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Beilage zur Weiheriy-Zeitung Nr. 49 Donnerstag am 27. Februar 1K30 96. Jahrgang Chronik des Tages. — NeichSaußemnunstcr Dr. Curtius ist leicht erkrankt und »mH das Zimmer hüten. — Das Neichskabinett tritt am heutigen Donners tag zur Entscheidung der Mnanzfragen und zur Be schlußfassung über die eventuelle Einführung einer Bcnzin- steuer zusammen. — Das Linienschiff „Hannover" wurde zum dritten Male in Dienst gestellt: außer Dienst gestellt wurde das älteste Linienschiff der Reichsmarine, die „Elsaß". — Am 2. März werden es fünf Jahre, daß Deutsch land und Polen im Zollkrieg leben. — Der frühere französische Ministerpräsident Tardieu hat dem Staatspräsidenten die Beauftragung Poincarss mit der Kabinettsneubildung empfohlen. — Die „Europa" hat auf ihren Meilenfahrten bei einer Windstärke von 9. bis 10 in jeder Hinsicht ihre her vorragenden See-Eigenschaften bewiesen. — Die vor vier Jahren zur Pflege der Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika gebildete „Vereinigung Carl Schurz" hat ihr Vorstandsmitglied, Dr. Phil. h. c. Hans Draeger, mit der Führung der Geschäfte beauftragt. — In der Mordsache Bauer in Magdeburg habe« sich schwere Verdachtsmomente gegen den Privatdetektiv Peters ergeben. Frau Bauer ist aus der Haft entlassen worden. — Das Urteil gegen den Grafen Christian zu Stol berg-Wernigerode ist rechtskräftig geworden. — In Budapest ist das Bureau der „Ufa" beraubt worden. Die Maschinen wurden zerstört und rund 6000 Pengö entwendet. Aktive Kolonialpolitik! Das Ausland erwartet eine koloniale Aktion Deutschlands. Die Deutsche Kolonialgesellschaft veröffent licht folgende Ausführungen über die Notwendig keit einer aktiven Kolonialpolitik Deutschlands: Die führende französische Kolonialzeitung „La Dö- peche Coloniale" kündigt mit der Annahme des neuen Reparationsplanes die Anmeldung der kolonialen An sprüche Deutschlands an. Die Erste Kammer der Nie derlande empfiehlt bereits der holländischen Regie rung und den neutralen Ländern eine Unterstützung der deutschen kolonialen Mandatsansprüche. Das Aus- Zgnd hält es eben für ganz selbstverständlich, datz Deutschland in dein Augenblicke, in dem es sich ent schließt, Leistungsverpflichtungen auf sich zu nehmen, denen es mit seinen gegenwärtigen Wirtschaftsmitteln awf die Dauer nicht gerecht werden kann, einen neuen Plan aufstellt, der eine Erweiterung der ge samten Wirtschaftsbasis und nicht nur den Versuch einer Konsolidierung der gegenwärtigen längst al- unzureichend erkannten vorsieht. Das war ja auch der Grundgedanke, der in dem sogenannten kolonialen Gutachten der deutschen Sach verständigen auf der Pariser Reparationskonferenz zum Ausdruck kam. Was in Paris von Dr. Schacht, Bögler, Geheimrat Kastl und Dr. Melchior aus rein wirtschaftlichen Erwägungen als die Voraussetzung für die Erfüllbarkeit jeglichen Reparationsplanes gefor dert wurde: „die Schaffung einer eigenen überseeischen Roh- stoffbasis, die Deutschland mit eigenen Pro duktionsmitteln, mit eigener Währung und un ter eigener Verantwortung entwickeln und aus- bauen kann", später von Dr. Schacht eingehender begründet morden. In einer Rede aus der Tagung des In dustrie- und Handelstages in München erklärte Dr. Mhacht u. a.: „Nicht um imperialistische Ziele handelt eS sich hier, sondern um die einfachste wirtschaftliche Notwendigkeit, ein Volk von 65 Millionen Menschen am Leben zu erhalten dadurch, daß seine Industrie aus dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleibt. Es liegt im eigensten Interesse der Lebensmöglichkeit der deut sche« Arbeiterschaft, daß wir für Erze, Metalle, Oele, »ette, Holz und Gummi nicht anderen Nationen die Gestehungskosten plus Unternehmergewinn zahlen müs se«. Die Frage nach dem Erwerb überseeischer Rohstoffquellen