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Der Abschied von ^ismarck Zum 4«. Jahrestan des Rücktritts des Altreichskanzlers. Der März des Jahres 1890 war für Deutsch land ein Monat schicksalsschwerer Entscheidungen. Nach !28jährigcr Tätigkeit an der Spitze der preußischen Ne- tzierung und später am Steuer des Reichsschiffes reichte Mrst von Bismarck am 18. März sein Entlas sungsgesuch ein, um dann, nachdem am 20. sein Gesuch formell genehmigt worden war, Berlin am !29. März für immer zu verlassen, überhäuft mit Kroßen Ehrungen zwar, aber doch auch mit tiefem Groll im Herzen. In den eingeweihten Kreisen waren damals schon seit Monaten Gerüchte über tiefe Meinungsverschieden heiten zwischen Kaiser und Altreichskanzler rm Um lauf. In den breiten Massen des deutschen Volkes wußte man davon jedoch nichts, und so war man hier bei dem Bekanntwerden des Rücktritts überrascht Und erschreckt, wie jene Kommandierenden Generale, denen der Kaiser am Abend des 18. März Bismarcks Entlassung mitgeteilt hatte und von denen sich nach der Mitteilung des Kaisers auch nicht einer zum Worte meldete. Die Volksstimmung kam zum Ausdruck darin, daß die Berliner in dichten Scharen iü die Wilhelmstraße zogen, wo sie Bismarck zu sehen begehrten und Rufe wie: „Bismarck bleibe bei uns!" ausstießen. Der offizielle Slnlaß zum Rücktritt war die Wei gerung Bismarcks, dem Verlangen des Kaisers nach Aufhebung einer alten Kabinettsverfügung Folge zu geben, nach der die Minister nur mit Wissen des Kanzlers dem Herrscher Vortrag halten durften. Doch das war nur ein äußerlicher Anlaß, wie ja auch nach der Entlassung Bismarcks niemand mehr von der Aufhebung der vergilbten Verfügung sprach. Ent scheidend war, daß der junge Kaiser, einst ein Be wunderer Bismarcks, der sich „stückweise Glied um Glied für Bismarck abhauen^ lassen wollte, andere Wege für notwendig hielt als die, die Bismarck be- treM wollte, während in Bismarck der Verdacht er- wefft wurde, Wilhelm II. wolle sein eigener Kanzler Ein solcher Kampf -Wischen Men und Jungen ist an sich ein Drnmaug, der sich saft in jeder Gene- rativn wiederholte so daß man versucht sein könnte, an das Walten eines Naturgesetzes zu glauben. Ties bedauerlich ist aber die schroHe und verletzende Form, in der sich der Abschied von Bismarck voll zog. Die Taktik, BiSmarck den Dienst zu verleiden, war verfehlt, ehie Entgleisung war eS, daß Bismarcks Nachfolger von der Dtmstwohnuna des Altreichskanz lers teioveise Besitz nachm, noch ehe Bismarck offiziell verabschiedet worden war, und in politischer Hinsicht war es katastrophal, daß Bismarck mit seiner Verab schiedung für das amtliche Deutschland tot war. Nie mals wieder hat man Bismarck seit 1890 um Rat gefragt, weder direkt noch indirekt! Und dabei war Bismarck der Mann, der Deutsch land aus schlimmer Zerrissenheit heraus geeinigt, der Deutschland innerhalb kurzer Zeit eine geachtete Stel lung in der Welt verschafft hatte. Nun hat zwar in der Zeit vom 8. Oktober 1862 bis zum März 1890 fast jede Partei schon über diese oder jene Frage heftige Kämpfe mit Bismarck geführt, wie in der Po litik ja überhaupt nicht immer nur ein Weg zum Heil führen mag, doch hatte man immer bei allen Meinungsverschiedenheiten sich bewußt sein müssen, daß Bismarck, alles in allem, ein Staatsmann "war, wie er dem deutschen Volke leider nicht jederzeit zur Ver fügung stehen wird. Eine — allerdings verhängnisvolle — Laune des Zufalls wollte es, daß wenige Stunden vor der Einreichung des Entlassungsgesuchs