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Beilage zur Weiheritz-Jettung Nr. 16 Montag am 2V. Januar 1830 96. Jahrgang II - t 1 —--------------------MS» - - -SS-S Chronik des Tages. — Reichspräsident von Hindenburg nahm das Abbe- .ufungsschretben des amerikanischen Botschafters entgegen >nd gab zu Ehren des scheidenden Botschafters ein Essen. — Aus Anlatz der Wiederkehr des Tages der Reichs- »ründuno in Versailles fanden in Berlin und im Lande sedenkferern statt. — Der Aeltestenrat des Reichstags beschloß, der An regung des Präsidenten folgend, die Einberufung des Reichs- >ags zum 23. Januar. — Der britische König empfängt am heutigen Mon tag die Delegierten der Flottenkonferenz. — Der Dieb, der in Berlin am 8. November einen Juwelier aus Frankfurt am Main um eine Schmuckkollek- tion im Wert« von etwa 110 000 Mark bestohlen hat, ist tn Paris in der Person eines Wilhelm Perlewitz aus ZPandau verhaftet worden. — Am heutigen Montag beginnt in Augsburg der Prozess wegen des Eisenbahnunglücks bei Dinkelscherben. — Wegen des Auftretens der Papageienkrankheit ist die Einfuhr von Papageien und Sittichen aus dem Aus lände nach Württemberg bis auf weiteres verboten worden. — Neue Flug-Weltrekorde stellten die Franzosen Costes and Codes auf. Sie unterboten die bisher von Deutschland gehaltenen Weltrekorde der Entfernung und der Geschwindig keit mit einer Flugzeug-Nutzlast von 500 Kilogramm. Das Anleihe-Geschäft. Hie Bedeutung der Gemeinschaftsanleihe. — Die Pläne der Reichsbahn und der Post. — Berlin, 20. Januar. Die deutsch-französische Gemeinschaftsanleihe, übet vte im Haag nach mehrtägigen Verhandlungen schließ lich eine Einigung zustandekam, die im großen und ganzen den Interessen beider Länder gerecht wird, zählt zu den größten Finanzgeschäften unseres Jahrhunderts. Nach den im Haag getroffenen Vereinbarungen legt das amerikanische Bankhaus I. P. Morgan für Deutschland und Frankreich eine Gemeinschaftsanleihe in Höhe von 1200 Millionen Mark auf. Zwei Drittel dieser Summe, also 800 Millionen Mark, flie ßen dem französischen Staat zu, ein Drittel des An leiheerlöses dagegen — 400 Millionen Mark — erhält das Deutsche Reich, das mit diesen Geldern die drin gendsten Kapitalbedürfnisse der Reichsbahn und der Post befriedigen wird. Der Ausgabekurs der Anleihe wird wahrscheinlich 93 Prozent betragen, der Zinsfuß etwa üi/z für das Hundert. Der Kapitalbedarf der Reichsbahn und der Post war bisher auf 500 Millionen Mark veranschlagt wor den. Reichspostminister Dr. Schätzel und Generaldirek tor Dr. Dorpmüller, die inzwischen vom Haag nach Berlin zurückgekehrt sind, glauben jedoch, auch mit den ihnen zugesicherten 400 Millionen Mark auskommen zu können. Die Weiterleitung des deutschen Anteils an dem Anletheaufkommen an Bahn und Post erfolgt durch Reichsgesetz und wahrscheinlich tn der Art, daß die Reichsbahn 250 Millionen, die Post aber 150 Mil lionen Mark erhält. Wie man hört, wird die Reichsbahn die her- elnkommenden Mittel zur Sicherstellung des dring lichsten Bedarfs der Vermögensrechnung verwenden, also zur Finanzierung der Bauten, die bisher wegen der Absperrung des Auslandsgeldmarkts nicht in An- griff genommen werden konnten. Da es sich hierbei um werbende Anlagen handelt, ist ihre Finanzierung mit Anlethemitteln durchaus am Platze. Die retnen Unter- haltungs-- und Erneuerungsbauten sotten übrigens wie bisher aus laufenden Einnahmen bestritten werden. Mit der P 0 st verhält es sich ähnlich. Die Betriebsrechnung der Reichsbahn wird leider durch die Ueberweisung der Anleihegelder nicht ver bessert. Die Reichsbahn muß sich also auch nach dem Haag allmählich darüber klar werden, wte sie ihre Einnahmen erhöhen und ihre Ausgaben senken will. Eine Erhöhung der Tarife mutz unter «i» len Umständen ausgeschlossen bleiben! Gangbar wäre vielleicht der Weg, der Reichsbahn