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24. Follsehung „Na ja—a! Macht sich schon," sagte er leichthin. „Nee, wissen Sie, davon ließ ich mein« Finger. Da sitzt man plötzlich mit so'n Kerl drän, man weiZ nicht, wie. Und dann — allein —"nee lockt mich nicht." „Aber michk" Sidonie war der Unterhaltung mit Spannung «esvlgt. „Nimm mich mit, Felix! Ich möcht für mein Leben gern. Tu'S! Ja?" Die Herren sahen sich etwas betroffen an. ES war ja allerdings eine private Sache, von einem Klub ausgehend — — aber immerhin — Sidonie begriff ihr Zögern richtig. Eine Blut- Welle ergoß sich über ihr sehr blasses Gesicht „Willst du, Felix?" drängte sie. Er lachte leichtherzig. „Man sachte, Schönste, Wollen mal sehen, was sich machen läßt. Nein, nein," wehrte er ab, „so über'n Kops wegnehmen laß ich mir die Bewilligung nicht. I den Deubel! Dich mit! Pas- Wert was mit dem Auto, hab ich die ganze Künstler. Herde aus dem Halse. „Was meinst du, Eberhard?" „Daß Fräulein Feuren das selber wissen mutz." „Weitz sie auch — Herr Hofsner," gab sie spöttisch zurück. Sie kam um die Tafel herum nahe zu ihm, dengle sich über ihn. „Und wenn i ch nun mitführe — Atü» es passierte wirklich was, was schadete das? Sie brauchen mich ja nicht mehr —" Ein unnatürliches Feuer strahte aus ihren Augen zu ihm nieder. Er sah hinein in diese dunklen Sterne, an deren Glanz der Künstler in ihm sich berauschte, aus denen er sich Idee und Zuversicht geschöpft — mehr denn einmal. Immer hatte sie ihn verstanden, immer war sie ihm gefolgt — im voraus Wunsch und Willen be greifend. Und auch heute las sie ihm die Gedanken aus der Seele - „Sie brauchen mich ja nicht mehr — Wie schwere, heihe Tropfen fielen die Worte auf fein Herz. „Wer hat dir das gesagt, Sidonie?" Zum ersten- »al nannte er sie du. „Du!" Sie antwortete ebenso leise wie er gefragt. Gleich ihm das Sie vergessend, fügte sie nach einer Pause bitter hinzu: „O, dein Gesicht war sehr lesbar." Sein Blick ward schmerzlich. Wieviel Abschted- »ehmendes in ihm lag, ahnte er nicht Sie aber spürte es und begriff, datz in diesen Stunden das beste, was sie aneinander gehabt, zerstört worden war. Und nie war er ihr begehrenswerter erschienen - als in den Augenblicken, da ihre Macht als Weib ver sagte. „Mutzte dies sein?" fragte Eberhard mit einer Kopfbewegung nach der lachenden, zechenden Taserunde. Sie zuckte auf. Das zynische naschte um ihre Lippen. „Das ist mein Leben so —" „Warum muhte ich dabet sein?" Sie strich die schwere, dunkle Haarwelle aus der Stirn: „Ja, warum? Nenn's ein Experiment — oder wie du willst — meinetwegen eine Laune! Schön« Frauen haben alle Launen, nicht wahr — ? Ja — warum solltest du's nicht wissen? — ES war doch immer so —" Sie hatte abgebrochen, wie aus einem Traum herausgesprochen — nun lachte sie plötzlich laut und übermütig aus. „Hat Felix dir nicht erzählt? Das ist wirklich rührend diskret." In einer Sekunde war sie verwandelt. Sie zog ihn näher zum Lisch. „Komm, tu mir Bescheid! Worauf? Ja — woraus? Auf — das — Vergessen? Ja! Jal Stotz an! — Das Vergessen soll leben! Vergessen, was wir waren! Vergessen, was wir sind! Und vergessen — was sein wird —" Sie trank mit geschlossenen Augen bis zum letzten Tropfen Totenblaß setzte sie das Glas nieder — „Ach — schal! Wer weiß einen besseren Trink spruch? Ein Königreich für einen Trinkspruch! —" Jubel erhob sich: Laute Witze, «in Savall von Worten in Vers