sich der in der Nacht aus Petersburg eingetroffenc Botschafter Graf Paul Schuwalow bei Bismarck meldete, mit der Erklärung, er sei ermächtigt, in Verhandlungen über die Verlängerung des im Juni 1890 ablaufenden Nück- oersicherungsvertrags einzutrcten, der Deutschland für den Fall, daß wir von Frankreich angegriffen würden, die Neutralität Rußlands sicherte, und daß diese Ver handlungen sich nach dem Ausscheiden Bismarcks zer schlugen! Freilich ist mit Hypothesen in der Politik nichts anzufangen. Nicht zu vergessen ist ferner, daß Ruß land auch 1890 schon Deutschland gegenüber vielfach recht feindlich gesinnt war, weil sich in den Köpfen der führenden Russen der Gedanke eingcnistet hatte, der Weg nach Konstantinopel führe durch das Branden burger Tor. Rückblickend auf die Verabschiedung des Altreichs kanzlers muß man heute feststellen, daß dem Deutschen Reiche in seiner Weltpolitik im neuen Jahrhundert doch häufig die feste und sichere Hand des Schmiedes der deutschen Einheit gefehlt hat. So sind die Ringe, die Eduard VII. und seine Parteigänger — entschlos sen, Deutschlands Macht zu brechen und seine Wirt schaftskraft zu zerstören — um Deutschland legten, im mer fester geworden. Als dann 1914 das deutsche Heer mit beispiellosen Heldentaten Deutschlands Frei heit verteidigte, hat doch das Schwert nicht wieder gutmachen können, was vorher die Politik verdorben hatte. Wie sehr aber Bismarcks Wort, daß ein deutsch- russischer Krieg den wahren Interessen beider Länder nicht entspricht, berechtigt war, das hat der Verlauf des großen Krieges gezeigt, in dem dem zaristischen Rußland sein Bund mit den Westmächten und seine Hetze zum Kriege zum Fluch wurde. Uns aber sei der 40. Jahrestag des Abschieds von BiSmarck ein Tag, an dem wir unsere Blicke znrücklenken zu Bismarck, der uns auch heute noch » unserm Kampf für die deutsche Freiheit und Ein heit ein ernster Mahner ist, der Gehör erheischt und verdient. unter Trümmern begraben. Schwere Gasexplosion in Budapest. In Budapest waren in einer Wohnung in der Prater-Gasse vier Arbeiter der städtischen Gaswerke damit beschäftigt, die Gasleitung zu verlegen. Aus < bisher noch ungeklärter Ursache erfolgte plötzlich eine Explosion, die so heftig war, daß die Decke einstürzte und die vier Arbeiter unter sich begrub. Erst nach langen Bemü hungen gelang es der Feuerwehr, drei der Verun glückten zu bergen. Sie mußte zu diesem Zweck in oie Seitenwand des Gebäudes eine Bresche schlagen. Während zwei der Gcdorgencn mit dem Tode rm- ! gen, hat der Dritte nur leichte Verletzungen erlitten. ! Der vierte Verschüttete konnte »och nicht befreit wer» ! den. Man befürchtet, daß er den Tod gefunden hat. Während die Feuerwehr noch mit den Aufräu mungsarbeiten beschäftigt war, erfolgte in dem Un glückshanse eine zweite Explosion. Das ganze drei stöckige Gebäude ist daraufhin sofort geräumt und die Umgebung abgesperrt worden. * Ein Riefenbrand. Großfcucr in Savoyen. Ern Grvßfeuer, das einen Sachschaden von 12 j bis 15 Millionen Franken anrichtete, brach in den i frühen Morgenstunden in einer Lebcnsmittelfabrik in I Saint Michcl de Maurienne in Savoyen aus. Begünstigt durch den Wind stand bald die ge- i samt« Häuserreihe in Hellen Flammen und konnte nicht ! gerettet werden. Militärtruppen und sämtliche Feuerwehren der Umgebung eilten zu Hilfe und sahen sich gezwungen, das Wasser eines in der Nähe liegenden Kanals um zuleiten, um das gesamte Gebiet unter Wasser zu setzen. Durch das Grobfeuer ist der Verkehr