Volltext Seite (XML)
BRIEF SMETANAS VOM 12. APRIL 1878 AUS JABKENICE AN JOSEF SRB-DEBRNOV IN PRAG Was den Stil meines Quartetts betrifft, über lasse ich seine Beurteilung gerne den anderen und bin nicht im mindesten gekränkt, wenn dieser Stil keinen Anklang findet, weil er von dem bisherigen üblichen Stil abweicht. Es war nicht meine Absicht, ein Quartett nach dem be stehenden Rezept und nach dem bestehenden Usus zu schreiben. Die gebräuchlichen Formen habe ich schon als junger Lehrling in der Mu siktheorie so gründlich verarbeitet, daß sie mir vollständig geläufig sind und ich sie zur Ge nüge beherrsche. Bei mir ergibt sich die Form jeder Komposition naturgemäß aus dem Ge genstand selbst. Auch dieses Quartett hat sich selbst die Form gegeben, die es hat. Was ich beabsichtigte, war, den Verlauf meines Lebens in Tönen zu schildern. I. Satz: Hang zur Kunst in meiner Jugend, romantische Stimmung, un aussprechliche Sehnsucht nach etwas, was ich nicht in Worten ausdrücken und mir gar nicht in bestimmter Gestalt vorstellen konnte; aber gleichzeitig meldete sich schon in diesem Be ginn die Warnung vor dem Schicksal, das mir bevorstand, und der lang anhaltende Ton aus dem Finale. Er enthält jenes schicksalschwere Pfeifen in den höchsten Tönen, das im Jahre 1874 in meinen Ohren entstand und meine be ginnende Taubheit anmeldete. Dieses kleine Spiel erlaubte ich mir deshalb, weil darin mein Schicksal verborgen liegt. Der II. Satz: Quasi-Polka führt mich in der Er innerung in das heitere Leben meiner Jugend zeit, in der ich meine Umwelt mit Tanzstücken überschüttete, selbst als leidenschaftlicher Tän zer bekannt war. Der dritte Satz: Largo sostenuto, erinnert mich an das Glück der ersten Liebe zu dem jungen Mädchen, das später meine treue Gattin wurde. Der vierte Satz: Die Erkenntnis der elementa ren Kraft, die in der nationalen Musik ruht, und die Freude an den Ergebnissen des schrittenen Weges bis zu jenem Augenb^JP da sein weiterer Verlauf durch die ominöse Katastrophe jäh unterbrochen wurde: Beginn der Taubheit, Ausblick in eine freudlose Zu kunft, ein kleiner Hoffnungsstrahl, daß doch noch eine Wendung zum Guten eintreten wird, aber, den Erinnerungen an die ersten Etappen meiner Lebensbahn gegenübergestellt, weicht diese Stimmung einem schmerzlichen Gefühl. Das ist ungefähr der Inhalt dieser Komposition, die, sozusagen, einen privaten Charakter hat und deshalb absichtlich nur für vier Instrumente geschrieben wurde. Diese sollen sich gleichsam in engem Freundeskreise gegenseitig mittei len, was mich so bedeutsam bedrückt und quält. Nichts mehr. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 26. Januar 1985, 19.00 Uhr (Anrecht D) Blockhaus 5. KAMMERKONZERT Ausführende: Mitglieder der Dresdner Philharmonie Werke alter Meister sowie von Friedhelm Rentzsch, Vik tor Bruns, Domenico Dragonetti und Zoltan Kodaly Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Prof: Dr. habil. Dieter Hartwig Spielzeit 1984'85 — Chefdirigent: Prof Herbert Kegel Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 JtG 77-84 EVP -10 M