und Prosa — und mitten dazwischen, stehend, in ihrem purpurroten Kleid, die funkelnd« Schale emporgehoben zum lachenden Mund — der übermütigsten eine — Sidonie Da hielt es Eberhard nicht mehr aus. Hastig nahm er draußen seine Sachen, vergaß, Betty, die wie ein Kätzchen angeschlichen kam, das Trinkgeld zu geben, l und rannte die Treppen hinunter. Hätte er noch länger dies Lachen, GläserNrrren, diese bald abgeschmackten, bald paradoxen Witzeleien hören müssen, seine Nerven wären gerissen. i Während er eilig durch die Straßen lief, sich hastig ' an den Menschen vorbeidrückte, fragte er sich selbst staunend: „Herrgott, steh ich denn so fremd dem Leben gegenüber? Und am fremdesten vor meinem eigenen? Ist denn nichts in mir vom sogenannten Künstlerblut, das sich so vieles erlauben darf, dem man so vieles verzeiht? Wird das immer so bleiben? Werde ich mich nie zurechtfinden auf Wegen, wo Lachen und Uebermut uns begleiten? Oder verschiebe ich das alles nur unbewußt, bis ich Gewißheit habe, ob mir das Gnadengeschenk, die Künstlerschaft — die wirkliche, hohe, heilige, ver- liehen ist?" Eiliger lief er vorwärts, neben allem Grübeln plötzlich von unbezwinglicher Sehnsucht nach seiner stillen Klause gepackt, die den Inhalt seines ganzen Lebens barg. Seine Hände flogen, als er die Tür aMchlotz —, hastig machte er Licht — ohne sich weiter umzusehen, trat er vor den hohen, verhülÜen Gegenstand im Zimmer. Ein paar eilige Grtsfe entfernten die nassen Tücher — und nun stand sie da, überstrahlt vom Licht einer riesigen Lampe am Deckenbalken — die Statue, zu der Sidonie Feuren die prangende Schönheit ihres Kör pers geliehen — fertig — bis auf das Antlitz —. Eine Frauengestalt von erhabener Vollendung. Leichtes, gegürtetes Gewand rieselte wie Schleier über die wundervollen, in feierlicher Ruhe verharren den Glieder. Die Hände waren ein wenig ausgestreckt mit einer ergreifenden Gebärde der Hoheit und des Trostes. Und Eberhard stand und starrte, und plötzlich hob er die Arme empor und sprach laut zu seinem Werk: „Frau Welt! Werde! O werde!" Und alles, was das Wort Welt für ihn bedeutete, — den vollen Inbegriff, den wiederzugebcn er jahre lang in Kampf und Sehnen gerungen — das zog in dieser Nachtstunde abermals durch seine Seele. Er sah sie vom Kerker erzwungener Entsagung aus als unwiderstehliche Lockerin zur Arbeit, zur Kunst, zum Schönen und zur Frauenliebe So blieb sie ihm lange. Dann trat sie vor ihn als bacchantische Spenderin schaler Freuden, des Taumels, des Genusses — eine Töterin reiner Kunst. So erblickte er sie vor Stunden — mrd als er begriff, floh er sie. Nicht so lebte sie in ihm. Jenes Antlitz durfte sie nicht tragen — wenn seine Hände sich nicht an seinem Heiligsten versündigen wollten. Und er stand und starrte mit wett offenen Augen und sah doch nichts von Außendingen — sah nur, was jetzt vor seinen Seelenaugen heraufzog — leuchtend klar — sieghaft —. Die Allwissende, Allesverstehende, lächelnd Verzeihende — die über allem thronende Ver körperung des rein Natürlichen und deshalb so zwei- ellos Idealen, daß beide untrennbar in edelster Mischung verschmelzen — Frau Welt! Ein Lächeln .n den weit offenen, weit hinausgerichteten Augen,, rin Wissen aus der Stirn — ein Verzeihen aus dem Lippen! Seine Welt! Seine Brust atmete tief. Sein Angesicht strahlte in seliger Freude das Licht seines Erkennens wieder: ..Erdmute —! Du bist es!" — — — — —