aus der Chaussee Paris—Turin unterbrochen. Lawinentücke. Gefahren im Gebirgsfrühling. In Nordtirol ereigneten sich in den letzten Tagen mehrere Lawinenunglücke. In Sellraintal wurde der bei der Pforzheimer Hütte als Diener beschäftigte Franz Huber, als er Lebensmittel nach der Hütte bringen wollte, von einer Lawine verschüttet und konnte bis jetzt noch nicht ge funden werden. Am Stanserjoch bei Schwaz war für Sonntag ein alpiner Langlauf eines Arbeiterturnvereins festgesetzt. Fünf Skifahrer, die damit beschäftigt waren, die Renn strecke abzustecken wurden von einer Lawine erfaßt und etwa 200 Meter in die Tiefe gerissen. Zwei von ihnen konnten sich freimachen und nach längerer Ar beit ihre drei Gefährten bergen. Doch waren diese drei schwer verletzt. Auf der Innsbrucker Nordhütte wurden zwei Ski fahrer von einer Lawine mitgerissen. Auch sie konn ten geborgen werden, einer von ihnen allerdings erst nach Dreiviertelstunden. Marcell Salzer s. Mit dem Tode Marcell Salzers verlieren wir nur all zufrüh einen Künstler, der, wie selten ein Mensch, stets durch seine Vorträge Frohsinn und Heiterkeit zu verbreiten verstand Lier Mann, über den sich so mancher von uns halb totgelacht hat, obwohl er nach dem Rezept arbei tete: „Gesundlachen!", der Mann, den man zu den größten deutschen humoristischen Vortragskünstlern rech nen kann, dessen Pointen wie aus der Pistole ge schossen herauskameu, Professor Marcell Salzer, ein geborener Wiener, ist als Siebenundfünszigjähriger heimgegangen. Zwei volle Jahre schwieg er. Dieses Schweigen setzte ein, als ihm vor drei Jahren Gattin und Sohn, an denen er mit zärtlicher Liebs hing, v.-rstarben. Da schien ihm der Humor zu versiegen. Er verbiß sich ferner in den Aerger über den Rundfunk, von dem er behauptete, er habe ihn um den Erfolg seiner Vortrags abende gebracht. Ein scharfer Gegensatz klaffte zwischen dem Rundfunk und ihm. Erst in letzter Zeit schien eine Brücke gebaut zu sein, denn man hörte Salzer hin und wieder am Mikrophon. Voriges Jahr feierte Salzer sein fünfundzwanzig jähriges Jubiläum. Mit diesem Tage kehrte er zum Vortragspult zurück und versprach, wieder lustig zu werden. Aber die Melancholie blieb bis zu dem Augen blick, wo ihn jetzt der Schlag aus dem Leben riß Aus Stadt «ud Laud. , Chinesische Bestien. Vor einigen Wochen waren ! drei finnische Missionarinnen von chinesischen Räu- > bern entführt worden. Jetzt trifft in HelsingforS die Meldung ein, daß alle drei ermordet worden sind. Am grausamsten ist der Tod von Fräulein Ingmann, einer Verwandten des früheren finnischen Ministerpräsiden ten Ingmann; sie ist lebendig verbrannt worden. Lastwagen mit 48 Arbeitern umaeftürzt. Aus Vorstoß gegen das Deutschtum in Riga. Der deutsche Marien-Dom in Riga, der 1221 von Bischof Albert von Bremen, dem Gründer Rigas, erbaut worden ist, unterstand bisher der deutschen evangelisch-lutherischen Kirchenaemernde, die verfaß sungsmäßig die Rechte der Selbstverwaltung besitzt Die Letten haben nun plötzlich das „Mitspracherecht* über diese deutsche Kirche verlangt und auch erhal ten. Sie zielen jetzt darauf hin, den Dom ganz in ihren Besitz zu bringen. einer Chaussee in der Nähe von Lille stürzte ein von 45 Arbeitern besetzter Lastwagen um, der die Arbeiter zur Arbeitsstätte bringen sollte. 