wird daher für die deutsche In dustrie nicht zur Ruhe kommen." Dieser Erklärung schloß sich auf der Tagung des Reichsverbandes der deutschen Industrie in Düssel dorf Geheimrat Kastl an, der im Rahmen seiner Aus führungen über die internationale Wirtschaft u. a. sagte: „Selbstverständlich ist Deutschland gegenüber den europäischen Ländern, die eigenen Kolonialbesitz haben oder unsere ehemaligen Kolonien als Mandatarstaaten verwalten, in einem bedeutenden Nachteil. Wir kön ne» und werden den Anspruch auf aktive Wieder, beteilig ung an der kolonialen Entwick lung und der überseeischen Rohstoffgewinnung nicht ausgeben." Dieser damals als ernste Mahnung der deutschen Wirtschaftssachverständigen an das Inland wie an das Ausland gerichtete Appell hat zwar England auf horchen lassen und es bereit gemacht, in gelegentlichen Versuchsballonen uns eine Aeußerung über den Um fang uns.rer kolonialen Ansprüche zu entlocken, das Inland hat aber weder die Worte der deutschen Wirt schaftssachverständigen gehört, noch auf die Fühler «reagiert, die von jenseits des Kanals ausgestreckt wurden. Das wäre einigermaßen verständlich gewesen, wenn die Reichsrcgierung die wirtschaftlichen Argumente der deutschen Sachverständigen als nicht stichhaltig abge- iehnt hätte. Das Gegenteil ist der Fall! In der kolonialen Reichstagsdebatte vom 24. Juni 1929 hat Retchsaußenminister Dr. Stresemann ausdrücklich erklärt, die Reichsregierung halte an ihrem Memoran dum vom Dezember 1924 fest, in dem sie den Völker bundsmächten gegenüber die Erwartuna aussprach, daß Deutschland zur gegebenen Zeit am Mandatsshstem aktiv beteiligt werde. Man sollte meinen, daß hierin für die deutsche Politik die Verpflichtung enthalten ist, sich ernstlich mit dem kolonialen Problem in dem Augenblicke zu beschäftigen, in dem die Regierungsparteien entschlossen scheinen, den neuen Zahlungsplan anzunehmen. Außen minister Dr. Stresemann hat zur Zeit der ersten Haa ger Konferenz in mündlichen Besprechungen mit den Führern der deutschen Kolonialbewegung die Aus rollung der kolonialen Frage für den Augen blick angekündigt, in dem er das Haager Vertragswerk unter Dach gebracht habe. Nachdem es nunmehr in einer gegenüber den ursprünglichen Befürchtungen noch verschlechterten Fassung vorliegt, ist es doppelte Pflicht vor endgültiger Entscheidung auf das Gutachten der deutschen Sachverständigen zurückzugreifen und dem neuen Zahlungsplan, wenn anders seine Annahme überhaupt vor Gegenwart und Zukunft verantwortet werden kann, in einem neuen Wirtschaftsplan diejenige breite volkswirtschaftliche Untermauerung zu geben, die auf Generationen hinaus stark genug ist, die Last zu tragen, die unserer schwachen Wirtschaft von heute nicht zugemutet werden kann. Allgemeine Benzinsteuer? Zusammentritt ves Reichskabinetts. — Beratung -er Deckungsvorlageu. — Kein Notopfer. ' — Berlin, 27. Februar. Unter dem Vorsitz -es Reichskanzlers tritt -aS Reichs! adinett am heutigen Donnerstag zu einer Sitzung zusammen, in -er über die von dem Reichs- Minister der Finanzen, Prof. Dr. Moldenhauer, ein- gereichteu Deckungsvorlagen zum Ausgleich -eS Reichs haushaltsplans entschiede» werden soll. Amtliche Mit- ! teilungen über die Einzelheiten -er Deckungsvorlagen sollen erst nach Abschluß -er Beratungen gemacht wer den. Es verlautet jedoch schon jetzt, -aß der Gedanke eines Notopfers der Festbesoldete» oder der einer Ein kommensteuererhöhung für bestimmte Gruppen endgül tig fallen gelassen worden ist und statt dessen die Einführung einer allgemeinen venzinsteuer erfolgen soll, Nach der Zustimmung des Reichskabinetts zu den neuen Deckungsvorlagen müssen diese Reichstag und Reichsrat zur Verabschiedung zugeleitet werden. Ob es gelingen wird, die Fraktionen für die KabtnettSbe- , schlösse zu gewinnen, steht im Augenblick noch