einen Teil der bisherigen Beförderungssteuer zu erlassen. Im Zusammenhang mit der Anlstheregelung hat sich Deutschland verpflichte« müssen, bis zum 1. Ok tober 1930 keine wetteren Reichsanlethen im Aus- lande aufzunehmen. Sollte das Bankhaus Morgan aber die Gemeinschaftsanleihe bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht untergebracht Haden, dann verlängert sich die Sperre bi« zum 1. April 1931. Umgekehrt verkürzt sie sich, wenn di« Anleihe früher gezeichnet wird und sie hört ganz auf, wenn Morgan zwar die Schuld verschreibungen zur Zeichnung auflegen, Frankreich aber eine Anleihe nicht will. Damit ist der Gefahr vorgebeugt, daß die Franzosen Deutschland unter Druck setzen. Die Bedeutung der Anleihe-Einigung erkennt man jedoch erst, wenn man sich noch einmal den Verlauf der Airleiheverhandlungen ins Gedächtnis zurückruft. Der ursprüngliche französische Vorschlag ging dahin, daß Deutschland sich für die ganze Dauer des Uoung- planS, also für 58 Jahre, ganz allgemein verpflichten - rollte, ohne die Zustimmung der Tributbank oder Frank- ! reichs kein« Ausländsanleihen auszunehmen. Das hat ! RetchSsinanzmintster Dr. Moldenhauer entschieden und erfolgreich abgewehrt. Dann wollte Frankreich, daß Deutschland seinen Anleihebedarf wenigstens solang« zurückstellt, bi» die neue ReparationSanleihe unter» gebracht worden war. Auch das wurde abgelehnt. Für das am 1. April beginnende neue Haushalts jahr ist der Anleihebedarf des Reiches — für das ja i« Kürze die Kreuger-Anleihe aus dem Zünd- holzmonopol M fliehen beginnt — und dar der Reichs bahn und der Post gedeckt! Neue langfristige An leihen kann das Reich für sich und seine Betriebe vor dem Ablauf der Anleihesperre nicht aufnehmen. Es verdient jedoch festgestelü zu werden, daß Pie Aufnahme kurzfristiger Ausländsanleihen dem Reiche vollkommen freisteht, ferner können alle übrigen deutschen Geld nehmer — die Wirtschaftsunternehmungen z. B. — auch während der Anlethesperre jederzeit den Aus- landsgeldmarkr in Anspruch nehmen. Die finanzpolitische Lage des Reiches beginnt sich damit zu festigen. Und diese Festigung ist schließlich die erste Voraussetzung für eine geordnete Wirtschafts führung! Der zweite Schritt aber muß darin bestehen, daß nun auch die Finanzreform tatkräftig in An griff genommen wird, damit endlich der Steuerdruck, der gegenwärtig auf Deutschland lastet, erheblich ge mindert werden kann, zum Nutzen des Volkes und zum Nutzen der Wirtschaft, die damit wieder Luft be kommt. Der Vollständigkeit halber sei noch festgestellt, daß Deutschland nicht verpflichtet ist, die Morgan-Anleihe zu nehmen, sondern eS hat nur die Option darauf. Angesichts des deutschen Finanzelends ist aber kaum damit zu rechnen, daß man in Berlin noch große Ueber- legungen darüber anstellen wird, ob man soll oder nicht. Die Rückkehr aus dem Haag. Dienstag Bericht an Hindenburg. — Tie letzten Schwierigkeiten im Haag. — Der Stand der Räu mung»- und der Saarfrage. — Haag, 20. Januar. Ter französische Ministerpräsident Tardieu hatte vor seiner Abreise nach London im Haag noch eine Unterredung mit dem deutschen Außenminister Dr. Curtius, in der der Notenwechsel über die Rheinland- räumung zur Sprache gelangt sein dürfte. Wie man hört, bleiben die im August vereinbarten Räumungs fristen in vollem Umfange in Kraft. Die Franzosen müssen also spätestens am 3V. Juni die Räumung der dritten Zone beendet habe». Die Saarfrage, zu deren Regelung jetzt in Paris die deutsch-französischen Son-erverhandlungen wieder ausgenommen sind, ist im Haag, wie jetzt von deutscher Seite mitgeteilt wird, bei der erste» Besprechung des Ministers Curtins mit Briand erörtert worden. Neue Schwierigkeiten tauchten im Haag in letz ter Stunde insofern auf, als Italien sich weigerte, den Uoungplan zu unterschreiben, ohne die gleichzeitige Klärung der