10 Arbeiter gerieten so unglücklich unter den schweren Wagen, daß sie lebensgefährliche Quetschungen davontrugen. Der Unfall ist auf ein gleichzeitiges Versagen der Steuer- und Bremsvorrichtung zurückzuführen. Hartnäckige Selbstmörderin. Ein aufregender Zwi schenfall spielte sich im Pariser Justizpalast ab. Eine Frau richtete plötzlich einen Revolver gegen ihre Brust und schoß ab. Die Kugel wurde jedoch durch das Korsett, das die Lebensmüde trug, aufgehalten. In dem sich ein Arzt um die Frau bemühte und sie untersuchte, ergriff dies« von neuem die Waffe, um noch einmal einen Selbstmordversuch zu machen. Nur mit Mühe konnte der Arzt die hartnäckige Selbst mörderin von ihrem Vorhaben abbringen. Eine „arme" Reiche. In einem Sanatorium New Korks starb die 81 Jahre alte Witwe des Eisenbahn magnaten Flagler. Die Verstorbene hinterließ ein Vermögen von 16 094 097 Dollar, das von einem Rechtsbeistand verwaltet wurde. Frau Flagler bil dete sich ein, bettelarm zu sein, sparte jeden Cent, trotzdem sie über große Summen verfügen konnte, und klagte über Entbehrungen, die sie zu ertragen habe. Kleine Nachrichten. ' Der wegen Totschlags an seinem Bruder Waldemar und dessen Freund Tibvr Fuldes in Berlin zu sechs Jahren Gefängnis verurteilte Manasse Friedländer ist zur Beobachtung seines Geisteszustandes in eine Irren anstalt gebracht worden. * In Amsterdam veranstaltete die Internationale Ver einigung für Frauenrechte eine große Versammlung, in der führende Persönlichkeiten der Frauenbewegung sprachen. Unter den Rednerinnen sind zu nennen Frau Katharina von Kardorsf und die sozialdemokratische Reichstagsabge ordnete Frau Adele Schreiber-Krieger, Fräulein Emilie Courd-Genf und Chvrbett Ashby vom Weltbund der Frauen. * Der Erzbischof von Vernon in Frankreich, Monsig nore Chauvin, ist im Alter von 71 Jahren gestorben. * In Paris sand die feierliche Grundsteinlegung des Krebsforschungsinstituts der Universität Paris durch den französischen Staatspräsidenren statt. Die Baumaterialien werden auf dem Wege der Reparationslieferungen aus Berlin bezogen. * In Wien unternahm der bekannte Tertil-Grotzin'ou- strielle Ritter von Pollack-Parncgg einen Selbstmordversuch. An seinem Aufkommen wird gezweifelt. Die Ursache des Selbstmordversuches dürfte in Spielverlusien in Monte Carlo zu suchen sein. * In Gardone am Gardasee starb Fürstin Marie zu Putbus, geborene Gräfin v. Wylich und Lottum, im ,72. Lebensjahre. * Die Regierung in Palästina veröffentlicht einen Bericht, nach dem die Heuschreckenplage zu einer außer ordentlich ernsten Lage geführt hat. Der Skandal in Potsdam. DaS Nntersuchungsergebnis: Fra« Dr. Momm hat Ver sicherungsbetrag begangen. Während man zuerst angenommen hatte, daß die Frau des Regierungspräsidenten Dr. Momm in Pots dam die Diebstähle lediglich aus einer krankhaften Veranlagung heraus selbst begangen hatte, scheint es jetzt festzustehen, daß diese Fälle doch die Gerichte be schäftigen werden. SS hat sich nämlich herausgcstcllt, daß Fra» Momm nicht weniger als dreimal Schadenersatzan sprüche an die Aachen-Münchcncr-Kcnervcrsicheruug ge- stellt und drei Mal vetrage erhalten hat, die zu- sammen «SOO Mark anSmachen. Der Regierungspräsident hatte seinerzeit diese Be träge in dem Glauben angenommen, daß wirklich von Fremden in sein Haus etngebrochen worden war. Jetzt hat Dr. Momm der Versicherungsgesellschaft sofort die gezahlten Beträge -urückgegeben. Wie liegt der Fall juristisch? Juristisch liegen die Dinge so, daß in drei Fällen Frau Momm durch Vorspiegelung falscher Tatsachen die Versicherung getäuscht und somit einen Betrug verübt hat. Die Untersuchungsbekürden haben beschlossen, zu nächst dafür zu sorgen, daß Frau Momm in einer Heil anstalt auf ihren