschaffen aus, datz Kitty sich ge rührt fühlte, aber trotzdem eine gewisse Vorsicht walten lietz. So forschte sie weiter: „Weshalb sind Sie denn zusammen mit der Baronin in Monte Carlo gewesen? Wollen Sie mich glauben machen, daß eS sich aus Zufall so sügte?" Er blickte vor sich hin. „Nein, daS war es nicht", antwortete er. „Mißverstehen- Sie n2ch aber nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich ver» pflichtet bin, Uber den Grund meines Dortseins zu schwei gen. Ich würde Monte Carlo gern gemieden haben, wenn ich nicht durch mein Ehrgefühl dazu gezwungen gewesen wäre, hinzufahren." „Durch Ihr Ehrgefühl?" wiederholte Kitty leise. „Ja, mein Ehrenwort nötigte mich dazu! Ich hatte versprochen, hinzukommen und mußte mein einmal ge gebenes Wort halten! Ich möchte Ihnen aber die Ver sicherung geben, Frau May, daß zwischen mir und der, Baronin nie mehr als eben nur eine flüchtige TändeleN bestanden bat!" «ortsetzuna fol»