dahin. > Eine Ablehnung der Regierungsvorschläge — deren . endgültige Fassung noch aussteht — dürfte zum Rück- i tritt der Reichsregierung führen. j Was das Ausmaß der Benzinsteuer betrifft, sprechen Gerüchte von der Erhebung von sechs Psenni- gen pro Liter Benzin. In wirtschaftlichen Kreisen sieht man darin eine Verteuerung des Benzins um 20 v. H. und bezeichnet deshalb die Einführung einer Benzinsteuer ohne gleichzeitigen Umbau der Kraft fahrzeugsteuer als untragbar. Aber auch wenn die Reichsregierung dem Verlangen nach einer Reform der Antomobilsteuer, bei der die bisherige Kraft fahrzeugsteuer ganz oder teilweise in eine Benzin- steuer umzuwandeln wäre, Rechnung tragen sollte, wird es doch entschlossener Führung der Regierung bedürfen, wenn sich das Kabinett mit den Parteien verständigen wiN. * Boungplan-Entscherdung erst am 10. März Der Aeltestenrat des Reichstags legte den Ge- schästsplan des Parlaments für die nächsten Wochen fest. Danach werden am heutigen Donnerstag das Mi nisterpensionsgesetz und einige kleinere Vorlagen be raten. Am Freitag steht der Nachtragshaushalt in erster Lesung auf der Tagesordnung. Vom Sonnabend bis Mittwoch finden keine Plenarsitzungen statt. Don nerstag nächster Woche soll dann die zweite und gleich zeitig die dritte Lesung der Uounggesetze beginnen, für die drei oder vier Tage angesetzt werden sollen. Die Schlußabstimmnng über -aS Haager «er- tragswerk ist danach nicht vor Montag, -en 1V. Mürz, zu erwarten. Lehrerkündigungen zurückaezoaeu. Zu der geplanten Entlassung reichsdeutscher Leh rer aus dem memelländischen Schuldienst wird halb amtlich mitgeteilt: Die litauische Regierung hat erklärt, sie wolle sich genau an die mit Deutschlan- getroffene Abrede halten, datz keinem der im Memelgebiet befindliche» Lehrer wegen seiner Staatsangehörigkeit ei» Nachteil erwachsen solle, bis die Rechtslage der reichsdeutschen Lehrer überhaupt ihre Regelung gefnnden habe. Somit ist das Schreibe» des Landcspräsidenten Kadgiehn an die elf Lehrer, in dem er ihnen auf Veranlassung des Gouverneurs wegen ihrer Reichszugehörigkeit Kün digung und Ausweisung angedroht hatte, gegenstands los geworden. Der Präsident des DirektorinmS des MemelgebieteS ist von der Zentralregierung in Kowno ermächtigt worden, die elf Lehrer entsprechend zu «n- ! terrichten. > ' * : Die „Deutsche Rundschau" in Bromberg berichtete i kürzlich von Fällen, in denen die Polen entgegen den ' Abmachungen vom Wiederkaufsrecht Gebrauch gemacht haben. Aus deutsche Proteste hin hat jetzt das polnische Außenministerium sein Bedauern ausgesprochen und - die Zurücknahme der kritisierten Anordnungen ver- ! anlaßt. Wie ILeichsyausyaltsordnung. — Berlin, den 26. Februar 1930. Auf der heutigen Tagesordnung des Reichstags stand die zweite Beratung der Novelle zur Reichshaushaltsordnung, deren Bestimmungen wesentlich verschärft werden, um eine größere Sparsamkeit in der Reichsverwaltung durchzuführen. Insbesondere wird die Stellung des Jinanzministers verstärkt. Die Sozialdemokraten be antragen in einer Entschließung alle gutachtlichen Aeußerungen des ReichSsparkommissarS mit der Stel lungnahme der Reichsregierung dem Reichstag und Reichsrat zuzuleiten. Reichsfinanzminifter Dr. Moldenhauer erklärte sich mit den AuSschußbeschlüssen einverstanden. Im Ausschuß seien auch Anträge erörtert worden, die ge wisse Sicherungen gegen die ÄuSgabefreudigkeit von Re gierung und Parlament zum Ziele hatten. Die Entwtck- luna werde dazu drängen, daß diese Fragen weiter ver folgt werden. Heute bitte er von einer Vertiefung dieser Dinge Abstand zu nehmen, damit die dringend notwendige Verabschiedung der vorliegenden Novelle nicht verzögert werde. Die sozialdemokratische Entschließung bat der Mi nister abzulehnen. Abg. Heimann (Soz.) bezeichnete es als ein Ver dienst der Sozialdemokraten, wenn