tschechischen Befretungsanleihe, soweit da von die Ostreparationen betroffen sind. Zur Ueber- windung dieses letzten Hindernisses wurde eine Ber- mittlungsaktion der Großmächte eingeleitet, bei der man jedoch nur langsam vorwärts kam. Die deutsche Telegatton wird, falls nicht am heutigen Montag abermals unerwartete Schwierigkeiten auftauchen, am Dienstag wieder tn Berlin sein. Tie Führer der Abordnung werden unmittelbar nach ihrer Ankunft dem Reichspräsidenten über den Verlauf und die Ergebnisse der Haager Verhandlungen Bericht er statten. Im Anschluß daran dürfte bann am Mitt woch ein Kabinettsrat stattfinden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Konferenz wird von Seiten der deutschen Delegation festgestellt, daß der Uoungplan auf der Schlußkonferenz nur inbezug aus die Zahlungstermine abgeändert worden ist. Statt am 30. eines jeden Monats würden wir nur am 15. die Reparationen zu zahlen haben, ausgenommen die 660 Millionen der Reichsbahn, die wie bisher am 30. bezahlt würden. In dm übrigen Punkten feien im wesentlichen die Bestimmungen de» UoungplaneS aufrecht erhalten and die neuen Forderungen der Gläubiger abgelHnt worden; so sei insbesondere die Unabhängigkeit der Reparationsbank (BIZ.) die auf dem Zusammenwirken der Notenbankpräsidonten beruhe, aufrecht erhalten wor den, obwohl die Gläubigermächte versucht hatten, eine starke Einflußnahme der Regierungen auf die BIZ. herbeizuführen. In den Fragen der Auflegung der ReparationSanleihe, des deutsch-amerikanischen Eonder- 0ertrage» und der Retchsbank fei der deutsche Stand punkt durchgesetzt worden. Ferner habe sich an dem Grundgedanken des UoungplaneS — Umwandlung der politischen tn eine kaufmännische Schuld — nichts ge- tndert Wie noch mitgetetlt wird, haben die Pariser Sach verständigen, so auch Dr. Schacht, den Uoungplan in zwischen endgültig unterzeichnet. Das Unterzeichnungs exemplar war in Maroquinleder gebunden. In Paris war das im Juni unterblieben, weil der Uoungplan damals nur ein Bündel zerknitterter Schreibmaschinen seiten bildete. Schurmans Abschiedsbesuch. Nm Dienst«« Rückkehr nach Amerika. — Das Ab» schiedsfrithstück im Präsidentenpalais. — Berlin, 20. Januar. Der langjährige Letter der amerikanischen Bot schaft in Berlin, Botschafter Jacob Gould Schurman, stattete dem Auswärtigen Amt und dem Reichskanzler seinxn Abschiedsbesuch ab. Im Anschluß daran begab sich der Botschafter in das PrästdentenpalaiS, um dem Reichspräsidenten von Hindenburg sein Abberufungs schreiben zu überreichen. Zu Ehren des scheidenden Bot schafters gab Reichspräsident von Hindenburg ein Früh stück, an dem der Kanzler, führende Beamte des Aus wärtigen Amtes, der französische Botschafter de Mar» aerie und die Rektoren der Universitäten Berlin und Heidelberg tetlnahmen. Die Trinksprüche. Im Verlaufe des Essens brachte Reichspräsident von Hindenburg folgenden Trinkspruch aus: ,-Euer Exzellenz; «eine Her«»! Es ist mir «W leb» Haftes Bedürfnis, Jhue«, Hers Botschafter, in dieser Stunde, da mir voneinander «schied nehmen müsse«, für alle» da» »u danke«, Mas Sie i« Ihrer Eigenschaft av Vertreter der Bereinigten Staaten von Amerika in Deutschland geleistet Haden. Sie kennen unser Land bereit» seit früher Jngend und haben e» in besseve« Tage« gesehen, so daß Sie unsere jetzig« Lage richtig zn beurtetteu vermochten. So haben Sie während Ihrer fast fünfjährigen Arbeit hier zur Wiederherstellung der alten guten Beziehung«« zwischen rentschland und den Bereinigten Staaten wesentlich bei getragen. Mit aufrichtiger Dankbarkeit haben wir das große Interesse begrüßt, daß Sie unserer Wissenschaft und unse ren kulturellen Bestrebungen entgegengebracht haben, und das in ganz besonderer Weis« in der von Ihnen geschaff nen großen Stiftung für die altberühmte Heidelberger Universität seinen Ausdruck gefunden hat: das neu« Uni- versitStshouS am Neckarstrand wird Ihren Namen, Her, Botschafter, dauernd mit dieser Pflegestätte deutscher Geistes arbeit verbinden." Zum Schluß bat Reichspräsident von Hindenburg den Botschafter, dem deutschen Volke auch fernerhin ein verständnisvolles Andenken zu bewahren. Reichs präsident von Hindenburg hob dann fein Glas mit dem Wunsche, daß Botschafter Schurman in seiner Heimat noch lange in Gesundheit und Rüstigkeit auf die reichen Erfolge seines Lebens zurückblicken möge. Botschafter Schurman erwiderte: „Die liebenswürdige und großmütige Art und Weise, in welcher Eure Exzellenz auf meine Arbeit als Bot schafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutsch land hinwiesen, hat mich tief bewogt. Daß ich zur Wieder Herstellung und Förderung der alten guten freundschaft lichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern etwa» beigetragen habe, war eine Genugtuung und eine Ehre füi mich, die ich immer als die höchste meines Lebens be- trachten werde. Fremde Nationen, und nicht am wenigsten die Ber einigten Staaten von Amerika, verdanken viel der deutsche, Wissenschaft und Kultur. Ehe die Universitäten tn bei Neuen Welt sich entwickeln konnten, bezog eine große An zahl amerikanischer Studenten deutsche Universitäten, Nu sie mit großzügiger Gastfreundschaft aufgenommen wurden Das neue Untversitätsgebäude, welches jetzt Ml den Ufer, des Neckars entsteht, ist ein« Anerkennung — und Wirt auch als Symbol bestehen bleiben — unserer Dankes- schuld an die ehrwürdige Universität Heidelberg. Als Privatmann wird es mein Bestrebe» sei», bat gute Einvernehmen und die herzliche Freundschaft zwische, dem amerikanischen und dem deutsche« Volke weiter au» zxbaxex. I« diese« Sinue erhebe ich «et« GläS mit de« «bfchtedStmmsch Pir S«re ExzeAexz wettere beste «esxxd- hett mW «Nick «xd für da» Wohlergehen ««d Gedeih«, de» deutsche« väkeS." Wie mttgeteilt wird, wird Botschafter Schurma, Berlin am Dienstag verlassen. Die Gewählt« und dit Tochter des Botschafters sind bereits nach den vereinig ten Staaten zurückgekehrt. Einberufung des Reichstags. Pleuarsitz»»»«« zuwächst dr« 28. »iS zu« 28. Emma« —Verabschiedung »es Naungptaus bi» M« 15. Kebrmur — Berkin, 20. Januar. Der Aeltestenrat des Reichstags verhandelt« »bei de» «ieberzusmmaentritt de» Parlament». De« »ar. schlag des Präsidenten entsprechen» «urv-e beschloss««; den Reichstag zn« Donnerstag, de« 28. Januar, nach- «ittag» 8 Uhr, eiuz«berufen. Der Aeltestenrat wlrd am Tage zuvor nochmals ein« Sitz««- abhalt««, u« m«it«r« Dispositionen z« treff««. Nach den jetzigen Beschlüssen sott sich der Reichstag in feiner ersten Sitzu«g im neuen Jahre mit der -rrster Beratung des Zündholzmonopol-Gesetzes uni mit der Kreuger-Anleihe befassen. Am Freitag und Sonnabend sott der Haushaltsausschuß über diese Frag« verhandeln, so daß der Reichstag am 27. und 28. Ja- nuar bereits die zweite und dritte Beratung der Vor lagen durchführen könnte. Andere Gesetzentwürfe sotten in dem ersten Tagungsabschnitt nicht erörtert werden. Bo« 28. Januar bi» zum 7. Februar soll et«« Panse eiugelegt wer»«», «m der Reichs regle ruxg Jett für die Ausarbeitung der Gesetze zur Durchfuhr««- de» Aonngplans z« lasse». I« Aeltestenrat ist «an »er An sicht, daß di« ReichStagsverhaudlungen über dieNonug- Plan-Gesetz« b«r«its am 7. Februar beginne« können; einig« Parteien woll«n diese B-rlagen sogar »iS zum 15. Februar verabschieden. Die ersten Arbeiten des Reichstags sind also dem Zündholzmonopol und dem Uoungplan gewidmet. Sind diese Arbeiten beendet, dann sotten das Gesetz zum Schutz der Republik und zur Befriedung des politischen Lebens, der Nachtragshaushalt für 1929 und de« Reichshaushalt und das neue Finanzjahr in Angriff genommen werden. Eine rechtzeitige Verabschiedung de» Etats zum 1. April ist unter diesen Umständen nicht mekr zu erwarten.