der Prüfung der Reichs ausgaben durch den Rechnungshof heute eine größere Be deutung beigemessen werde als früher. Seine Partei lehne es ab, den Reichssparkommissar zu einer obersten Reichs behörde zu machen. Abg. Hergt (Dntl.) erklärte, mit der vorliegenden Novelle könne man keine Ordnung im ReichshauHalt schaffen. Dem heutigen System fehle der Wille zur Ord nung. Die Abhängigkeit von der Masse müsse zu über triebener Bewilligungsfreudigkett und finanzieller Unord nung führen. Abg. Dr. Schreiber (Ztr^ wies darauf hin, datz die Haushaltsordnung eine formalrechtltche Schöpfung sei, hinter der die richtige Politische WMenLildung Men müsse, »m das Ziel damit erreichen zu können. Mit der Vor lage lege der Reistag das Schwergewicht der Macht kt die Hände des Finanzmintsters, der nur davon Ge brauch zu mache« brauche. Abg. Dr. «remer (D. BP.) erklärte, durch all« Kreise des Volkes gehe eine starke Kritik an der Haushalts- rebarung der letzten Jahre. SS müsse ei« Besetz ge- stbaffen^werden, das Sicherheiten für eine sparsame Wirt- Abg. Dr. Bredt (Wirtschpt.) betonte, datz das An sehen des Reichstags im Volke stark gesunken sei wegen seiner Unfähigkeit, die Finanzen in Ordnung zu bringen. Wir hätten eine Krise des Parlamentarismus. Abg. Bernhard (Dem.) verteidigte den Reichstag ge gen die an ihm geübte Kritik. Die Vorlage wurde darauf in 2. und 3. Lesung ange nommen. Der Antrag der WtrtschaftSpartei auf Vorlegung der Finanzkontrolle wurde abgelehnt, die sozialdemokratische Entschließung dem Ausschuß überwiesen. Das Gesetz überdie Einstellung von Hilfsrich tern beim Reichsgericht wurde in allen drei Lesungen angenommen. Morgen: Ministerpensionsgesetz. vreue Verschlechterung am Arbettsmarkt. Nach dem Bericht der Reichsanstalt für Arbeits vermittlung und Arbeitslosenversicherung ist auch in der letzten Berichtswoche — 17. bis 22. Februar — eine Entspannung am Arbeitsmarkt nicht eingetreten. Die Zahl der Hauptunterstützungsempfänger ist weiter «gestiegen. Mit rund 2 340 000 ist die Kurve de« Hauptunterstützungsempfänger in der Arbeitslosenver sicherung — abgesehen von den Empfängern von Kri sen- und Wohlfahrtsunterstützung sowie den nicht unter stützten Arbeitslosen — nochmals um etwa 50 000 gegenüber der vorigen Bertchtswoche angestiegen. Ein deutliches Kennzeichen der gedrückten Wirtschaftslage ist die ungewöhnlich hohe Zahl von Entlassungen aus häuslichen Diensten, die aus einzelnen Bezirken (Schle sien) gemeldet wird. Kritik an England. Die Liaui-atiouSfrage» im Ausschuß. Im Mittelpunkt der Aussprache der Uoung-AuS- schüsse stand am Mittwoch das LiquidattonSabkommen mit England, das allseitig heftig kritisiert wurde. Ministerialrat Fuchs vom Reichsfinanzministerium wies darauf hin, daß auch bet der Reichsregierung die Haltung Englands große Enttäuschung hervor- gerufen habe. Trotz der schweren Bedenken habe die Reichsregierung aber dem Abkommen -"qestiMMt, da sonst die Liquidationen weitergeführt würden. Im weiteren Verlauf der Aussprache verlangten die Deutschnattonalen eine schriftliche Ueberficht über den Gesamtumfang der Liquidattonen deutschen Eigen tums in allen in Betracht kommenden Ländern. Wei ter wurde erneut die Anhörung der deutschen Sachver ständigen beantragt. Dieser Antrag wurde vom Aus schuß abgelehnt. Die weitere Aussprache über das deutsch-englische Abkommen wurde vertraulich zu Ende geführt. Dann vertagte sich der Ausschuß aus Don nerstag. Indienststellung der,Hannover'. Zum dritte» Male.' — Linienschiff „Elsaß" außer Dienst gestellt. — Wilhelmshaven, 27. Februar. Im Ausrüstungshafen der Marinewerft wurde das Linienschiff „Hannover" nach Abschluß der Er neuerungsarbeiten zum dritten Male in Dienst ge stellt, wogegen die „Elsaß", das älteste Linienschiff der deutschen Marine, außer Dienst gestellt wurde. Die